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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Frost, Frust, Freude

Aua

So unterschiedlich die Mitglieder der Putha Hiunchuli Expedition sind, am heutigen Ruhetag im Basislager gleichen sie einander. Alle wirken müde, nachdenklich und klagen über schmerzende Fingerkuppen. Die arktischen Temperaturen am Gipfeltag haben Spuren hinterlassen. Die Haut reißt ein, die Kuppen brennen wie Feuer. Nichts Tragisches, in ein paar Wochen vergessen, aber unangenehm.

Schritt für Schritt

„Ich habe beim Aufstieg einen meiner Innenhandschuhe verloren und deshalb ein paar ganz kleine Erfrierungen,“ sagt Expeditionsarzt Roland. „Ich glaube, dass der Berg nicht zu unterschätzen ist.“ Roland gehörte zu den neun Glücklichen, die am Donnerstag den Gipfel erreichten. „Natürlich war es ein Grenzgang, aber ich habe versucht, das auszublenden und mich auf das Gehen zu konzentrieren. Schritt für Schritt.“ Am Gipfel habe er ein paar Bilder gemacht, sich umgesehen und dann nichts wie runter. „Ich brauche sicher noch einige Tage, um das zu realisieren, aber trotzdem freue ich mich, dass ich oben war.“

Roland wollte schnell wieder vom Gipfel herunter

Zwischen sehr hart und halb so wild

Ganz oben war auch Sergio, mein Zeltpartner. „Ich glaube es war der härteste Berg, den ich in meinem Leben bestiegen habe,“ sagt der Italiener. Die ständig wechselnden Schneebedingungen und der scharfe Wind hätten ihm zugesetzt.

Gipfeltorte

„Ich habe ein bisschen Probleme mit der Kälte gehabt,“ räumt auch Norbert ein, der mit seinen 63 Jahren unwiderstehlich den Berg hinaufgestiegen ist. Hätte ich vorher auf mögliche Gipfelgänger wetten müssen, hätte ich Geld auf den Österreicher gesetzt. Halb so wild fand Norbert den Putha Hiunchuli. Seit 40 Jahren gehe er in die Berge. Den Siebentausender ordne er irgendwo in der Mitte ein. „Schließlich kannst du mit zwei Skistöcken bis zum Gipfel gehen.“

So weit hinauf kam Joachim nicht. In Lager 3 war für den Duisburger der Gipfelversuch beendet. „Ich bin in der kurzen Nacht gar nicht warm geworden. Ich hatte Schüttelfrost“, sagt Joachim. „Ich habe gesagt: ‚Das hat keinen Zweck bei dem Sturm heraus zu gehen.‘ Ich habe keine Chance gesehen.“ Als alle das Lager verlassen hätten, sei er endlich in Ruhe eingeschlafen. Gegen 6 Uhr habe er dann nach oben geschaut und sich gewundert, wie langsam die Gruppe vorangekommen sei. „Da hab ich mir gedacht: ‚ Vielleicht wärst du doch besser mitgegangen.’“ Damit, den Gipfel nicht erreicht zu haben, kann Joachim nach eigenen Worten gut leben. „Ich habe vor ein paar Jahren einen Artikel des Schweizer Veranstalters Kari Kobler gelesen, der behauptet, die Flachlandtiroler seien mehr oder weniger die Füllmasse für Expeditionen. Damit muss man sich wohl abfinden.“

Michael: Bergbewohner haben bessere Chancen

Plötzlich kraftlos

Michael, unser eifrigster Leser

Das glaubt auch Michael, der nach der Nacht in Lager 2 umkehrte. „Geschafft haben es eigentlich die, die in den Bergen leben oder jedes Wochenende in den Alpen verbringen“, sagt der Regensburger, den ich beim Lesen in der Sonne störe. „Sicher bin ich enttäuscht, dass ich nicht am Gipfel war, aber auch nicht wirklich unglücklich. Weiterzugehen wäre ein zu hohes Risiko gewesen.“ Eigentlich fühlte sich Michael bei der Ankunft auf 6100 Metern noch ganz gut, doch im Zelt ging nichts mehr. „Ich war überrascht, dass ich plötzlich keine Kraft mehr hatte und habe das mit einer beginnenden Höhenkrankheit in Verbindung gebracht. Ich habe gehofft, dass ich am nächsten Tag wieder fit bin, war es aber leider nicht.“ Also stieg Michael ab. Er wirkt stiller als vor dem Gipfelversuch. Auch in Michael arbeitet es. „Ich habe jetzt mal gelernt, wie Höhenbergsteigen geht. Es ist wesentlich mühsamer, als es am Anfang den Anschein hatte. Wenn ich mich genug gesammelt habe, versuche ich es vielleicht noch einmal.“

Dreimal geflucht

Marianne und Angelique (v.l.)

Davon kann bei Angelique und Marianne erst einmal keine Rede sein. Die beiden kämpften sich wie Michael hinauf in Lager 2. Die stürmische Nacht habe ihnen dann jedoch den Rest gegeben. „Es war als bräche ein Hurrikan über das Lager ein“, erzählt Marianne. Die beiden Niederländerinnen entschlossen sich umzukehren. „Ich hab ein bisschen geweint, dreimal geflucht, und dann war es vorüber“, sagt Angelique. Die beiden sitzen in ihren Klappstühlen. Hinter ihnen weht die Wäsche auf der Leine. Fast ein wenig Campingidylle. Aber wie sieht es in ihrem Innern aus? „Wir fühlen uns gut, sind nicht krank, aber am Ende“, bringt es Angelique auf den Punkt und weiß auch das richtige Medikament dagegen: „ Ich will nur runter, runter, runter, Sauerstoff und ein Bier.“ Erst am Montag brechen wir die Zelte im Basislager ab. Ein weiterer Tag Zeit, um über das Erlebte nachzudenken und die leicht angefroren Fingerkuppen zu pflegen.

Angelique: Alle Energie war aus dem Körper

PS: Das Thermometer in meinem Zelt zeigt jetzt um kurz nach 21 Uhr minus zehn Grad an. Also, tief in den Schlafsack schlüpfen!

Datum

22. Oktober 2011 | 18:40

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