WGMS – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Riesen-Gletscherabbruch in Tibet https://blogs.dw.com/abenteuersport/riesen-gletscherabbruch-in-tibet/ Fri, 16 Sep 2016 07:56:16 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=33595 Nach der Rieseneislawine

Nach der Riesen-Eislawine

In diesem Sommer ist auf dem tibetischen Hochplateau eine Mega-Eislawine abgegangen. Im Aru-Gebirgsmassiv im Nordwesten Tibets brach eine ganze Gletscherzunge ab und stürzte talwärts. Wissenschaftler sagen, es habe sich um eine der größten Eislawinen gehandelt, die jemals registriert worden seien. Nach Angaben der chinesischen Behörden kamen bei dem Naturereignis, das sich bereits am 17. Juli ereignete, neun tibetische Hirten ums Leben, außerdem wurden mehr als 350 Schafe und 110 Yaks unter den Eis- und Felsmassen begraben. Die amerikanische Raumfahrtagentur NASA veröffentlichte jetzt Satellitenbilder, die das Ausmaß verdeutlichen: Das abgerutschte Eis bedeckete eine Fläche von zehn Quadratkilometern und färbte den angrenzenden See weiß. An einigen Stellen türmten sich Eis und Geröll bis zu 30 Meter hoch auf. Die Ursache des Gletscherabbruchs ist noch unklar. „Der Klimawandel sorgt in den Gletscherregionen für zusätzliche Risiken, mit Mechanismen, die wir noch nicht durchschauen“, sagte der chinesische Glaziologe Tian Lide. „Es ist dringend nötig, diese Prozesse zu überwachen und zu erforschen, vor allem in bevölkerten Gebieten im Hochgebirge.“

Ich habe bei dem Schweizer Wissenschaftler Samuel Nussbaumer nachgefragt. Der 35 Jahre alte Glaziologe arbeitet in Zürich für den World Glacier Monitoring Service (WGMS), der die Entwicklung der Gletscher weltweit beobachtet und analysiert.

Vor dem Gletscherabbruch

Vor dem Gletscherabbruch

Wie ungewöhnlich ist dieser massive Gletscherabbruch in Tibet?

So wie ich das sehe, ist wirklich die Gletscherzunge vollständig abgebrochen, der gesamte untere Teil. Ich kenne keinen anderen Fall diesen Ausmaßes – wobei natürlich nur das bekannt ist, was auch historisch dokumentiert ist. Es gab schon einmal 2002 einen Fall mit einer ähnlichen Dimension am Kolka-Gletscher im russischen Teil des Kaukasus  (damals kamen rund 140 Menschen ums Leben). Dort ist aber zunächst der Fels abgebrochen und hat das Eis mitgerissen. Was damals passiert ist, weiß man ziemlich genau. Die exakten Umstände in Tibet sind dagegen noch nicht bekannt.

Samuel Nussbaumer

Samuel Nussbaumer

Sind solche massiven Gletscherabbrüche vorhersehbar? Gibt es alarmierende Hinweise?

Gletscher sind in ständiger Bewegung. Zeichen dafür sind zum Beispiel die Gletscherspalten. Die kann man mit Kameras oder auch hoch aufgelösten Satellitenbildern beobachten. Dann könnte man so etwas auch vorhersehen. Aber es ist natürlich nicht praktikabel, alle Gletscher weltweit zu überwachen. In den Alpen beispielsweise geschieht das bei vielen Gletschern. Die Dimension ist jedoch viel kleiner. Da geht es dann zum Beispiel darum, dass bei einem steilen Hängegletscher die Gefahr besteht, dass ein Teil abbricht und auf eine Siedlung oder Seilbahnstation stürzt. Diese Gletscher werden mit automatischen Kameras überwacht. Ein solcher Abbruch kündigt sich immer vorher an – etwa indem das Eis schneller fließt oder die Spalten größer werden und sich Klüfte bilden.

Sind Riesen-Gletscherabbrüche wie der in Tibet eine Folge des Klimawandels?

Das kann man erst sagen, wenn die Ursache des Abbruchs in Tibet geklärt ist. Aber für den Prozess, dass sich so eine Gletscherzunge bewegt, spielt Schmelzwasser eine wichtige Rolle. Man spricht in so einem Fall von einer „Zungenrutschung“. 1965 gab es eine in der Schweiz am Allalin-Gletscher (88 Menschen starben damals), dort ist auch die Gletscherzunge komplett abgebrochen. Oft ist es dabei so, dass im Gletscherbett viel Wasser ist, auf dem der Gletscher abgleiten kann, und dann bricht er plötzlich ab. Bei steilen Gletschern ist das ein bekanntes Phänomen, aber natürlich in einem viel kleineren Ausmaß als jetzt in Tibet. Wenn die Temperaturen höher sind, ist die Chance größer, dass es mehr Schmelzwasser gibt. Das ist dann wie ein Wasserfilm, der als Schmiermittel wirkt.

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Nachgefragt: Gletscherschmelze https://blogs.dw.com/abenteuersport/nachgefragt-gletscherschmelze/ Thu, 06 Sep 2012 13:29:22 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=16607

Samuel Nussbaumer

Die Gletscher geben nun preis, was sie einst verschluckt haben. Auf dem Gauli-Gletscher in der Schweiz trat zuletzt der Propeller einer 1946 abgestürzten Maschine zutage. Auf dem Bosson-Gletscher im Mont-Blanc-Massiv fanden Bergsteiger eine seit einem Flugzeugunglück 1966 verschollene indische Diplomatentasche.  Und der Taschachferner in den Ötztaler Alpen gab die Leiche eines seit elf Jahren vermissten Münchner Bergsteigers frei. Grund für diese Funde ist die fortschreitende Gletscherschmelze in den Alpen. Aber nicht nur dort, sondern weltweit sind die Eisriesen auf dem Rückzug – nicht zuletzt eine Folge des Klimawandels. Ich habe darüber mit dem Schweizer Glaziologen Samuel Nussbaumer gesprochen. Der 31 Jahre alte Wissenschaftler arbeitet in Zürich für den World Glacier Monitoring Service (WGMS), der die Entwicklung der Gletscher beobachtet und analysiert.

Samuel Nussbaumer, Sie und Ihre Kollegen haben ein wissenschaftliches Auge auf die Gletscher unserer Welt. Wie steht es denn nun wirklich um die Gletscher im Himalaya?

Im Himalaya gibt es im Gegensatz etwa zu den Alpen noch sehr wenige Feld-Messungen über einen langen Zeitraum. Das bringt natürlich gewisse Probleme mit sich, weil noch viele Unsicherheiten bestehen. Es gab in der letzten Zeit durch diese IPCC-Geschichte (Anm.: Der Weltklimarat hatte irrtümlich prognostiziert, dass die Gletscher im Himalaya bis 2035 verschwunden sein würden.) kürzlich viele Studien zum Himalaya. Grundsätzlich gehen auch dort die Gletscher stark zurück, bis auf die Karakorum-Region, wo man ausgeglichene Massenbilanzen beobachtet hat.

Ziehen sich die Gletscher im Himalaya in einem sehr auffälligen, besorgniserregenden Maße zurück oder bewegt sich das Ganze in einem normalen Rahmen?

Es ist „normal“ im weltweiten Vergleich, aber insofern nicht mehr normal, weil es eine so rasche Veränderung in der Vergangenheit – d.h. seit Beobachtungen vorhanden sind – noch nie so gegeben hat. Das bringt natürlich Probleme mit sich, etwa für die Wasserversorgung. Auch die Situation von Naturgefahren verändert sich.

Welche Rolle spielt der Klimawandel bei dieser Entwicklung?

Gletscher reagieren grundsätzlich auf das Klima, also auf Temperaturen, Niederschläge und auch Strahlung. Wenn es wärmer wird, schmelzen die Gletscher mehr und ziehen sich entsprechend zurück. Insofern kann man sagen, dass der Rückgang der Gletscher im Himalaya auch auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Es stellt sich jedoch die Frage, wie viel davon anthropogen bedingt (Anm.: vom Menschen verursacht) ist. Es gibt auch natürliche Klimaschwankungen, aber die werden durch den anthropogenen Teil deutlich überlagert. Das zeigt die Simulation der Klimaentwicklung seit den 1950er Jahren durch Klimamodelle.

Blicken wir auf die Alpen, auf unsere Berge. Werden Ihre Enkel Gletscher in der Schweiz, Österreich oder Bayern noch erleben?

Man geht davon aus, dass bis 2050 etwa noch ein Viertel der heutigen Gletscherfläche vorhanden ist und im Jahr 2100 die Gebiete unterhalb von 3500 Metern im Sommer schneefrei sind – regional gibt es sicher Unterschiede. Das heißt, dass es auch unterhalb dieser Grenze keine Gletscher mehr geben kann, weil der Schnee als Nachschub für das Eis fehlt. Die Gletscher reagieren allerdings mit einer gewissen Verzögerung. Der Große Aletschgletscher zum Beispiel, der größte Gletscher der Alpen, braucht 50 oder noch mehr Jahre, bis er sich ans Klima angepasst hat. Deshalb wird es wohl auch in 100 Jahren noch Teile des Aletschgletschers geben.

Hat sich das Eis denn in den vergangenen Jahren schneller zurückgezogen?

Ja. Vor allem 2003 mit seinem Hitzesommer war für die Alpengletscher ein fatales Jahr. Damals ist bis auf eine Höhe von über 3500 Meter aller Schnee geschmolzen. Deshalb gab es keine Anhäufung von Schnee, der später zu Firn und dann zu Eis wird. Auf den Gletschern kamen Staub oder kleine dunkle Partikel zum Vorschein. Durch die dunklere Oberfläche wurde die Wärme besser aufgenommen und die Schmelze noch einmal verstärkt.

Der Tsho Rolpa-Gletschersee ist einer der größten und gefährlichsten im Himalaya

Welche Folge hat der Rückzug der Gletscher für die Bergwelt?

Die Gletscher speichern den Niederschlag des Winters, der als Schnee fällt und zu Eis wird und dann im Sommer als Gletscherwasser wieder zur Verfügung steht. Sie sorgen also für eine Verlagerung des Abflusses vom Winter auf den Sommer. Wenn das wegfällt, besteht im Frühling die Gefahr von Hochwasser, weil das Wasser zu rasch abfließt. Und im Sommer kann es Wasserknappheit geben.

Wenn sich die Gletscher zurückziehen, hinterlassen sie außerdem instabile Moränen oder Gletschervorfelder mit viel Schutt. Dort können sich bei Gewittern Schlammströme entwickeln. Oder es bilden sich neue Gletscherseen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie sich plötzlich entleeren. Das ist übrigens auch im Himalaya ein großes Problem.

Treten diese Phänomene schon jetzt vermehrt auf?

Ja, so ein See hat sich etwa am Unteren Grindelwaldgletscher gebildet. Um die Gefahr zu entschärfen, hat man für einen zweistelligen Millionenbetrag seitlich einen Stollen durch den Fels gegraben, damit das Wasser abfließen konnte. In Europa können wir so etwa finanziell bewältigen, aber im Himalaya sind diese Geldmittel nicht vorhanden.

Das ist ja eigentlich auch nur ein Arbeiten an den Symptomen. Die Ursachen kann man kurzfristig wohl nicht mehr drehen?

Genau das ist das Problem. Das Klimasystem ist sehr träge. Auch wenn wir ab heute die CO2-Emissionen drastisch reduzierten, würde sich trotzdem in den nächsten 50 Jahren noch eine Erwärmung ergeben.

Da könnte man versucht sein zu sagen: Wir können ohnehin nicht wahnsinnig viel machen, am Ende sind die Gletscher doch weg.

Das sehen wir als Gletscherforscher mit Wehmut. Noch vor 150 Jahren gab es eine regelrechte Eispracht und jetzt sieht man nur noch diese kümmerlichen Reste. Und in der Zukunft wird es vielleicht überhaupt keine Gletscher mehr geben. Meine Enkel wissen vielleicht gar nicht mehr, was Gletscher sind und werden sie deshalb auch nicht vermissen. Aber es gibt eben auch die beschriebenen negativen Folgen des Gletscherrückzugs. Das ist eine bedenkliche Entwicklung.

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