Rückblick – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Vor 30 Jahren: Reinhard Karl stirbt am Cho Oyu https://blogs.dw.com/abenteuersport/vor-uber-30-jahren-reinhard-karl-stirbt-am-cho-oyu/ Thu, 14 Jun 2012 15:19:02 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=15343

Reinhard Karl (1946-1982)

Peinlich. Da ist mir doch vor lauter Everest am 19. Mai der 30. Todestag Reinhards Karls durchgeflutscht. Ich könnte natürlich einfach darüber hinweggehen. Doch dieser Mann hat es wirklich verdient, dass man sich seiner erinnert. Kaum einer hat der Alpinliteratur und der Bergfotografie in so kurzer Zeit so viele Impulse gegeben wie Reinhard Karl. Nach wie vor gehört er im deutschen Sprachraum zu den meistzitierten Bergsteigern.

Von einem Eisbrocken erschlagen

19. Mai 1982, fünf Uhr früh, am Achttausender Cho Oyu in Nepal: Reinhard Karl und der Österreicher Wolfgang Nairz wachen in ihrem Zelt auf 6700 Metern auf. Karl wirft den Kocher an, um Schnee zu schmelzen und kriecht in den Schlafsack zurück. Nairz erinnert sich: „Wenig später war plötzlich ein Rauschen. Reinhard sagt noch: ‚Was ist das?’ Und unmittelbar darauf, im nächsten Moment war ein Krachen. Wir waren völlig zugedeckt von einer Eislawine. Ich habe noch nach Reinhard gerufen, habe keine Antwort bekommen.“ Nairz überlebt schwer verletzt. Reinhard Karl ist tot. Ein Eisbrocken hat den 35-Jährigen mitten ins Gesicht getroffen. Die anderen Expeditionsmitglieder bestatten ihn im Schlafsack in einer Gletscherspalte.

Wolfgang Nairz über Reinhard Karls Tod in der Eislawine

Flucht vor dem „miesesten aller Traumjobs“

Das Bergsteigen ist Reinhard Karl nicht in die Wiege gelegt. 1946 wird er in Heidelberg geboren, in der Pfalz, fernab der Berge. Mit 14 Jahren beginnt Reinhard eine Lehre als Automechaniker, der „dreckigste und mieseste aller Traumjobs“, wie er später schreibt. Mit 17 macht er seine erste Klettertour. Das Bergsteigen am Wochenende wird zur Flucht vor dem ungeliebten Job. Als ihm der Inhaber der Autowerkstatt kündigt, beginnt Reinhard in Frankfurt zu studieren und gerät mitten in die 1968er-Studentenbewegung. Als Bergsteiger werden seine Touren extremer. Reinhard durchsteigt die Eiger-Nordwand, klettert an den Granitwänden des Yosemite-Nationalparks. 1977 eröffnet er mit Helmut Kiene am Fleischbank-Südostpfeiler im Wilden Kaiser die „Pumprisse“, eine bahnbrechende Kletterroute, die erste im siebten Schwierigkeitsgrad.

Der erste Deutsche auf dem Everest

Südseite des Cho Oyu - dort starb Reinhard Karl

Inzwischen hält sich Reinhard Karl mit dem Verkauf seiner Bergfotografien finanziell über Wasser. Der Autodidakt spielt mit Lichteffekten und ungewöhnlichen Perspektiven. „Bewusstes Sehen ermöglicht bewusstes Erleben“, schreibt Reinhard. Eine große deutsche Zeitschrift beauftragt ihn 1978, als Fotograf die erste Besteigung des Mount Everest ohne Atemmaske zu dokumentieren. „Da kam dieser linke, deutsche Student und hat gestänkert, provoziert, mit ganz kleinen spitzen Bemerkungen ganz genau dort angesetzt, wo jemand wirklich empfindlich war“, erzählt der Österreicher Oswald Oelz. Die beiden bilden eine Seilschaft und erreichen am 11. Mai 1978 (drei Tage nach Reinhold Messner und Peter Habeler) den Gipfel des Mount Everest – mit Flaschensauerstoff. Reinhard Karl ist der erste Deutsche auf dem höchsten Berg der Erde. „Ich ahne, dass auch der Everest nur ein Vorgipfel ist, den wirklichen Gipfel werde ich nie erreichen.“

Oswald Oelz über Reinhard Karl 1978 am Everest

Unantastbar wie der Regenbogen

1979 besteigt Karl mit dem Gasherbrum II seinen zweiten Achttausender. Dann reißt seine Erfolgsserie. Reinhard scheitert am Cerro Torre in Patagonien, muss am Nanga Parbat aufgeben und auch der K 2 hält ihn auf Distanz. Vor seiner Abreise zum Cho Oyu 1982 verfasst Reinhard Karl einen Essay mit dem Titel „Unterwegs nach Hause. Er klingt fast wie sein eigener Nachruf: „Ich habe nicht nach rechts und nach links noch zurück geschaut. Das war die Jagd nach den schwierigsten Kletterrouten und nach den höchsten Bergen. Danach gab ich’s auf. Das was ich suchte, war so unantastbar wie der Regenbogen.“

Reinhard Karls letztes Interview am Cho Oyu 1982

P.S. Reinhard Karls Buch „Erlebnis Berg: Zeit zum Atmen“ sollte jeder Bergfreund gelesen haben. Ich empfehle euch auch die Reinhard-Karl-Biographie von Tom Dauer: „Ein Leben ohne Wenn und Aber“. Die dort beiliegende CD (mit einem Radio-Feature und O-Tönen von Karl) habe ich vor zehn Jahren verzapft.

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Vor 25 Jahren: Schwarzer Sommer am K 2 https://blogs.dw.com/abenteuersport/vor-25-jahren-schwarzer-sommer-am-k-2/ Thu, 04 Aug 2011 06:45:01 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport2/2011/08/04/vor-25-jahren-schwarzer-sommer-am-k-2/ Heute vor einem Vierteljahrhundert, am 4. August 1986, erreichte Kurt Diemberger mit seiner Seilgefährtin Julie Tullis den Gipfel des K 2. „Einen Tag zu spät. Um den hat sich alles gedreht. Dadurch sind wir Gefangene eines fürchterlichen Sturms geworden“, erzählte mir der Österreicher, als wir uns im Sommer 2004 am Concordia-Platz, der Gletscher-Kreuzung in Sichtweite des K 2 trafen (einen Auszug unseres Gesprächs von damals könnt ihr unter dem Artikel hören). „Aus unserer Gruppe von sieben haben nur zwei überlebt. Und auch Julie ist dort oben geblieben.“


Trügerische Schönheit

Haushoch überm Everest

Es war ein verhängnisvoller Sommer am zweithöchsten Berg der Erde. Insgesamt 13 Bergsteiger starben 2006 bei ihren Versuchen, den höchsten Punkt auf 8611 Metern zu erreichen: abgestürzt, in Gletscherspalten, von Lawinen verschüttet, vom Steinschlag getroffen, an der Höhenkrankheit oder an Erschöpfung. Es war fast, als habe sich der K 2 gegen den Massenansturm wehren wollen. Mehrere Expeditionen gingen gleichzeitig den „König der Achttausender“ an: US-Amerikaner, Franzosen, Polen, Österreicher, Engländer und Italiener. Es handelte sich keineswegs um zahlende Kunden kommerzieller Expeditionen, sondern um erfahrene Alpinisten.
Der Berg schlug zu, gnadenlos. „Der K 2 ist halt in seiner Schwierigkeit noch haushoch überm Everest“, meinte Kurt, als wir uns vor sieben Jahren trafen. Wir waren damals zeitgleich über den Karakorum-Highway Richtung Nordpakistan gebraust – und hatten im selben Hotel offenbar beide die verdorbenen Eier gegessen und dafür mit einem schlimmen Durchfall bezahlt. Kinderkram verglichen mit dem, was Kurt 1986 erlebt hatte.

Dritter Anlauf

Der einzige noch lebende Erstbesteiger gleich zweier Achttausender (Broad Peak 1957, Dhaulagiri 1960) war zum dritten Mal am K 2 unterwegs, wieder gemeinsam mit der Britin Julie Tullis, mit der er seit Jahren „das höchste Filmteam der Welt“ bildete. „Der K 2 war unser Traumberg geworden“, sagt Kurt. 1983 hatten die beiden versucht, den Bergriesen auf der chinesischen Seite über den Nordsporn zu besteigen (wie derzeit Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits). Auf rund 8000 Metern hatten sie wegen einer Schlechtwetterfront umkehren müssen. Drei Jahre später, diesmal auf der pakistanischen Seite des K 2, schienen die Karten für Diemberger und Tullis zunächst günstiger.

Das Glück währt kurz

3. August 1986: Perfektes Wetter. Wie gemacht für einen Gipfeltag, denken sich die beiden. Doch es kommt ganz anders. „Es war eine richtige Kettenreaktion“, erinnert sich Kurt. Eine Eislawine hat mehrere Zelte verschüttet. Im höchsten Lager auf rund 8000 Metern sind plötzlich zu wenige Schlafplätze für alle Gipfelanwärter verfügbar. Es wird diskutiert, gestritten. Keiner ist bereit, noch einmal abzusteigen. Kurt und Julie verschieben schweren Herzens ihren Gipfelversuch um 24 Stunden. Ein verlorener Tag, der sie geradewegs in die Tragödie führt. Am frühen Abend des 4. August erreicht das Duo den Gipfel. „Die Freude! Das Glück! Wir halten uns umschlungen. Für einen Augenblick der Ewigkeit gehört uns der K 2“, schreibt Kurt in seinem Buch „K 2 – Traum und Schicksal“. Die Euphorie währt nur kurz. Nebel zieht auf.

Nur zwei kommen durch

Mit viel Glück überleben die beiden einen Sturz und anschließend eine Nacht im Notbiwak. Als sie am nächsten Morgen das höchste Lager erreichen, hocken dort noch immer fünf weitere Bergsteiger in den Zelten. Ein Schneesturm mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 150 Stundenkilometern bricht los. Tagelang fesselt er die Bergsteiger ans enge Lager. An einen Abstieg ist nicht zu denken. Julie stirbt an Erschöpfung. Die anderen sind völlig entkräftet, als sich am 10. August endlich die Chance bietet abzusteigen. Der Brite Alan Rouse ist unfähig, das Zelt zu verlassen. Die Österreicher Alfred Imitzer und Hannes Wieser sowie die Polin Dobroslawa Miodowicz-Wolf sterben beim Abstieg. Lediglich Diemberger und der Österreicher Willi Bauer erreichen – mit schweren Erfrierungen – das Basislager.


Kurt Diemberger (l. der legendäre pakistanische Hochträger „Little Karim“ Balti)

Trauma am Traumberg

Kurt mussten nach der Expedition an der rechten Hand mehrere Fingerglieder amputiert werden. Schlimmer aber war für ihn das Trauma, seine langjährige Seilpartnerin Julie am gemeinsamen Traumberg K 2 verloren zu haben. „Ich habe jahrelang gebraucht, um darüber hinwegzukommen“, erzählte mir Kurt 2004 am Concordiaplatz. Seine Leidenschaft für die Berge wurde durch die Tragödie 1986 jedoch nicht beendet. Auch mit heute 79 Jahren geht Diemberger noch zum Bergsteigen. Für das Frühjahr 2012 hat er sich den Sechstausender Tupungato in den Anden zwischen Argentinien und Chile vorgenommen.

Kurt Diemberger über die Katastrophe von 1986

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Vor 15 Jahren: Everest-Tragödie mit Ansage https://blogs.dw.com/abenteuersport/vor-15-jahren-everest-tragodie-mit-ansage/ Tue, 10 May 2011 05:40:02 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport2/2011/05/10/vor-15-jahren-everest-tragodie-mit-ansage/ Unbestritten war es eine Tragödie, aber eine Katastrophe? Nein, dazu bedarf es anderer Ausmaße als das, was sich heute vor 15 Jahren am Mount Everest zugetragen hat. 27 Bergsteiger erreichen am 10. Mai 1996 den Gipfel des höchsten Bergs der Erde. Am nächsten Morgen sind acht Menschen tot – erfroren, an Erschöpfung gestorben oder abgestürzt.
Es war eine Verkettung von fatalen Umständen und schweren Fehlern, die zu dem Unglück führten. Unter den zahlenden Kunden der kommerziellen Expeditionen waren einige, die bei weitem nicht über die nötige Erfahrung am Berg verfügten, um am Mount Everest eine heikle Situation zu überstehen. Es gab Staus an den Schlüsselstellen. Bergsteiger und -führer ignorierten vereinbarte Umkehrzeiten. Dann schlug das Wetter um. Wäre der russische Bergführer Anatoli Boukreev nicht noch einmal vom Südsattel aus aufgebrochen, um völlig erschöpfte und orientierungslose Bergsteiger zum Lager zu lotsen, wären noch mehr Tote zu beklagen gewesen.


Beck Weathers, schwer gezeichnet, aber lebendig

In Echtzeit in alle Welt

Der Medienrummel um die Tragödie am Everest im Jahr 1996 war riesengroß. Erstmals wurde ein Unglück am Berg via Internet quasi in Echtzeit in die Wohnzimmer der Sessel-Abenteurer getragen. So erfuhr die Welt, dass sich der neuseeländische Bergführer Rob Hall, kurz bevor er am Südgipfel auf rund 8700 Metern Höhe starb, per Satellitentelefon von seiner schwangeren Frau verabschiedete und mit ihr über den Namen ihres noch ungeborenen Kindes sprach. Oder dass Beck Weathers, ein bergsteigender Pathologe aus den USA, den die anderen bereits für tot gehalten und im Schnee liegen gelassen hatten, plötzlich ins Lager am Südsattel taumelte. Trotz schwerster Erfrierungen überlebte Beck.
„Into thin air“ (deutsche Ausgabe: „In eisige Höhen“), das Buch des Journalisten Jon Krakauer, der sich ebenfalls hatte retten können, wurde ein Weltbestseller. Der IMAX-Film „Everest – Gipfel ohne Gnade“ füllte die Kinosäle.

Everest-Boom ungebrochen

Anschließend setzte eine Grundsatzdiskussion über das kommerzielle Bergsteigen am höchsten Berg der Erde ein. Den Everest-Boom konnte die Tragödie jedoch nicht stoppen. Nach wie vor tummeln sich Jahr für Jahr in den Basislagern auf der tibetischen Nord- und der nepalesischen Südseite Hunderte von Bergsteigern, die auf dem Dach der Welt stehen wollen. Und noch immer gehört nicht jeder aufgrund seiner Fähigkeiten dorthin – vorsichtig formuliert.


Beck Weathers \’restauriert\‘

Es gibt mehrere Gründe, warum sich eine Tragödie wie 1996 bis heute am Mount Everest nicht wiederholt hat: Fixseile bis zum Gipfel sind inzwischen Standard auf beiden Normalrouten. Jede Expedition verfügt über GPS-Geräte, die es den Bergsteigern auch im Whiteout, also bei ‚Sicht gleich null’, ermöglichen, die Orientierung zu behalten. Zudem sind die Wetterprognosen inzwischen wesentlich genauer als vor 15 Jahren. Und nicht zu vergessen: die Sherpas, von den Veranstaltern angeheuert, um die Kunden sicher auf den Gipfel zu bringen, sind echte Profis.

Besteigungen und ein Todesfall

Doch auch sie können nicht verhindern, dass alljährlich Menschen am Everest ums Leben kommen. Vor wenigen Tagen starb der US-Bergsteiger Rick Hitch beim Versuch, den letzten der „Seven Summits“, der höchsten Berge aller Kontinente, zu besteigen. Der 55-Jährige kollabierte nahe Lager III auf gut 7000 Metern, vermutet wird ein Höhenlungenödem als Ursache. Die ersten Gipfelerfolge des Jahres verdrängten den Todesfall schnell aus den Schlagzeilen.

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