Eisklettern – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Scherer: „Eisklettern ist eine Metapher“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/scherer-eisklettern-ist-eine-metapher/ Thu, 16 Mar 2017 15:03:17 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=35439

Profi-Eiskletterer Matthias Scherer in Aktion

Eisklettern ist faszinierend, aber auch gefährlich. Mit viel Glück hat der österreichische Extrembergsteiger Thomas Bubendorfer vor zwei Wochen einen Zehn-Meter-Sturz von einem vereisten Wasserfall in den Dolomiten überlebt. Der 54-Jährige war in einem Bachbett gelandet und hatte sich lebensgefährliche Verletzungen zugezogen. Eine Woche lang wurde Bubendorfer im künstlichen Koma gehalten. Anfang dieser Woche wurde er ins Salzburger Uniklinikum verlegt. Er sei außer Lebensgefahr, ansprechbar und muss nicht mehr beatmet werden, sagte gestern eine Sprecherin des Krankenhauses.

Noch vor Thomas‘ Unfall hatte ich mit Matthias Scherer gesprochen. Der 42-Jährige ist Profi-Eiskletterer, seit 1993 hat er mehr als 500 gefrorene Wasserfälle in Europa und Kanada erklettert. Der gebürtige Frankfurter, lebt und klettert mit seiner Frau Tanja Schmitt in Cogne im Aostatal, auf der Südseite des Mont Blanc.

Matthias, gibt es unter euch Eiskletterern so etwas wie ein Netzwerk, über das ihr euch austauscht, wo gerade die besten Eisverhältnisse herrschen?

Matthias mit Tanja (l.) und Heike (r.) Schmitt

Extremes Eisklettern ist wie Bigwave-Surfen. Wir haben eine vergleichbare Community. Es gibt einen regen Austausch unter Leuten, die extreme Routen klettern. Das ist eine sehr kleine Gruppe. Ich habe ständig Kontakt zu Leuten in Kanada, in Norwegen, natürlich auch zur französischen Szene. Wir tauschen uns aus, wo es gerade möglich sein könnte. Es ist wie bei den Surfern. Man muss dem Eis folgen, dorthin, wo die Verhältnisse stimmen.

Surfen gelten als die „verrückten Hunde“ im Sport. Seid ihr die verrückten Hunde unter den Kletterern?

Wenn wir die ‚big lines‘ klettern, ist das sehr stark dem Alpinismus verbunden. Vielleicht sogar die reinste Form des Alpinismus, wenn man sich die Leute und ihre Werte ansieht.

Extreme Verhältnisse am Svartberg in Norwegen

Inwiefern? 

Insofern, dass normalerweise nicht viel nach außen geredet wird. Es ist ein sehr geschlossener Zirkel. Vielleicht bin ich noch derjenige dieser extremen Eiskletterer, der sich am meisten promotet. Viele bleiben sehr im Hintergrund und wollen das auch so.

Woran liegt das?

Viele wollen diesen Moment nur mit sich und der Seilschaft teilen. Ich finde das eigentlich schade. Ich finde die Geschichten, die wir dort erleben, teilweise sehr wichtig. Zum einen ist es Abenteuer, zum anderen ist es eine sehr gute Metapher für das, was wir sonst erleben.

Eine Metapher für was?

In diesen extremen Linien – wie ich sie zum Beispiel im letzten Winter in Norwegen mit meiner Frau Tanja Schmitt und ihrer Zwillingsschwester Heike geklettert bin – stellen sich existenzielle Fragen. Die Eisstruktur, auf der man klettert, kann so brüchig sein, dass die gesamte Seilschaft in Gefahr ist. Da stellt sich die Frage, wie so oft im Leben: Will man es in diesem Augenblick riskieren oder denkt man voraus, passieren kann? Auf der einen Seite steht der Wunsch, alles hinter sich zu lassen, auf der anderen Seite aber auch die Notwendigkeit, vernünftig zu bleiben. Das ist die Herausforderung, die jeder Mensch im Leben hat. Beim extremen Eisklettern wird sie extrem auf den Punkt gebracht – in dem Moment, in dem du dich entscheiden musst.

Es ist ein schmaler Grat beim Klettern, ob im Fels oder im Eis. Man versucht, an die Grenze zu gehen, vielleicht sogar darüber hinaus. Besteht da nicht die Gefahr, den Bogen zu überspannen?

Ja, gerade beim Eisklettern. Und das ist eben die Kunst beziehungsweise das Kriterium, das einen professionellen Eiskletterer ausmacht. Dass er über Jahre hinweg mit Leidenschaft immer wieder an diese Grenze geht und dieses Gratwandeln schafft, ohne daran zu zerbrechen. Ich habe es immer wieder erlebt, dass es diese Kometen in unserer Disziplin gibt, die aufsteigen und auch wieder sehr schnell verschwinden. Zum einen, weil sie die Motivation verlieren, zum anderen weil sie Unfälle haben. Das ist noch extremer als beim Felsklettern, weil das Eis ein ephemeres (rasch vorübergehendes] Medium ist. Auch mit 25 Jahren Erfahrung hat es für mich immer noch einen hohen Faktor der Unberechenbarkeit. Das Eis befindet sich ständig im Wandel. Ich kann dreimal in der Woche an denselben Wasserfall gehen und es wird doch immer anders sein. Schon eine Temperaturschwankung von fünf Grad kann das Eis komplett verändern. Man kann einen Wasserfall nicht zweimal in derselben Form klettern. Das ist das Faszinierende beim Eisklettern.

Beim Eisklettern in Kanada

Gibt es wie beim Sportklettern auch beim Eisklettern eine Altersgrenze, bei der man seinen Zenit einfach überschritten hat, weil Muskel- und Schnellkraft nachlassen?

Beim Eisklettern spielt vor allem Erfahrung eine ganz, ganz große Rolle. Es ist ein extremes Denkspiel. Natürlich kommt es auch auf Kraft an, aber nicht so wie beim Sportklettern. Wenn man die Eisqualität richtig einschätzen kann, verbraucht man deutlich weniger Kraft, weil man entspannter im Kopf bleibt. Ich erlebe es oft, wenn ich mit jungen Eiskletterern unterwegs bin, dass sie in Stress-Situationen ihre Kraft verschwenden. Umgekehrt klettere ich mit Freunden wie Steve Swenson, der schon über 60 Jahre alt ist und immer noch hart im Eis unterwegs sein kann, weil er diese Gelassenheit hat – dieses Zen, diese Ruhe, die man braucht, um auf einer freistehenden Säule locker zu stehen und einzuschätzen, dass dabei nichts passieren wird. In diesem Punkt wird man mit dem Alter eigentlich immer stärker.

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Mystisches Eisklettern https://blogs.dw.com/abenteuersport/mystisches-eisklettern/ Wed, 11 Dec 2013 10:00:18 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=24693 Weil er die Berge liebt, hat Thomas Senf vor zwölf Jahren seine deutsche Heimat verlassen. Seit 2001 lebt der Leipziger in Interlaken in der Schweiz, zu Füßen von Eiger, Mönch und Jungfrau. Der 32 Jahre alte Bergführer hat als Alpinist auch schon an den Bergen der Welt seine Spuren hinterlassen. So gelang Thomas 2010 zusammen mit den Schweizern Stefan Siegrist und Dani Arnold die erste Winterbesteigung des legendären Granitturms Torre Egger in Patagonien. Im November eröffnete Senf – wie berichtet – mit Ines Papert eine neue Route durch die Nordwand des 6719 Meter hohen Likhu Chuli I in Nepal. Die Erstbesteigung des Sechstausenders mit der deutschen Topkletterin blieb Thomas verwehrt, weil er mit ersten Anzeichen von Erfrierungen an Fingern und Zehen im obersten Lager bleiben musste.

Nachts im Eisfall

Dass Thomas Senf nicht nur ein erstklassiger Bergsteiger, sondern auch ein ausgezeichneter Fotograf ist, zeigen Bilder, die der Bergausrüster Mammut jetzt zur Verfügung gestellt hat. Entstanden sind sie Anfang des Jahres am Eidfjord im Norden Norwegens, der für seine bis zu 500 Meter hohen Eisfälle berühmt ist. Dort hat Thomas mehrere Kletterer, darunter seine Kletterpartner vom Torre Egger, Arnold und Sigrist, beim nächtlichen Eisklettern fotografiert. Ausgeleuchtet wurde die Szenerie mit farbigen Leuchtfackeln und Scheinwerfern. Die tollen Bilder, die fast märchenhaft wirken, will ich euch nicht vorenthalten. Seht selbst!

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Auf der Jagd nach dem Eis https://blogs.dw.com/abenteuersport/auf-der-jagd-nach-dem-eis/ Sun, 04 Nov 2012 14:51:26 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=17819

Matthias in der Route „Repentance“

Matthias Scherer war das Eisklettern fast in die Wiege gelegt – und das, obwohl er in Frankfurt am Main geboren wurde, fernab der Alpen. „Meine Mutter hatte eine große Leidenschaft, Eiszapfen zu fotografieren. Da war ich schon als sehr kleines Kind dabei“, erzählt der 38-Jährige. „Irgendwann entstand dann dieser verrückte Wunsch: Da kann man auch hochklettern.“ Im Winter 1992 begann Matthias, auf gefrorenen Wasserfällen zu klettern. Seitdem hat ihn diese Leidenschaft nicht mehr losgelassen. Heute ist er Eiskletter-Profi, genauso wie seine Frau Tanja Schmitt

Durch das Klettern zusammengeschweißt 

Tanja und Matthias beim IMS in Brixen

Tanja ist in Südafrika und dann ebenfalls in Frankfurt groß geworden. Erst widmete sie sich dem Ausdauersport Triathlon, ehe sie mit ihrer bergbegeisterten Zwillingsschwester Heike das Bergsteigen für sich entdeckte. Dann lernte Tanja Matthias kennen. „Wir haben gemerkt, dass wir eine sehr ähnliche Philosophie haben“, sagt die 35-Jährige. „Die gemeinsamen Erlebnisse beim Wasserfallklettern haben uns zusammengeschweißt. Es ist dermaßen ausfüllend, dass wir dabei geblieben sind und auch bleiben werden.“ Die beiden leben in Cogne im italienischen Aostatal. Dort bilden sich früh die ersten Eisfälle und damit beginnt für Tanja und Matthias die Saison – im vergangenen Winter mit einer Schrecksekunde. 

Tanjas Sturz

Flasche fing Wucht des Aufpralls ab   

Tanja in der Route „Rübezahl“

Bei einer der ersten Touren im November 2011 löste sich bei Tanja ein Steigeisen. Sie verlor den Halt und stürzte 30 Meter tief ab. „Das ging alles so unglaublich schnell“, erinnert sich Tanja. „Ich habe das wie im Traum wahrgenommen.“ Wie durch ein Wunder kam sie mit einer starken Gehirnerschütterung und Prellungen davon. Eine Metallflasche, die sie im Rucksack trug, war völlig verbeult. Möglicherweise fing sie einen Teil der Aufprall-Wucht ab und verhinderte damit Schlimmeres. Wenige Wochen nach dem Unfall kletterte Tanja wieder: „Der Respekt bleibt, aber die Angst darf dich nicht hindern weiterzumachen. Sonst kannst du dein Leben nur damit verbringen, zu Hause zu sitzen und Ängste aufzubauen.“ Tanja und Matthias wissen, dass sie beim Eisklettern auf höchstem Niveau auf einem schmalen Grat unterwegs sind. Wegen des Risikos haben sie sich ganz bewusst gegen Kinder entschieden. „Wir haben Freunde verloren“, sagt Matthias. „Es ist eben ein Sport, der totales Engagement erfordert, vor allem, wenn man auf den wunderschönen dünnen Linien aufsteigt.“ 

Matthias über das Risiko beim Eisklettern

In den Himmel hinauf 

Wenn er über die Faszination seines Sports redet, gerät der Eiskletterer schon einmal ins Philosophieren. „Ein Wasserfall ist nie der gleiche, kann sich selbst von einem auf den nächsten Tag ändern. Gerade in dieser Vergänglichkeit liegt der besondere Reiz, weil es letztendlich eine wunderbare Parabel für unsere eigene Existenz ist, diesen Wasserfall in diesem Moment zu erleben und in den Himmel hinaufzuklettern.“ Auch Tanja lebt für diese intensiven Erfahrungen. „Es ist einfach ein ausgefülltes Leben. Ich spüre keine Sekunde mehr diese Leere wie früher in Frankfurt.“ 

Tanja: Am liebsten klettere ich mit Matthias

Träume haben die beiden noch viele, nicht nur im Eis. Tanja würde gerne eine „schöne Route“ am Mount McKinley, dem höchsten Berg Nordamerikas, klettern, Matthias sich am Cerro Torre in Patagonien versuchen oder dünne Luft im Himalaya schnuppern. Zurzeit aber jagen die beiden wieder einmal dem Eis hinterher. In Kanada sind die ersten Wasserfälle im Winterfrost erstarrt.

P.S. Wenn ihr hier klickt, geht es zum Video über die Eisklettertouren der beiden im vergangenen Winter.

 

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