Buchhandlung – Treffpunkt https://blogs.dw.com/treffpunkt Vier Kulturschaffende aus Deutschland und der Türkei schreiben über verschiedene Aspekte ihres kulturellen Umfelds Tue, 11 Dec 2012 09:23:30 +0000 de-DE hourly 1 42 Jahre Stammkunde https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/09/42-jahre-stammkunde/ Tue, 09 Oct 2012 12:51:33 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=467 Ich war elf Jahre alt, als ich das erste Mal durch diese Tür trat. Während meine Mutter an der Kasse bezahlte, wühlte ich mit voller Begeisterung durch die ausgelegten Bücher. Ein alter, freundlicher Mann streichelte meine Haare und gab mir somit das Zeichen einer Freundschaft, die sich in den nächsten Jahren entwickeln sollte. Türk Alman Kitapevi, die türkisch-deutsche Buchhandlung befindet sich auf einer der wichtigsten Straßen in Istanbul, Richtung Tunnel. Sie ist die wichtigste Quelle für deutsche Literatur in dieser Stadt. Diese Buchhandlung sollte für den Rest meines Lebens eine der am häufigsten besuchten Orte für mich werden. Meine Beziehung zu dieser türkisch-deutschen Buchhandlung, die mit dem Kauf von Lehrbüchern begann, beläuft sich mittlerweile auf 42 Jahre. Selbst als ich in Haft war, wurde diese Beziehung nicht unterbrochen.

Das erste belletristische Buch, das Franz Mühlbauer mir schick verpackte, war das Buch „Emil und die Detektive“ von Erich Kästner. Wenn ich nun einen Blick auf meine Bibliothek werfe, stelle ich fest, dass ich die Hälfte meiner Bücher bei Familie Mühlbauer eingekauft habe. Anfangs bei Franz, dann bei Joseph und Thomas Mühlbauer. Fangen wir bei Franz Mühlbauer an. Diesen Mann mit harter Schale und weichem Kern mochte ich sehr.

Er kam als Zirkusmitarbeiter nach Istanbul. Da ihn diese Stadt tief beeindrucke, verabschiedete er sich von seiner Heimat Österreich, die in der Nachkriegszeit mit ökonomischen Problemen zu kämpfen hatte. Anfangs arbeitete er in der Buchhandlung einer alten Dame. Als diese krank wurde, benötigte sie einen Pfleger. Also gaben sie eine Kleinanzeige auf, auf die sich eine junge Frau aus Deutschland meldete. Nach ihrer Ankunft und dem Beginn ihrer Arbeit bei der alten Dame heiraten Franz und Marlene. Sie bekommen drei Kinder. Franz eröffnet die türkisch-deutsche Buchhandlung im Tunnel. Doch im Laufe der Zeit erlebt das Paar Probleme. Marlene und die drei Kinder kehren nach Deutschland zurück. Im Jahre 1991 endet das Leben von Franz Mühlbauer aufgrund eines Herzinfarkts.

Bis 1991 hatten wir Schüler uns viel mit Herrn Mühlbauer unterhalten. Viele Schüler des österreichischen oder deutschen Gymnasiums kamen getrieben durch den Lehrplan in seine Buchhandlung. Doch nicht jeder wurde Stammkunde bei ihm. Herr Mühlbauer wusste, dass die Liebe zu den Büchern oder der Literatur nicht bei jedem nachhaltig war. Er mochte diejenigen Schüler besonders gern, die bei ihm auch nach Schulabschluss Bücher kauften. Dabei hatte er keine kommerziellen Hintergedanken. Das konnte man von seinen Augen ablesen.

Als ich in die Sekundarstufe kam, bestellte ich immer mehr literarische Bücher als Lehrbücher. Als ich anfing zu studieren, kamen parallel zu den damaligen politischen Ereignissen immer mehr sozialkritische, politische oder philosophische Bücher auf meine Bücherliste. Ich bestellte Bücher von Habermas oder Benjamin aus Deutschland. Wenn das Buch ankam, riefen Herr Mühlbauer oder seine Mitarbeiter bei uns an. Ich rannte dann regelrecht in die Buchhandlung auf der Istiklal Straße. Zugegeben, damals sah man in den linken Kreisen, zu denen ich auch gehörte, die Lektüre von theoretischen Büchern nicht so gerne. Jetzt ist es natürlich ganz anders.

Während meines Wehrdienstes stellte ich wöchentlich eine Büchereinkaufsliste zusammen, kaufte diese an meinen freien Tagen bei Herrn Mühlbauer und arbeitete während dieser Zeit als Dolmetscher für deutsche Ingenieure. Als ich sie dann nach Istanbul begleitete, überzeugte ich sie zuerst davon die türkisch-deutsche Buchhandlung zu besuchen, um sie anschließend zu den Teppichläden nach Nuruosmaniye zu fahren.

Als ich in Haft saß, gab ich meine Bücherbestellungen meiner Mutter. Die finanziellen Mittel in der Haft waren natürlich sehr begrenzt und ich konnte die deutsche Literatur nicht tagtäglich verfolgen. Aber gute Literatur ist sowieso zeitlos. Meine Mutter brachte mir alle zwei Wochen die Bücher und übergab sie den Direktoren der Haftanstalt. Diese prüften sie dann, obwohl ich nicht wirklich weiß wie. Nach der Prüfung übergaben sie mir dann nur einen Teil der Bücher. Den Rest habe ich nach meiner Freilassung erhalten.

Nach dem Tod von Herrn Mühlbauer kamen Joseph und Thomas Mühlbauer nach Istanbul, um die Bücherei zu verwalten. Joseph interessierte sich viel mehr für das Meer, sodass Thomas das ganze Geschäft übernahm. Auf diese Weise haben wir uns auch kennengelernt.

Als ich kürzlich mit dem Team der Deutschen Welle in diesem Laden war und zwischen den Regalen spazierte, fielen mir wieder viele Erinnerungen ein. Dieser Laden bedeutet mir unendlich viel. Bei der Gelegenheit ist mir auch etwas aufgefallen: Von allen Büchern von Thomas Mann und Thomas Bernhard, habe ich ein Exemplar in meiner eigenen Bibliothek. Ich musste einfach grinsen.

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Buchhandlung Mühlbauer https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/09/24/buchhandlung-muhlbauer/ Mon, 24 Sep 2012 09:41:36 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=261 Wenn ich mich von der Galerie Polistar aus nach rechts wende und die Hoca Ali Sokak bergauf und immer weiter gehe, erreiche ich nach cirka 300 Metern den Tünel-Platz mit seinem dichten Gewimmel von Menschen.

„Tünel“, das ist ein Ende und ein Anfang zugleich: Endhaltepunkt der zweitältesten Untergrundbahn-Linie der Welt, der Tünel-Bahn, die zwischen dem ehemaligen Hafenviertel am Goldenen Horn und dem nach ihr benannten Tünel-Platz im ehemaligen Minderheitenviertel „Galata“ pendelt. Und zugleich ist der Tünel-Platz Ausgangspunkt der legendären İstiklal-Straße, die ursprünglich einmal als „Grand rue de Pera“ dieses Quartier durchquerte.

Was für Berlin einst die Friedrichstraße war, war „die Pera“ einst für Istanbul: Flaniermeile mit Theatern, Passagen und noblen Geschäften, mit den Cafés „Marquiz“ oder „Lebon“, mit Straßenbahn und Droschkenverkehr. Die Straße und die umliegenden Gassen sind heute wieder Hotspot des Istanbuler Kultur- und des Nachtlebens. Die kleine Straßenbahn ist inzwischen wieder in Betrieb und die Straße selbst eine Fußgängerzone.

Mein Aufstieg zum Tünel führt an den schwer verschlossenen Eisentoren der Deutschen Schule vorbei. Heute komme ich hier nicht rein – früher musste ich da rein, weil ich dort Schüler war. Wenn wir damals allerdings Freistunde hatten oder schwänzten, trieben wir uns lieber in den Imbiss-Büffets am Tünel oder den Plattenläden einer benachbarten Gasse herum – oder wir gingen zu „Mühlbauer“.

Buchhandlung Mühlbauer

Die türkisch-deutsche Buchhandlung Mühlbauer befindet sich immer noch unmittelbar neben dem schwedischen Generalkonsulat am Anfang der İstiklal. Mühlbauer ist einer der ganz wenigen Ankerpunkte für mich, an denen ich mir immer wieder deutlich machen kann, dass diese Stadt, durch die ich mich heute bewege, tatsächlich dieselbe ist, wie die, in der ich meine Schulzeit verbracht habe.

So sehr sich Istanbul teils bis zur Unkenntlichkeit verändert hat und nach wie vor rasant verändert, bei Mühlbauer sieht es aus „wie immer“ – die breite Holztreppe, auf der wir als Kinder saßen und Micky-Mouse-Hefte lasen und die Hefte eher zerknitterten, statt sie zu kaufen, führt immer noch ins Obergeschoss und die kleinen Reclam-Bändchen stehen noch im selben Regal wie damals. Das Angebot selbst ist natürlich aktuell.

Die Buchhandlung ist für die Schüler der umliegenden deutschsprachigen Schulen die einzige Bezugsquelle in Istanbul für deutschsprachige Lehrbücher, insbesondere im Bereich „Deutsch als Fremdsprache“,  sowie für aktuelle deutsche Presse und für deutsche Literatur. Außerdem hält das Sortiment so ziemlich alles bereit, was an türkischer Literatur in deutscher Übersetzung sowie an Büchern über die Türkei und vor allem über Istanbul auf Deutsch erschienen ist.

Auslage bei Mühlbauer

Was es für eine unglaubliche Anzahl an Büchern zu dieser Stadt gibt, wird mir besonders immer hier deutlich, wo diese vielen Publikationen schön nebeneinander aufgereiht sind. Es scheint annähernd jeder, der sich länger als für die Dauer eines Urlaubs in Istanbul aufhält, darüber ein Buch zu verfassen. Aber andererseits  – ich schreibe hier ja auch über Istanbul und wer weiß schon, ob ich hier nicht gerade Anlauf nehme …

Heute betreiben Thomas und Joseph Mühlbauer das Geschäft in zweiter Generation. Gegründet hat es ihr Vater bereits 1955 als er mit eigentlich anderem Reiseziel auf der Durchreise war. Aber, wie bereits gesagt, es scheint mir, dass diese Stadt sich viele ihrer Bewohner selber aussucht …

Zu internationaler Berühmtheit kam die Buchhandlung zudem durch den Film „Auf der anderen Seite“ von Fatih Akın: Einen türkisch-stämmigen Germanistikprofessor treiben die Wirrungen der Filmhandlung nach Istanbul. Durch die Schuld seines Vaters war zuvor dessen Geliebte zu Tode gekommen und nun sucht der Germanist in Istanbul nach deren Tochter. Und dabei stößt er auf die deutsche Buchhandlung, in der er nicht einkauft, sondern die er gleich komplett erwirbt. Lage und Räumlichkeit waren im Film zwar verändert, aber das Interieur war original – original „Mühlbauer“.

Von Mühlbauer zurück ins laute Getümmel der İstiklal: Diese Fußgängerzone darf man sich nicht vorstellen, wie die zahlreichen, meist menschenleeren Fußgängerzonen in deutschen Innenstädten. Auf der İstiklal ist es in der Regel so voll und gedrängt, wie in der Berliner U-Bahn im Berufsverkehr zwischen fünf und sechs Uhr nachmittags – und das Ganze muss man sich dann noch gehend vorstellen … Menschenleer ist normalerweise keine der Istanbuler Straßen. Aber, was Gedränge betrifft, ist die İstiklal das Non plus Ulta.

Wenn mich Istanbuler Freunde in Berlin besuchen und wir gehen durch die berühmten und „belebten“ Straßen, wie Friedrichstraße, Oranienburger Straße oder schlendern über die „Linden“ oder den Ku’damm und ich erkläre ihnen stolz, das seien unsere Flaniermeilen, ist immer ihre erste Frage: „Und wo sind die Menschen?“

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