Unglück 1996 – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Dujmovits: „Geht auf die Everest-Nordseite!“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/dujmovits-geht-auf-die-everest-nordseite/ Fri, 06 May 2016 16:22:07 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=32569 Ralf Dujmovits

Ralf Dujmovits

Noch hat sich das Schönwetterfenster am Mount Everest nicht geöffnet. „Im Augenblick heftiger Schneefall im Basislager“, twitterte heute der US-Amerikaner Dan Mazur, Expeditionsleiter des Veranstalters Summit Climb von der nepalesischen Südseite des Bergs. „Hoch oben am Berg arbeiten unsere Sherpas. Sie tragen Flaschensauerstoff, Seile, Zelte, Lebensmittel.“ Auf der Nordseite stiegen die beiden US-Amerikaner Adrian Ballinger und Cory Richards heute bis auf eine Höhe von rund 7600 Metern auf. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass Cory und ich heute höher waren als alle anderen Menschen auf diesem Planeten“, schrieb Adrian auf Instagram. „Bedeutet das irgendetwas? Natürlich nicht. Aber es war ein besonderes Gefühl.“ Die beiden, die in diesem Frühjahr den Everest ohne Flaschensauerstoff besteigen wollen, kehrten zum Nordsattel zurück, „als es am Nachmittag so aussah, als ob die Wolken von Nepal nach Tibet ziehen“. Die Wetterfrösche erwarten für die nächsten Tagen weitere Schneefälle am Everest. Vielleicht greift ja der eine oder andere Bergsteiger in den Basislagern im Norden und Süden noch einmal zu Jon Krakauers Bestseller „In eisige Höhen“. Das dort beschriebene Unglück am Everest im Frühjahr 1996 jährt sich am kommenden Dienstag zum 20. Mal.

Ich habe über den Everest damals und heute mit Ralf Dujmovits gesprochen. Der 54-Jährige ist der erste und bisher auch einzige Deutsche, der auf allen 14 Achttausendern gestanden hat.

Ralf, du hast in diesem Jahr ein Everest-Sabbatjahr eingelegt. Wolltest du – wie viele andere auch – gucken, wie sich die ganze Situation rund um den Everest entwickelt?

Ich wollte nicht abwarten oder zuschauen. Ich musste einfach mal ein Jahr Pause machen, sonst wird das Ganze zur Arbeit. Ich war jetzt siebenmal am Everest. Sechsmal habe ich versucht, die Scharte von 1992 auszuwetzen, mit Flaschensauerstoff oben gewesen zu sein. Da muss man auch mal eine Pause einlegen und etwas anderes sehen. Ich freue mich jetzt auf den Sommer in Pakistan. (Ralf will sich mit seiner Partnerin, der Kanadierin Nancy Hansen, an einem noch unbestiegenen Siebentausender versuchen.)

Gefährlicher Khumbu-Eisbruch

Gefährlicher Khumbu-Eisbruch

Im Süden zwei Jahre ohne Gipfelerfolge, dazu die beiden Lawinenunglücke mit insgesamt 35 Toten – könnte die aktuelle Frühjahrssaison entscheidend dafür sein, wie es überhaupt am höchsten Berg der Erde weitergeht?

Ich glaube, es ist nicht unbedingt repräsentativ, was in diesem Frühjahr am Everest passiert. Trotz allem sehe ich den Vorteil, dass es diejenigen, die jetzt auf der Südseite unterwegs sind, mit deutlich weniger Bergsteigern zu tun haben. Damit ist die Gefahr geringer, dass man irgendwo im Stau steht. Ansonsten glaube ich, dass einige Veranstalter begriffen haben, dass die Südseite sehr gefährlich ist. Das wird sich auch mit dem Umlegen der Route durch den Khumbu-Eisbruch nicht ändern. Ich sollte natürlich als „Goodwill-Ambassador“ Werbung für Nepal machen. Ich mache das eigentlich auch sehr gerne. Aber beim Everest sage ich den Leuten ganz klar: Geht auf die tibetische Nordseite!

Glaubst du, dass dies die einzige Trendwende im Everest-Bergsteigen sein wird?

Ich denke, dass die Schere im Augenblick sehr weit aufgeht, preislich, organisatorisch und auch sicherheitstechnisch. Auf der einen Seite sehr günstige Angebote der nepalesischen Veranstalter, die inzwischen ein großes Potential von Kunden abschöpfen und teilweise auch Dumpingpreise anbieten. Auf der anderen Seite weiterhin die etablierten Veranstalter, die sehr hohe Sicherheitsstandards haben und auch entsprechende Preise verlangen. Ich glaube, dass sich Kunden künftig ihren Bedürfnissen entsprechend ein Programm zurecht stricken lassen. In diesem Bereich sind die nepalesischen Veranstalter eindeutig aktiver. Sie bieten ihren Kunden an: Wenn du willst, kannst du nur diesen oder jenen Service buchen, z.B. nur Basislagerverpflegung. Da müssen die westlichen Veranstalter noch dazulernen und sagen: Wir wollen weiterhin unsere hohen Sicherheitsstandards haben, werden aber trotzdem auf die Kunden zugehen und ihnen auch ermöglichen, in anderer Form am Berg unterwegs zu sein als nur komplett geführt, mit dem vollen Programm.

Windfahne vom Gipfel des Everest

Windfahne vom Gipfel des Everest

Stichwort Sicherheit. Am nächsten Dienstag jährt sich zum 20. Mal der Tag des Unglücks am Everest 1996, bei dem innerhalb von 24 Stunden während eines Sturms im Gipfelbereich acht Bergsteiger ums Leben kamen. Kann man die Zeit damals mit der heutigen überhaupt vergleichen?

Es hat sich unglaublich viel verändert. Der führende Veranstalter damals war Rob Hall mit Adventure Consultants. (Der Neuseeländer gehörte zu den Opfern des Unglücks.) Der Standard war für diese Zeit 1996 schon relativ hoch. Aber es fehlten damals noch sehr zuverlässige Wettervorhersagen. Dass man halb unwissentlich in schlechtes Wetter hineinläuft, sollte es eigentlich mit den doch inzwischen recht zuverlässigen Wetterberichten in diesem Ausmaß nicht mehr geben. Es haben sich jedoch andere Probleme ergeben, weil seit 1996 fast eine Vermassung stattgefunden hat. Damals waren pro Saison vielleicht, drei, vier, fünf Expeditionen unterwegs, heute sind es Dutzende. Das hat sich eher zum Nachteil verändert und kann zum Schaden der Gäste sein.

Neue Unglücke am Everest sind also nicht ausgeschlossen?

Es wird weiterhin Unglücke geben. Auch weil die globale Erwärmung nicht vor dem Everest halt macht. Es ist damit zu rechnen, dass die großen Eislawinen, die von links von der Everest-Westschulter oder von rechts vom Nutpse herunterkommen, weiterhin in den Khumbu-Eisbruch reindonnern. Damit bleibt der Eisfall gefährlich. Früher ging die Gefahr dort vor allem von der großen Bewegung des Eises aus. Seracs brachen zusammen. Spalten taten sich auf. Bergsteiger stürzten in die Tiefe, weil Leitern auseinandergerissen wurden. Diese Gefahr ist auf gleichem Niveau geblieben, aber die stark zunehmende Erwärmung wird für zusätzliches Gefahrenpotential sorgen.

Auch auf der Nordseite?

Das Eisschlagrisiko ist dort bei weitem nicht so hoch wie auf der Südseite.    

Noch einmal zurück zu deinen Everest-Plänen. Dass du in diesem Jahr nicht zum höchsten aller Berge reist, bedeutet aber nicht, dass du dieses Kapitel abgeschlossen hast, oder?

Ich werde jetzt erst einmal in diesem Sommer mit Nancy in Pakistan unterwegs sein. 2017 aber planen wir fest, noch einmal an den Everest zurückzukehren, auf die tibetische Seite. Wir werden aller Voraussicht nach versuchen, über die Messner-Traverse (Solo-Begehung 1980) ins Norton-Couloir hereinzukommen.

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Gesehen: „Everest“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/gesehen-everest/ Fri, 04 Sep 2015 12:23:51 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=30499 Szene aus dem Film "Everest"Der Film „Everest“ funktioniert, wenn du ihn konsumierst, als würdest du an einem heißen Sommertag unter die Gartendusche gehen: Einfach berieseln lassen, nicht großartig nachdenken! Dann wirst du die 3-D-Sequenzen, die wirklich in Nepal gedreht wurden, genießen: etwa die Aufnahme von oben auf die Hängebrücke, die den Dudh Kosi nahe Namche Bazar in luftiger Höhe überquert, oder auch den Blick ins Western Cwm, das „Tal des Schweigens“, oberhalb des Khumbu-Eisbruchs. Du wirst die erzählte Geschichte über das Unglück am Everest 1996, bei dem nach einem Wettersturz acht Bergsteiger im Gipfelbereich ums Leben kamen, wahrscheinlich spannend finden. Und du wirst womöglich nach zwei Stunden mit dem Gefühl aus dem Kinosessel aufstehen, gut unterhalten worden zu sein und ein filmtechnisch solides Berg-Actiondrama gesehen zu haben. Problematisch wird es allerdings, wenn du den Hinweis zu Beginn des Films ernst nimmst: „Nach einer wahren Geschichte“.

Zu viele Dramen für zwei Stunden

Über kaum ein Bergunglück ist so viel publiziert worden wie über jenes am Everest im Frühjahr 1996. Jon Krakauers Buch „In eisige Höhen“ wurde weltweit zum Bestseller. Doch auch andere Beteiligte griffen zur Feder, etwa der Russe Anatoli Boukreev, der Krakauers Version in vielen Punkten widersprach. Es gab Schuldzuweisungen hier wie dort. Die Geschichte ist komplex. Eine Melange aus Wetterverhältnissen, taktischen Fehlentscheidungen der Bergführer und fehlendem alpinistischem Können einiger Kunden der kommerziellen Veranstalter führte zu dem Unglück. Während des Sturms im Gipfelbereich spielten sich viele Dramen gleichzeitig ab, die, jedes für sich genommen, schon Stoff für einen zweistündigen Film geboten hätten: etwa die unglaubliche Überlebensgeschichte von Beck Weathers, die Rettungsversuche von Anatoli Boukreev, der immer wieder aufbrach, um die Vermissten zu suchen, oder auch Rob Halls Funkgespräch kurz vor seinem Tod mit seiner schwangeren Frau Jan Arnold in Neuseeland (Hört unten nach, was mir Jan 2003 in Kathmandu zu diesem letzten Gespräch mit Rob sagte).

Nur angedeutet

Darin liegt die Schwäche des Films: Die Ursachen des Unglücks 1996 waren so vielschichtig, es gab so viele Akteure, und es geschah so viel während des Sturms, dass es schlicht unmöglich ist, alle Details und Aspekte in einem zweistündigen Kinofilm unterzubringen. Doch genau das scheint Regisseur Baltasar Kormákur versucht zu haben. Alles wird irgendwie angerissen oder angedeutet, aber nichts wirklich vertieft. Da wird zum Beispiel ein Konflikt zwischen den Sirdars der verschiedenen Gruppen suggeriert, aber nur indem man zwei zerknirschte Sherpas zeigt, die offenkundig nicht zusammenarbeiten wollen. Warum? Mögen die sich nicht? Wo sind die anderen Sherpas? Oder diese Szene: Plötzlich fehlen an zwei Schlüsselstellen im Gipfelbereich die eigentlich vereinbarten Fixseile. Schnitt. Ein Sherpa zieht am kurzen Seil eine Klientin nach oben. Wer sind die beiden? Sollte dieser Sherpa wirklich die Fixseile am „Balkon“ und am „Hillary Step“ anbringen?

Verzerrt

Jake Gyllenhall als Scott Fischer

Jake Gyllenhall als Scott Fischer

Der Film bietet Topstars aus Hollywood auf: Josh Brolin, Jake Gyllenhall, Keira Knightley, Robin Wright und Emily Watson, um nur einige zu nennen. Doch sie erhalten kaum Gelegenheit, ihre Rollen richtig zu entwickeln – schlicht, weil der Film zu viel vermitteln will statt sich auf einzelne Aspekts zu konzentrieren. Und so gerät auch das eine oder andere Porträt schief. So spielt Gyllenhall den bei dem Unglück ums Leben gekommenen US-Bergführer Scott Fischer zugegebenermaßen mit viel Verve. Doch der „echte“ Fischer dürfte wohl deutlich mehr gewesen sein als der häufig alkoholisierte, mittelschwer durchgeknallte, narzistisch veranlagte Freak, als der er im Film herüberkommt. Aber so oft war Gyllenhall eben auch nicht im Bild, dass er ein wirkliches differenziertes Bild Fischers hätte vermitteln können.

Immer Wind und Lawinen

Apropos wenig differenziert: Glaubt man dem Film, windet bis stürmt es am Everest eigentlich immer, ständig gehen Lawinen ab oder stürzen Seracs in sich zusammen. Als wenn der Everest nicht auch ohne diese filmische Dramatisierung schon spektakulär genug wäre. Wenn die Bedingungen wirklich so wären wie dargestellt, hätte es wohl kaum knapp 7000 erfolgreiche Besteigungen seit 1953 gegeben.

Genug gemeckert. Vielleicht beschäftige ich mich einfach zu häufig mit Höhenbergsteigen und dem, was am höchsten Berg der Erde geschieht. Geht einfach ins Kino (Start: 17. September), um euch von „Everest“ unterhalten zu lassen! Dann werdet ihr wahrscheinlich auf eure Kosten kommen. Denkt an die Gartendusche! 😉

Jan Arnold über ihr letztes Gespräch mit Rob Hall (aufgezeichnet 2003)

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