Geschichte – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Vor 40 Jahren: Erstmals durch die Everest-Südwestwand https://blogs.dw.com/abenteuersport/vor-40-jahren-erstmals-durch-die-everest-suedwestwand/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/vor-40-jahren-erstmals-durch-die-everest-suedwestwand/#comments Wed, 23 Sep 2015 22:00:21 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=30635 Everest-Südwestwand

Everest-Südwestwand

„Alles ist bereits vor 40 Jahren gesagt worden. Nichts hat sich geändert.“ Doug Scott gab sich schmallippig, als ich ihn im vergangenen Frühjahr nach der britischen Everest-Südwestwand-Expedition 1975 fragte. Am 24. September, heute vor genau 40 Jahren, erreichten Doug und sein Teamgefährte Dougal Haston den Gipfel des Mount Everest, nachdem sie als erste die mehr als 2000 Meter hohe, extrem schwierige Felswand durchklettert hatten. Nach ihrem Gipfelerfolg überlebten Scott und Haston ein Biwak auf 8760 Metern. Ihre erstmalige Durchsteigung der Südwestwand war ein Meilenstein im Himalaya-Bergsteigen, eines der „letzten großen Probleme“ nun gelöst. Zuvor waren fünf Expeditionen gescheitert, darunter auch eine britische im Jahr 1972.

Herausragende Kletterer

Die Route(n) durch die Wand (© Thincat)

Die Route(n) durch die Wand (© Thincat)

Diese Expedition wurde ebenso wie die erfolgreiche drei Jahre später vom legendären Chris Bonington geleitet. „Auf eine gewisse Weise war diese Expedition mein Baby“, erzählte mir Chris im vergangenen Frühjahr. „Es war meine Vision und mein Konzept. Dann stellte ich die Gruppe der herausragenden Kletterer zusammen, die das Projekt schließlich vollendete.“ Das Team setzte sich vor allem aus Bergsteigern der britischen Expeditionen 1970 zur Annapurna-Südwand und 1972 zur Everest-Südwestwand zusammen. Neben Scott und Haston gehörten auch so exzellente Bergsteiger wie Mick Burke, Nick Estcourt, Peter Boardman und Paul (“Tut”) Braithwate dazu. „Für mich stand von Anfang an der Erfolg der Expedition im Vordergrund, nicht der Gipfelerfolg. Und ich wollte einen Erfolg in harmonischer Atmosphäre“, sagte der mittlerweile 81 Jahre alte Bonington. „Aus diesem Blickwinkel war es wirklich eine wundervolle Expedition. Der einzige sehr ernste Schatten, der über ihr lag, war die Tatsache, dass wir beim zweiten Versuch Mick Burke verloren.“ Er verschwand während des zweiten Gipfelvorstoßes der Expedition. Burke wurde zuletzt wenige hundert Meter vom höchsten Punkt lebend gesehen.

Auch ohne Atemmaske möglich“

Bonington (l.) und Scott (im April 2015)

Bonington (l.) und Scott (im April 2015)

Der Erfolg in der Südwestwand war perfektes Teamwork. Scott und Haston vollendeten das Werk. “Wir machten es damals fast so, wie die Nordwand des Eiger erstmals bestiegen wurde“, sagte Chris Bonington. „Wir fanden den einfachsten Weg, beinahe in Serpentinen den Berg hinauf. Es war die „einzig mögliche Linie, die natürliche Linie“, vertraute mir Doug Scott schließlich doch noch im vergangenen April an. Er und Haston hatten bei ihrem Aufstieg Atemmasken benutzt. “Als ich auf 8700 Metern ohne Flaschensauerstoff biwakierte, wusste ich, dass es auch ohne möglich gewesen wäre“, sagte Scott, inzwischen 74 Jahre alt. Nach 1975 gab es nur einige wenige von Erfolg gekrönte Versuche, die Everest-Südwestwand zu durchsteigen. „Die offensichtliche Herausforderung, die bisher noch niemand gewagt hat, ist eine Direttissima“, sagte mir Chris Bonington. „Sie führt direkt durch die Mitte des Felsbandes auf den Gipfel.“ Ein weiteres „letztes Problem“.

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Mallorys Leiche schon 1936 gesichtet? https://blogs.dw.com/abenteuersport/mallorys-leiche-schon-1936-gesichtet/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/mallorys-leiche-schon-1936-gesichtet/#comments Tue, 26 Nov 2013 17:38:47 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=24383

Das letzte Bild von Mallory und Irvine 1924

Frank Smythe war vom höchsten Berg der Erde besessen. „Der Everest wird zur Lebensaufgabe“, schrieb er in sein Tagebuch. An allen drei britischen Everest-Expeditionen der 1930er Jahre nahm Smythe teil. Er galt nicht erst seit der Erstbesteigung des 7756 Meter hohen Kamet im Jahr 1931 als einer der besten Bergsteiger seiner Zeit. Am 1. Juni 1933 stellte Frank mit rund 8570 Metern den Everest-Höhenrekord ein, als er im Alleingang wohl dieselbe Stelle in der Nordwand erreichte wie sein Landsmann Edward Felix Norton 1924. „Der Gipfel war nur 1000 Fuß (300 Meter) über mir, aber ein ganzes Zeitalter an Müdigkeit trennte mich von ihm“, schrieb Smythe später. Er kehrte um. Auf dem Rückweg halluzinierte Frank. Er wähnte einen Begleiter an seiner Seite, mit dem er seinen Kuchen teilen wollte. Er war auch überzeugt, dass über ihm zwei knollenförmige Wesen schwebten. Diese Erlebnisse schrieb Smythe später in seinem Buch „Camp 6“ nieder. Eine Beobachtung, die Frank offenbar drei Jahre später bei seiner nächsten Everest-Expedition machte, hielt er jedoch bis zu seinem Tod im Jahr 1949 geheim. Möglicherweise wenn nicht sogar wahrscheinlich hatte Smythe 1936 die Leiche von George Mallory entdeckt. Das Rätsel um Mallory und Andrew Irvine, die 1924 zu einem Gipfelversuch aufbrachen, aber nicht zurückkehrten, ist bis heute nicht vollständig gelöst.

Etwas Seltsames gesehen

Frank Smythe

Tony Smythe fand jetzt bei der Recherche für ein Buch über seinen Vater die Kopie eines Briefes, den Frank nach seiner Everest-Reise 1936 an Edward Norton geschrieben haben soll, den Expeditionsleiter von 1924. „Im vergangenen Jahr war ich dabei, die Wand vom Basislager aus mit einem leistungsstarken Teleskop systematisch abzusuchen, als ich in einer Rinne unterhalb der Geröllzone etwas Seltsames sah“, heißt es in der Kopie des Briefes. „Natürlich war es sehr weit weg und sehr klein, aber ich habe ein normales Sehvermögen, und ich glaube nicht, dass es ein Fels war. Dieses Objekt befand sich genau an der Stelle, wohin Mallory und Irvine gefallen wären, wenn sie über die Schutthänge gerollt wären.“

Bloß kein Pressewirbel

Smythe bezog sich damit offenbar auf die vermutete Absturzstelle, an der Mitglieder der Expedition 1933 in 8460 Meter Höhe den Eispickel Irvines gefunden hatten. Etwa 300 Meter darunter, 100 Meter seitlich wurden 1999 tatsächlich die sterblichen Überreste von Mallory entdeckt. Hatte Frank Smythe bereits 1936 diese Stelle ausgemacht? Er wollte jedenfalls nicht, dass seine Entdeckung veröffentlicht wurde. „Es sollte nicht darüber geschrieben werden, weil die Presse daraus eine üble Sensation machen würde“, heißt es in der Kopie des Briefes an Edward Norton. Und der hielt offenbar auch dicht.

Irvines Leiche weiter verschollen

Dass Smythe mit seiner Einschätzung der Medien nicht ganz falsch lag, zeigte sich gut 60 Jahre später. Die Entdeckung von Mallorys Leiche durch den US-Bergsteiger Conrad Anker am 1. Mai 1999 verbreitete sich wie ein Lauffeuer und sorgte weltweit für Schlagzeilen. Maßgeblich für die erfolgreiche Suche verantwortlich war der deutsche Mallory-Experte Jochen Hemmleb, der mit detektivischer Akribie alle verfügbaren Informationen interpretiert und das Suchgebiet eingegrenzt hatte. Hätte Hemmleb den Brief von Frank Smythe gekannt, wäre ihm möglicherweise einiges an Arbeit erspart geblieben. Die Leiche Andrew Irvines ist jedoch bis heute ebenso verschollen geblieben wie die Kamera, die er bei sich trug. Deshalb verstummen auch jene Stimmen nicht, die uns glauben machen wollen, dass Mallory und Irvine schon 1924 die Erstbesteiger des Mount Everest waren und erst beim Abstieg ums Leben kamen.

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Vor 100 Jahren: Paul Preuß stürzt in den Tod https://blogs.dw.com/abenteuersport/vor-100-jahren-paul-preuss-stuerzt-in-den-tod/ Thu, 03 Oct 2013 03:00:47 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=23465

Paul Preuss

Sein Name klingt wie ein Schimpfwort aus den Bergen. Doch der „Preuß“ ist keiner. Paul Preuß kommt 1886 in Altaussee zur Welt – im Salzkammergut, wo seine Eltern aus Wien und später er selbst und die beiden Schwestern die Sommermonate verbringen. Mit elf beginnt Paul bergzusteigen und sammelt Gipfel wie andere Briefmarken. Als Jugendlicher verblüfft er durch eine sehr spezielle Übung: Preuß stellt zwei Gläser mit der Öffnung nach unten auf einen Schrank und macht an ihnen Klimmzüge. Von 1908 an werden Pauls Touren immer extremer. Preuß klettert schwierigsten Touren in den Westalpen, den Dolomiten und im Wilden Kaiser. „Sein Klettern war am ehesten dem Tanzen zu vergleichen, so schwerelos, so ohne Mühe, so durchaus lustbetont ist es erfolgt“, erinnert sich später sein Freund Alexander Hartwich. 

Pointenlose Witze

Guglia di Brenta

1911 klettert Preuß alleine und ohne Seilsicherung (neudeutsch: free solo) durch die Totenkirchl-Westwand im Kaisergebirge, eine Woche später im gleichen Stile auf teilweise neuer Route durch die Ostwand der Guglia di Brenta im Trentino. Allein in jenem Jahr besteigt er innerhalb von vier Monaten 93 Gipfel, viele davon über schwerste Routen. Zweifellos gehört Preuss zu den besten Kletterern seiner Zeit. Er studiert inzwischen in München Biologie und findet dort viele Gleichgesinnte, die mit ihm auf Kletter- oder Skitour gehen. Preuss ist eloquent, geistreich und humorvoll. „Es war eine der schrecklichsten Eigenschaften unseres lieben ‚Preußerl‘, dass er dieselben faulen, alten, unerhört pointenlosen Witze zehnmal am Tage zu reißen pflegte, und doch haben wir zehnmal darüber gelacht“, schreibt sein Kletterkamerad Walter Bing später. „Leuten, die er nicht leiden mochte, gab er stets recht. Je lieber er einen Menschen hatte, desto eifriger stritt er sich mit ihm.“

Plädoyer für Freiklettern

Auch öffentlich hält Preuss nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg. In der „Deutschen Alpenzeitung“ bricht er mit einem flammenden Plädoyer für das Freiklettern den so genannten „Mauerhaken-Streit“ vom Zaum. „Wenn man an steilen Wänden mit absoluter Sicherheit nur turnen will, etwa an dreifachen Seilen oder einem aufgespannten Sprungtuch, dann soll man doch lieber zu Hause blieben und seine Geschicklichkeit im Turnverein erproben“, schreibt Preuß. „Wenn man eine Kletterstelle nicht auch ohne Sicherung gehen kann – vom alpinistischen und sportlichen Standpunkt aus -, darf man sie dann überhaupt nicht gehen.“

Schön klettern ist sicher klettern

Die Preuß-Hütte im Rosengarten in den Dolomiten erinnert an den Pionier

Ein Aufschrei geht durch die Kletterszene. Einen „neuerstandenen Puritaner der Felskletterei“ nennt Franz Nieberl den Österreicher: „Herr Preuß mag ein Ideal anstreben, das glaube ich ihm gern, es ist ein kaltes, starres, frostiges Ideal.“ Er treibe junge Menschen in den Tod, lautet der Hauptvorwurf gegen Preuß. Der wehrt sich: „Wir werden wissen, wie sie zu erziehen sind, damit sie Bergsteiger werden und nicht Handwerker der edlen Bergsteigerkunst, Bergsteiger und nicht Problem- und Rekordmarder.“ Seine Philosophie bringt Preuß so auf den Punkt: „Schön klettern, in technischer wie ideeller Beziehung, heißt gut klettern, gut klettern sicher klettern.“

Absturz am Mandlkogel

Vermutlich am 3. Oktober 1913, heute vor 100 Jahren, stürzt Paul Preuß an der Nordkante des Nördlichen Mandlkogels im Dachsteingebirge in den Tod. Wieder ist er alleine aufgebrochen. Erst elf Tage später wird seine Leiche gefunden. In der Mitteilung des Alpenvereins über Preuß‘ Tod klingt noch der Mauerhaken-Streit nach: „Ob nun der so sehr früh Dahingeschiedene nicht doch vielleicht gegen diese von ihm selbst aufgestellte Forderung gesündigt hat? Vielleicht ist ihm gerade seine übergroße Leistungsfähigkeit im Felsklettern dadurch zum Verhängnis geworden, dass sie ihn die Größe der Gefahren nicht mehr recht abschätzen und den eigenen Fähigkeiten zu viel zutrauen ließ.“

Die „Sechs Gebote“

Vorbild für Freikletterer

Paul Preuß wird nur 27 Jahre alt. Seine Routen und Ideen überleben ihn. Auch 100 Jahre nach seinem Tod haben sie nichts von ihrer Faszination verloren. Viele Freikletterer unserer Tage wie Alexander und Thomas Huber berufen sich auf den Topkletterer und Visionär aus Österreich. Die „Preußchen Grundsätze“ lesen sich (wenn man Mauerhaken durch Bohrhaken ersetzt) auch heute noch wie die „Sechs Gebote fairen Bergsteigens“:

  1. Bergtouren, die man unternimmt, soll man nicht gewachsen, sondern überlegen sein.
  2. Das Maß der Schwierigkeiten, die ein Kletterer im Abstieg mit Sicherheit zu überwinden im Stande ist und sich auch mit ruhigem Gewissen zutraut, muss die oberste Grenze dessen darstellen, was er im Aufstieg begeht.
  3. Die Berechtigung für den Gebrauch von künstlichen Hilfsmitteln entsteht daher nur im Falle einer unmittelbar drohenden Gefahr.
  4.  Der Mauerhaken ist eine Notreserve und nicht die Grundlage einer Arbeitsmethode.
  5. Das Seil darf ein erleichterndes, niemals aber das alleinseligmachende Mittel sein, das die Besteigung der Berge ermöglicht.
  6. Zu den höchsten Prinzipien gehört das Prinzip der Sicherheit. Doch nicht die krampfhafte, durch künstliche Hilfsmittel erreichte Korrektur eigener Unsicherheit, sondern jene primäre Sicherheit, die bei jedem Kletterer in der richtigen Einschätzung seines Könnens zu seinem Wollen beruhen soll.

P.S. Die Zitate sind aus Reinhold Messners Buch „Paul Preuß“ entnommen, das der Deutsche Alpenverein 1996 herausgegeben hat.

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Siegrist: Eiger-Nordwand fast ausgereizt https://blogs.dw.com/abenteuersport/interview-siegrist-eiger-nordwand/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/interview-siegrist-eiger-nordwand/#comments Tue, 23 Jul 2013 14:23:07 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=22501

Stephan Siegrist (l.) und Michal Pitalka auf den Spuren der Eiger-Pioniere

Hinterstoißer-Quergang, Bügeleisen, Todesbiwak. Mit dem Fernglas saß ich als Zehnjähriger in Grindelwald am Fenster, die Eiger-Nordwand hatte mich in ihren Bann gezogen. Auslöser war „Die weiße Spinne“, Heinrich Harrers Buch, das ich förmlich verschlang. Ich war so fasziniert, dass ich nachts regelmäßig aufstand und die Route nach Biwak-Lichtern absuchte. Am Mittwoch jährt sich die Erstdurchsteigung der Nordwand zum 75. Mal. Die Pioniere leben nicht mehr. Als Letzter der erfolgreichen deutsch-österreichischen Mannschaft, die erst am Berg zusammengefunden hatte, starb Harrer im Jahr 2006.

Ich läute Stephan Siegrist an. Der 40 Jahre alte Extrembergsteiger aus der Schweiz hat eine besondere Beziehung zur Eiger-Nordwand. 29 Mal hat er sie bereits durchstiegen, mit seinem Landsmann Ueli Steck zwei extrem schwere neue Routen eröffnet – und war auch auf den Spuren des Quartetts von 1938 unterwegs. 

Stephan, vor 75 Jahren haben die beiden Deutschen Anderl Heckmair und Ludwig Vörg sowie die beiden Österreicher Heinrich Harrer und Fritz Kasparek erstmals die Eiger-Nordwand durchstiegen. Wie beurteilst du diese Leistung? 

Das ist für mich nach wie vor etwas vom Größten, das jemals in den Alpen gemacht wurde. Man muss sich vorstellen, dass die Belastung sehr groß war. Sie wussten, dass vor ihnen viele umgekommen sind. Dazu mit diesem Material die Wand zu durchsteigen, war wirklich heldenhaft.  

Die „Heckmair-Route“ von 1936

Vor elf Jahren bist du mit Michal Pitelka mit der Ausrüstung von 1938 durch die Wand geklettert. Haben diese Erfahrungen euch die Augen geöffnet für die Leistung dieser Pioniere? 

Ich hatte natürlich auch schon zuvor großen Respekt vor den vier Erstbegehern. Aber nach dieser Erfahrung mit dem Material von damals ist der Respekt noch mehr gestiegen. 

Wo liegen denn im Vergleich zu heute die großen Unterschiede beim Material? 

Für die Erstbegeher war das damals sicher das Topmaterial. Aber die Hanfseile waren dreißig Meter lang und hatten nur eine Haltekraft unter 400 Kilo, für uns heutzutage gilt das fast als lebensgefährlich. Die Schuhe waren nur mit Gummi und kleinen Nägeln versehen. Die Kletterer hatten schlechte Steigeisen, dazu die klassischen Eispickel, ohne Zacken vorne. Dann die Karabiner von damals, keine Helme, nur Hüte und Mützen. Von A bis Z ist es für uns heute kaum noch vorstellbar, damit bergzusteigen. 

Auch heute wird die Nordwand noch von vielen gerne als „Mordwand“ bezeichnet. Ist das nicht ein bisschen übertrieben? 

Ja, das kann man sicher sagen. Zum Glück ereignen sich heutzutage in der Eiger-Nordwand kaum noch tragische Unglücke. Man kann sie in dieser Hinsicht auf eine Stufe mit anderen schweren Wänden in den Westalpen stellen. 

Wo liegen die besonderen Gefahren der Wand? 

Wenn wir, wie jetzt gerade, Temperaturen von 30 Grad haben, müssen wir immer mit Steinschlag rechnen. Die Wand ist lang, man muss also körperlich fit sein, sich in Fels und steilem Eis auskennen. Bei den meisten kommt noch ein Biwak dazu, wo man nicht gut schläft. Es ist also eine Ganzkörper-Belastung, die man nicht unterschätzen darf. 

Haben sich die Gefahren – Stichwort Klimawandel – in den letzten Jahren vielleicht verschoben? 

Auch früher gab es in der Wand schon Steinschlag. Was sich geändert hat, ist die Jahreszeit, in der man die Wand begeht. Heute steigt man häufiger im Winter oder im Frühling ein, wenn noch viel Schnee in der Wand liegt, so wie das 1938 noch im Juli der Fall war. Insofern haben sich die Bergsteiger den veränderten Verhältnissen angepasst. 

Stephan Siegrist

An so genannten „Modebergen“ wie dem Everest oder auch dem Mont Blanc versuchen sich auch Menschen, die eigentlich gar nicht die Fähigkeiten dazu haben. Gilt das auch für die Eiger-Nordwand?

Es ist glücklicherweise nicht so, weil man weiß, dass in der Wand technische Herausforderungen warten. Entsprechend steigen in der Regel doch nur Bergsteiger in die Wand ein, die wissen, dass sie diese Fähigkeiten besitzen.

Stephan Siegrist über die Anforderungen für die Eiger-Nordwand

Du bist 29 Mal durch die Eiger-Nordwand gestiegen, hast dort auch neue Routen eröffnet, bist frei geklettert. Was zieht dich immer wieder in diese Wand?

Für mich ist die Wand nach wie vor spektakulär, auch mit Blick darauf, was sie an Schwierigkeiten bietet. Der Eiger ist ein schöner Berg und für mich dazu leicht erreichbar. Deshalb bin ich gerne in dem Gebiet unterwegs, speziell in der Nordwand. 

Die Wand ist leicht einsehbar, fast wie eine große  Bühne. Touristen haben ihre Ferngläser und Objektive darauf gerichtet. Fühlt man sich dort als Bergsteiger wie auf dem Präsentierteller? 

Sobald du in der Wand bist, bist du eigentlich in einer anderen Welt. Du kriegst kaum was von den Touristen mit, viel mehr von der Umgebung. Du hörst die Kuhglocken, siehst die Bergbahn (Anm. zur Kleinen Scheidegg) auf und ab fahren. Das Gefühl, das du beobachtet wirst, hast du nicht – auch wenn es eigentlich so ist.  

Heckmair und Co. brauchten etwa drei Tage für die Erstbesteigung. Seit 2011 liegt der Rekord, aufgestellt vom Schweizer Daniel Arnold, bei zwei Stunden und 28 Minuten. Ist das Ende der Fahnenstange erreicht? 

Das geht mit Sicherheit noch weiter. So ein Wettkampf hört nicht einfach auf. Aber es ist ja nicht so, dass man einfach morgens in die Wand einsteigt und einen Speedrekord versucht. Es muss einen Plan geben, und der muss entsprechend gut vorbereitet sein. 

Abgesehen von diesen Geschwindigkeitsrekorden, welche neuen Herausforderungen birgt die Wand noch?

Für mich persönlich hat die Nordwand jetzt so viele Routen, dass es kaum noch eine eigenständige, logische Linie gibt, die man eröffnen kann. Sicher wird es noch die eine oder andere Variante geben, weil die Eiger-Nordwand eben medienträchtig ist. Aber so richtig tolle Touren sind kaum mehr denkbar.

P.S. Mehr von Stephan Siegrist findet ihr übrigens in seinem tollen Bildband „Unterwegs zwischen Himmel und Erde“, zu dem auch Thomas Ulrich, der Expeditionsleiter unserer Last-Degree-Expedition 2009 zum Nordpol, einige beeindruckende Fotos beigesteuert hat.

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Vor 60 Jahren: Buhl auf dem Nanga Parbat https://blogs.dw.com/abenteuersport/vor-60-jahren-buhl-auf-dem-nanga-parbat/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/vor-60-jahren-buhl-auf-dem-nanga-parbat/#comments Sun, 30 Jun 2013 18:09:49 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=22385

Hermann Buhl

Hermann Buhl ist ein Dickkopf. Es schert ihn in diesen ersten Juli-Tagen 1953 nicht, dass unten im Nanga-Parbat-Basislager  der Expeditionsleiter Karl Maria Herrligkoffer mehrfach zur Umkehr bläst. Der Deutsche mag ja als Geldbeschaffer und Organisator von Expeditionen taugen, aber nicht als Bergsteiger.  Im Gegensatz zu Buhl, der mit 28 Jahren in Topform ist: 1952 hat der Österreicher in den Alpen die Nordostwand des Piz Badile als Erster im Alleingang durchstiegen, im Februar die Watzmann-Ostwand, ebenfalls solo und im Winter. Und jetzt sieht er eine gute Chance, dem Nanga Parbat auf Haupt zu steigen, diesem Achttausender in Pakistan, den die Nazis zum „deutschen Schicksalsberg“ er- und verklärt hatten. 1225 Höhenmeter und über sechs Kilometer Distanz liegen noch zwischen dem höchsten Lager und dem Gipfel. Als sein Zeltpartner Otto Kemptner nicht zur vereinbarten Zeit zum Aufbruch bereit ist, stapft Buhl alleine los. „Es ist sternenklar, die Mondsichel leuchtet herunter und wirft silbernes Licht auf den vor mir aufstrebenden Grat, es ist windstill, doch klar“, schreibt Buhl später.

Hermann Buhl über seinen Alleingang zum Gipfel des Nanga Parbat

Biwak im Stehen

Nanga Parbat

Er erwartet zunächst, dass sein Gefährte zu ihm aufschließen wird, registriert dann aber, dass Kempter aufgibt. Buhl weiß nun, dass er es allein oder gar nicht schaffen wird. Immer weiter steigt er auf, ignoriert einfach, dass seine Kräfte schwinden. Der pure Wille treibt ihn hinauf. In den frühen Abendstunden des 3. Juli 1953 erreicht Buhl schließlich den höchsten Punkt auf 8125 Metern: „Ich bin mir der Bedeutung des Augenblicks nicht bewusst, fühle auch nichts von Siegesfreude, komme mir gar nicht als Sieger vor. Ich bin nur froh, dass ich heroben bin und all diese Strapazen vorläufig ein Ende haben.“ Doch da täuscht sich Buhl. Das eigentliche Martyrium steht ihm noch bevor. Auf einem kleinen Felsvorsprung stehend verbringt er die Nacht. Buhl schluckt Tabletten gegen Erfrierungen und das Aufputschmittel Pervitin, um nicht einzuschlafen. 41 Stunden nach seinem Aufbruch kehrt er mit letzter Kraft zum obersten Lager zurück. Eine unglaubliche Energieleistung. Buhl sieht aus, als sei er in knapp zwei Tagen um Jahre gealtert.

Expeditionsgefährte Hermann Köllenperger über den Gebrauch von Pervitin

Tod an der Chogolisa

Das beeindruckende Gipfeltrapez der Chogolisa

1995 werden japanische Bergsteiger für denselben Weg 39 Stunden brauchen, trotz modernster Ausrüstung und genauer Wegkenntnis. „Damit wird klar, dass Buhl seiner Zeit mindestens 50 Jahre voraus war“, sagte mir Reinhold Messner, als ich ihn vor zehn Jahren zu Buhls Pionierleistung am Nanga Parbat befragte. „Für einen normalen Bergsteiger war das, was Buhl gemacht hat, nicht überlebbar.“

Alt wird Hermann Buhl nicht. Als er am 27. Juni 1957 mit Kurt Diemberger über den Gipfelgrat des Siebentausenders Chogolisa im Karakorum steigt, bricht unter ihm eine Wächte ab. Buhl stürzt mit ihr in den Tod. Wenige Tage zuvor hat er mit seinen österreichischen Landsleuten Diemberger, Fritz Wintersteller und Marcus Schmuck den Broad Peak erstbestiegen: als kleines Team, ohne Hochträger – eine Revolution im Achttausender-Bergsteigen.

Reinhold Messner über Hermann Buhl

Noch ohne Winterbesteigung

Und der Nanga Parbat? 60 Jahre nach Buhls Coup ist der „Nackte Berg“ ein relativ exklusiver Berg geblieben. Mehr als 300 Gipfelerfolge wurden verzeichnet. Zum Vergleich: Am Mount Everest wurde inzwischen die 6000er-Marke überschritten. Etwa 70 Bergsteiger starben bei dem Versuch, den Nanga Parbat zu besteigen. Im Winter hat es trotz zahlreicher Versuche noch niemand auf den Gipfel geschafft. In den nächsten Jahren wird es am Nanga Parbat wahrscheinlich deutlich ruhiger werden. Der Mordanschlag auf das Basislager auf der Diamirseite in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni dürfte dazu führen, dass viele Bergsteiger und Trekkingtouristen zunächst einmal einen Bogen um diesen Achttausender machen.

P.S. Ja, ja, ich weiß, der 60. Jahrestag ist erst am Mittwoch. Aber dann sitze ich bereits in der Sonne und bin faul.  🙂

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Maurice Herzog ist tot https://blogs.dw.com/abenteuersport/maurice-herzog-ist-tot/ Fri, 14 Dec 2012 16:51:39 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=18669

Maurice Herzog (1919-2012)

Einer der Pioniere des Himalaya-Bergsteigens ist tot. Der Franzose Maurice Herzog starb im Alter von 93 Jahren. Am 3. Juni 1950 hatte er mit seinem Landsmann Louis Lachenal den 8091 Meter hohen Gipfel der Annapurna erreicht – es war die erste Besteigung eines Achttausenders. Beide verzichteten auf Flaschensauerstoff. „Ich war zutiefst gerührt. Noch nie hatte ich ein solches Glücksgefühl empfunden“, schrieb Herzog später in seinem Bestseller „Annapurna“.  Der Rückweg vom Gipfel verlief dramatisch.

Am Rande des Wahnsinns

Das Wetter schlug um, Lawinen stürzten talwärts. Herzog und Lachenal konnten sich mit erfrorenen Gliedmaßen kaum noch fortbewergen. Ihre Helfer waren hilflos, weil schneeblind – eine Seilschaft am Rande des Wahnsinn. „Dass es trotzdem gut ausging, ist ein Wunder“, hat mir einmal Reinhold Messner gesagt, als wir über die Annapurna-Expedition 1950 sprachen. „Sie waren nicht nur mit mentalen Kräften gedopt, mit Gipfelwahn, sondern auch mit Antibiotika und anderen Mitteln.“ Die Erstbesteiger überlebten, bezahlten ihren Gipfelerfolg aber mit Fingern und Zehen, die amputiert werden mussten.

Held mit Schönheitsfehlern

In Frankreich wurde Herzog als Volksheld gefeiert. In Chamonix war er Bürgermeister, unter Präsident Charles de Gaulle sogar Sportminister. Und Herzog saß auch im Internationalen Olympischen Komitee. In letzter Zeit erhielt sein Ruf einige Kratzer. Herzog wurde vorgeworfen, die Leistung seiner Mitstreiter an der Annapurna heruntergespielt zu haben. Seine Tochter Félicité bezeichnete ihn in einem Buch als Lügner und Frauenhelden, der seine Kinder vernachlässigte.

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Herr H.H. ein CIA-Agent? https://blogs.dw.com/abenteuersport/herr-h-h-ein-cia-agent/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/herr-h-h-ein-cia-agent/#comments Mon, 18 Jun 2012 16:17:11 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=15437

Heinrich Harrer 1995 mit tibetischen Mönchen

Vorsicht vor Helden! Viele demontieren sich fast von selbst. Zu den „Helden“ meiner Kindheit gehörte der Österreicher Heinrich Harrer. Als Kind, in einem Alter, in dem man sich noch nicht für Geschichte interessiert, las ich sein Buch „Die Weiße Spinne“ über die Erstdurchsteigung der Eiger-Nordwand im Jahr 1938. Was für ein Abenteuer! Ich verschlang jede Zeile, lernte die Schlüsselstellen der Route auswendig. Der Lack bekam Risse, als ich einige Jahre später erfuhr, dass Harrer eine Hakenkreuzfahne im Rucksack hatte, als er den Eiger bestieg.

Vorübergehend rehabilitiert

Schließlich wurde er in meiner Wahrnehmung fast wieder rehabilitiert, als ich „Sieben Jahre in Tibet“ las, jene ergreifende Geschichte über seine Freundschaft zum jungen Dalai Lama. Ein Stoff wie aus einem Hollywood-Abenteuerfilm, zu dem er später ja auch mit Brad Pitt in der Hauptrolle wurde. Konnte jemand, der dem Oberhaupt der tibetischen Buddhisten nicht nur in Lhasa, sondern auch noch in den folgenden Jahrzehnten so nahe stand, wirklich ein Nazi gewesen sein? Ich beschloss, ihn eher in die Kategorie „Mitläufer“ einzuordnen, kein Unschuldslamm, aber doch wohl hoffentlich geläutert. Als Harrer schon weit über 80 Jahre alt war, wurde bekannt, dass er bereits 1933 in die SA, 1938 dann in die SS und NSDAP eingetreten war. Also doch? Langsam war ich es leid, mir immer wieder Gedanken über Herrn H.H. machen zu müssen. Die Eigernordwand-Ehre gebührte doch sowieso eher Anderl Heckmair, der die Route der Erstbesteiger gefunden hatte, fand ich.

Voller Widersprüche

2006 starb Heinrich Harrer im Alter von 93 Jahren. Ein alter Mann voller Widersprüche. Vielleicht wundert es mich deshalb auch kaum, dass jetzt berichtet wird, Harrer habe in der tibetischen Hauptstadt Lhasa in den 1950er-Jahren für den US-Geheimdienst CIA gearbeitet. Einem österreichischen Journalisten wurden Dokumente zugespielt, die das belegen sollen. Harrer habe „diskret und erfolgreich mehrere Missionen im Auftrag von amerikanischen Offiziellen in Indien in Bezug auf den Dalai Lama abgeschlossen“, heißt es in einem als geheim eingestuften Papier an das US-Außenministerium aus dem Jahr 1951. Harrer scheine „das Vertrauen und die Treue des Dalai Lama zu genießen“. Helden? Verschont mich bloß damit!

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