Umgedreht – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Umgedreht https://blogs.dw.com/abenteuersport/umgedreht/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/umgedreht/#comments Sat, 15 Oct 2011 15:30:15 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=10795

Lager der Franzosen

Ich war in Lager 2, aber dem Falschen. Die Zelte, die ich heute an der Nordostflanke des Putha Hiunchuli erreichte, gehörten einer französischen Kleinexpedition (ein Bergführer, ein Kunde) und standen auf 5920 Metern. Als ich dort, ziemlich am Limit, eintraf, meinte Expeditionsleiter Herbert: „Stefan, am besten steigst du von hier wieder ab. Spare dir deine Kräfte für die nächsten Tage!“ Im ersten Augenblick kam ich mir vor wie früher, wenn zwei Fußballmannschaften gewählt wurden und keiner auf mich deutete. Doch selbstverständlich lag Herbert mit seiner Einschätzung goldrichtig. Das war einfach nicht mein Tag. Ich hatte zu wenig geschlafen, getrunken und gegessen und näherte mich dem Ende meiner Kräfte.

Schnappatmung

In der Zeltnacht in Lager 1 auf 5550 Metern hatte ich kaum ein Auge zugemacht, Sergio neben mir ebenso wenig. Der Körper schickt in der dünnen Luft Warnsignale. Eigentlich döst du vor dich hin, doch plötzlich schnappst du nach Luft, als ginge es um dein Leben. Bis du wieder ruhig atmen kannst, dauert es eine Weile. Erst gegen Ende der Nacht fielen wir beide in einen leichten Schlaf, der wegen des Windes und der Steinplatten unter dem Zelt aber kaum erholsam wirkte.

Schneeschmelzen, eine Geduldsprobe

Um 5:30 Uhr begann ich, auf unserem Gaskocher Schnee zu schmelzen – eine Geduldsprobe. Für einen Liter Wasser muss man etwa eine dreiviertel Stunde rechnen. Zusätzlich musste ich aufpassen, dass der erste Schnee im Topf nicht anbrannte. In diesem Falle wäre das Wasser ungenießbar gewesen, und ich hätte es weggießen können.

Auch die anderen hatten nicht besser geschlafen. Roland, unser Expeditionsarzt, stieg sofort ab, weil er sich nicht wohl fühlte. Marianne wartete in Lager 1.

Um 7:30 Uhr brachen die anderen auf – in klobigen, aber warmen Expeditionsschuhen, deren Gamaschen bis unter die Knie reichen, und mit angelegten Steigeisen. Auch wenn der Himmel wieder einmal wolkenlos war (Norbert: „Schreib‘, dass dieses tolle Wetter das größte Geschenk unserer Tour ist!“), ließ sich die Sonne mit ihrer Wärme noch Zeit. Erstmals trug ich die warme Daunenjacke.

Klimawandel lässt grüßen

Eigentlich hatte ich erwartet, einen sanften Schnee- oder Eishang emporsteigen zu müssen, doch bereits nach der ersten Kurve wartete ein steiler Aufschwung mit Blockgeröll und wenig Schnee dazwischen. Ihn mit angelegten Steigeisen zu erklettern, kostete viel Kraft, die ich eigentlich gar nicht hatte. Oben mit hängender Zunge angelangt, wurde der Hang weniger steil. Überraschend viele Steinplatten unterbrachen die Schneefelder. „Vor ein paar Jahren war hier noch alles weiß“, erzählte unser Sherpa Pemba später. Der Klimawandel lässt grüßen.

Zur Belohnung diese Aussicht

Die dünne Luft setzte mir zu. Immer wieder hielt ich an, hing mich in die Schlaufen meiner Stöcke und versuchte, wieder ruhiger zu atmen. Ich quälte mich hinauf zum Lager 2 der Franzosen, wo ich mit einer atemberaubenden Fernsicht belohnt wurde. Von unserem Team stiegen nur Sergio, Norbert, Hans, Brigitte, Herbert und die beiden Sherpas weiter auf. Über dem nächsten Hang wurden sie von Sturmböen erwischt. Sie kämpften sich eine Stunde lang bis zum Lager 2 auf gut 6100 Metern vor. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, im  Sturm zwei Zelte aufzubauen. „Das war wirklich beinhart“, sagte Hans später.

Bronchitis stoppt Brigitte

Nicht nur für mich, auch für Angelique, Joachim und Michael war das Lager der Franzosen heute Endstation. Das Ehepaar Brigitte und Helmut Eibl war bereits am ersten Geröllhang umgekehrt. „Ich werde nicht mehr aufsteigen. Meine schwere Bronchitis lässt es einfach nicht zu“, sagte Brigitte beim Abendessen im Basislager. „Schade, ich hätte gerne auf dem Gipfel gestanden.“ Dass die 65-Jährige mit dieser Krankheit überhaupt so weit aufgestiegen ist, spricht für ihr Durchhaltevermögen und ihren starken Willen.

Für mich war der heutige Tag ein Schuss vor den Bug. Kleiner Trost: Immerhin habe ich einen persönlichen Höhenrekord geschafft – auch wenn ich die 6000er Grenze verpasst habe. „Die schaffst du in den nächsten Tagen“, macht mir Herbert Mut. Morgen erholen wir uns im Basislager. Wenn das Wetter weiter so konstant gut bleibt wie bisher, wollen wir am Montag wieder aufbrechen – diesmal Richtung Gipfel. Mal sehen.

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