Metanoia – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Roter Teppich für Jeff Lowe https://blogs.dw.com/abenteuersport/roter-teppich-fuer-jeff-lowe/ Thu, 09 Feb 2017 14:12:21 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=35037 Thomas Huber auf der ISPO

Thomas Huber auf der ISPO

Thomas Huber strahlt pure Lebensfreude aus. „Es geht mir so gut wie lange nicht mehr“, erzählt mir der 50 Jahre alte deutsche Topkletterer, als wir uns auf der Sportartikelmesse ISPO in München über den Weg laufen. Am 30. Dezember hatte der ältere der beiden Huberbuam für ein weiteres Glanzlicht seiner Karriere gesorgt: Mit den Schweizern Stephan Siegrist und Roger Schaeli gelang Thomas die erste Wiederholung der legendären Route „Metanoia“ mitten durch die Eiger-Nordwand: „Wie kann ein Jahr besser aufhören? Ich habe genau diesen Flow jetzt mitgenommen“, schwärmt Huber.

„Wow, es geht ja doch!“

Jeff Lowes legendäre Route "Metanoia"

Jeff Lowes legendäre Route „Metanoia“

2016 war ein extremes Jahr für ihn. Erst der 16-Meter-Sturz aus einer Felswand im Berchtesgadener Land, den er mit Riesenglück überlebte, bei dem er sich jedoch einen Schädelbruch zuzog. Dann die fast schon wundersame Turbo-Genesung. Die Reise nach Pakistan, um sich an der Nordwand des Siebentausenders Latok I zu versuchen, die erfolglose Rettungsaktion für die US-Kletterer Kyle Dempster und Scott Adamson am nahe gelegenen Ogre II, anschließend das Veto seiner Teampartner gegen einen Versuch am Latok. „Das waren alles schwierige Momente, die ich auch erst mal mental verarbeiten musste“, räumt Thomas ein. „Ich habe meinen Sturz akzeptiert und respektiert, dass ich dort einen Fehler gemacht habe. Ich habe mich auch reflektiert, dass ich einfach bewusster an die Sache herangehen muss. Vielleicht bin auch ich – wie Jeff Lowe – nach der Metanoia ein neuer Mensch geworden, weil ich sagen kann: Wow, es geht ja doch. Ich bin stark. Wir haben so viel Spaß gehabt, obwohl wir ganz schön an der Grenze waren.“

Seltene Krankheit

25 Jahre lang hatten sich Kletterer an der extremen Route, die Jeff Lowe im Winter 1991 solo und ohne Bohrhaken eröffnet hatte, die Zähne ausgebissen. Der US-Amerikaner war in einer Lebenskrise zur Eiger-Nordwand gekommen. „Ich bin mir nicht sicher, ob er noch nach Hause wollte“, sagt Roger Schaeli im Video zur Zweitbegehung.

Nicht umsonst taufte Lowe seine Route „Metanoia“, übersetzt „Buße“. Heute sitzt der Kletterpionier, dem in seiner Karriere mehr als 1000 Erstbegehungen gelangen, im Rollstuhl. Der 66-Jährige leidet an einer seltenen, noch unheilbaren Krankheit, die in ihren Symptomen an Multiple Sklerose oder ALS erinnert. Thomas Huber hatte vor seiner Expedition zum Latok I Jeff Lowe besucht. Lowe hatte 1978 zu einer Viererseilschaft gehört, die über den Nordgrat des Latok I bis knapp unter den 7145 Meter hohen Gipfel gestiegen war, ehe ein Sturm sie zurückgeschlagen hatte. 22 Tage nach dem Aufbruch war das Quartett völlig erschöpft ins Basislager zurückgekehrt.

Ehrfurcht und Dankbarkeit

Huber, Schaeli und Siegrist (v.l.)

Huber, Schaeli und Siegrist (v.l.)

„Ich habe Jeff kennengelernt und gesehen, wie er an seinen Rollstuhl gefesselt ist“, erzählt Thomas. „Da habe ich ganz genau gewusst, ich möchte seine Route Metanoia wiederholen. Ich möchte ihm einen roten Teppich hinlegen können, um ihm sagen zu können: Hej, Junge, was du damals geleistet hast, war der Hammer!“ Lowes Route sei nach den vielen über die Jahre gescheiterten Versuchen, sie zu wiederholen, ein „Mysterium“ geworden, sagt Thomas. „Irgendwann hieß es: Metanoia, verrückt, schräg.“ Neun Tage hatte der US-Amerikaner in der Wand gebracht. Huber, Siegrist und Schaeli benötigten im zweiten Anlauf zwei Tage, um die Route zu wiederholen. „Wir waren zu dritt, Jeff war damals alleine. Ich habe mir bei jeder Seillänge, die ich als Seilerster geführt habe, vorgestellt, wie es sein muss, hier alleine unterwegs zu sein. Mental ist man da total beansprucht. Dass er das durchgezogen hat!“, wundert sich Thomas. „Ich bin mit wahnsinnig viel Ehrfurcht aus der Route ausgestiegen – und auch mit Dankbarkeit: Dass ich nach wie vor leben darf.“

]]>