deutsch – Treffpunkt https://blogs.dw.com/treffpunkt Vier Kulturschaffende aus Deutschland und der Türkei schreiben über verschiedene Aspekte ihres kulturellen Umfelds Tue, 11 Dec 2012 09:23:30 +0000 de-DE hourly 1 Şara Sayin https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/09/27/sara-sayin/ Thu, 27 Sep 2012 14:35:18 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=357 Sara SayinLange bevor Fatih Akin seinen fiktiven Germanistikprofessor Nejat die deutsche Buchhandlung in Istanbul gleich ganz übernehmen ließ, war die Istanbuler Germanistikprofessorin Şara Sayın bereits Kundin bei Mühlbauer. Und lange davor hatte es gleich zwei deutschsprachige Buchhandlungen in Istanbul am Tünel gegeben – „Caron“ und „Kalis“.

Şara Sayın, Absolventin der Deutschen Schule im Jahr 1943, erinnert sich: „Von den meisten Lehrern wurden wir angehalten, unsere deutschen Bücher bei Kalis zu kaufen und nicht bei Caron, denn deren Eigentümer war Jude.“ Das Geschäftsleben dieses Viertels war von den großen Minderheiten der Stadt geprägt, vor allem den damals größten, der griechischen, der armenischen sowie der jüdischen Minderheit und „…die İstiklal war damals eine mehrsprachige Straße“, sagt Şara Sayin. Doch der Nationalsozialismus warf mindestens seine Schatten auch auf die deutsche Bildungseinrichtung am Bosporus.

Şara Sayıns gesamte achtjährige Gymnasialzeit an der Deutschen Schule fiel in die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland – und dennoch: „Trotzdem habe ich an dieser Schule von jenen deutschen Lehrern, die keine Faschisten waren, anhand der Literatur gelernt, dass man Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen darf.“ Unter anderem von der Erfahrung mit diesen Lehrern ging für sie der Impuls aus, Germanistik zu studieren.

Inzwischen ist Şara Sayın seit über 20 Jahren emeritiert und ihr wissenschaftliches Interesse gilt nicht mehr allein der Literatur. Heute beschäftigt sie sich mit Fragen von Hybridität in Bezug auf kulturelle Indentitäten – ob man sich in eine kulturelle Schublade einordnen lässt und diese dann obendrein vielleicht noch selber von innen zuzieht oder ob man als Persönlichkeit nicht das Resultat vieler, möglicherweise widersprüchlicher Einflüsse ist. „Identität ist dem Menschen nicht in die Wiege gelegt,“ sagt sie.

Bosporusufer und BosorusbrückeDie so titulierten „Deutsch-Türken“ oder „Deutschen mit Migrationshintergrund“ oder „türkischstämmigen Mitbürger“ oder welches Etikett wir auch gerade gebrauchen, denen der deutsche Staat nach wie vor das Naheliegenste beharrlich verweigert, nämlich die Möglichkeit der Doppelten Staatsbürgerschaft, die Anerkennung der Hybridität ihrer Identität, fallen mir dabei als bedeutendes Beispiel ein. Seit der spätere Ministerpräsident von Hessen, Roland Koch, in seinen ersten Wahlkampf mit einer Kampagne gegen die damals durchaus positiv diskutierte Doppelte Staatsbürgerschaft „erfolgreich“ war, ist dieses Thema leider vom Tisch. Dabei wäre das ein echtes Zeichen von Integrationsbereitschaft auf Seiten der deutschstämmigen Mitbürger in Deutschland – dieses Bekenntnis zur Hybridität unserer Gesellschaft. Für Şara Sayın ist das nicht nur eine gesellschaftspolitische Fragestellung, sondern Teil der Auseinandersetzung mit „Dichotomien“ – dieser Zweiteilung der Welt in „Entweder-Oder“, die das westliche Denken so nachhaltig prägt.

Zwischen ihrer Schulzeit und Heute liegt ein Leben als kulturelle Brückenbauerin par excellence: Als Inhaberin des „Lehrstuhls für Deutsche Sprache und Literatur“ an der Istanbul Universität, gründete sie an der Hochschule für Fremdsprachen die Abteilung „Deutsch als Fremdsprache“. Sie saß im Türkisch-Deutschen Kulturbeirat und war bereits in den 1980er Jahren als Expertin maßgeblich involviert in den ersten Anlauf zur Gründung einer Deutsch-Türkischen Universität, der damals dann leider von den staatlichen Seiten nicht weiter verfolgt wurde.In einem späteren Anlauf erfolgte dann im Jahr 2010 immerhin eine Universitäts-Gründung.

Şara Sayın wurde mit dem Bundesverdienstkreuz sowie für „die Pflege der deutschen Sprache im Ausland“ mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. Den Friedrich-Gundolf-Preis verlieh ihr die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung „für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland“.

Auch wenn viele ihrer ehemaligen Studenten inzwischen pensioniert oder emeritiert sind, ist Şara Sayın unverändert wichtige Gesprächspartnerin für viele von ihnen sowie für zahlreiche Autoren beider Sprachen. Von ihrem Haus hoch über dem Bosporus schweift der Blick weit zwischen europäischem und asiatischem Ufer. In ihrem Arbeitszimmer, wo sie ihre Besucher emfängt, sitzt Şara Sayın, von den beiden Katzen Yunus und Cankut flankiert, tatsächlich auf einer Art „west-östlichem Divan“ … Und nicht nur der Blick schweift hier zwischen „Orient und Okzident“, den vermeintlichen Gegensätzen, über die bereits der Namenspatron der deutschen Kulturinstitution Nummer Eins im Ausland den berühmten Satz notierte, „… Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“

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„Alter, hast du Döner in der Waffel?“ https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/09/25/alter-hast-du-doner-in-der-waffel/ https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/09/25/alter-hast-du-doner-in-der-waffel/#comments Tue, 25 Sep 2012 08:44:38 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=297 „Integrierte Currywurst“, Halal-Energy-Drinks und Obst-Döner à la carte – so sieht die deutsch-türkische Küche in Berlin aus. Aber mal ganz langsam zum Mitdenken: „Integrierte Currywurst“, Halal-Energy-Drinks und Obst-Döner? Wenn man sich diese Formulierungen, im wahrsten Sinne des Wortes, auf der Zunge zergehen lässt, scheinen die kulinarischen Genüsse der Deutschtürken skurril.

Abseits vom klischeebehafteten Menü, aus Döner und Ayran, stehen hinter diesen merkwürdigen Beschreibungen, innovative Ideen von jungen Gastronomen. Sie wissen genau, was ihrer Zielgruppe schmeckt, denn sie selbst sind ein Teil von ihr: junge Deutschtürken mit Lust auf schmackhafte Trends.

Dabei spielt eine Besonderheit eine entscheidende Rolle und zwar der ausschließliche Genuss von Halal-Produkten. So wirbt ein Getränkehersteller zum Beispiel für einen nach islamischen Vorschriften zubereiteten Energy-Drink, der entgegen vergleichbarer Produkte gelatinefrei sein soll.

Auch in den interreligiösen Stadtteilen der Hauptstadt wie Kreuzberg, Wedding oder Neukölln, haben sich die Imbissbuden den neuen Gegebenheiten angepasst: Auf die junge muslimische Kundschaft eingestellt, werden hier Currywürste aus Rind- statt aus Schweinefleisch vertrieben – eben integrierte Currywurst. So zum Beispiel bei „Cem’s Burger House“ am Kottbusser Tor.

Doch, zurück zu unserem guten alten Klassiker: dem Döner!

Es muss an dieser Stelle einmal festgehalten werden: Der Dönerverkauf in Deutschland bringt mehr Umsatz als McDonald’s, Burger King und Kentucky Fried Chicken zusammen. Mit dem Döner floriert ein ganzer Wirtschaftszweig – vom Dönerhersteller bis -verkäufer, hin zu Verpackungsfirmen und dem weitreichenden Gastronomiebedarf.

So fand 2012 zum dritten Mal, am 22. und 23. September, die „DÖGA“ in Berlin statt; eine Fachmesse für alle, die Döner lieben oder Geld mit ihm verdienen. Das diesjährige Motto lautet „Der Döner hebt ab“ und beschreibt damit die Erfolgsgeschichte der deutsch-türkischen Fleischkreation.

Warum in aller Welt leidet also das Image des Döners? War es das Gammelfleisch, die Sarrazin-Debatte oder gar die schrecklichen Morde der NSU, die in den Medien als „Dönermorde“ die Runde machten? Wahrscheinlich sind so einige Schlagzeilen dafür verantwortlich, dass die würzige Fleischtasche negativ in Verruf geraten ist. Nach meinen Erfahrungen, gehen zumindest viele Deutsche davon aus.

Wenn ich mich mit ihnen – und das ist sehr oft vorgekommen – über Vorurteile gegenüber Türken, Döner und der Sendung „DÖNERstag“ unterhalte, die ich ein Jahr lang im Radio moderiert habe, begegnete mir immer dieselbe Einschätzung:  „Deine türkischen Hörer fühlen sich doch bestimmt auf den Schlips getreten, wenn du sie jeden Donnerstag mit ‚Happy DÖNERstag‘ begrüßt, oder?“ Der Döner scheint durch die deutsche Kulturbrille meist im Zusammenhang mit Murat, Ali und Ayşe gesehen, die sich durch das billige Fast Food den Magen verderben.

„Happy DÖNERstag“

Grund zum Schämen gibt es jedenfalls nicht. Während sich vielleicht die deutschtürkische Generation 50 plus noch auf den Döner reduziert fühlt, ist das Döner-Essen an DÖNERstagen in Berlin Kult. Mittlerweile beobachte ich immer wieder junge Deutschtürken, die sich vor dem ersten Biss in das deftige Teil ‚happy DÖNERstag‘, statt ‚guten Appetit‘ wünschen.

Diesen wundersamen Wertewandel des Döners macht sich auch Ulvi Topcuoğlu (25) zugute, der mit seinem 23-jährigen Bruder Murat seit Kurzem Deutschlands ersten Obst-Döner Laden in Kreuzberg betreibt. In gemütlichem Ambiente in der Adalbertstraße gibt es alles, was Naschkatzen begehren: Süße Waffeln gefüllt mit frischen Erdbeeren, darüber Karamell- oder Schokosoße, bunte Streusel und wahlweise Raffaello, Oreo-Kekse oder zerkleinerte Snickers.

Alles zusammengeklappt ergibt die „Wonder Waffel“, und so nennt sich auch das Lokal.  Klar, Insider bestellen den „Obst-Döner“, hört sich nämlich cooler an. „Wir wollten ein wenig mit dem türkischen Klischee spielen, auch wenn unsere ‚Wonder Waffel‘ nichts mit dem eigentlichen Döner zu tun hat“, sagt Ulvi Topcuoğlu. und zieht Bilanz: „Die Leute rennen uns die Bude ein, in Kürze werden wir nach Neukölln expandieren.“

Bei dem schlechten Image des Döners scheint bei jungen Türken die Devise „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ zu lauten. Schon längst bedeutet die türkische Küche in Berlin nicht mehr nur Döner mit Ayran – auch wenn das allein schon ganz schön stolz machen kann. Die türkische Küche hat viel mehr zu bieten und trifft die Geschmäcker aller Nationen, ohne dabei die eigenen Ansprüche und Traditionen zu ignorieren. Wenn Hong Xung mit einem Börek in der U-Bahn sitzt und freundlich „Servus“ sagt, weiß man, dass Liebe nicht nur durch den Magen geht, sondern sogar gegen die Sarrazins in diesem Land das leckerste Argument ist. Deutschtürkische Küche mundet!

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