Kombination – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Adam Ondra: „Immer härter zu klettern, macht einfach mehr Spaß“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/adam-ondra-immer-haerter-zu-klettern-macht-einfach-mehr-spass/ Sat, 27 Oct 2018 15:38:35 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=42595

Adam Ondra

Auch der Meister des Unmöglichen steht zuweilen vor ganz profanen Problemen. „Steig ein, ich muss noch einen Parkplatz finden“, sagt mir Adam Ondra, als wir uns vor zwei Wochen am vereinbarten Ort im Zentrum der norditalienischen Stadt Trient treffen. Der 25 Jahre alte Tscheche gehört zu den Topstars eines Sportfestivals, zu dem er mit seinem Kleinbus aus seiner Heimatstadt Brünn angereist ist.

Ondra verschiebt seit Jahren die Grenzen im Sportklettern. Schon mit 13 Jahren kletterte er eine Route im Schwierigkeitsgrad 9 a auf der in der Sportkletterszene üblichen französischen Skala – was in der Bewertung des Weltverbands der Bergsteiger und Kletterer (UIAA) einer Route im elften Grad entspricht. Zum Vergleich: Reinhold Messner beherrschte zu seinen besten Zeiten als Felskletterer den siebten Grad. Ende 2016 gelang Ondra am El Capitan im Yosemite-Nationalpark im Alleingang in nur acht Tagen die erste Wiederholung der Route „Dawn Wall“, die als schwierigste Big-Wall-Route der Welt gilt. Im September 2017 meisterte er in einer Höhle nahe Flatander in Norwegen eine extrem überhängende Route – die weltweit erste 9c (glatter zwölfter Grad in der UIAA-Skala). Die Kletterwelt verneigte sich einmal mehr vor Ondra, niemand zweifelte seine Bewertung an.

Nachdem ich Adam zu dem Parkhaus in Trient gelotst habe, in dem auch mein Auto steht, nutzen wir den Weg zurück zum Veranstaltungsort für das verabredete Interview.

Adam, du kletterst, seit du ein kleiner Junge warst. Kannst du dir vorstellen, eines Tages die Nase davon voll zu haben?

Adam in der Route „Silence“

Ich denke, in einem solchen Moment wäre ich einfach nur müde, aber nicht unbedingt vom Klettern. Manchmal ist es einfach notwendig, die Batterien wieder aufzuladen und sich wieder frisch zu fühlen. Aber das hat nichts mit dem Klettern zu tun. Klettern ist so toll. Ich glaube nicht, dass ich es leid werde, denn es gibt so viele verschiedene Disziplinen. Es ist doch etwas ganz anderes, einen zwei Meter hohen Felsbrocken oder eine 1.000 Meter hohe Wand zu klettern. Ich glaube, ich kann meine Motivation immer sehr hoch halten, wenn ich zwischen den Disziplinen wechsele.

Was machst du, um dich zu entspannen?

Jeden Dezember nehme ich mir eine Kletter-Auszeit von zwei oder drei Wochen. Nach einer kompletten Saison Training und Klettern braucht mein Körper das. Und mental hilft es mir wie gesagt, zwischen Kletterhalle und Felsklettern zu wechseln, zwischen Wettkämpfen und Klettern im Freien. All das hilft mir, immer zu 100 Prozent motiviert zu sein.

Muss man vielleicht auch ein wenig verrückt sein, um solche beeindruckenden Routen zu klettern?

Was mich wirklich motiviert, immer härter zu klettern, ist nicht unbedingt, dass ich meine Grenzen verschieben will, mich darüber freuen will oder den anderen zeigen möchte, wer der Beste ist. Es ist vielmehr, dass es irgendwie mehr Spaß macht, immer härtere Routen zu klettern. Je schwieriger sie sind, desto interessanter wird das Klettern und desto mehr verrückte Moves musst du dir ausdenken. Und sobald du weißt, wie es sich anfühlt, auf einem bestimmten Level zu klettern, willst du es nicht mehr darunter tun, weil du weißt, dass du dann nicht mehr das Gleiche fühlen würdest.

Adam Ondra: Immer härter zu klettern, macht einfach mehr Spaß

Du hast in einer Höhle bei Flatander in Norwegen die erste Route der Welt im französischen  Grad  9c (12. Grad der UIAA-Skala) eröffnet. Zuerst hast du sie „Hard Project“ getauft, hartes Projekt. Nachdem du sie gemeistert hattest, nanntest du sie „Silence“, Stille. Warum?

Wenn ich das Ende einer superharten Route erreiche, schreie ich normalerweise meine Freude heraus. Aber in diesem Moment war die Emotion so stark, dass ich nichts sagen konnte. Eine Minute lang schwieg ich.

Aus welchem Grund?

Ich weiß es nicht. Vielleicht konnte ich einfach nicht fassen, dass es jetzt wirklich passiert war. Wenn du vierzehn Wochen lang an einem einzelnen Projekt arbeitest und rund zwei Saisons lang speziell darauf hintrainiert hast, dann geschieht es wohl einfach auf diese Weise.

„Die Route passt zu meinem Stil“

Glaubst du, dass deine Route wiederholt wird? Und wenn ja, wann und wer könnte es schaffen?

Ich weiß es nicht. Ich wünschte, sie könnte wiederholt werden, aber warten wir es ab! Es gibt definitiv Leute, die es draufhaben – wie Alex Megos, der meiner Meinung nach in der Lage ist, eine 9c zu klettern. Gleichzeitig glaube ich aber nicht, dass diese Route zu seinem Stil passt. Er könnte sicher eine 9c mit ‚Pockets‘ (minimalen Vertiefungen für die Finger) oder schmalen ‚Crimps‘ (Felsleisten) klettern. Aber meine Route „Silence“ ist stilistisch sehr speziell. Und ich gebe zu, dass ich sie genau deswegen ausgesucht habe. Weil ich dachte, dass sie richtig gut zu dem passt, was ich am besten kann.

Adam Ondra: Die „Silence“ passt zu dem, was ich am besten kann

Das ist ziemlich genau das, was Alex mir gesagt hat. Worin liegt denn die besondere Herausforderung deiner Route?

Es ist die Route, in die ich so viel Zeit investiert habe wie in keine andere zuvor. Ich bin die meisten 9b+ Routen weltweit geklettert und denke, dass diese Route wirklich zu meinem Stil passt. Deshalb hatte ich den Mut zu sagen: Das ist die erste 9c der Welt. Wäre ich mir nicht ganz sicher gewesen, hatte ich sie eher mit 9b+ bewertet. Aber sollte sie jemals heruntergestuft werden, wäre mir das schon total peinlich. (lacht).

Ondra bei der WM in Innsbruck

Du nimmst auch an Kletterwettbewerben teil. Bei der Weltmeisterschaft in Innsbruck im vergangenen September warst du Zweiter in der Olympischen Kombination. Sind die Olympischen Spiele in Tokio 2020 für dich ein Ziel?

Ja, definitiv. Im nächsten Jahr werde ich sowohl im Boulder-Weltcup starten, als auch im Lead-Weltcup. Das ist meine Vorbereitung für die Saison 2020, in der die Olympischen Spiele mein größtes Ziel sein werden.

Als beschlossen wurde, dass Sportklettern in Tokio zum ersten Mal olympische Disziplin wird, gehörtest du zu den Kritikern des neuen Formats – der Kombination aus Speedklettern, Lead und Bouldern. Hast du deine Meinung geändert?

Im Wettkampf

Dass ich immer noch gegen das Format bin, ändert ja nichts daran. Ich wollte immer schon bei Olympischen Spielen starten. Da spielt es keine Rolle, wie kritisch ich dem Format gegenüberstehe. An meiner kritischen Haltung hat sich nichts geändert. Aber wenn ich teilnehmen will, muss ich das Format akzeptieren. Eine andere Option gibt es nicht – außer auf die Spiele zu verzichten.

Es ist also die bittere Pille, die du schlucken musst.

Ja, genau.

Können die Olympischen Spiele das Klettern in irgendeiner Weise voranbringen?

Adam in der Route „Dawn Wall“ am El Capitan

Ich würde immer noch zwischen der Welt der Wettkämpfe und der des Kletterns im Freien unterscheiden. Ich glaube, dass es die Wettkämpfe selbst definitiv verbessern kann. Sie werden größer werden, das Interesse der Mainstream-Medien wird zunehmen. Es könnte sich sogar zu einer besseren Show entwickeln. Gleichzeitig muss es nicht unbedingt einen negativen Einfluss auf das Felsklettern haben, denn das ist eine Welt für sich. Ich glaube nicht, dass es zwangsläufig so kommen muss, dass unser Sport irgendwann zu groß wird und unsere Klettergebiete überfüllt sein werden. Ich erwarte, dass die Wettbewerbe immer beliebter werden und dass auch viel mehr Leute in die Kletterhalle gehen. Vielleicht wird auch die Anzahl derer steigen, die im Freien klettern, aber nicht in so beträchtlichem Umfang.

Adam Ondra über die möglichen Auswirkungen von Olympia auf den Klettersport

Ende 2016 hast du als Erster die Route „Dawn Wall“ am El Capitan wiederholt, in nur acht Tagen. Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson, hatten für ihre Erstbegehung 19 Tage gebraucht und sich mehr als sieben Jahre darauf vorbereitet.

Ich brauchte insgesamt einen Monat.

Wie war es für dich, eine so schwierige Big-Wall-Route alleine zu klettern?

Für mich war es eine komplett neue Erfahrung, denn ich war absoluter Anfänger in Sachen Big-Wall-Klettern. Und als eine meiner ersten Routen wählte ich zufällig diejenige, die als die härteste der Welt gilt. Ich habe viel gelernt, aber am Ende stellte sich heraus, dass es nicht wirklich schwierig war, diese Big-Wall-Kniffe zu lernen. Der schwierige Teil ist eigentlich das Klettern selbst. Es ist eine harte Route, und es hat ziemlich lange gedauert, bis ich mich mit diesem speziellen Stil vertraut gemacht hatte. Aber schließlich gelang es mir. Dennoch muss ich auch darauf hinweisen, dass Tommy und Kevin so lange gebraucht haben, weil sie erst einmal herausfinden mussten, auf welchem Weg man durch diese Wand klettern kann. Jahrelang waren sie sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt möglich sein würde. Deshalb ist es für mich super beeindruckend. Ich kannte bereits alle Details der Route und musste nur das nötige Kletterlevel mitbringen, um sie zu durchsteigen.

Adam Ondra über die „Dawn Wall“

Grenzen verschieben bis zum Alter von 35

Das klingt, als hätte es dir gefallen, aber nicht so sehr wie das Sportklettern.

Nein, ich habe es definitiv sehr genossen. Aber mit Sicherheit ist Big-Wall-Klettern eine Menge Arbeit. (lacht) Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, nur in Big Walls unterwegs zu sein, auch in puncto Training. Um eine solche Route sehr schnell klettern zu können, braucht man zunächst ein sehr hohes Sportkletterniveau. Dieses Level erreichst du vor allem durch – Sportklettern. Und wenn du dann noch eine sehr hohe körperliche Fitness hast, kannst du nach Yosemite gehen und versuchen, die Route schnell zu durchsteigen.

Denkst du, dass der Grad 9c für dich das Limit ist?

Ich glaube, dass Menschen noch härter klettern können. Ob ich es sein werde oder jemand anderer, der eine 9c+ meistert, weiß ich nicht. Es wäre schön, eines Tages eine 9c+ zu schaffen. Aber ich bin mir definitiv sicher, dass ich nie eine 10a klettern kann – obwohl ich glaube, dass es möglich ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es in 20, 30 Jahren 10a-Routen geben wird.

Du bist erst 25, aber der Tag wird kommen, an dem du merkst, dass deine körperliche Stärke nachlässt. Hast du schon darüber nachgedacht, was nach dem Sportklettern kommen könnte?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich so lange Sportklettern werde, wie ich kann. Ich bin davon überzeugt, dass ich mein Sportkletterniveau steigern kann, bis ich 35 Jahre alt bin. Danach wird es dann wahrscheinlich nicht mehr möglich sein. Gleichzeitig würde ich gerne alles, was ich gelernt habe, in die größeren Wände bringen – nicht unbedingt an einem Achttausender, aber vielleicht an einem Sechstausender, wo die Hauptschwierigkeit das Klettern selbst ist und man noch mit bloßen Händen und Kletterschuhen unterwegs sein kann. Das würde mich für die fernere Zukunft reizen.

Adam Ondra: Grenzen verschieben, bis ich 35 bin

Du fürchtest dich also nicht vor der Kälte, die du an Sieben- oder Sechstausendern aushalten müsstest?

Doch. Aber das ist Teil des Spiels, ein wenig Abenteuer, um das Klettern interessanter zu machen.

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