Brixen – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 10 Jahre IMS: Die letzte Wanderung https://blogs.dw.com/abenteuersport/10-jahre-ims-die-letzte-wanderung/ Sun, 14 Oct 2018 14:16:44 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=42347

IMS-Wanderung zum Latzfonserkreuz

Der IMS wird mir fehlen. Nach zehn Jahren „International Mountain Summit“ in Brixen ist Schluss. Die Macher, Alex Ploner und Markus Gaiser, die ehrenamtlich und mit sehr viel Berg-Herzblut alljährlich dieses außergewöhnliche Bergfestival auf die Beine gestellt hatten, werfen das Handtuch. Der Grund: Mangelnde Unterstützung von außen. Wirklich schade! Jahr für Jahr gaben sich beim IMS frühere und aktuelle Stars der Szene die Klinke in die Hand: Reinhold Messner, Sir Chris Bonington, Doug Scott, die Huberbuam, Steve House, Alex Honnold, Ueli Steck, Gerlinde Kaltenbrunner, Ralf Dujmovits und, und, und. Sie hielten nicht nur Vorträge, sondern gingen auch, ganz uneitel, mit anderen Bergfreunden in den Bergen Südtirols wandern. Das machte den besonderen Reiz des IMS aus. Ich habe dieses „Walk and Talk“ immer sehr genossen.

Fremdschämen am Kangchendzönga

Tamara Lunger (im Hintergrund die Wallfahrtskirche Latzfonserkreuz)

Gestern zum Beispiel stiegen wir mit der Südtiroler Profibergsteigerin Tamara Lunger hinauf zum Latzfonserkreuz auf 2305 Metern. Die dortige Hütte wird (noch) von ihren Eltern betrieben. Ich sprach mit Tamara über ihre Erlebnisse bei der Wintererstbesteigung des Nanga Parbat im Februar 2016. Während ihre Teamkollegen Simone Moro, Alex Txikon und Muhammad Ali „Sadpara“ den Gipfel erreicht hatten, war Lunger 70 Meter unterhalb des Gipfels umgekehrt. Den ganzen Gipfeltag über war es ihr schlecht gegangen. Gott habe ihr ein Zeichen gegeben, erzählt mir Tamara: „An dem Tag hat zehn Stunden Beten nichts geholfen. Da habe ich gewusst, da ist etwas faul.“ Im Frühjahr 2017 war sie wieder an einem Achttausender: Mit Simone Moro wollte sie alle Gipfel des Kangchendzönga-Massivs überqueren. Dazu kam es nicht, diesmal hatte Moro gesundheitliche Probleme. Nach der Expedition hatte Tamara erst einmal die Nase voll von den Achttausendern. Was sie im Basislager, in dem auch kommerzielle Expeditionen ihre Zelte aufgeschlagen hatten, erlebte, hat Narben hinterlassen. „Unglaublich, was einige Leute da so treiben. Ich habe mich teilweise für sie geschämt“, sagt Tamara. „Mit tat dort das Herz weh.“

Wellnessurlaub für die Seele

IMS-Organisator Markus Gaiser, Tamara Lunger und Robert Jasper (v.l.)

Auch Robert Jasper wanderte gestern mit zum Latzfonserkreuz. Der 50 Jahre alte deutsche Top-Kletterer war in diesem Sommer auf einer Solo-Expedition auf Grönland. Mit dem Faltkajak fuhr er von der letzten bewohnten Siedlung durch einen Fjord in Richtung des Berges, den er sich für eine Erstbegehung ausgeguckt hatte. „Mit dem Faltboot unterwegs zu sein, dann eine neue Route in einer Bigwall zu eröffnen, das Ganze mit reduzierten Mitteln – das war ein absolut geniales Abenteuer“, schwärmt mir Robert vor. Auch wenn er vor dem Start ein mulmiges Gefühl gehabt habe, sei er mit dem Alleinsein gut zurechtgekommen. „Über die Stille gelangst du sehr schnell zu dir selber. Das war Wellnessurlaub für die Seele.“ Bei der Rückkehr in die Zivilisation nach vier Wochen, so Robert, habe er jedoch ein paar Tage gebraucht, bis er wieder richtig habe sprechen können.

Keine Zeit verschwenden

Beat Kammerlander

Beat Kammerlander sucht sich seine Kletterziele bevorzugt vor der eigenen Haustür, im Rätikon. Der 59 Jahre alte Österreicher aus Feldkirch ist eine lebende Kletterlegende. Seit Jahrzehnten betreibt er alpines Sportklettern auf Weltklasse-Niveau. Noch im vergangenen Jahr eröffnete er mit der „Kampfzone“ am Kleinen Turm eine extrem schwierige Route. Ich frage Beat auf der IMS-Wanderung, ob er heute mehr kämpfen müsse als früher. „Man kämpft immer so gut, wie man kann“, antwortet Kammerlander und lacht. „Aber ich habe heute wohl noch mehr Motivation als früher und mehr Konsequenz, um ein Ziel zu erreichen. Ich verschwende keine Zeit mehr.“ Ans Ende seiner Karriere als Extremkletterer denkt Beat noch nicht. „Do what you love! Warum sollte ich mit etwas aufhören, was ich am liebsten mache?“

Wenn das bei Veranstaltungen wie dem „International Mountain Summit“ doch auch immer so leicht wäre …

P.S.: Ausführliche Artikel über meine Gespräche mit Tamara Lunger, Robert Jasper und Beat Kammerlander lasse ich folgen. Der IMS wird also noch nachwirken.

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Alex Megos: „Ich lebe meinen Traum“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/alex-megos-ich-lebe-meinen-traum/ Fri, 12 Oct 2018 06:27:03 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=42277

Alex Megos beim IMS in Brixen

Es gibt Menschen, die scheinen das Gravitationsgesetz aushebeln zu können. Alex Megos gehört dazu. Der 25 Jahre alte Franke aus der Stadt Erlangen gehört zu den besten Sportkletterern der Welt. Mit 19 meisterte er im spanischen Klettergebiet Siurana als Erster weltweit „onsight“ eine Route im französischen Klettergrad 9a, was nach der klassischen Schwierigkeitsskala dem elften Grad entspricht. Zum Vergleich: Reinhold Messner kletterte in seinen besten Tagen den siebten Grad. Onsight bedeutet, dass Alex einfach drauflos kletterte, ohne sich vorher irgendwelche Informationen über die Route besorgt zu haben. Dieser Coup öffnete ihm das Tor zum Profiklettern. In diesem Frühjahr ließ Megos ein weiteres Glanzlicht folgen: Ihm gelang im Klettergebiet Margalef im Nordosten Spaniens die Erstbegehung der Route „Perfecto Mundo“ (s. Video unten von einem seiner gescheiterten Versuche), seine erste 9b+ (nach alter Lesart im unteren zwölften Grad). Eine einzige Route weltweit wird derzeit überhaupt als noch schwieriger gewertet.

Ich habe Alex Megos beim 10. International Mountain Summit (IMS) in Brixen in Südtirol getroffen, wo sich seit Jahren die Großen der Bergszene die Klinke in die Hand geben.

Alex, du bist einer von erst drei Kletterern weltweit, die eine Route im Schwierigkeitskeitsgrad 9b+ geklettert sind. Du bist also ganz vorne mit dabei. Wie fühlt sich das an?

Es fühlt sich natürlich nicht so schlecht an. Aber eigentlich mache ich es ja nicht, um berühmt zu werden, sondern einfach, weil mir Klettern taugt und weil ich wissen möchte, wie schwer ich klettern kann, wie weit ich mein eigenes Limit nach oben schieben kann.

Erkläre doch bitte einmal einem Laien, was er sich unter einer 9b+-Route vorzustellen hat.

Das sind viele, viele schwere Kletterzüge hintereinander in sehr steilen, teilweise überhängenden Felswänden. Wenn jemand beispielsweise einen ganz normalen Türrahmen von zwei Zentimetern hat, dann kann ich daran ganz gemütlich einarmig hängen. Das ist nicht sonderlich schwer. 9b+ ist aber schwer. (lacht)

Strapazierte Finger

Wie sieht dein Training dafür aus?

Ich trainiere eigentlich täglich. Etwa fünf Tag pro Woche gehe ich an die Kletterwand, den Rest der Zeit mache ich Ausgleichstraining und andere Kräftigungsübungen an den Ringen, der Klimmzugstange, dem Fingerboard usw.

Der Tscheche Adam Ondra, der mit einer 9c die bisher wohl schwierigste Route weltweit geklettert hat, beschäftigt einen eigenen Physiotherapeuten, der ihm auch neue Bewegungen zeigt, die er in seine Kletterzüge einbauen kann. Hast du auch solche Berater?

Ich habe keinen eigenen Physio, aber ich habe zwei Trainer, Patrick Matros und Dicki (Ludwig) Korb, mit denen ich schon seit zwölf Jahren zusammenarbeite. Wir schauen gemeinsam, wo ich noch besser werden kann, feilen am Training, erfinden neue Übungen. Im Vergleich zu Laufen oder Fahrradfahren ist Klettern ja noch ein sehr junger, aber ein, wie ich finde, viel komplexerer Sport. Man hat sehr vielfältige Bewegungen, niemals dieselben. Deshalb gibt es auch so viele unterschiedliche Weltklasse-Kletterer. Der eine ist vielleicht 1,50 Meter groß und wiegt 50 Kilogramm, der andere misst 1,85 Meter und bringt 80 Kilo auf die Waage. Beide sind Weltklasse, aber in unterschiedlichen Kletterstilen. Deshalb ist das Klettern für mich so besonders. Man muss halt für sich herausfinden, wo seine Stärken und Schwächen liegen und dann daran arbeiten, sich ganzheitlich als Kletterer zu verbessern.

Im senkrechten Fels

Wenn du spektakuläre Routen kletterst, tauchen in deinem Umfeld immer dieselben Namen auf: Chris Sharma, Stefano Ghisolfi, Adam Ondra. Ist das eine kleine Clique in diesem High-End-Bereich des Kletterns?

Auf jeden Fall. Sowohl im Felsklettern, als auch im Wettkampfklettern kennt man sich. Nach den zwei Tagen hier beim IMS werde ich nach Arco fahren, um Stefano zu besuchen und mit ihm zu klettern. Man kennt sich, man besucht sich, man klettert gemeinsam, wenn es sich ergibt. Es ist wirklich eine kleine Clique.

Die angesprochene 9b+-Route, die du als Erster gemeistert hast, hatte ja eigentlich Chris Sharma vor Jahren eingebohrt, sie aber selbst nicht geschafft. Fuchst ihn das?

Ich glaube, aus dem Alter ist er heraus. (lacht) Er hat die Route vor neun oder zehn Jahren eingebohrt, es einige Jahre lang probiert und ist immer wieder gescheitert. Dann hat er sich einem anderen Projekt zugewandt, der Route „Dura Dura“, die vor vier Jahren zur ersten 9b+ weltweit wurde. Er hat sie dann auch geklettert. Da war er auch schon 33 Jahre alt. Er ist dann Vater geworden, hat eine Kletterhalle eröffnet und hatte einfach weniger Zeit. Als Stefano (Ghisolfi) und ich die Route in Margalef versucht haben, hat ihn das natürlich mega motiviert, und er hat es auch selbst wieder probiert.

Du bist jetzt 25 Jahre alt. Fühlst du dich schon auf dem Zenit deiner Leistungsfähigkeit?

Ich sehe mich auf jeden Fall noch nicht an meinem Limit. Ich habe noch so viele Schwächen gefunden, an denen ich arbeiten kann, damit ich noch schwerere Sachen klettern kann.

Im Überhang

Apropos schwerer. Es gibt ja eine 9c-Route, die von Adam Ondra 2017 erstbegangene „Silence“ in der Höhle „Hanshallaren“ bei Flatanger in Norwegen. Reizt dich diese extrem stark überhängende Route nicht?

Ich denke, für meinen Kletterstil ist diese Route nicht ideal. Es ist eine Kletterei, die mir nicht sonderlich entgegenkommt. Meine Stärken liegen in anderen Kletterbereichen. Wenn ich wirklich an meinem Limit klettern will, dann muss ich mir etwas suchen, was meine Stärken bedient. Nur dann werde ich es auch schaffen.

Wobei Adam Ondra ja gesagt hat: Wenn er es einem zutraut, dann dir.

Aber dafür müsste man sehr, sehr viel Zeit investieren. Es gibt ja gar nicht so viele Leute, die a) das Level hätten, so etwas zu klettern und b) auch noch den Willen, so viel Zeit zu investieren. Ich würde lieber die Zeit in etwas stecken, das mir mehr liegt.

Du kommst ja ursprünglich aus dem Wettkampfklettern.

Ich habe als Jugendlicher viele, viele Wettkämpfe gemacht, etwa bis ich 18 Jahre alt war. Dann habe ich für sechs Jahre komplett aufgehört. Ende 2017 bin ich dann wieder mit einigen Wettkämpfen eingestiegen und habe auch in Briancon in Frankreich wieder meinen ersten Weltcup-Wettbewerb gewonnen. Ich würde gerne wieder mehr in das Wettkampfgeschehen einsteigen.

Mit dem Fernziel Olympia 2020 in Tokio, wo Klettern erstmals olympische Sportart wird?

Natürlich ist das ein Thema. Allerdings muss ich mir das gut überlegen, weil ich in den letzten Jahren überhaupt keine Wettkämpfe bestritten habe. Dadurch habe ich etwas Rückstand. Das Format, das bei Olympia präsentiert wird – eine Kombination aus den drei Disziplinen Bouldern, Lead- und Speedklettern – kommt mir nicht entgegen, weil ich bis vor kurzem noch nie Speedklettern war. Und auch im Bouldern habe ich noch Defizite, da fehlt mir die Wettkampfpraxis. Ich muss mir also überlegen: Will ich die nächsten beiden Jahre nutzen, um diese Defizite abzubauen und mich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren? Oder ist mir das zu aufwendig, und ich verliere zu viel Zeit am Fels?

Der Schwerkraft zum Trotz

Es hat ja in der Kletterszene heftige Diskussionen über die Entscheidung gegeben, für Olympia die drei Kletterdisziplinen zu einem Wettbewerb zusammenzufassen. Wie stehst du dazu?

Ich sehe das Format sehr kritisch. Letztlich werden die 20 besten Kombinierer zu den Olympischen Spielen fahren. Es ist nicht gesagt, dass die besten Speedkletterer, die bester Boulderer und die besten Leadkletterer dabei sein werden. Von den Speedkletter-Assen hat – bis auf den Weltmeister, der automatisch qualifiziert ist – eigentlich keiner eine realistische Chance, in Tokio antreten zu dürfen, weil die Zeit zu kurz ist, um die Defizite in den anderen beiden Disziplinen aufzuholen. Die Besten im Bouldern und Leadklettern werden vielleicht dabei sein, aber dafür keine besonders gute Figur beim Speedklettern machen. Ich weiß nicht, wie das auf die Zuschauer wirkt. Es ist eigentlich nicht die Art, wie wir unsere Sportart präsentieren wollen.

In welcher Hinsicht kann das Wettkampfklettern von den Olympischen Spielen profitieren?

Es werden dann mehr Fördermittel zur Verfügung stehen, um den Klettersport populärer zu machen und mehr Kletterern zu ermöglichen, das Klettern zu ihrem Beruf zu machen. Das wäre natürlich wünschenswert. Heutzutage ist es ja eine Seltenheit, dass jemand sagt, ich bin Profikletterer und kann davon auch wirklich leben.

Körperspannung

Du hast ja schon als Kleinkind angefangen zu klettern. Ist es irgendwann zur Sucht geworden? Könntest du überhaupt noch ohne?

Nein. Ich könnte im Moment nicht ohne Klettern leben. Es hat sich wirklich zu einer Art Sucht entwickelt. Ich habe ja schon mit fünf, sechs Jahren angefangen. Es hat mir Riesenspaß gemacht. Dann wurde es mehr und mehr. Ich konnte einfach nicht genug davon bekommen. Und das ist immer noch so. (lacht)

Wenn du in diesen Felsen hängst und diese für uns unmöglich erscheinenden Stellen bewältigst, was geht da in dir vor?

Ich denke, für mich ist es letztendlich ein Weg, meine Grenzen auszutesten. Jeder hat doch seine Sache, in der er gut ist und gucken will, wie gut er werden kann. Für mich ist das eben das Klettern. Es ist mein Weg, Energie herauszulassen und meinen Traum zu leben.

Bist du eigentlich ein Schönwetterkletterer?

Nein, ich mag es, wenn es kalt und bissig ist. (lacht)

Chris Sharma hat mir mal gesagt, er klettere am liebsten in der Sonne. Deshalb kämen die ganz hohen Berge für ihn nicht in Frage.

Die ganz hohen Berge kommen für mich auch nicht in Frage. Da hat es ja minus 20 Grad und Schnee, da macht es keinen Sinn zu klettern. Aber für mich muss es nicht schön sein. Ich gehe auch bei Regen klettern oder wenn es bewölkt ist.

Die „Huberbuam“, Thomas und Alexander Huber, kamen ja auch aus dem Sportklettern, sind aber dann irgendwann zu den großen Bergen gewechselt. Wäre das für dich auch eine Perspektive für die Zukunft?

Im Moment kann ich mir noch nicht vorstellen, auf Expedition zu gehen und in zehn oder fünfzehn Jahren irgendwelche Sieben- oder Achttausender zu besteigen. Aber das heißt ja nicht, dass es nicht vielleicht irgendwann doch passiert. Im Augenblick, glaube ich, werde ich es mal beim Sportklettern belassen. (lacht)

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Honnold: „Die größte Inspiration meines Lebens“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/honnold-die-groesste-inspiration-meines-lebens/ Sat, 14 Oct 2017 22:27:57 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=38159

Alex Honnold

Spätestens seit heute weiß Alex Honnold, was das Gegenteil von einem Free Solo ist: der „Press Walk“ des International Mountain Summit. Der 32-Jährige kann sich weder frei bewegen, noch ist er allein. Rund 60 Reporter, Kameraleute und Fotografen wuseln an der Plose, dem Hausberg von Brixen, um den Topkletterer aus den USA herum. „Crazy“, entfährt es dem 32-Jährigen. Spätestens seit dem 3. Juni ist der Name Honnold nicht mehr nur unter Insidern, sondern weltweit in aller Munde. An jenem Tag stieß er in eine neue Dimension vor: Alex kletterte als Erster free solo, also im Alleingang und ohne Seilsicherung, in nur vier Stunden durch die 900 Meter hohe Granitwand des legendären El Capitan im Yosemite-Nationalpark in den USA – auf der Route „Freerider“, die 1995 von Alexander Huber eröffnet und 1998 von ihm und seinem Bruder Thomas erstmals frei geklettert worden war. Zum Vergleich: Die Huberbuam hatten damals – mit Seilsicherung – mehr als 15 Stunden für ihren Aufstieg gebraucht.

Moderner Nomade

Immer für einen Spaß zu haben

Alex Honnold entspricht so gar nicht dem Klischee eines Extremkletterers. Er trägt die Haare kurz, trinkt keinen Alkohol, raucht nicht und ernährt sich vegetarisch. Seit vielen Jahren lebt er wie ein moderner Nomade, ganz bescheiden in einem Wohnmobil, mit dem er von Felswand zu Felswand fährt. Seit fünf Jahren unterstützt er mit seiner Stiftung Umweltschutzprojekte in aller Welt.

Schon während des Aufstiegs zur Rossalm, wo die Macher des IMS eine Pressekonferenz mit Honnold angesetzt haben, gelingt es mir, Alex ein paar Fragen zu stellen – getreu dem Motto „Walk and talk“. 😉

Alexander und Thomas Huber und auch Tommy Caldwell haben dein Free Solo am El Capitan mit der ersten Mondlandung verglichen. Wie hast du selbst deinen Erfolg empfunden?

Mir erging es ähnlich. Als ich jünger war, träumte ich davon, dass dies das Verrückteste sein würde, was ich jemals tun würde. Aber als ich es dann wirklich gemacht habe, empfand ich es als ziemlich normal, weil ich so viel Zeit in die Vorbereitung investiert hatte, dass es sich fast schon vernünftig anfühlte. Ich meine, es war schon etwas wirklich Besonderes für mich, aber doch irgendwie auch normal. Das ist echt kompliziert. Ich wäre ja gar nicht in der Lage gewesen, etwas derartiges zu tun, wenn ich es nicht geschafft hätte, dass es sich normal anfühlt. Gleichzeitig ist es aber auch ziemlich verrückt, ohne Seil den El Capitan zu klettern.

Alex Honnold: Pretty crazy

Gab es während des Kletterns einen Moment des Zweifels?

Nein, ich war zu 100 Prozent auf das Klettern fixiert. Ich wäre gar nicht erst losgeklettert, wenn ich nicht total darauf konzentriert gewesen wäre. Ich habe so lange daran gearbeitet. Neun Jahre lang habe ich davon geträumt.

Viele fragen sich, ob Free Solos überhaupt verantwortbar sind – besonders dieses in einer 900 Meter hohen, extrem steilen Wand. Was antwortest du ihnen?

Ich hatte das Gefühl, dass es verantwortbar war. Ich würde die richtigen Entscheidungen treffen und mein Bestes geben. Ich denke, ich bin mir der Risiken ziemlich bewusst, die ich eingehe.

Alex Honnold: Intentional about the risks

War es für dich so etwas wie das große Projekt deines Lebens?

Für mich hatte es wirklich viel von einem Lebenstraum, definitiv war es die größte Inspiration meines ganzen Lebens.

Kletterer am El Capitan

Musstest du, nachdem du dir diesen lange gehegten Traum erfüllt hattest, ein mentales Tal durchqueren?

Ich weiß nicht so recht. Sollte es wirklich so sein, bin ich genau jetzt in diesem Tal. Es ist schließlich erst ein paar Monate her, und ich verarbeitete es noch. Gleichzeitig suche ich aber schon nach meiner nächsten Inspiration, nach meinem nächsten Projekt. Im kommenden Jahr wird ein Film über das Ganze herauskommen. Derzeit tue ich nichts anderes, als über den El Cap zu reden. Es fühlt sich noch nicht wie Vergangenheit an.

Vor diesem Free Solo hast du bereits viele andere Aufsehen erregende Klettertouren gemacht. Ich denke zum Beispiel an die Fitz-Traverse mit Tommy Caldwell. Für dieses Projekt in Patagonien im Februar 2014 wurdet ihr später mit dem Piolet d’Or ausgezeichnet, dem „Oscar der Bergsteiger“. Wie stufst du das Free Solo am El Capitan ein, wenn du es mit der Fitz-Traverse vergleichst?

Die Fitz-Traverse war ein tolles Klettererlebnis, weil ich es mit Tommy geteilt habe. Er ist ein sehr guter Freund und Kletterpartner. Aber die Fitz-Traverse war niemals ein Lebenstraum wie die „Freerider“, an die ich jahrelang gedacht habe. Die „Freerider“ war mein ganz persönlicher Traum, die Fitz-Traverse eher Tommys Idee. Ich war ja vorher auch noch nie in Patagonien gewesen, deshalb hatte ich dort keine Pläne. Tommy sagte, wir sollten das machen. Wir haben es dann getan, und es war ein tolles Erlebnis. Aber ich habe es nicht mit vorbereitet.

Wie genau hast du dich denn auf dein Free Solo am El Capitan vorbereitet?

Viele Jahre im Vorfeld eher mental. Ich habe es mir vorgestellt, davon geträumt, darüber nachgedacht, ob es möglich ist. Im letzten Jahr davor habe ich mich dann körperlich vorbereitet. Ich habe mir die Moves eingeprägt, habe sie ausprobiert und dann mit dem eigentlichen Training begonnen, um fit genug zu werden.

Du hattest also jeden Kletterzug im Kopf, bevor du in die Wand eingestiegen bist?

Ich hatte definitiv die Stellen im Kopf, auf die es ankommt. Nicht die leichten, aber die harten hatte ich mir vollkommen eingeprägt.

Worin lag für dich die Hauptschwierigkeit im mentalen Bereich?

Der wahrscheinlich größte Schritt war, überhaupt daran zu glauben, dass es möglich ist. Jahrelang dachte ich, wie toll es wäre, es zu machen, aber so richtig glaubte ich nicht daran, dass ich es auch könnte. Deshalb war der größte mentale Schritt, wirklich daran zu glauben und dann mit der eigentlichen Arbeit zu beginnen.

Alex Honnold: The biggest step

Und als du losgelegt hast, konntest du alles hinter dir lassen?

Ich wäre nicht losgeklettert, wenn ich nicht bereit gewesen wäre. In dem Augenblick, als ich in die Wand einstieg, war alles in Ordnung.

„Verglichen mit dem El Cap sehen die Dolomiten wie Müll aus“, sagt Alex

Warum hast du dich für die „Freerider“ und nicht irgendeine andere Route entschieden?

Es ist die leichteste Route am El Cap. (lacht) Na ja, ganz so leicht ist sie dann doch nicht, aber die anderen wären noch härter gewesen.

Thomas Huber sagte mir, er hoffe, dass du rechtzeitig mit dem Free-Solo-Klettern aufhörst, weil du sonst wahrscheinlich stirbst, wenn du deine Grenzen immer weiter hinausschiebst.

Thomas Huber: Wie Everest ohne Sauerstoff oder Mondlandung

Ich stimme in dem Punkt zu, dass es immer gefährlicher wird, wenn du die Latte kontinuierlich höher legst. Aber Alex (Huber) zum Beispiel hat sich auf verschiedene Weise auch immer weiter gesteigert und ist dabei trotzdem sicher geblieben. Ich denke, es ist möglich, die Herausforderung zu erhöhen, ohne zu weit zu gehen.

Honnold: Not going too far

Es war also nicht dein letztes Free Solo?

Nein, ich habe vor ein paar Tagen ein paar in den Dolomiten gemacht (lacht), aber die waren sehr leicht. Für mich war das Free Solo am El Cap das Härteste, was ich jemals gemacht habe, und ich kann mir im Augenblick noch nichts vorstellen, was inspirierender wäre. Aber in der Vergangenheit, etwa in den letzten zehn Jahren, hat es immer zwischen sechs Monaten und einem Jahr gedauert, bis ich nach Projekten, die hart waren und auf die ich stolz war, wieder etwas Neues gefunden habe, was mich gepackt hat. Wir werden sehen.

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Der ewige Lausbub https://blogs.dw.com/abenteuersport/peter-habeler-der-ewige-lausbub/ Fri, 13 Oct 2017 17:30:49 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=38135

Peter Habeler

Auch mit 75 wirkt er noch wie ein Lausbub. Gut gelaunt, immer einen Witz auf den Lippen, die Lachfalten im Gesicht – und dazu fit wie ein Turnschuh. „Das Klettern ist mein Jungbrunnen“, sagt Peter Habeler. Nach wie vor klettert der Tiroler aus dem Zillertal durch steile Felswände. Kurz vor seinem runden Geburtstag sogar durch die Eiger-Nordwand, gemeinsam mit David Lama, im Winter. „Das war für mich etwas ganz Besonderes,“ erzählt mir Peter, als wir unterhalb der Geislerspitzen im Südtiroler Villnösstal entlangwandern. „Ich habe David ja quasi entdeckt, als er als kleiner Junge seine ersten Kletterversuche in meiner Alpinschule im Zillertal machte. Da habe ich schon gesehen, das wird ein Großer.“ Heute gehört Lama zu den besten Bergsteigern der Welt. „Als ich in der Eiger-Nordwand hinter ihm hergeklettert bin und beobachtet habe, wie locker und flüssig er selbst die schwierigsten Passagen gemeistert hat, fühlte ich mich an die Zeit zurückerinnert, als ich selbst noch jung war“, sagt Peter.

„Ich wollte am Everest nicht sterben“

Villnößtal mit den Geislerspitzen

Die Wanderung mit Habeler gehört zum Programm des International Mountain Summit in Brixen. Dass wir ausgerechnet im Villnößtal unterwegs sind, passt irgendwie: Hier wuchs schließlich Reinhold Messner auf, an den Geislerspitzen sammelte der Südtiroler seine ersten Erfahrungen als Kletterer. Mit Messner feierte Habeler seine bekanntesten Erfolge: 1975 gelang den beiden am Gasherbrum I in Pakistan die erste Besteigung eines Achttausenders im Alpinstil – also ohne Flaschensauerstoff, ohne feste Hochlager, Fixseile und Sherpa-Unterstützung. 1978 folgte dann ihr größter gemeinsamer Coup, die erste Besteigung des Mount Everest ohne Atemmaske. 2018 jährt sich diese Pionierleistung zum 40. Mal. Er habe damals zeitweise durchaus Zweifel gehabt, verrät Habeler, vor allem als Messner und zwei Sherpas einen Sturm am Südsattel mit Mühe und Not überlebt hatten: „Ich wollte am Everest wirklich nicht sterben. Ich wollte gesund bleiben und heimkommen.“ Schließlich war sein erster Sohn Christian gerade geboren worden.

Unruhe vor dem Abstieg

Habeler (r.) und Messner (1975)

Als er schließlich am 8. Mai 1978 gemeinsam mit Messner den Gipfel auf 8850 Metern erreicht habe, sei das „ein sehr emotionaler Moment“ gewesen, erinnert sich Habeler, „auch wenn ich nicht mehr auf das i-Tüpfelchen genau weiß, was ich damals gefühlt habe. Ich weiß nur noch, dass ich Angst hatte. Ich bin sehr unruhig geworden, weil ich runterwollte. Ich habe mir gedacht: Hoppla, wie komme ich denn jetzt über den Hillary Step wieder runter, ohne Sicherung? Der Schnee war dort in einem schlechten Zustand, das hatten wir beim Aufstieg gemerkt. Ich dachte, jetzt bricht da ein Tritt raus, und dann fliegst du oabi. Aber irgendwie ist es gegangen.“

Höhepunkt Kangchenzdönga

„Da haben wir Glück gehabt“

Nach der Heimkehr sei er von dem gewaltigen Medienecho überrascht worden, erzählt Habeler: „Das war ein regelrechter Hype.“ Für ihn selbst sei der Everest ohne Atemmaske jedoch nicht das Glanzlicht seiner Achttausender-Karriere gewesen, sagt Peter, „weil ich dort zeitweise wirklich Bedenken hatte. Mein Höhepunkt war eindeutig 1988 die Besteigung des Kangchendzönga im Alpinstil mit Carlos Buhler und Martin Zabaleta. Damals war ich in Topform. Zum Gipfel bin ich alleine vorgestiegen, weil ich schneller als die beiden anderen war und das Wetter immer schlechter wurde.“ Der Abstieg sei dramatisch verlaufen. „Da haben wir richtig Glück gehabt, dass wir überlebten.“ Der dritthöchste Berg der Erde (8586 Meter) war Habelers fünfter und letzter Achttausender-Erfolg.

Wie ein Klettersteig

„Des wird a Gaudi“

Was sich aktuell an den höchsten Bergen der Welt abspielt, quittiert der 75-Jährige mit einem Kopfschütteln. „Zu viele Menschen verträgt kein Berg. Wenn ich tausend Leute im Basislager habe, von denen 540 bei einem Schönwetterfenster einsteigen wollen, ist mir das nicht geheuer. Das wäre nicht meine Art, Berge zu besteigen. Heute ist der Everest ein gefesselter Berg. Selbst beim K 2 ist das inzwischen so. Das mutet ja fast wie ein Klettersteig an.“ Im nächsten Frühjahr wird Habeler zum Jubiläum mit den noch lebenden Gefährten von 1978 zum Mount Everest zurückzukehren. „Da wird ein ziemlicher Trubel herrschen. Aber wir werden trotzdem unseren Spaß haben. Das wird auf jeden Fall eine Gaudi“, freut sich der ewige Lausbub und grinst über das ganze Gesicht.

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Zwei Tage in Brixen https://blogs.dw.com/abenteuersport/zwei-tage-in-brixen/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/zwei-tage-in-brixen/#comments Tue, 22 Oct 2013 19:36:32 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=23927 Zurück im Rheinland. Schade. Schön war es beim International Mountain Summit in Brixen – und in den Bergen dort. Hier ein paar Impressionen von oben:

[See image gallery at blogs.dw.com] ]]>
https://blogs.dw.com/abenteuersport/zwei-tage-in-brixen/feed/ 3
Mit und ohne Seil verbunden https://blogs.dw.com/abenteuersport/mit-und-ohne-seil-verbunden/ Tue, 23 Oct 2012 06:20:49 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=17559

Stoanamandl

Wieder draußen, wieder ein traumhaft schöner Tag in Südtirol. Diesmal führt der IMS-Walk über die Höhen des Valser Tals zum „Stoanamandel“ auf 2118 Metern, einem Platz mit Gipfelkreuz, Steintürmchen und Dolomitenpanorama. Die Gruppe ist deutlich kleiner als gestern, diesmal hat ein Bus ausgereicht, um alle zum Ausgangspunkt der Wanderung zu chauffieren. Mit von der Partie sind drei Zweier-Seilschaften der besonderen Art.

 

Blindes Verständnis

Josune Bereziartu und Ricar Otegui

Die Baskin Josune Bereziartu war 2011 die erste Frau, die weltweit eine Route im Schwierigkeitsgrad 9 a kletterte. Ich spüre geradezu die Fragezeichen in euren Gesichtern und versuche deshalb, Josunes Leistung einzuordnen: Wäre sie eine Sprinterin in der Leichtathletik, hätte sie damit wohl das 100-Meter-Finale der Männer erreicht und gute Chancen auf eine Medaille.

Seit vielen Jahren bildet Josune eine Seilschaft mit ihrem Ehemann Ricar Otegui. „Blindes Verständnis, hohes Vertrauen“ zeichneten ihre gemeinsamen Touren aus, sagt die 40-Jährige. „Auf der anderen Seite weißt du, dass du den Menschen, der dir am meisten bedeutet, beim Klettern auch verlieren könntest.“ Das empfindet auch Ricar so, legt aber Wert darauf, abseits der Felswände mit Josune „ein ganz normales Eheleben“ zu führen.

Tiefe Momente des Glücks

Tanja Schmitt und Matthias Scherer

Auf extreme Weise gemeinsam unterwegs sind auch Tanja Schmitt und Matthias Scherer. Die beiden Deutschen gehören zur Weltelite der Eiskletterer. „Bewegung und Herausforderung sind zentrale Themen in unserem Leben“, sagt Tanja über die gemeinsamen Touren in senkrechten oder überhängenden gefrorenen Wasserfällen. Die Gefahr klettert mit. Im November 2011 überlebte die 35-Jährige mit viel Glück einen schweren Sturz aus 30 Meter Höhe. Auch bei Matthias saß der Schrecken tief. „Diese Angst um den Partner ist immer da“, räumt der 38-Jährige ein. ,,Aber es macht das Leben so wertvoll, dann auch wieder diese tiefen Momente des Glücks gemeinsam genießen zu können.“

Gemeinsam mit dem Vater

Marco (l.) und Hervé Barmasse

Hervé Barmasse ist nicht verheiratet. Noch nicht. „Vielleicht im nächsten Jahr“, sagt der Italiener aus dem Aostatal und schmunzelt. 2011 bewies der 34-Jährige mit einer beeindruckenden Trilogie, dass es selbst an den klassischen Bergen der Alpen noch möglich ist, Neuland zu betreten. Zunächst eröffnete Hervé im Alleingang eine neue schwere Route durch die Südwand des Matterhorns. Anschließend glückte ihm mit zwei baskischen Freunden am Mont Blanc eine Erstbegehung des Broillard-Pfeilers. Und schließlich durchkletterte Hervé noch mit seinem 63 Jahre alten Vater Marco Barmasse eine neue Route am Monte Rosa. „Das war eine besonders emotionale Tour“, schwärmt Hervé. „Mein Vater war immer ein Vorbild für mich.“

P.S. Ich sage nun „Adieu International Mountain Summit, adieu Brixen!“. Ausführliche Berichte über Hervé und die beiden kletternden Ehepaare findet ihr bald hier im Blog.

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Ein Tag in den Bergen mit Gerlinde und Ralf https://blogs.dw.com/abenteuersport/ein-tag-in-den-bergen-mit-gerlinde-und-ralf/ Sun, 21 Oct 2012 17:43:51 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=17523 Wiedersehen mit Gerlinde und Ralf

Wiedersehen mit Gerlinde und Ralf

An diesem Tag muss man einfach auf die Berge steigen. Strahlender Sonnenschein, 20 Grad warm und gute Fernsicht. Da mag sich der eine oder andere gedacht habe, ich schnüre meine Wanderstiefel und steige einsam zur 2581 Meter hohen Kassianspitze auf. Doch er hatte die Rechnung ohne die drei Kleinbusse gemacht, die auf einen Schlag hundert Wanderer ausspuckten, die sich im Pulk auf den Weg zum Gipfel machten. Der „International Mountain Summit“ hatte zum „IMS Walk“ mit Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits eingeladen. Es ist eine gute und wohl einzigartige Tradition, dass die Organisatoren der Veranstaltung die Spitzenbergsteiger, die beim IMS ihre Vorträge halten, dazu „verdonnern“, mit Bergfreunden wandern zu gehen. Stars zum Anfassen.

Gerlinde und Ralf passen gut in diese Rubrik. Denn obwohl Gerlinde als erste Frau alle 14 Achttausender ohne Flaschensauerstoff bestiegen hat und Ralf der erste Deutsche war, der auf den 14 höchsten Bergen der Welt stand (nur am Mount Everest 1992 griff er zur Atemmaske), sind beide geerdet geblieben. Starallüren sind ihnen fremd. Geduldig beantworten sie alle Fragen, lassen sich mit den Wanderern fotografieren oder geben Autogramme.

Gerlinde will kein Popstar sein

Latzfonser Kreuz

„Halb so wild“, sagt Gerlinde. „Beim IMS treffen sich Bergfreunde aus aller Welt, wirklich ausnahmslos Interessierte, das gefällt mir.“ Ich frage sie, ob sie sich dabei nicht wie ein Popstar vorkomme. „Nein, wie ein Popstar fühle ich mich überhaupt nicht. So möchte ich auch gar nicht sein.“ An der frischen Luft, in den Bergen ist Gerlinde auch viel lockerer als noch beim Vortrag am gestrigen Abend. Dort hatte man ihr die Konzentration und Anspannung förmlich angesehen. Ralf und Gerlinde hatten die Zuhörer im ausverkauften Forum in Brixen mit ihren spannenden und authentischen Schilderungen über ihre Abenteuer an den 14 Achttausendern begeistert.

Abschreckung am Everest

Im Frühjahr waren Ralf und Gerlinde wieder am Mount Everest. Gerlinde bestieg mit David Göttler in der unmittelbaren Nachbarschaft des höchsten aller Berge den Fast-Achttausender Nuptse – als einzige Seilschaft, während am Everest der Bär tobte. „Noch krasser kann es kaum werden, ein schrecklicher Anblick“, beschreibt Gerlinde die lange Reihe der Gipfelanwärter. „Das hat für mich mit Bergsteigen nichts mehr zu tun.“ Ralf passierte in Gegenrichtung die Aufsteigenden. Er hatte seinen Versuch ohne Flaschensauerstoff auf dem Südsattel in etwa 8000 Meter Höhe abgebrochen, weil er sich nicht wohl fühlte. Die Massen hätten ihn abgeschreckt und auch zu der spontanen Äußerung bewegt, das Kapitel Everest sei für ihn endgültig abgeschlossen, erzählt Ralf. Jetzt, fünf Monate später, hört sich das schon etwas anders an: „Es kann schon sein, dass doch noch einmal eine andere Entscheidung daherkommt.“

Die Seniorenabteilung

Abstieg

Es war schön, wieder einmal ein paar Stunden mit Gerlinde und Ralf gemeinsam unterwegs gewesen zu sein. Trotz der vielen Teilnehmer hatte ich Gelegenheit, eine Weile mit beiden über gestern, heute und morgen zu plaudern. Als Ralf und ich deswegen etwas verspätet den Gipfel der Kassianspitze erreichten, meinte er zu den anderen mit einem Augenzwinkern: „Hier kommt die Seniorenabteilung.“ Ich fühlte mich fast geehrt.  😉

P.S. Über die Gespräche mit Gerlinde und Ralf (vor allem über die chaotischen Zustände am Mount Everest) werde ich euch nach meiner Rückkehr aus Brixen noch ausführlicher berichten.

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Der erste Gipfel https://blogs.dw.com/abenteuersport/der-erste-gipfel/ Sun, 21 Oct 2012 05:46:25 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=17501

Beeindruckende Fernsicht

Ich habe meinen ersten Gipfel schon hinter mir – und das am ersten Tag des International Mountain Summit (IMS) in Brixen in Südtirol. Dort trifft sich zum vierten Mal die Bergsportszene aus aller Welt. Eine Woche lang geben sich Topbergsteiger die Klinke in die Hand. Ganz so lange kann ich leider nicht bleiben. Reinhold Messner werde ich deshalb in Brixen nicht mehr treffen. Er kommt erst am nächsten Wochenende. Aber allzu viel Neues wird Messner wohl ohnehin nicht zu erzählen haben.

Umkleide in der Hoteltoilette

Ich startete in Köln früh um 5.55 Uhr – bei der Schnapszahl konnte ja nichts schiefgehen. Mit Zug, Flugzeug und Mietwagen erreichte ich unfallfrei und ohne Verspätung um 12 Uhr mittags Brixen. „Tut mir leid, ihr Zimmer ist noch nicht bezugsfertig“, informierte mich die nette Dame an der Rezeption meines Hotels. „Sie tun mir damit einen Gefallen“, beruhigte ich sie. „Bei dem Traumwetter zieht es mich ohnehin nach draußen.“ In der Hoteltoilette im Keller zog ich mich um, machte mich bergtauglich: Tourenhose, Wanderschuhe und Tirolerhut. „Na, das sieht doch schon nach einer zünftigen Wanderung aus“, bescheinigte mir die Rezeptionistin.

360-Grad-Panorama

Auf der Pfannspitz

Sie gab mir noch ein paar Tourentipps, und schon war ich draußen. Wegen Zeitmangels nicht ganz fair zum Berg fuhr ich mit dem Auto nach Palmschoß auf knapp 1700 Metern. Von dort wanderte ich los. Das herrliche Wetter ließ mich vergessen, wie kurz die vergangene Nacht war und dass ich eigentlich noch eine Erkältung in den Knochen habe. Ich stieg einfach weiter. Die von zahlreichen Ausflüglern bevölkerte Rossalm auf 2180 Meter Höhe ließ ich links liegen. Immer höher. Und nach gut zwei Stunden stand ich am Gipfelkreuz der Pfannspitz (ohne e), 2545 Meter hoch. Ganz allein, mit einem tollen 360-Grad-Panorama, inklusive Großglockner. Ich konnte mich kaum satt sehen.

Wandern mit Gerlinde und Ralf

Dolomiten

Dieser Gipfel war ein toller Einstieg für das „Internationale Berg-Gipfeltreffen“. Dort besuchte ich am Abend einen beeindruckenden Vortrag von Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits. Morgen früh gehe ich mit beiden wandern. Leider im Pulk mit mehreren Dutzend, aber wir werden sicher trotzdem Gelegenheit haben, in Ruhe miteinander zu reden. Vielleicht habe ich ja durch meine Spontantour von heute einen kleinen konditionellen Vorsprung gegenüber den anderen.

P.S. Die WiFi-Verbindung des Hotels wird am Abend abgeschaltet, daher erscheint der Bericht erst jetzt.

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Weltmeister Momo https://blogs.dw.com/abenteuersport/weltmeister-momo/ Sat, 06 Nov 2010 06:26:05 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport2/2010/11/06/weltmeister-momo/ Mit 15 Jahren Weltmeister, wer kann das von sich behaupten? Maurice Wiese aus Frankfurt am Main darf sich seit gestern abend „erster Slackline-Weltmeister der Geschichte“ nennen. Wie viel der Titel aus sportlicher Sicht wert ist, mag dahingestellt bleiben. Doch „Momo“, wie Maurice von allen anderen Slacklinern gerufen wird, vergoss Freudentränen.


Die besten Slackliner: Andy Lewis, Maurice Wiese, Bernd Hassmann (v.l.)

Bei zwei Vorausscheidungen in München und Friedrichshafen waren aus 16 Bewerbern die besten acht ausgesiebt worden. Und die maßen sich nun beim Slackline-Worldcup im Rahmen des International Mountain Summit in Brixen.

Bass im Bauch

Gut, dass ich vorher nicht viel gegessen hatte. Denn die bassgeladene Techno-Musik, die während des gesamten Wettkampfs aus den Boxen dröhnte, brachte meine Eingeweide ziemlich durcheinander. Die überwiegend jungen Zuschauer schien der laute Musikteppich, der über der gut gefüllten Brixener Handballhalle lag, dagegen nicht zu stören. Ganz im Gegenteil. Sie nickten im Takt.


Fast aus dem Bild sprang hier Halbfinalist Luis Meier

Buddha auf der Leine

Die acht Finalisten – vier Deutsche, ein US-Amerikaner, ein Japaner, ein Pole und ein Niederländer – traten paarweise gegeneinander an. Eine Jury entschied, wer von beiden Kontrahenten ausschied und wer die nächste Runde erreichte. Je näher es auf das Finale anging, desto mehr stieg die Stimmung, nicht zuletzt dank der immer spektakuläreren akrobatischen Kunststücke der Slackliner.


Mit der Nummer könnte Andy Lewis auch im Zirkus auftreten

Die Fachausdrücke für die diversen Übungen habe ich mir nicht merken können. Bis auf den „Buddha“, bei dem man mit gekreuzten Beinen auf der stramm gespannten Leine hockt und die Hände wie zum Gebet vor dem Bauch oder – noch spektakulärer – hinter dem Rücken faltet. Doch richtig laut wurde es erst, als die beiden Finalisten, „Momo“ und Andy Lewis aus den USA, jeweils nach einem Salto rückwärts auf der Leine landeten und sich auf ihr auch hielten.

Baff

Gut gefiel mir, wie freundschaftlich die acht Slackliner miteinander umgingen. Das wirkte eher wie eine Party als ein Wettkampf. Jeder klatschte jeden ab. Selbst beim direkten Duell feuerte der Wartende seinen Konkurrenten auf der Leine an. Und hinterher umarmten sich beide.


Weltmeister “Momo“ in Aktion

„Wir sind wie eine Familie“, sagte mir anschließend „Momo“ (das kurze Gespräch könnt ihr unten nachhören). Der 15-Jährige konnte noch gar nicht fassen, dass er sich jetzt Weltmeister nennen darf: „Ich bin baff.“

Kurzinterview mit Slackline-Weltmeister Maurice Wiese

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