Mustagh Ata – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Erstmals über 5000 Meter https://blogs.dw.com/abenteuersport/erstmals-ueber-5000-meter/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/erstmals-ueber-5000-meter/#comments Tue, 15 Jul 2014 15:18:57 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=26833

Willkommen im Zwischenlager

Verdammt, nicht jetzt! Gerade habe ich aus dem Gletscherbruch ins sanft ansteigende Gelände gequert, da bildet sich mein Schlafsack ein, er sei ein Fußball. Er rutscht aus dem Rucksackdeckel und hüpft munter bergab. Instinktiv rase ich hinterher. Mit dem schweren Gepäck auf dem Rücken und den klobigen Expeditionsschuhen an den Füßen sehe ich wahrscheinlich aus wie ein Michelin-Männchen beim Joggen. 20 Meter tiefer habe ich den blöden Sack eingeholt und stoppe ihn mit dem rechten Fuß. Auf etwa 4400 Metern wirkt so eine Sprinteinlage mit Gepäck, als hätte dir jemand den Sauerstoffhahn zugedreht. Ich schnappe nach Luft und brauche ein, zwei Minuten, bis sich mein Puls wieder beruhigt hat und ich gleichmäßig atme. Immerhin war ich schneller als der Schlafsack. Andernfalls hätte ich noch gut 100 Meter tiefer steigen können, ehe seine Talfahrt im abflachenden Gelände ein Ende gefunden hätte.

Und noch weiter hoch

Es fällt mir schwer, jetzt wieder meinen Rhythmus zu finden. Doch es gibt keine Alternative. Unser Zwischenlager, in dem wir die heutige Nacht verbringen, liegt auf 4850 Metern, also Mont-Blanc-Höhe. Schritt für Schritt, ausreichend Serpentinen laufen, bloß nichts übertreiben! Als ich im Lager eintreffe, hat mein Zeltpartner Sven bereits einen perfekten Platz gefunden und das Zelt aufgeschlagen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, doch Sven ist einfach deutlich schneller als ich. Mit seinem Tempo kann ich nicht mithalten. Und nichts ist beim Höhenbergsteigen schädlicher als falscher Ehrgeiz. Eine Stunde, nachdem ich eingetroffen bin, animiert uns Luis, noch etwas höher zu steigen, getreu dem alten Höhenbergsteiger-Motto, um der Höhenkrankheit vorzubeugen:  „Climb high, sleep low!“ „Schnappt euch einfach noch ein bisschen Expeditionsmaterial wie ein Zelt oder eine Fixseil-Rolle“, sagt Luis. „Ich will weiter oben noch ein Depot anlegen. Alles, was wir schon dort haben, brauchen wir morgen nicht mehr heraufzutragen.“

Willkommene Hilfe

Kräfte zehrender Schottergrad

Ich packe mein Klettermaterial und den Eispickel in den Rucksack und obendrauf noch eine Seilrolle. Der Hügel ist ein steiler Schutthaufen, bei dem wir unsere Schritte sehr bewusst setzen müssen. Schließlich geht es rechts und links mehrere hundert Meter hinunter. Nach gut hundert Höhenmetern merke ich, dass ich mich mit der Seilrolle übernommen habe. „Gib sie mir!“, bietet Jürgen an, der zu mir aufgeschlossen hat. Immer wieder bewundere ich, wie viel Jürgen schleppen kann, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Einfach stark. „Wir kommen nur auf diesen Berg, wenn wir als Team zusammenarbeiten“, wiegelt Jürgen ab. „Irgendwann habe ich mal einen schlechten Tag, und dann bin auch ich auf Hilfe angewiesen.“ „Und ich trage dich dann auf meinen Schultern zum Gipfel“, scherze ich.

Fall für den Arzt

Traumhafter Blick auf den Mustagh Ata

Wir erreichen das Depot auf 5080 Metern. Für mich und einige andere ist hier für heute Endstation. Ich hocke mich auf einen Felsen und genieße die traumhafte Aussicht hinüber zum über 7546 Meter hohen Mustagh Ata. Das Pulsoxymeter zeigt bei mir unmittelbar nach der Ankunft eine Sauerstoffsättigung von 82 Prozent und einen Puls von 120 Schlägen. Auf Meereshöhe wäre ich ein Fall für den Arzt. Hier sind die Werte nicht außergewöhnlich. Ich erhole mich rasch, der Puls sinkt. Luis steigt mit den Stärksten im Team, Sven, Jürgen und André, noch weiter bis auf eine Höhe von 5260 Metern. Die vier deponieren dort insgesamt 800 Meter Fixseil. Auch Churchy ist inzwischen an meinem Aussichtspunkt angekommen. „Halleluja!“, freut er sich. „Selbst wenn wir nicht auf den Gipfel kommen sollten, allein für dieses Panorama hat sich die ganze Reise schon gelohnt.“

Hauptsache Kalorien!

Wir benötigen nur eine halbe Stunde, um den Schotterberg wieder hinunter zu rutschen. Im Zwischenlager angekommen, setzen wir unsere Gaskocher in Gang und bereiten vor unseren Zelten das Abendessen zu: kalorienreiche Expeditionsnahrung, die mit kochendem Wasser überschüttet wird und fünf Minuten später essbereit ist. Morgen werden wir um sechs Uhr aufstehen. Nach dem Frühstück wollen wir zu unserem geplanten Lager 1 auf etwa 5500 Metern aufsteigen, dort Material deponieren und dann wieder bis ins Basislager absteigen. Diesmal werde ich meinen Schlafsack besser festzurren. Denn hier oben kann ich nicht mal eben hinter ihm her sprinten, wenn er wieder meint, als Fußball sei es auch ganz lustig.

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Der erste Blick https://blogs.dw.com/abenteuersport/der-erste-blick/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/der-erste-blick/#comments Fri, 11 Jul 2014 18:08:01 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=26775 Hinten der Mustagh Ata ...

Hinten der Mustagh Ata …

„Also ganz ehrlich“, sagt André, „ich hätte nicht gedacht, dass der Schamanentanz so viel Glück bringt. Vielleicht hätten wir die Kostüme aus Tash Rabat mit ins Basislager nehmen sollen.“ Wir stehen am Ufer des Kara Kol, des „Schwarzen Sees“. Vor einer halben Stunde noch lagen alle Gipfel der Kongur Range in den Wolken. Zu dieser Bergkette, in der sich ein Siebentausender an den nächsten reiht, gehört auch der Kokodak Dome. In den letzten 30 Minuten konnten wir dabei zusehen, wie der starke Wind in großer Höhe seine Arbeit verrichtete. Erst entblößte er auf der gegenüber liegenden Seite den rund 7500 Meter hohen Mustagh Ata, einen sehr beliebten Expeditionsberg. Jetzt haben wir diesen mächtigen Schnee- und Eisklotz im Rücken und bestaunen unser Ziel: den noch unbestiegenen 7129 Meter hohen Kokodak Dome. Etwa zehn Kilometer Luftlinie entfernt, schüttelt nun auch er die Wolken ab. Ich bin beeindruckt. Aus der Ferne sieht er steiler aus, als ich erwartet hatte. Ein ziemlicher Koloss. 

Zwei Everest-Besteiger als Helfer

Chhongba (r.) und Singi

Chhongba (r.) und Singi

Am Morgen sind wir aus der Stadt Kashgar aufgebrochen. Zeit, uns die Stadt an der Seidenstraße anzusehen, hatten wir nicht. Gestern kamen wir erst spät am Abend an. So spät, dass wir das neben unserem Hotel gelegene Restaurant als letzte Gäste verließen. Dort lernten wir auch die beiden Nepalesen kennen, die uns bei unserem Aufstieg unterstützen werden. Beide sind „Everester“. Chhongba Sherpa stammt aus dem Solu Khumbu, dem Gebiet um den höchsten Berg der Erde. Er hat die klassische Sherpa-Laufbahn hinter sich. Chhongba begann als Träger, verdingte sich als Küchenhelfer bei Expeditionen und besuchte dann eine Kletterschule für Sherpas. 2009 erreichte er am Everest auf der nepalesischen Seite den knapp 8000 Meter hohen Südsattel. 2012 führte Chhongba von der tibetischen Nordseite aus eine Kundin auf den Gipfel, ab 7900 Metern atmete er Flaschensauerstoff. Der 43-Jährige ist verheiratet und hat zwei Söhne, 11 und 14 Jahre alt. Chhongbas Familie lebt in der Hauptstadt Kathmandu, ganz in der Nähe der Familie des anderen Nepalesen, der uns begleitet.

Ohne Kunde ganz oben

Singi Lama ist 42 Jahre alt und ebenfalls verheiratet. Seine 20 Jahre alte Tochter geht bereits auf die Universität, sein 17 Jahre alter Sohn beendet bald die Schule. Singi wurde in der Region Langtang geboren. Auch er war erst Küchenhelfer, besuchte eine Kletterschule und heuerte anschließend als Climbing Sherpa an. 13 Expeditionen hat Singi bereits in den Knochen. Am Kangchendzönga, dem dritthöchsten Berg der Erde, war er nahe daran, seinen ersten Achttausender zu besteigen. „Aber dann kamen wir 80 Meter unterhalb des Gipfels an einem toten Bergsteiger vorbei“, erzählt Singi. „Als mein österreichischer Kunde das sah, wollte er nicht mehr weitersteigen.“ Auch am Makalu und am Dhaulagiri blieben ihm Gipfelerfolge versagt. 2011 am Everest stieg Singi nur für sich alleine auf und erreichte den 8850 Meter hohen Gipfel. Auch er benutzte zusätzlichen Sauerstoff. „Aber nur eine Flasche“, sagt Singi, der zum Führungskreis des Nepalesischen Bergsteigerverbands zählt.

Skorpione in Kunstharz

 ... vorne der Kokodak Dome (rechts neben der Wolke)

… vorne der Kokodak Dome (rechts neben der Wolke)

Die beiden Nepalesen sitzen mit uns im Kleinbus, als wir dem Kokodak Dome entgegenfahren. Normalerweise braucht man für die Strecke nur vier Stunden, doch die Straße ist eine einzige Baustelle. Lastwagen reiht sich an Lastwagen, dazu Betonmischer und große Bagger. Die Chinesen haben in dem Gebiet einen riesigen See aufgestaut. Jetzt werden weitere Haltebecken für Wasserkraftwerke gebaut. Bei einem kurzen Zwischenstopp am Stausee versuchen fliegende Händler, uns Andenken zu verkaufen: Ketten, Tücher oder Skorpione in Kunstharz. Am späten Nachmittag erreichen wir endlich den Kara Kol, wo wir zum zweiten Mal an diesem Tag eine Passkontrolle hinter uns bringen müssen. Anschließend nehmen wir uns reichlich Zeit, den Kokodak Dome aus der Ferne zu bewundern. Während ich diese Zeilen am sehr späten Abend schreibe, liege ich im Zelt auf 3330 Metern. Draußen regnet es – hoffentlich nur vorübergehend. Morgen wollen wir schließlich zum Basislager aufsteigen, an den Fuß „unseres“ Bergs.

 

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Mittelschwerer Siebentausender https://blogs.dw.com/abenteuersport/mittelschwerer-siebentausender/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/mittelschwerer-siebentausender/#comments Mon, 30 Jun 2014 15:32:54 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=26525 Kokodak Dome (l.)

Kokodak Dome (l.)

Läge der Kokodak Dome nicht im Westen Chinas, sondern in Slowenien, herrschte wohl Hühneralarm. Im Slowenischen ist „Kokodak“ nämlich das lautmalerische Wort für Gegackere. Woher das Ziel unserer Expedition, die Ende der Woche beginnt, seinen Namen hat, konnte ich noch nicht abschließend klären. Ich vermute, dass die Silbe „dak“ auf das uigurische „thak“ zurückgeht, was Berg bedeutet. Und „koko“? Vielleicht das mongolische Wort für „blau“. Blauer Berg? So ganz schlüssig finde ich das aber nicht. Wenn ich das Rätsel noch lösen kann, werde ich es euch wissen lassen. Zweifellos ist „Dome“ das englische Wort für Kuppe, und das trifft die Form des 7129 Meter hohen Gipfels recht präzise.

Einer von dreien

Der Kokodak Dome liegt in der Kongur-Gebirgskette ganz im Westen Chinas. Die höchste Erhebung des Gebirgszugs, der 7719 Meter hohe Kongur Tagh, wurde 1981 erstbestiegen. Chris Bonington, Alan Rouse, Peter Boardman und Joe Tasker waren die Pioniere, vier Topbergsteiger aus der glanzvollen Ära des britischen Himalaya-Bergsteigens in den 1970er und 80er Jahren. In den chinesischen Karten sind drei Kokodak-Gipfel ausgewiesen. Der höchste von ihnen, der Kokodak Peak (7210 Meter), wurde 2006 von einem vierköpfigen russischen Team erstmals erklommen. Die beiden anderen, der Kokodak Dome (auch Kokodak II, 7129 Meter) und der Kokodak III (7031 Meter), gelten noch als unbestiegen.

Luis Stitzinger: Ein mittelschwerer Achttausender

„Schönes Mittelmaß“

Oben nur noch Schnee und Eis

Oben nur noch Schnee und Eis

„Er hat eine ähnliche Topographie wie der in Sichtweite gelegene (7509 Meter hohe) Mustagh Ata, ist aber etwas steiler“, sagt Expeditionsleiter Luis Stitzinger über „unseren“ Berg, den Kokodak Dome. „Dadurch ist er technisch interessanter und auch fordernder. Ich würde ihn nicht als leichten, sondern als mittelschweren Siebentausender bezeichnen. Ein schönes Mittelmaß.“ Bis auf eine Höhe von etwa 6500 Metern werden wir der Route der russischen Bergsteiger folgen, die vor acht Jahren auf dem Kokodak Peak standen. Dann biegen wir links ab, in unbekanntes Terrain. „Dort wird das Gelände wieder flacher. Auf diesem Bergrücken ist Beißen angesagt. Man geht und geht, ohne den Gipfel zu sehen. Da muss man sich ganz schön zusammennehmen. Das ist eine psychologische Etappe.“

Luis Stitzinger: Am Ende eine psychologische Etappe

Bergsteigakademisch

Die Frage, ob es sich bei dem Kokodak Dome um einen eigenständigen Gipfel handelt oder um einen Nebengipfel, ist eher „bergsteigakademisch“. Derzeit gilt im Himalaya und Karakorum ein Gipfel erst dann als eigenständig, wenn er mindestens 500 Meter höher ist als der höchste angrenzende Pass, der zum nächsthöheren Berg führt. Diese Bedingung erfüllt der Kokodak Dome wahrscheinlich nicht. Aber ganz ehrlich, es ist mir auch ziemlich schnuppe. Fakt ist, dass noch keiner oben war und wir hinauf wollen.

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