Dempster – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Thomas Huber: „Die Krux ist nicht die Wand, sondern der Mensch“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/thomas-huber-latok-i/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/thomas-huber-latok-i/#comments Wed, 26 Oct 2016 11:12:33 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=34099 Latok I (2. Berg v. l.)

Latok I (2. Berg v. l.)

Ein Fußballer würde sagen, der Ball hatte ein Ei. „Die Expedition ist definitiv unrund gelaufen“, erzählt mir Thomas Huber über seine Reise zum Latok I in Pakistan. Wie berichtet, hatte sich der ältere der beiden Huberbuam zusammen mit Toni Gutsch und Sebastian Brutscher an der Nordseite des 7145 Meter hohen Granitriesen im Karakorum versuchen wollen – nur wenige Wochen nach seinem 16-Meter-Sturz aus einer Felswand und darauf folgender Operation am Kopf. Damit begann eigentlich schon die Unwucht der Expedition. „Wir konnten uns gar nicht richtig als Team finden, weil ich so sehr mit meiner Situation nach dem Sturz und der Kopfverletzung beschäftigt war“, räumt Thomas ein. „Dennoch war die Motivation da, das Team passte aus meiner Sicht perfekt zusammen. Diese Euphorie haben wir mitgenommen, nach Skardu, nach Askole, weiter bis ins Basislager am Choktoi-Gletscher. Als wir dort ankamen, waren sich alle einig: Das hier ist der Platz für Bergsteigen in höchster Vollendung. Doch dann ist alles anders gelaufen.“

Nur die Skier gefunden

Die Skier der beiden Vermissten

Die Skier der beiden Vermissten

Erst war Thomas Hubers Hilfe bei einer Rettungsaktion am nahe gelegenen Ogre II (6950 Meter) gefragt.  Dort wurden die beiden US-Kletterer Kyle Dempster und Scott Adamson vermisst, die Tage zuvor in die Nordwand des Fast-Siebentausenders eingestiegen waren. „Ich hatte sie im Vorjahr kennengelernt“, sagt Thomas. „Das waren wirklich lässigen Typen. Sie gehörten zu den besten Alpinisten der USA.“ Huber kennt den Berg gut. 2001 gelang ihm mit den Schweizern Iwan Wolf und Urs Stöcker die zweite Besteigung des Ogre I und die Erstbesteigung des Ogre III.
Zweimal flog Thomas im Rettungshubschrauber mit – in der Tasche seine Notfallmedikamente, weil er nicht wusste, ob er den Flug bis in eine Höhe von 7200 Meter mit seiner Kopfverletzung vertragen würde. Der 49-Jährige hatte keine Probleme, doch von den beiden Vermissten fehlte weiter jede Spur: „Wir haben die geplante Aufstiegsroute durch die Nordwand abgesucht, die Gipfelregion, den Nordwestgrat, über den sie absteigen wollten, sogar die Gletscherspalten am Wandfuß. Wir haben nichts, aber auch gar nichts gefunden.“ Bis auf die Skier der beiden US-Amerikaner am Einstieg der Route.

Die nächste Rettungsaktion

Rettungsaktion für Max Reichel (2.v.l.)

Rettungsaktion für Max Reichel (2.v.l.)

Huber, Gutsch und Brutscher stiegen noch einmal über den Nordwestgrat bis auf 6200 Meter auf, doch auch dort entdeckten sie keine Spur von Dempster und Adamson. Ein Wettersturz zwang das Trio zum Rückzug. Die Suche wurde abgebrochen. Immerhin waren die drei Deutschen jetzt gut akklimatisiert für ihr eigenes Projekt am Latok I. „Aber diese Rettungsaktion hat mich so sehr beschäftigt, dass ich in dieser ersten Phase der Expedition gar nicht an das normale Bergsteigen denken konnte.“ Auch in der zweiten sollte sich das nicht ändern. Max Reichel, als Kameramann im Team, wurde höhenkrank. Ursache: eine verschleppte Herzmuskel-Erkrankung. Die Ärzte in Deutschland entschieden, dass er so schnell wie möglich zurück in die Zivilisation gebracht werden müsse. Thomas begleitete seinen Freund bis zu einem Punkt 40 Kilometer talwärts, 1000 Meter tiefer. Dort habe Max ihn aufgefordert, ins Basislager zurückzukehren, weil er noch etwas vorhabe, erzählt Thomas: „Das hat mich total befreit. Ich wollte jetzt endlich nur noch ans Bergsteigen und nicht anderes mehr denken.“

Kalte Dusche

Voller Euphorie kehrte er ins Basislager zurück. Dort erwartete ihn jedoch eine neuerliche kalte Dusche – die letzte. Hubers Teamgefährten Gutsch und Brutscher eröffneten ihm, dass sie nicht bereit seien, in die Nordwand einzusteigen. „Sie haben gesagt, sie hätten ein schlechtes Gefühl. Sie sähen nicht die Möglichkeit, bei diesen Verhältnissen die Wand zu durchsteigen. Sie wollten es nicht einmal versuchen.“ Thomas Huber fiel in ein tiefes emotionales Loch: „Traurigkeit, totale Enttäuschung, auch Wut. Ich konnte es einfach nicht glauben, dass sie von jetzt auf gleich sagten, sie wollten heim. Ich habe es nicht verstehen können.“ Aus seiner Sicht seien die Verhältnisse „vertretbar“ gewesen: „Sie waren natürlich nicht optimal. Die Gegend war verschneit, es war relativ kalt. Wirkliche Lawinen gab es in der Wand aber nicht, nur Spindrift. Außerdem glaubte ich, dass sich die Lage durch mehrere Tage schönes Wetter zum Positiven verändern würde. Die Meteorologen sagten gutes Wetter voraus.“  Er habe dennoch keinen Sinn darin gesehen, die beiden zu überreden, sagt Thomas: „Ich kann doch nicht mit solchen Partnern in die Wand einsteigen, die gedanklich schon lange zu Hause sind.“

Wenn der Berg immer größer wird

Thomas Huber

Thomas Huber

Für den 49-Jährigen war es ein Deja-vu. Auch 2015 hatten ihn seine damaligen Teamgefährten – sein Bruder Alexander, der Schweizer Daniel Arnold und der Österreicher Mario Walder – überstimmt, die Latok I-Expedition abzubrechen. „Ich kann es niemandem verdenken, wenn er sagt: Thomas, vielleicht stimmt ja bei dir irgendetwas nicht“, sagt Huber. „Es steht 5:1 gegen mich. Und hinter diesen fünf stehen ja wirklich fünf Topbergsteiger. Ich verstehe es irgendwie nicht.“ Vielleicht sei es ja eine Frage der Mentalität: „Ich bin halt jemand, der weniger redet, sondern lieber zum Berg geht und dort erfährt, was der Berg zu bieten hat und wie man mit ihm umgehen muss. Oft wird im Basislager wahnsinnig viel diskutiert. Und ich merke dann, dass während der Diskussion der Berg mental immer größer und schlussendlich unmöglich wird.“ Der Schwung bleibe dann auf der Strecke. „Die große Krux beim Latok ist nicht die Wand, sondern der Mensch. Das Geheimnis dieser Wände ist, was sie aus den Menschen mit der Zeit machen. Sie haben eine dermaßen große Kraft und Ausstrahlung. Auf der einen Seite sind sie magnetisch, auf der anderen furchteinflößend. Um dort nicht in die Knie zu gehen, benötigt man viel Kraft.“

Der Knackpunkt

Thomas Huber hat die Latok 1-Nordwand trotz aller Frustration noch nicht aus seinem Kopf verbannt, will sich jedoch nicht auf einen Zeitpunkt für einen nächsten Versuch festlegen lassen. „Ich habe keine Angst vor dieser Wand und diesem Berg. Ich weiß, ich werde zurückkehren“, sagt Thomas. „Ich habe nur Angst davor, dass ich wieder mit einem Team vor dem Berg stehe, das sagt: Nein, wir wollen nicht gehen.“ Im Nachhinein sei es ein Fehler gewesen loszuziehen, ohne vorher wirklich viel gemeinsam geklettert zu sein, glaubt Thomas: „Diese Berge gehören zu den schwierigsten der Welt. Wenn du sie angehst, musst du schon vorher ein Team sein. Du musst wissen, wie der andere funktioniert, auch seine Abgründe kennen. Erst dann kannst du an die Grenze gehen.“ Warum dann nicht mit seinem Bruder Alexander, mit dem er schon so viel geklettert ist und so vieles in den Bergen durchlebt hat? „Mein Bruder möchte nicht in die Nordwand, das ist vielleicht der große Knackpunkt“, sagt Thomas.

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Trauer um US-Kletterer Dempster und Adamson https://blogs.dw.com/abenteuersport/trauer-um-us-kletterer-dempster-und-adamson/ Mon, 12 Sep 2016 22:34:46 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=33559 Kyle Dempster (l.) und Scott Adamson

Kyle Dempster (l.) und Scott Adamson

Thomas Hubers neues Karakorum-Abenteuer begann mit einer Rettungsaktion. Die genauen Ortskenntnisse des deutschen Topkletterers am Ogre (auch Baintha Brakk genannt) waren gefragt. Vor gut einer Woche (ich berichte erst jetzt darüber, weil ich mich zu dieser Zeit im Urlaub in den Alpen befand) bestieg der 49-Jährige einen pakistanischen Rettungshubschrauber, um gemeinsam mit der Besatzung nach den vermissten Kyle Dempster und Scott Adamson zu suchen. Vergeblich. Keine Spur von den Amerikanern. Die Suche wurde abgebrochen, weil keine Hoffnung mehr bestand, sie noch lebend zu finden.

Geldsammlung im Internet

Der pakistanische Expeditionskoch der US-Kletterer hatte die beiden vom Basislager aus zum letzten Mal am 22. August gesichtet: etwa in halber Höhe der bisher noch nie durchstiegenen Nordwand des 6960 Meter hohen Ogre II. Danach schlug das Wetter um, Sturm und heftiger Schneefall setzten ein. Als es auch nach Tagen kein Lebenszeichen von Dempster und Adamson gab, starteten Familie und Freunde eine Geldsammlung im Internet, um eine Hubschrauber-Rettungsaktion zu finanzieren. Innerhalb weniger Tage brachten sie die benötigte Summe von knapp 200.000 US-Dollar zusammen.

Zweifacher Piolet d’Or-Gewinner

Latok-Gruppe und Ogre (r.)

Latok-Gruppe und Ogre (r.)

Kyle und Scott hatten sich bereits 2015 an der Nordwand versucht, Adamson hatte sich dabei knapp unterhalb des Gipfelgrats das Bein gebrochen. Mit viel Glück hatten beide den Abstieg überlebt. Dempster und Adamson waren bekannte Größen in der internationalen Kletterszene. Dem 34-jährigen Adamson waren einige Erstbegehungen in Nepal und Alaska gelungen. Der 33 Jahre alte Dempster liebte den Karakorum, eine „ziemlich umwerfende Gegend“, wie er einmal sagte. Kyle hatte zweimal den Piolet d’Or gewonnen, den „Oscar der Bergsteiger“: 2010 (mit Bruce Normand und Jed Brown) für die Erstbegehung des Nordwand des 6422 Meter hohen Xuelian West in China – und dann 2013 (mit Hayden Kennedy und Josh Wharton) für eine neue Route auf der Südostseite des Ogre I. Dem Trio war ein Jahr zuvor die erst dritte Besteigung des 7285 Meter hohen Granitriesen im Karakorum gelungen. Die legendäre Erstbesteigung des Ogre I hatten die Briten Doug Scott und Chris Bonington 1977 geschafft. Danach hatte es 24 Jahre gedauert, ehe Thomas Huber 2001 mit den Schweizern Iwan Wolf und Stöcker als zweite Seilschaft den Gipfel erreichten. Knapp drei Wochen zuvor war dem Trio bereits die Erstbesteigung des 6800 Meter hohen Ogre III gelungen.

Ziel: Nordseite des Latok I

Thomas Huber am Latok

Thomas Huber am Latok

Thomas Huber kennt sich also bestens an dem Bergmassiv aus. Doch auch mit seiner Unterstützung blieb die Suche nach Dempster und Adamson erfolglos. Thomas versucht sich in diesem Herbst mit seinen deutschen Kletterpartnern Toni Gutsch und Sebastian Brutscher an der nicht allzu weit vom Ogre entfernten Nordseite des 7145 Meter hohen Latok I. Weder die Nordwand noch die Route über den Nordgrat wurden bisher bis zum höchsten Punkt durchstiegen. „Ich habe auch den Mut, in jedem Moment Nein zu sagen“, hatte mir der ältere der beiden Huber-Brüder vor der Abreise gesagt. „Wenn ich merke, es passt körperlich nicht, sage ich Nein.“ Thomas hatte am 5. Juli einen 16-Meter-Sturz aus einer Felswand im Berchtesgadener Land überlebt – „mit unglaublichem Glück“, wie er selbst einräumte. Ein solches Glück hatte die beiden US-Kletterer am Ogre leider nicht.

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Neue Routen https://blogs.dw.com/abenteuersport/neue-routen/ Tue, 07 Dec 2010 15:28:05 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport2/2010/12/07/neue-routen/
Roraima Tepuis, ein Tafelberg im Grenzgebiet Venezuelas

Ob Kurt Albert von oben mitgeholfen hat? Stefan Glowacz und Holger Heuber durchstiegen am 2810 Meter hohen Roraima Tepuis nach eigenen Angaben erstmals die steile Wand „La Proa“ („Der Bug“). Ihre Route, die nach Angaben der Kletterer Schwierigkeiten bis zum zehnten Schwierigkeitsgrad enthielt, tauften sie auf den Namen „Behind the rainbow“ (Hinter dem Regenbogen).

Ihren ersten Versuch an dem Tafelberg im Dreiländereck zwischen Venezuela, Brasilien und Britisch-Guyana hatten Glowacz und Heuber im Frühjahr wegen Dauerregens abbrechen müssen. Damals hatte der legendäre Kurt Albert noch zum Team gehört. Ende September war der 56-Jährige nach einem Sturz von einem Klettersteig im Frankenjura ums Leben gekommen. „Es wird schmerzhaft und bitter“, meinte Stefan Glowacz (links im Bild im Vorstieg) vor Beginn der neuerlichen Expedition zum Roraima Tepuis. Heuber und er hätten sich „bewusst entschieden, die Besteigung im Sinne von Kurt an diesem besonderen Ort zu vollenden“. Das Projekt liegt nun hinter den beiden. „Behind the rainbow“ sei für ihn die perfekte Route, sagt Stefan: „Sie wird nach oben hin immer schwerer. Jede Seillänge hat ihren eigenen Charakter, und die Kulisse ist absolut beeindruckend.“ Mit dabei war auch ein Filmteam. Im Herbst 2011 soll der Streifen in die Kinos kommen.

Starkes Team

Der US-Amerikaner Kyle Dempster und der Schotte Bruce Normand machen derweil weiter die un- oder wenig berührten Sechstausender Chinas unsicher. In der Provinz Sichuan eröffneten sie im Alpinstil zwei neue Routen: eine durch die Ostwand und über den Südgrad zum Gipfel des 6618 Meter hohen Mount Edgard, eine durch die Westwand des 6376 Meter hohen Mount Grosvenor. Beide Berge waren zuvor erst einmal bestiegen worden. An der Route am Mount Edgard hatten sich 2009 die US-Bergsteiger Micah Dash, Jonny Copp und Wade Johnson versucht und waren bei einer Lawine ums Leben gekommen.


„Rose des Niemandslands“ heißt die Route am Mount Edgard

Dempster und Normand waren im Frühjahr gemeinsam mit dem US-Kletterer Jed Brown mit dem Piolet d\‘ Or ausgezeichnet worden, dem Goldenen Pickel, der so etwas wie der Oscar der Bergsteiger ist. Das Trio hatte erstmals die Nordwand des 6422 Meter hohen Xuelian West, ebenfalls in China, durchstiegen.

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