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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Langes Abenteuer, kurzer Sport

Auf den ersten Blick scheinen Bergsteiger und Bergarbeiter kaum etwas miteinander gemein zu haben: Die einen steigen dem Himmel, die anderen dem Erdinnern entgegen. Bergsteiger leisten sich den Luxus, das Nutzlose zu erobern, Bergarbeiter schuften tief unter der Erdoberfläche hart, um ihre Familien über die Runden zu bringen. Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten: Beide gehen ein mehr oder weniger kalkulierbares Risiko ein, leben mit der Gefahr, am oder im Berg zu bleiben, zumindest aber im Notfall auf Hilfe von außen angewiesen zu sein. Bei der Rettung der 33 chilenischen Kumpel, die nach einem Grubenunglück mehr als zwei Monate lang in 600 Metern Tiefe ausgeharrt hatten, wurde eine Seilwinde benutzt. Bei mir wurden Erinnerungen an Bilder von Bergungsaktionen an großen Bergwänden wach – auch wenn dort keine Rettungskapsel verwendet wurde, die wie eine bunte Zigarre aussah.

Rasiert gerettet

Das „Wunder von San José“ hielt auch mich gestern in Atem. Immer wieder zappte ich auf der Suche nach Live-Bildern aus der Atacama-Wüste durch das Fernsehprogramm. Und schaltete irgendwann den Ton ab; das war, als auf einem Privatsender ein Psychologe meinte: „Mir ist aufgefallen, dass der soeben gerettete Bergmann rasiert war. Das zeigt mir, dass er das traumatische Erlebnis offenkundig gut überstanden hat.“ Kurz war ich versucht, mich rasieren zu gehen, ließ es dann aber doch. Stattdessen freute ich mich über jeden weiteren Kumpel, der heile das Tageslicht erreichte – vor dem die Geretteten übrigens, wie mein Rennrad fahrender Sohn gleich mit Kennerblick feststellte, mit teuren Marken-Sportsonnenbrillen geschützt wurden.


Franklin Lobos mit seiner kleinen Fußball-Einlage

Treue Seele

Irgendwann nach Mitternacht – inzwischen war ich zum US-Sender CNN gewechselt (mit Ton) – beendete ich mein Über-Tage-Unter-Tage-Fernseh-Werk: nach der Bergung des 27. Verschütteten. Der war mir auf Anhieb besonders sympathisch. Ich erfuhr nämlich, dass Franklin Erasmo Lobos Ramírez früher sein Geld als Fußballprofi verdient hatte. 15 Jahre lang, von 1980 bis 1995, hatte Lobos für denselben Verein gekickt, Regional Atacama. Das nenne ich Treue, im heutigen Fußballgeschäft eine sehr seltene Tugend. Der Mittelfeldspieler war gefürchtet für seine scharf geschossenen Freistöße. Reich wurde Lobos damit aber nicht.

Härtestes Spiel seines Lebens

Nach dem Karriere-Ende verdingte er sich zunächst als Taxifahrer, dann als Lastwagenfahrer in der Kupfermine in der Atacama-Wüste. Als Franklin Lobos nun mit der Rettungskapsel nach oben gebracht wurde, sagte der 53-Jährige, er habe das härteste Spiel seines Lebens gewonnen. Seine Tochter drückte ihm einen Fußball in die Hand. Und was tat Lobos, bevor er sich auf die Krankentrage legte? Er jonglierte den Ball mit dem Fuß, oder wie wir Hobbykicker sagen, Lobos hielt das Leder hoch. Nach überstandenem langem Abenteuer noch eine kurze Einlage Sport.

P.S.: Der Engländer Andy Cave kennt sich sowohl in der Welt des Bergsteigens als auch im Bergbau aus. Der Kletterer hat früher unter Tage gearbeitet – und darüber das lesenswerte Buch „Ins Licht – Aus den Kohlengruben Englands auf die Gipfel der Welt“ geschrieben.

Datum

14. Oktober 2010 | 8:53

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