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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Kleiner Vorgeschmack

Verdammt, kommen wir denn gar nicht vorwärts? Noch immer scheint der Gipfel der 3772 Meter hohen Wildspitze, des zweithöchsten Bergs Österreichs, weit entfernt. Und dann dieser Matsch-Schnee. Alle drei Schritte sinke ich tief ein. „Du musst dich leicht machen“, rät mir Bergführer Hans Miller, der in unserer Vierer-Seilschaft direkt vor mir die Spur zieht. Aber wie soll das gehen? Diät während der Bergtour? Über den Schnee schweben? Hans ist etwa einen Kopf größer als ich. Wenn er bis zum Schaft seiner Bergschuhe einbricht, hänge ich schon bis zum Knie im Loch.


Hinter Hans

Lastwagen auf dem Gletscher

Gut vier Stunden sind wir schon unterwegs. Um 3.45 Uhr hat der Wecker geklingelt. Nach einem eher schweigsamen Frühstück mit dicken Augen brechen wir eine Stunde später auf. Von der Braunschweiger Hütte führt unser Weg zunächst hinunter zum Mittelbergferner. Als wir die Steigeisen anlegen, dämmert es. Wir steigen dort auf, wo im Winter die Skifahrer hinunterrasen. Davon zeugen noch riesige mit Planen abgedeckte Schneehaufen, die in die nächste Saison gerettet werden sollen. Derzeit wird im Skigebiet heftig gebaut. Am Vortag konnten wir sechsrädrige Lastwagen beobachten, die auf einer Piste über den Gletscher aufwärts fuhren – Alpenidylle sieht anders aus.


Unterhalb des Gletscher-Skigebiets

Föhnwetter-geschädigt

Nach gut zweieinhalb Stunden rasten wir erstmals, am Mittelbergjoch auf 3166 Metern. Der Wind bläst heftig aus Süden. Föhnwetter. „Mal sehen, was das für den Gipfelbereich bedeutet. Da sind schon Leute vom Südgrat geblasen worden“, gibt Hans zu bedenken. Wir sind gerade mal auf halber Strecke. Vom Joch steigen wir wieder abwärts zum nächsten Gletscher, dem Taschachferner. In langen Schleifen zieht sich die Route Richtung Wildspitze hinauf. Wir verzichten auf die Steigeisen. Eine dichte Firnschicht bedeckt das Eis. Dort wo der Wind nicht hineinbläst, ist es richtig warm. Dementsprechend weich ist die Schneeauflage. Wir fräsen uns durch die Hänge. Auch die Spuren der vor uns aufgestiegenen Seilschaften helfen kaum.


Schweres Geläuf

Vom Schlag gerührt

Ich spüre, wie meine Kräfte schwinden. Nicht so bei Hans. Trotz seiner stolzen 69 Jahre wirkt der Bergführer fit wie ein Turnschuh. Zwei Stunden nachdem wir das Mittelbergjoch verlassen haben, gönnt er uns endlich eine weitere Pause. Puh, das wurde aber auch höchste Zeit! Nach der kurzen Rast fühle ich mich besser. Bereit für den Gipfelversuch. Der Wind bläst immer noch heftig.


Wir kamen bis zum Sattel (r.)

Wenig später erreichen wir den Sattel unterhalb des höchsten Punkts. Von dort aus öffnet sich der Blick nach Süden. Hans schaut auf die dunklen Wolken am Horizont und entscheidet sofort: „Den Gipfel können wir abhaken. Da hinten kommt eine Schlechtwetterfront. Sie würde uns erwischen, ehe wir wieder unten sind. Außerdem haben wir noch einen weiten Rückweg.“ Wie vom Schlag gerührt stehen wir da. Rund 70 Meter unter dem Gipfel sollen wir umkehren. Das darf doch nicht wahr sein! Doch Hans\‘ Entscheidung steht.

Lerneffekt

Auf dem Rückweg legt sich meine Enttäuschung langsam. Wer weiß, wofür es gut ist, denke ich bei mir. Vielleicht kann es ja auch gar nicht schaden, wenn ich lerne umzukehren – auch wenn es mir sauschwer fällt. Möglicherweise muss ich im Oktober am Putha Hiunchuli genau diese Entscheidung treffen. Dann werde ich sicher an Hans und seine Worte denken.


Die Wildspitze (l.) muss warten

Datum

13. Juli 2011 | 21:03

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