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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Der schmale Grat

Spitzenkletterer bewegen sich auf einem schmalen Grat. Die Liste der Bergabenteurer, die ihre Leidenschaft mit dem Leben bezahlt haben, ist lang. Und um ein Haar wäre sie um einen weiteren prominenten Namen länger geworden.


Mount Temple im Banff-Nationalpark

Ende März in der Nordwand des 3547 Meter hohen Mount Temple in den kanadischen Rockies: Ein Stück Fels, das Steve House als Griff genutzt hat, bricht aus der Wand. Der 39 Jahre alte Kletterer aus den USA fällt. 25 Meter tiefer landet er auf einem kleinen schneebedeckten Vorsprung. Nach einem Notruf seines Kletterpartners wird House kurze Zeit später von einem kanadischen Rettungsteam aus der Wand geholt und ins Krankenhaus gebracht. Die Diagnose der Ärzte: fünf gebrochene Rippen, zwei davon doppelt, der rechte Lungenflügel zusammengeklappt, zwei kleinere Brüche an der Hüfte, fünf kleinere an den Wirbeln. „Klingt schlimmer als es ist. Mein Zustand ist hundert Prozent stabil“, schreibt House einige Tage später im Internetportal Facebook.

Bloß nicht auf dem Normalweg

Steve House ist nicht irgendwer. Reinhold Messner nennt ihn den „derzeit besten Höhenbergsteiger der Welt“ – und das nicht ohne Grund. Am 8125 Meter hohen Nanga Parbat in Pakistan kletterte House 2005 gemeinsam mit Vince Anderson in nur sechs Tagen durch die viereinhalb Kilometer hohe Rupalwand – und das im Alpinstil: ohne Fixseile, ohne Hochlager, ohne Atemmaske, mit nur einem Schlafsack für zwei und Powerriegeln als Verpflegung. Als Steve House eine Woche nach dem Aufbruch ins Basislager zurückkehrte, wog er zehn Kilo weniger. „Je einfacher du Dinge machst, desto reichhaltiger wird die Erfahrung“, lautet das Credo des US-Kletterers. Für ihre Leistung am Nanga Parbat wurden House und Anderson mit dem Piolet d’Or, dem Golden Eispickel, ausgezeichnet, so etwas wie dem Oscar der Profibergsteiger. Den erhielt er auch für seinen Alleingang am 6942 Meter hohen K 7 in Pakistan, natürlich über eine neue Route. Denn Normalwege sind nichts für House.


Der K 2 wartet

Eigentlich wollte Steve sich in diesem Jahr am sogenannten Sichel-Couloir in der Westwand des K 2 versuchen, des mit 8611 Meter hohen zweithöchsten Bergs der Erde. Diese äußerst schwierige Route wurde erst zwei Mal angegangen, beide Male von Wojciech Kurtyka, einem der exzellenten polnischen Bergsteiger der 1970er und 80er Jahre, beide Male vergeblich. „Wir rannten einfach davon“, schreibt Kurtyka über einen seiner gescheiterten Versuche. Steve House wird sein neues Projekt nach dem Sturz in Kanada wahrscheinlich erst einmal verschieben müssen. „Ich habe noch starke Schmerzen“, schreibt House aus seinem Heimatort Terrebonne im US-Bundesstaat Oregon. Doch früher oder später wird der Spitzenkletterer sicher zurückkehren, auf den schmalen Grat.

P.S. Im August erscheint übrigens im Piper-Malik-Verlag die deutsche Ausgabe seines preisgekrönten Buchs „Beyond the mountain“.

Datum

16. April 2010 | 14:14

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