Lagginhorn – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 „Seil vermittelt falsche Sicherheit“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/seil-vermittelt-falsche-sicherheit/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/seil-vermittelt-falsche-sicherheit/#comments Thu, 05 Jul 2012 10:20:17 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=15759

Fletschhorn (l.) und Lagginhorn

Ein Vater muss hilflos zusehen, wie seine beiden Kinder in den Tod stürzen. Dieses Bild verfolgt mich seit den Meldungen über das Unglück am Lagginhorn im Wallis. Ähnlich dürfte es wohl allen gehen, die selbst Kinder haben. Der Absturz von gleich fünf Bergsteigern aus Deutschland hat bei mir Fragen aufgeworfen. Ich habe zum Telefonhörer gegriffen und mit Robert Mayer gesprochen. Der Bergführer ist Sicherheitsexperte und Ausbildungsleiter beim Deutschen Alpenverein (DAV).

Fünf deutsche Bergsteiger sind am Lagginhorn in den Tod gestürzt. Halten Sie es auch als wahrscheinlichste Variante, dass es sich um einen so genannten „Mitreißunfall“ handelt, dass also einer die anderen am Seil mit in den Tod gerissen hat?

Robert Mayer: Definitiv. Die Alternative wäre ein Schneebrett-Abgang, aber die Wetterverhältnisse waren eigentlich nicht danach. Es war in den Tagen davor sehr warm und hat gegraupelt, dabei bilden sich keine Schneebretter. Folglich handelt es sich ziemlich sicher um einen Mitreißunfall, ob mit oder ohne Seil, ist unseres Wissens nach bisher noch nicht schlüssig geklärt.

Angenommen, sie waren angeseilt, wie groß ist die Chance, das Abrutschen zu verhindern, wenn ein Mitglied der Seilschaft abstürzt?

Das hängt von mehreren Faktoren ab: von der Steilheit des Geländes, von der Beschaffenheit der Schneeoberfläche, vom Abstand zwischen den Angeseilten und nicht zuletzt von der Reaktionsfähigkeit des Bergsteigers hinter dem Abstürzenden. Eine pauschale Aussage ist hier nicht möglich.

Wäre es denn sicherer gewesen, in einer Zweier- oder Dreier- als in einer Fünfer-Seilschaft zu gehen?

Es wäre noch sicherer, dort ganz ohne Seil zu gehen. Das Seil vermittelt in derartigem Gelände von 30 bis 40 Grad Steilheit eine falsche Sicherheit. In solchem Gelände sind eigentlich nur Bergführer ausgebildet und geübt, einen Sturz am so genannten kurzen Seil zu halten. Normal-Bergsteiger können das in der Regel nicht.

Robert Mayer (DAV): Seil vermittelt falsche Sicherheit

Hätte der Unfall also vermieden werden können, wenn sich die Gruppe einem einheimischen Bergführer anvertraut hätte?

Grundsätzlich natürlich ja. Ein Bergführer hat ein viel besseres Gespür für Risiken und Gefahren und handelt dann entsprechend. Meine Vermutung ist, dass ein Mitglied der Gruppe ausgerutscht ist – aufgrund verschiedener Faktoren. Zum einen die Müdigkeit. Sie waren am Gipfel und früh aufgestanden. Es kommt die Höhe dazu, sie waren erschöpft. Zum anderen der weiche Schnee. Sehr oft werden die „Stollen“ unter den Steigeisen unterschätzt. Wenn der Schnee weich ist, haftet er zwischen den Steigeisen-Zacken und bildet richtige Stollen. Da passiert es ganz schnell, dass vor allem ein unerfahrener Bergsteiger wegrutscht und die anderen mitnimmt.

DAV-Ausbildungsleiter Robert Mayer

Die Bergretter beklagen Selbstüberschätzung und mangelnde Fitness als Hauptgrund für die zunehmende Anzahl an Bergunfällen in den Alpen. Haben Sie diese Beobachtung auch gemacht?

Unsere Unfallstatistik sagt eigentlich eher das Gegenteil. Gemessen an der Zahl der Leute, die inzwischen ins Gebirge, auch ins Hochgebirge, gehen, passiert prozentual immer weniger. Die Zahl der Mitreißunfälle ist in den letzten 20 Jahren in Relation zur Zahl der Alpenvereins-Mitglieder auf ein Fünftel gesunken. Natürlich gibt es auch Leute, die sich überschätzen. Aber generell beobachten wir, dass die Bergsteiger gut informiert, vorbereitet und in der Regel auch gut ausgerüstet sind – was im Übrigen auch für diese Gruppe gilt.
Muss man also solche Dramen als kaum zu vermeidende Zwischenfälle hinnehmen?

Das Gebirge birgt immer ein gewisses Risiko, das man nicht hundertprozentig ausschalten kann. Aber das macht ja in gewisser Weise auch einen Teil des Reizes am Bergsteigen aus. Die Konsequenz daraus ist, dass immer wieder einmal Unfälle passieren, wobei dieses Unglück natürlich besonders tragisch ist.

Robert Mayer (DAV): Risiko gehört zum Bergsteigen

Das Lagginhorn gilt als so genannter „leichter“ Viertausender. Was sagen Sie als Sicherheitsexperte zu solchen Einstufungen?

Leicht ist natürlich relativ. Aber verglichen mit den anderen Viertausendern ist das Lagginhorn sehr wohl einer der leichtesten Viertausender in den Alpen. Aber auch dort kann man – das  Unglück vorgestern beweist es – weit abstürzen. Ich kenne keinen Viertausender, wo es nicht auch auf dem Normalweg Stellen gibt, an denen man tödlich abstürzen könnte.

P.S. Morgen endet die Abstimmung zum „Online-Star 2012“. Also wer noch nicht hat und will, sollte bald für meinen Blog stimmen (Kategorie ‚Private blogs‘). Vielen Dank!
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Fünf Tote am Lagginhorn https://blogs.dw.com/abenteuersport/funf-tote-am-lagginhorn/ Wed, 04 Jul 2012 08:54:46 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=15719

Lagginhorn in Nebelschwaden

Jeder Berg ist nur so leicht wie die Verhältnisse am Gipfeltag. Das 4010 Meter hohe Lagginhorn im Schweizer Kanton Wallis gilt eigentlich als leicht zu besteigender Viertausender. Die Normalroute über den Westgrat ist technisch nicht besonders anspruchsvoll. Und doch wurde sie gestern fünf deutschen Bergsteigern zum Verhängnis. Sie stürzten 400 Meter tief in den Tod. Nach Angaben eines Schweizer Bergführers geschah das Unglück etwa 100 Meter unterhalb des Gipfels. Ein weiterer Bergsteiger der Gruppe aus Deutschland, der sich nicht wohl gefühlt und deshalb auf den Aufstieg zum höchsten Punkt verzichtet hatte, alarmierte die Rettungskräfte. Doch die konnten nur noch die Leichen abtransportieren. Die Schweizer Polizei teilte mit, bei den Opfern handle es sich um die 14-jährige Tochter und den 20-jährigen Sohn des Überlebenden, einen 44 Jahre alten Mann und dessen 17-jährigen Sohn sowie einen 21 Jahre alten Mann.

Nebel und Altschnee 

Gestern wurde das Lagginhorn zeitweise von Nebelschwaden verhüllt. Außerdem lag im Gipfelbereich noch relativ viel Schnee. Ein Polizeisprecher sagte, nach ersten Erkenntnissen sei die Gruppe nicht angeseilt gewesen. Warum dann alle fünf abstürzten, ist unklar. In Presseberichten hatte es zunächst geheißen, die Bergsteiger hätten eine Seilschaft gebildet. Einer habe offenbar den Halt verloren und die anderen mit in den Tod gerissen. Eine eigentlich plausible Erklärung.

Selbstüberschätzung und mangelnde Fitness

Auch in den vergangenen drei Jahren hatte es am Lagginhorn tödliche Abstürze gegeben. 2011 und 2010 kam je ein deutscher Bergsteiger ums Leben, 2009 starben zwei Italiener. Die Zahl der Bergtoten in den Alpen ist (wie hier im Blog berichtet) in den letzten Jahren angestiegen. Nach Angaben des Schweizer Alpen-Clubs (SAC) kamen 2011 in den Schweizer Alpen und im Jura 217 Menschen ums Leben, 44 mehr als im Vorjahr. In Österreich wurden 167 Todesfälle in den Bergen registriert, 26 mehr als 2010. Selbstüberschätzung und mangelnde Fitness waren meist die Ursachen der Unfälle. Dazu gesellt sich die gestiegene Steinschlaggefahr, da wegen des Klimawandels auch in den Alpen die Permafrost-Zonen (Gebiete, in denen die Bodenschichten durch Dauerfrost zusammengehalten werden) abnehmen.

P.S. Der Deutsche Alpenverein hat ein paar Tipps für sichere Hochtouren zusammengefasst. Hier klicken! 

P.P.S. In zwei Tagen endet die Abstimmung zum „Online-Star 2012“. Also wer noch nicht hat und will, sollte bald für meinen Blog stimmen (Kategorie ‚Private blogs‘). Vielen Dank!

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