Urdukas – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Auf dem Weg zum K 2 (Teil 3): Klagelied https://blogs.dw.com/abenteuersport/auf-dem-weg-zum-k-2-teil-3-klagelied/ Thu, 24 Jun 2010 08:15:08 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport2/2010/06/24/auf-dem-weg-zum-k-2-teil-3-klagelied/ Die Träger streikten. Das Wetter war ihnen zu schlecht, um wie geplant um sechs Uhr früh den Baltoro-Gletscher zu betreten. Es regnete Bindfäden. Zwei Träger ließen sich ausbezahlen und verabschiedeten sich ganz. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagte Sadakat Hussein, ein erfahrener Bergführer, den ich in Paiju traf. Bis zu 8000 Träger gleichzeitig waren in der Region unterwegs. Eigentlich hatte die Regierung die Höhe der Löhne festgeschrieben. Doch die Nachfrage war höher als das Angebot. Allein die große italienische K 2-Jubiläumsexpedition hatte 260 Träger engagiert. Einige Gruppen boten deutlich mehr Geld als allgemein üblich, um ihre Lasten zum Zielort transportieren zu lassen. Andere schauten deshalb in die Röhre.


Regen, Regen, Regen

Steinerne Autos fallen vom Berg

Die Verhandlungen mit unseren Trägern dauerten bis zum frühen Mittag. Dann endlich machten wir uns auf den Weg, zunächst durch die Seitenmoränen des Gletschers, bergauf, bergab, über große und kleine Felsbrocken, durch Geröll und Sand. Petrus ließ nach wie vor die Dusche von oben laufen. Allmählich drang die Feuchtigkeit nach innen durch.
Plötzlich erhob sich ein tiefes Grollen, das immer lauter und bedrohlicher wurde. Aus sicherer Entfernung beobachteten wir, wie Felsbrocken von einem Bergrücken auf den Gletscher zusprangen. Einige hatten die Größe von Autos. Das beeindruckende Naturschauspiel hinterließ ein mulmiges Gefühl. Sechs Stunden lang quälten wir uns durch das Geröll, ehe wir an einem Gletschersee, völlig durchnässt und auch entkräftet, unsere Zelte aufschlugen. Am nächsten Morgen war der Regen in Schnee übergegangen. Wir ließen uns Zeit, denn das nächste Ziel, das wir eigentlich schon am Vortag hatten erreichen wollen, lag nur zwei Stunden Fußmarsch entfernt.

Mustercamp

In dichtem Schneetreiben gelangen wir nach Urdukas, was in der Balti-Sprache „fallender Stein“ bedeutet. Auch dieses Camp auf 4000 Metern war – wie zuvor Jhola – als Musterplatz des UN-Entwicklungsprogramms angelegt worden, mit Toilettenhäuschen, Abfalleimern und Solarleuchten. Auch die Australierin Sue Fear, die ich in Urdukas traf, zeigte sich sehr beeindruckt: „Die hygienischen Verhältnisse sind jetzt praktikabel. Früher waren sie unerträglich.“ (Die Everest-Besteigerin verunglückte zwei Jahre später, im Mai 2006, im Gipfelbereich des Achttausenders Manaslu tödlich. Die 43-Jährige stürzte in eine Gletscherspalte.)
Die spektakuläre Aussicht aus meinem Zelt konnte ich nur kurz genießen. Einige Minuten lang riss die dichte Wolkendecke auf, und öffnete den Blick auf die über 6000 Meter hohen Granittürme der Trango-Gruppe, den Uli Biaho Tower(6109 m) und die „Kathedrale“ (5828 m).


Urdukas, der „fallende Stein“

Steine des Baltoro

Meine ersten Erfahrungen auf dem Baltoro-Gletscher verarbeitete ich in einem Klagelied:

Verfluchte Steine des Baltoro,
ihr tragt den Teufel in euch, ohne dass ihr es wisst.
Ihr lasst mich stolpern und rutschen,
zwingt mich zu springen und unsanft zu landen.
Ihr raubt mir den Atem, die Kraft, am Ende die Sinne.
Ihr saugt mich aus und fresst meine Seele.

Arme Steine des Baltoro,
eigentlich seid ihr nur Opfer,
von Regen und Schnee ins Gletschertal gespült,
vom ewigen Eis zermalmt,
unbarmherzig vorwärtsgeschoben.
Ihr habt keine andere Freude, als euch an mir zu rächen.


Schöne Steine des Baltoro,
sehe ich eure großen Brüder,
die riesigen Granitwände mit Schneehaube,
die Bergjuwele, die meinen Blick fesseln,
mich mit offenem Mund staunend dasitzen und die Zeit vergessen,
mich träumen und meine Gedanken reisen lassen,
dann kann ich euch verzeihen – fast.

Radio-Reportageserie (2004): Auf dem Weg zum K 2 (Teil 2)

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Auf dem Weg zum K 2 (Teil 2): Inshallah https://blogs.dw.com/abenteuersport/auf-dem-weg-zum-k-2-teil-2-inshallah/ Wed, 23 Jun 2010 07:22:01 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport2/2010/06/23/auf-dem-weg-zum-k-2-teil-2-inshallah/ Nichtsahnend saß ich im Restaurant meines Hotels Masherbrum in Skardu und unterhielt mich mit einem Pakistaner, der einige Jahre in Deutschland gelebt hatte. Plötzlich explodierte mein Bauch. Ohne Vorwarnung. Durchfall, wie ich ihn vorher noch nie erlebt hatte. Die Nacht verbrachte ich auf dem Klosett meines Zimmers, geschüttelt von Darmkrämpfen. Im Stundentakt schluckte ich die Tabletten, die ich in meine Reiseapotheke gepackt hatte. Sie zeigten keine Wirkung. Erst gegen Mittag des folgenden Tages hatte ich überhaupt die Chance, für kurze Zeit das Hotel zu verlassen. Ich fand eine Apotheke und kaufte ein indisches Präparat gegen Diarrhoe. Es färbte meinen Urin tiefbraun, und mir wurde speiübel. Aber das Medikament wirkte.


Hauptstraße in Skardu, links mein Bergführer Syed

Mutter auf Zeit

Eigentlich hatten wir schon mit einem Jeep zum Ausgangspunkt der Trekkingtour weiterfahren wollen, doch entgegen der Absprache waren keine Träger verfügbar. Eine Fügung des Himmels, denn ich brauchte diesen zusätzlichen Rasttag dringend. Als wir am nächsten Morgen mit vollgepacktem Jeep starteten, fühlte ich mich zwar schlapp, aber deutlich auf dem Weg der Besserung. „Hi, I’m Fida. I will be your mother in the next weeks.” Mit diesen Worten stellte sich mir unser Koch vor. Bis vor kurzem hatte Fida ein chinesisches Fast-Food-Restaurant in Lahore betrieben, war aber pleite gegangen. Nun arbeitete er als Expeditions- und Trekkingkoch im Karakorum, um Geld für einen zweiten Versuch zu sparen.
Von Skardu aus lagen knapp 130 Kilometer vor uns, über nicht asphaltierte Pisten voller Schlaglöcher. Obwohl wir einige wirklich heikle Stellen passieren mussten, blieb ich ruhig. Ich war viel zu schwach, um mich aufzuregen und fügte mich in mein Schicksal. Inshallah, so Gott will! Mit diesen Worten beendete Syed fast jeden dritten Satz. Mein Bergführer erzählte, dass er vor kurzem einen japanischen Studenten zum K 2-Basislager hatte begleiten sollen. Bei der Ankunft in Askole, dem letzten Dorf vor dem Baltoro-Gletscher, warf der Japaner das Handtuch. Er wollte sofort zurück. Sein Bedarf an Abenteuer sei gedeckt.


Regenbogen über dem Tal von Askole

13 Träger

Als wir in Askole eintrafen, bauten wir schnell die Zelte auf. Noch immer brachte ich nichts Essbares herunter. Nach einer Stunde Schlaf fühlte ich mich besser. Ich machte sogar einen kleinen Spaziergang ins Dorf, wo mich einige Kinder empfingen, die ständig „Photo-Rupies, Photo-Rupies!“ brüllten. Als ich zum Lagerplatz zurückkehrte, waren die Träger damit beschäftigt, die Lasten abzuwiegen und zu verteilen. 25 Kilogramm pro Mann. Dabei diskutierten sie lautstark, wer welche Ladung schultern sollte.
Früh am nächsten Morgen brachen wir auf: Syed, Fida und ich – sowie 13 Träger. Ich hatte nicht gedacht, dass so viele Träger nötig wären, doch das Gepäck summierte sich: Zelte, Küchenausrüstung, Kerosin, Lebensmittel.

Ich war alles andere als im Vollbesitz meiner Kräfte, aber irgendwann fand ich meinen Gehrhythmus. Unser Weg führte uns zunächst durch eine fast wüstenähnliche Landschaft. Die kleinen Sträucher rechts und links wurden seltener und verschwanden schließlich ganz. Es regnete in Strömen, die Gipfel hingen in Wolken. Der schmale Pfad wand sich nun entlang des Braldo-Flusses. Wegen des heftigen Regens war der Gletscherfluss so angeschwollen, dass die Wassermassen an einer Stelle auf einer Länge von fünf Metern den Weg weggespült hatten. Wir mussten auf einer kleinen Felsleite hinüberklettern. Irgendwie schwindelte ich mich auf die andere Seite. Genau dort fiel später am Tag ein Träger einer anderen Gruppe, der sieben Plastikstühle auf dem Rücken trug, ins Wasser, konnte sich aber glücklicherweise noch an Land retten. Völlig durchnässt erreichte er einige Stunden nach uns Jhola.

Zwei Gräber

Der Zeltplatz liegt auf 3200 Metern Höhe. 2004 war er erst ein Jahr alt, finanziert vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. Die Zelte standen auf abgesteckten Parzellen, es gab sogar rund 20 Toilettenhäuschen und Solarstrom.
Ich aß ein wenig und zog mich dann zurück. Völlig erschöpft von der fast achtstündigen Wanderung und immer noch geschwächt, fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Am folgenden Morgen hatte wenigstens der Dauerregen aufgehört. Ich fühlte mich deutlich besser.
Irgendwann entdeckte ich am Wegesrand das Grab eines Trägers, der in den Braldo gestürzt, ertrunken und hier wieder angespült worden war. Über eine weitere letzte Ruhestätte stolperte ich fast. Da erst erkannte ich den Kopf eines Esels, der notdürftig im Sand verscharrt worden war.


Ende einer Dienstreise

Unfreiwilliger Abendsport

Der Tag endete in Paiju, auf 3450 Metern. Von diesem Camp aus sieht man direkt auf die Zunge des Baltoro-Gletschers. Auch eine große italienische Expeditionsmannschaft hatte dort ihre Zelte aufgeschlagen. Nur ein Bergsteiger sprach deutsch: Karl Unterkircher. Der sympathische Südtiroler (der leider vier Jahre nach unserer Begegnung, im Juli 2008, im Alter von 37 Jahren am Nanga Parbat beim Sturz in eine Gletscherspalte ums Leben kam) lud mich zum Essen mit den Italienern ein: Aufgetischt wurden echter Parmesan und Parmaschinken, perfetto!


Träger in Pakistan, diskussions- und tanzfreudig

Ich hatte gehört, dass sich in Paiju die Pakistaner abends träfen, um zu singen und zu tanzen – auch um sich gegenseitig ein wenig Mut für die nächsten gefährlichen Tage auf dem Eis zu machen. Dass ein neugieriger Trekker mittanzen muss, hatte mir niemand erzählt. Und so fand ich mich, ehe ich mich versah, in einem etwa fünf Meter breiten Kreis wieder, den rund hundert Träger, Köche und Bergführer gebildet hatten. Ein Mann stand in der Mitte und sang die Strophen. Beim Refrain stimmten alle ein und klatschten wild im Takt, während mich der Sänger herumwirbelte. Alles drehte sich vor meinen Augen, die Beine schmerzten. Nach der vierten Wiederholung des Refrains hatte die Menge ein Einsehen. Ich durfte den Kreis verlassen. Außer Atem, mit wackligen Knien taumelte ich zum Zelt zurück. In meinem Rücken hörte ich die Rufe der Träger: „Very good dance! Excellent dance!“

P.S. Unten könnt Ihr den ersten Teil meiner Reportageserie hören, die 2004 in DW-Radio gesendet wurde. Wundert euch nicht: Die Stücke entsprechen nicht den Blog-Texten. Es kann also sein, dass ihr Sachen hört, die ihr schon im letzten Eintrag gelesen habt.

Radio-Reportageserie (2004): Auf dem Weg zum K 2 (Teil 1)

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