Jochen Proehl – Treffpunkt https://blogs.dw.com/treffpunkt Vier Kulturschaffende aus Deutschland und der Türkei schreiben über verschiedene Aspekte ihres kulturellen Umfelds Tue, 11 Dec 2012 09:23:30 +0000 de-DE hourly 1 Dolmuş in Berlin https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/23/dolmus-in-berlin/ Tue, 23 Oct 2012 07:18:23 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=571 Dolmuş - öffentliches Verkehrsmittel in Istanbul

Dolmuş – öffentliches Verkehrsmittel in Istanbul

Wenn Zeitdruck mir nicht aufnötigt, eines der zahllosen gelben „Taksis“ zu nehmen, fahre ich in Istanbul „Dolmuş“. Dolmuş heißt „gefüllt“ oder „voll“ und bezeichnet den Zustand, der erreicht sein muss, damit sich dieses einmalige öffentliche Verkehrsmittel in Bewegung setzt: Früher waren das alte amerikanische Straßenkreuzer, heute sind es Kleinbusse, die an ihrer Haltestelle warten, während ein Ordner das Fahrtziel ausruft.

Ist der Wagen voll, geht es los – zwar auf der festgelegten Route, aber dann ist dann alles möglich: Fahrgäste steigen auf freier Strecke aus und das Dolmuş hält, wo immer Fahrgäste es heranwinken.

Dolmuş - typische Istanbuler Kleinbusse

Dolmuş – typische Istanbuler Kleinbusse

Leider stehen viele dieser typischen Istanbul-Phänomene immer wieder mal zur Disposition, sind akut bedroht oder verschwinden ganz aus dem Stadtbild. Und so steht auch die Abschaffung des Dolmuş immer wieder mal auf der Agenda. Sogar die legendären „Schwäne Istanbuls“, die Bosporus-Dampfer, sollten einmal abgeschafft werden. Nach Protesten hat man ihre Zahl dann aber sogar erhöht und im Internet über das Design der neuen Dampfer abstimmen lassen.

Und die Tische und Stühle vor den Kneipen des Istanbuler Stadtteils Beyoğlu sind fast völlig verschwunden, die ehemals belebten Gassen leergeräumt. Als ich nach den Jahren, die ich in meiner Kindheit und Jugend in Istanbul verbracht hatte, zum Studieren nach Berlin kam, vermisste ich dort genau dieses Leben unter freiem Himmel, das so typisch für Istanbul war. Das Leben in Berlin fand ‚Drinnen‘ statt. In meiner Studentenkneipe diskutierte man an einem warmen Sommerabend sogar, ob man die Kneipentür öffnen solle oder nicht … sie blieb geschlossen.

Heute stellt in Berlin jede Würstchenbude ein paar Bänke auf den Gehweg und die Stadt ist Ort einer gastronomischen Freiluftkultur. Diese sommerliche Lebensfreude haben wir von unseren Italien-, Spanien-…  und Türkeireisen mitgebracht – nach nunmehr über einem halben Jahrhundert fröhlichen und friedlichen Reisens in Europa.

Vieles aber, was Istanbul von anderen Metropolen abhebt, verschwindet nach und nach – so werden zum Beispiel auch die fliegenden Händler immer weniger … Dabei ist Istanbul nicht nur Topkapi-Palast, Hagia Sophia und Großer Basar, so wenig wie man Berlin nur auf Brandenburger Tor, Museumsinsel und KaDeWE zu reduzieren kann. Städte erhalten ihr Gesicht gerade auch durch die unterschiedlichen Farben ihrer Alltagskultur.

Aber „Stadt“ ist ein Prozess permanenter Veränderung, in dem auch immer wieder Neues entstehen kann – und wenn es nur eine Ausnahme ist: Nach einem langen Abendessen bei Freunden in Berlin ging ich runter an die Straße, um ein Taxi anzuhalten. Aus Istanbuler Gewohnheit hatte ich mir keines rufen lassen. Nach langem Warten an der nächtlich leeren Straße hielt neben mir ein Taxi. Die gelbe Lampe auf dem Dach und das Taximeter waren ausgeschaltet, auf dem Beifahrersitz saß bereits ein Passagier.

Dolmuş in Istanbul

Dolmuş in Istanbul

„Ich setze den Fahrgast weiter vorne ab, aber sie können ja schon einsteigen“, bot der Fahrer an. Als wir später alleine weiterfuhren, nannte er mir einen recht günstigen Festpreis – unter der Bedingung, dass er weitere Fahrgäste mitnehmen dürfe. Dann erläuterte er mir sein Geschäftsmodell: „Statt nachts irgendwo lange rumzustehen bis jemand kommt, sammle ich unterwegs und an den Haltestellen die Leute ein – für ein paar Euro oder so … Die haben nämlich keinen Nerv zu warten, bis irgendwann ein Nachtbus kommt.“

„Ich glaube, sie haben hier in Berlin das Dolmuş erfunden“, war meine verblüffte Reaktion und statt zu fragen, was das sei, war seine Antwort: „Nee, das hab ich in Istanbul gesehen.“

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Atelier Karaköy https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/18/atelier-karakoy/ Thu, 18 Oct 2012 12:01:19 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=513 "Overview O" in der Universität Mannheim

„Overview O“ in der Universität Mannheim

Hoch ragen die Pylone von zwei Bosporus-Brücken in den Istanbuler Himmel – als weithin sichtbares Symbol für die Dynamik der Stadt. Jedoch steht man auf ihnen meist im Stau. Das einzelne Schiff auf dem Wasser ist im Vergleich dazu unauffällig im Gesamtbild der Stadt. Doch es ist sehr effizient, denn es fährt unabhängig vom stockenden Verkehr.

Und oft sind es auch die kleineren Initiativen, die nicht so weit sichtbar aus dem Gesamtbild herausragen wie die großen Institutionen, aber dennoch äußerst effizient sind und ganz wesentliche – oder gar die wesentlichen – künstlerischen Brücken bauen …

Der Projektraum „Caravansarai“ der amerikanischen Künstlerinnen Julie Upmeier und Anne Weshinskey ist offenes Atelier und Künstlerresidenz – ein Labor für künstlerische „Produktion, für Experiment, Zusammenarbeit und Inspiration“, wie beide sagen. Folglich ist eines der nächsten Projekte auch das „Perşembe Pazarı Project“ – ein Festival wie auch Ausstellungen in den umgebenden Gassen, in denen unzählige Werkstätten und Läden mit technischem Kleinhandel liegen. Im Residenz-Programm des Caravansarai arbeiten Künstler aus aller Welt, darunter waren bisher Tamico Thiel aus München und die Berlinerin Ellinor Euler.

Bei meinem Besuch genieße ich das Privileg, mit Julie Upmeier und Anne Weshinskey auf der Dachterrasse des Gebäudes den glutroten Sonnenuntergang hinter der Süleymaniye Moschee zu genießen … und dessen Spiegelung auf dem Wasser des Goldenen Horns.

Der Caravansarai liegt in der Banka Sokak in Karaköy, einem quirligen Gewerbeviertel ‚auf der Ecke zwischen Bosporus und Goldenem Horn. Auch hierher hat die Kunst inzwischen einen Fuß gesetzt. Erste Galerien lassen sich zwischen Läden mit Kugellagern und Bootsmotoren, in Nachbarschaft von Schweißern und Schlossern nieder. In Deutschland gibt es diese Form des kleinteiligen, nach Branchen sortierten, Gewerbes längst nicht mehr. Für die deutsche Künstlerin Anna Heidenhein ist Karaköy deshalb ein Art-Space eigener Art: Das ganze Viertel ist ihr Atelier, denn sie arbeitet mit den denkbar unterschiedlichsten Materialien.

Wie für den Maler seine Palette die Vielzahl der farblichen Möglichkeiten darstellt, verkörpert für Anna Heidenhain das Gewirr von Handwerkergassen in Karaköy die Palette der technischen Möglichkeiten bei ihren künstlerischen Projekten. Zur Verwirklichung ihrer großen, wandgebundenen Arbeit „Overview O“ an der Universität Mannheim beispielsweise, arbeitete sie mit über zehn verschiedenen Werkstätten in Karaköy zusammen. „Diese Arbeit hätte man in Deutschland gar nicht herstellen können“, sagt die Künstlerin, die seit über fünf Jahren in Istanbul arbeitet und lebt. Und so ist jenes Kunst-am-Bau-Projekt in Mannheim also „Made in Karaköy by Anna Heidenhain“.

"Overview O"

„Overview O“ in der Universität Mannheim

Sie ist aber nicht nur eine deutsche Künstlerin in Istanbul, zugleich repräsentiert sie „Nüans“, ein interdisziplinäres Künstler-Projekt, das sie gemeinsam mit Maki Umehara und Elmar Hermann in Düsseldorf gründete. Inzwischen haben die drei Künstler in unterschiedlichsten Städten Projekte realisiert, auch davon abhängig, wo sie sich gerade aufhalten. So waren sie bei Beginn der Produktion ihres Buches „Apogee“ jeweils gerade in Florenz, in Mumbay und auf dem Weg nach New York. Das nun fertige Buch über ‚Inseln und Isolation‘, über künstlerisches Arbeiten außerhalb des vertrauten Kontexts, präsentierten sie dann aber unter anderem auch in Istanbul: auf einer Bootsfahrt auf dem Bosporus.

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Bosporus https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/08/bosporus/ https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/08/bosporus/#comments Mon, 08 Oct 2012 12:22:03 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=441 BosporusWenn ich mit Şara Sayın auf der Dachterrasse ihres Hauses stehe, mit dem herrlichen Blick auf die weite Wasserfläche des Bosporus und seine Ufer, dann wird mir jedes mal klar, dass diese Stadt eigentlich keine richtige „Mitte“ hat. Gut, es gibt die historische Altstadt-Halbinsel und es gibt die „neue“ Altstadt Beyoğlu mit dem Tünel- und dem Taksim-Platz und auf der asiatischen Seite die Bağdad Caddesi. Und das sind auch Zentren für Kultur oder Kommerz oder auch für beides. Doch die eigentliche „Mitte“ der Stadt ist das Meer.

Es ist der Bosporus, der diese gigantische Stadt in zwei Hälften teilt und gleichzeitig miteinander verbindet. Was für eine andere Form von Teilung in einer Stadt, als die Teilung Berlins durch eine Mauer während meiner Studienzeit dort. Und auf dem Wasser verbinden die Schiffe – nicht die Tanker und Container-Frachter, sondern die „Schwäne Istanbuls“, die weißen Bosporus-Dampfer, die zwischen den Stadthälften hin und her gleiten. Die Meerenge ist also nicht nur pittoresker Teil der Landschaft Istanbul, sondern auch wichtiger innerstädtischer Verkehrsweg.

Fliegender Händler mit "Simit"Bei schönem Wetter sitze ich an Deck eines Dampfers und trinke meinen Tee, bei schlechtem Wetter sitze ich drinnen und trinke meinen Tee, immer mit dem Blick auf das Wasser, auf die atemberaubende Silhouette der Stadt und ihre beiden Ufer. Zum Tee gehört ein „Simit“, ein knuspriger Sesamkringel. An allen Schiffsanlegern wie auch fast allen anderen Haltestellen stehen fliegende Händler und verkaufen, was der Istanbuler als Proviant braucht, auf dem teils langen Weg zur Arbeit. Und bei Regen warten Schirm-Verkäufer, die dann bei Sonnenschein mit Sonnenbrillen handeln. Dazu gesellen sich Schuhputzer, Los- und vor allem Teeverkäufer. Denn auch die Händler selber trinken Tee beim Warten und machen lautstark auf sich aufmerksam. Die Ware findet hier den Käufer.

BosporusVor Kurzem sprach mich bei der Überfahrt von Kadıköy nach Karaköy ein alter Mann auf „Gastarbeiter-Deutsch“ an, jenem Idiom aus einfachstem Deutsch mit türkischer Aussprache, das die erste Generation der türkischen Einwanderer zum Teil noch heute spricht. Manchmal wirft man ihnen ja vor, sie hätten versäumt, richtig Deutsch zu lernen. Doch seien wir ehrlich, was ist eigentlich aus unseren eigenen Italienisch-, Griechisch-, Spanisch- oder gar Türkischkursen geworden, die wir abends nach der Arbeit zu bewältigen hofften? Es begann die übliche Konversation:

„…Deutschland? …welche Stadt? …erste mal Türkei?“

Nachdem ich Rede und Antwort gestanden habe, erzählt er über sich. Ein Sohn lebt in Istanbul und arbeitet bei einer Bank, ein anderer Sohn ist Rechtsanwalt in Nürnberg. Er selber lebt seit über 40 Jahren – zunächst als Gastarbeiter ganz und seit der Rente teils – in Deutschland und in den Sommermonaten in Istanbul, er pendelt somit zwischen seinen beiden Welten wie unser Dampfer zwischen europäischem und asiatischem Ufer des Bosporus.

Bosporus-DampferWenn irgend möglich benutze ich zur Fortbewegung den Dampfer, eine der Barkassen oder miete eines der kleinen Tucker-Boote. Und wenn die Zeit reicht, mache ich sogar einen Umweg, um mich auf dem Wasser bewegen zu können: Statt zum Beispiel in 10 Minuten mit der Straßenbahn von Kabataş nach Karaköy zu fahren, setze ich erst nach Üsküdar über um dann von dort mit dem Schiff zurück ans europäische Bosporus-Ufer nach Karaköy zu fahren – für eine entspannte Dreiviertelstunde mit dem Teeglas in der Hand im Zickzack auf dem Wasser. Öffentlicher Personenverkehr als Schiffsausflug, in welcher deutschen Stadt ginge das schon?

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https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/08/bosporus/feed/ 1
Şara Sayin https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/09/27/sara-sayin/ Thu, 27 Sep 2012 14:35:18 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=357 Sara SayinLange bevor Fatih Akin seinen fiktiven Germanistikprofessor Nejat die deutsche Buchhandlung in Istanbul gleich ganz übernehmen ließ, war die Istanbuler Germanistikprofessorin Şara Sayın bereits Kundin bei Mühlbauer. Und lange davor hatte es gleich zwei deutschsprachige Buchhandlungen in Istanbul am Tünel gegeben – „Caron“ und „Kalis“.

Şara Sayın, Absolventin der Deutschen Schule im Jahr 1943, erinnert sich: „Von den meisten Lehrern wurden wir angehalten, unsere deutschen Bücher bei Kalis zu kaufen und nicht bei Caron, denn deren Eigentümer war Jude.“ Das Geschäftsleben dieses Viertels war von den großen Minderheiten der Stadt geprägt, vor allem den damals größten, der griechischen, der armenischen sowie der jüdischen Minderheit und „…die İstiklal war damals eine mehrsprachige Straße“, sagt Şara Sayin. Doch der Nationalsozialismus warf mindestens seine Schatten auch auf die deutsche Bildungseinrichtung am Bosporus.

Şara Sayıns gesamte achtjährige Gymnasialzeit an der Deutschen Schule fiel in die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland – und dennoch: „Trotzdem habe ich an dieser Schule von jenen deutschen Lehrern, die keine Faschisten waren, anhand der Literatur gelernt, dass man Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen darf.“ Unter anderem von der Erfahrung mit diesen Lehrern ging für sie der Impuls aus, Germanistik zu studieren.

Inzwischen ist Şara Sayın seit über 20 Jahren emeritiert und ihr wissenschaftliches Interesse gilt nicht mehr allein der Literatur. Heute beschäftigt sie sich mit Fragen von Hybridität in Bezug auf kulturelle Indentitäten – ob man sich in eine kulturelle Schublade einordnen lässt und diese dann obendrein vielleicht noch selber von innen zuzieht oder ob man als Persönlichkeit nicht das Resultat vieler, möglicherweise widersprüchlicher Einflüsse ist. „Identität ist dem Menschen nicht in die Wiege gelegt,“ sagt sie.

Bosporusufer und BosorusbrückeDie so titulierten „Deutsch-Türken“ oder „Deutschen mit Migrationshintergrund“ oder „türkischstämmigen Mitbürger“ oder welches Etikett wir auch gerade gebrauchen, denen der deutsche Staat nach wie vor das Naheliegenste beharrlich verweigert, nämlich die Möglichkeit der Doppelten Staatsbürgerschaft, die Anerkennung der Hybridität ihrer Identität, fallen mir dabei als bedeutendes Beispiel ein. Seit der spätere Ministerpräsident von Hessen, Roland Koch, in seinen ersten Wahlkampf mit einer Kampagne gegen die damals durchaus positiv diskutierte Doppelte Staatsbürgerschaft „erfolgreich“ war, ist dieses Thema leider vom Tisch. Dabei wäre das ein echtes Zeichen von Integrationsbereitschaft auf Seiten der deutschstämmigen Mitbürger in Deutschland – dieses Bekenntnis zur Hybridität unserer Gesellschaft. Für Şara Sayın ist das nicht nur eine gesellschaftspolitische Fragestellung, sondern Teil der Auseinandersetzung mit „Dichotomien“ – dieser Zweiteilung der Welt in „Entweder-Oder“, die das westliche Denken so nachhaltig prägt.

Zwischen ihrer Schulzeit und Heute liegt ein Leben als kulturelle Brückenbauerin par excellence: Als Inhaberin des „Lehrstuhls für Deutsche Sprache und Literatur“ an der Istanbul Universität, gründete sie an der Hochschule für Fremdsprachen die Abteilung „Deutsch als Fremdsprache“. Sie saß im Türkisch-Deutschen Kulturbeirat und war bereits in den 1980er Jahren als Expertin maßgeblich involviert in den ersten Anlauf zur Gründung einer Deutsch-Türkischen Universität, der damals dann leider von den staatlichen Seiten nicht weiter verfolgt wurde.In einem späteren Anlauf erfolgte dann im Jahr 2010 immerhin eine Universitäts-Gründung.

Şara Sayın wurde mit dem Bundesverdienstkreuz sowie für „die Pflege der deutschen Sprache im Ausland“ mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. Den Friedrich-Gundolf-Preis verlieh ihr die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung „für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland“.

Auch wenn viele ihrer ehemaligen Studenten inzwischen pensioniert oder emeritiert sind, ist Şara Sayın unverändert wichtige Gesprächspartnerin für viele von ihnen sowie für zahlreiche Autoren beider Sprachen. Von ihrem Haus hoch über dem Bosporus schweift der Blick weit zwischen europäischem und asiatischem Ufer. In ihrem Arbeitszimmer, wo sie ihre Besucher emfängt, sitzt Şara Sayın, von den beiden Katzen Yunus und Cankut flankiert, tatsächlich auf einer Art „west-östlichem Divan“ … Und nicht nur der Blick schweift hier zwischen „Orient und Okzident“, den vermeintlichen Gegensätzen, über die bereits der Namenspatron der deutschen Kulturinstitution Nummer Eins im Ausland den berühmten Satz notierte, „… Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“

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Buchhandlung Mühlbauer https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/09/24/buchhandlung-muhlbauer/ Mon, 24 Sep 2012 09:41:36 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=261 Wenn ich mich von der Galerie Polistar aus nach rechts wende und die Hoca Ali Sokak bergauf und immer weiter gehe, erreiche ich nach cirka 300 Metern den Tünel-Platz mit seinem dichten Gewimmel von Menschen.

„Tünel“, das ist ein Ende und ein Anfang zugleich: Endhaltepunkt der zweitältesten Untergrundbahn-Linie der Welt, der Tünel-Bahn, die zwischen dem ehemaligen Hafenviertel am Goldenen Horn und dem nach ihr benannten Tünel-Platz im ehemaligen Minderheitenviertel „Galata“ pendelt. Und zugleich ist der Tünel-Platz Ausgangspunkt der legendären İstiklal-Straße, die ursprünglich einmal als „Grand rue de Pera“ dieses Quartier durchquerte.

Was für Berlin einst die Friedrichstraße war, war „die Pera“ einst für Istanbul: Flaniermeile mit Theatern, Passagen und noblen Geschäften, mit den Cafés „Marquiz“ oder „Lebon“, mit Straßenbahn und Droschkenverkehr. Die Straße und die umliegenden Gassen sind heute wieder Hotspot des Istanbuler Kultur- und des Nachtlebens. Die kleine Straßenbahn ist inzwischen wieder in Betrieb und die Straße selbst eine Fußgängerzone.

Mein Aufstieg zum Tünel führt an den schwer verschlossenen Eisentoren der Deutschen Schule vorbei. Heute komme ich hier nicht rein – früher musste ich da rein, weil ich dort Schüler war. Wenn wir damals allerdings Freistunde hatten oder schwänzten, trieben wir uns lieber in den Imbiss-Büffets am Tünel oder den Plattenläden einer benachbarten Gasse herum – oder wir gingen zu „Mühlbauer“.

Buchhandlung Mühlbauer

Die türkisch-deutsche Buchhandlung Mühlbauer befindet sich immer noch unmittelbar neben dem schwedischen Generalkonsulat am Anfang der İstiklal. Mühlbauer ist einer der ganz wenigen Ankerpunkte für mich, an denen ich mir immer wieder deutlich machen kann, dass diese Stadt, durch die ich mich heute bewege, tatsächlich dieselbe ist, wie die, in der ich meine Schulzeit verbracht habe.

So sehr sich Istanbul teils bis zur Unkenntlichkeit verändert hat und nach wie vor rasant verändert, bei Mühlbauer sieht es aus „wie immer“ – die breite Holztreppe, auf der wir als Kinder saßen und Micky-Mouse-Hefte lasen und die Hefte eher zerknitterten, statt sie zu kaufen, führt immer noch ins Obergeschoss und die kleinen Reclam-Bändchen stehen noch im selben Regal wie damals. Das Angebot selbst ist natürlich aktuell.

Die Buchhandlung ist für die Schüler der umliegenden deutschsprachigen Schulen die einzige Bezugsquelle in Istanbul für deutschsprachige Lehrbücher, insbesondere im Bereich „Deutsch als Fremdsprache“,  sowie für aktuelle deutsche Presse und für deutsche Literatur. Außerdem hält das Sortiment so ziemlich alles bereit, was an türkischer Literatur in deutscher Übersetzung sowie an Büchern über die Türkei und vor allem über Istanbul auf Deutsch erschienen ist.

Auslage bei Mühlbauer

Was es für eine unglaubliche Anzahl an Büchern zu dieser Stadt gibt, wird mir besonders immer hier deutlich, wo diese vielen Publikationen schön nebeneinander aufgereiht sind. Es scheint annähernd jeder, der sich länger als für die Dauer eines Urlaubs in Istanbul aufhält, darüber ein Buch zu verfassen. Aber andererseits  – ich schreibe hier ja auch über Istanbul und wer weiß schon, ob ich hier nicht gerade Anlauf nehme …

Heute betreiben Thomas und Joseph Mühlbauer das Geschäft in zweiter Generation. Gegründet hat es ihr Vater bereits 1955 als er mit eigentlich anderem Reiseziel auf der Durchreise war. Aber, wie bereits gesagt, es scheint mir, dass diese Stadt sich viele ihrer Bewohner selber aussucht …

Zu internationaler Berühmtheit kam die Buchhandlung zudem durch den Film „Auf der anderen Seite“ von Fatih Akın: Einen türkisch-stämmigen Germanistikprofessor treiben die Wirrungen der Filmhandlung nach Istanbul. Durch die Schuld seines Vaters war zuvor dessen Geliebte zu Tode gekommen und nun sucht der Germanist in Istanbul nach deren Tochter. Und dabei stößt er auf die deutsche Buchhandlung, in der er nicht einkauft, sondern die er gleich komplett erwirbt. Lage und Räumlichkeit waren im Film zwar verändert, aber das Interieur war original – original „Mühlbauer“.

Von Mühlbauer zurück ins laute Getümmel der İstiklal: Diese Fußgängerzone darf man sich nicht vorstellen, wie die zahlreichen, meist menschenleeren Fußgängerzonen in deutschen Innenstädten. Auf der İstiklal ist es in der Regel so voll und gedrängt, wie in der Berliner U-Bahn im Berufsverkehr zwischen fünf und sechs Uhr nachmittags – und das Ganze muss man sich dann noch gehend vorstellen … Menschenleer ist normalerweise keine der Istanbuler Straßen. Aber, was Gedränge betrifft, ist die İstiklal das Non plus Ulta.

Wenn mich Istanbuler Freunde in Berlin besuchen und wir gehen durch die berühmten und „belebten“ Straßen, wie Friedrichstraße, Oranienburger Straße oder schlendern über die „Linden“ oder den Ku’damm und ich erkläre ihnen stolz, das seien unsere Flaniermeilen, ist immer ihre erste Frage: „Und wo sind die Menschen?“

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