Birgit Lutz – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Gelesen: Heute gehen wir Wale fangen https://blogs.dw.com/abenteuersport/gelesen-heute-gehen-wir-wale-fangen/ Wed, 10 Jan 2018 11:33:03 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=39109 Sie ist eine Kidnapperin. Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Schon einmal hatte mich Birgit Lutz in die Arktis entführt, ohne dass ich mich dagegen wehren konnte. Jetzt hat sie es wieder getan – diesmal nach Ost-Grönland. Anderthalb Tage lang saß ich gefesselt in meinem Wohnzimmersessel und war kaum ansprechbar. Nachts träumte ich von Grönland. Und konnte mich erst wieder anderen Dingen widmen, als ich die letzte der 437 Seiten von „Heute gehen wir Wale fangen …“  gelesen hatte. Das nenne ich ein gutes Buch.

Welt der Gegensätze

2013 durchquerte die deutsche Journalistin und Abenteurerin Grönland mit Skiern und Schlitten. Als Birgit Lutz am Ende der Expedition im Osten der Insel eintraf, schwor sie sich zurückzukehren, um dort in die Welt der Inuit einzutauchen. Dreimal innerhalb eines Jahres reiste sie nach Ostgrönland, für insgesamt drei Monate. In der Region leben gerade einmal 3000 Menschen – 2000 in der Kleinstadt Tasiilaq, der Rest verstreut in einigen mehr oder weniger verlassenen Dörfern. Lutz schildert eine Welt der Gegensätze: hier eine atemberaubend schöne Natur mit Fjorden, Eisbergen und Nordlicht, dort Müllkippen und verwaiste Militärstützpunkte, die vor sich hin gammeln und rosten; hier lebensfrohe, gastfreundliche Grönländer, dort eine der höchsten Selbstmordraten der Welt und Inuit, die ihre Angst vor der Zukunft mit Alkohol ertränken.

Reisende im besten Sinne

Birgit Lutz spricht nicht nur mit den Ostgrönlandern, sondern teilt auch ihr Leben, geht mit ihnen fischen und Robben jagen, Schlitten fahren, feiert und trauert mit ihnen. Mehr als einmal muss sie dabei über den Schatten ihrer eigenen Sozialisation springen, zum Beispiel wenn sie die gefangenen Fische selbst töten und ausnehmen soll. Die 43-Jährige ist eine Reisende im besten Sinne. Mit aufmerksamen Sinnen und offenem Herz lässt sie sich auf die neue Umgebung und die fremden Menschen ein. Sie trifft einen Jäger, der selbst noch in einem der längst verschwundenen traditionellen Erdhäuser aus Steinen und Torf aufgewachsen ist. Sie spricht mit dem Priester, dem Dorfpolizisten, der Ladenbesitzerin, der zweitjüngsten Abgeordneten des grönländischen Parlaments und vielen anderen.

Es geht um alles

Lutz lässt die Ostgrönländer ausführlich zu Wort kommen, unkommentiert, eins zu eins. Sie erzählen von ihrem Leben, ihren Erwartungen, Ängsten und Träumen. Und ihrer Zerrissenheit: Einerseits lieben sie ihre Heimat, andererseits spüren sie, wie ihnen das traditionelle Leben, das die Inuit seit Jahrhunderten geführt haben, unwiederbringlich durch die Finger rinnt. Selbst weggehen löst den Widerspruch nicht. „Wer von hier fortzieht, der zieht aus einem Zeitalter in ein anderes, und in dem einen Leben ist nichts so wie in dem anderen“, schreibt Birgit Lutz. „Hier geht es um viel mehr als um das Vermissen einer Landschaft. Es geht um alles.“ Eine Kultur stirbt.

Ich kann euch nur raten: Lasst euch auch von meiner Kidnapperin nach Ostgrönland entführen! Ihr werdet viel lernen und möglicherweise auch die eine oder andere vorgefasste Meinung, etwa zu Walfang oder Robbenjagd, revidieren.

]]>
Gelesen: Schwarzes Wasser https://blogs.dw.com/abenteuersport/gelesen-schwarzes-wasser/ Sun, 04 Jun 2017 14:36:49 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=36567 Ich war weit weg. Die Frau mit dem Ausweis am Band um den Hals stupste mich an. Ich entschuldige mich, kramte meine Bahnfahrkarte heraus und zeigte sie ihr. Ich saß im Zug, hörte auf dem Kopfhörer Musik, aber eigentlich auch wieder nicht. Denn ich las das kleine, aber feine Büchlein „Schwarzes Wasser“ von Thomas Ulrich und Birgit Lutz. Ich kannte diese wahre Geschichte. Schließlich war Thomas im Frühjahr 2009 mein Expeditionsleiter, der es mir ermöglichte, auf Skiern, einen Schlitten hinter mir herziehend, den Nordpol zu erreichen. Vor, während und nach unserem Ausflug auf das arktische Eis hatten wir viel Zeit, unsere Lebensgeschichten auszutauschen. Und diese war eine, die Ulrich tief geprägt hat.

Allein auf der Eisscholle

Im Frühjahr 2006 wollte der Schweizer die gesamte Arktis durchqueren, solo, ohne Unterstützung von außen, 1800 Kilometer von der russischen bis zur kanadischen Küste. Doch es ging gleich zu Beginn der Expedition so ziemlich alles schief, was schief gehen konnte. Der Hubschrauberflug zum Startpunkt seines Marsches verzögerte sich. Damit verschlechterten sich die Eisbedingungen. Trotzdem zog Ulrich los. Einen Tag später saß der Abenteurer fest. Im Sturm, auf einer gerade mal 20 Zentimeter dicken Eisscholle, die – soviel war klar – nicht mehr allzu lange halten würde. Per Satellitentelefon versuchte Thomas, Hilfe herbeizurufen. Doch die Mühlen der russischen Bürokratie mahlten langsam. Ulrich war klar, er würde sehr viel Glück brauchen, um dieses Abenteuer zu überleben. 89 Stunden schlief er nicht. Dann …

Schleimigschmierigschwappend“

Nein, mehr wird nicht verraten. Es war nicht nur das Eis, das unter Ulrich wegbrach. Sein ganzes Leben geriet aus den Fugen, weil ihm plötzlich klar wurde, dass er auch im normalen Alltag nicht mehr so weitermachen konnte wie bisher. Die Journalistin Birgit Lutz, selbst eine Arktis-Abenteurerin, erzählt Thomys spannende Geschichte mit viel Fingerspitzengefühl und einer bildgewaltigen Sprache. Habt ihr schon mal ein „schleimigschmierigschwappendes Geräusch“ gehört, das entsteht, wenn Eisschollen „aneinanderreiben, quietschen und sausen“?

Die Frau im Zug mit dem Ausweis um den Hals war übrigens gar keine Kontrolleurin, sondern eine Frau auf Dienstreise. Sie wollte mich nur bitten, meinen Rucksack wegzunehmen, damit sie sich neben mich setzen konnte. Als ich ihr meine Fahrkarte zeigte, sorgte ich für Heiterkeit im Abteil. „Da sehen sie mal, wie weit ich gerade weg war“, erklärte ich mein verpeiltes Verhalten und zeigte auf mein Buch: „Ich war in der Arktis, auf einer Eisscholle.“

]]>