Galerie – Treffpunkt https://blogs.dw.com/treffpunkt Vier Kulturschaffende aus Deutschland und der Türkei schreiben über verschiedene Aspekte ihres kulturellen Umfelds Tue, 11 Dec 2012 09:23:30 +0000 de-DE hourly 1 Atelier Karaköy https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/18/atelier-karakoy/ Thu, 18 Oct 2012 12:01:19 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=513 "Overview O" in der Universität Mannheim

„Overview O“ in der Universität Mannheim

Hoch ragen die Pylone von zwei Bosporus-Brücken in den Istanbuler Himmel – als weithin sichtbares Symbol für die Dynamik der Stadt. Jedoch steht man auf ihnen meist im Stau. Das einzelne Schiff auf dem Wasser ist im Vergleich dazu unauffällig im Gesamtbild der Stadt. Doch es ist sehr effizient, denn es fährt unabhängig vom stockenden Verkehr.

Und oft sind es auch die kleineren Initiativen, die nicht so weit sichtbar aus dem Gesamtbild herausragen wie die großen Institutionen, aber dennoch äußerst effizient sind und ganz wesentliche – oder gar die wesentlichen – künstlerischen Brücken bauen …

Der Projektraum „Caravansarai“ der amerikanischen Künstlerinnen Julie Upmeier und Anne Weshinskey ist offenes Atelier und Künstlerresidenz – ein Labor für künstlerische „Produktion, für Experiment, Zusammenarbeit und Inspiration“, wie beide sagen. Folglich ist eines der nächsten Projekte auch das „Perşembe Pazarı Project“ – ein Festival wie auch Ausstellungen in den umgebenden Gassen, in denen unzählige Werkstätten und Läden mit technischem Kleinhandel liegen. Im Residenz-Programm des Caravansarai arbeiten Künstler aus aller Welt, darunter waren bisher Tamico Thiel aus München und die Berlinerin Ellinor Euler.

Bei meinem Besuch genieße ich das Privileg, mit Julie Upmeier und Anne Weshinskey auf der Dachterrasse des Gebäudes den glutroten Sonnenuntergang hinter der Süleymaniye Moschee zu genießen … und dessen Spiegelung auf dem Wasser des Goldenen Horns.

Der Caravansarai liegt in der Banka Sokak in Karaköy, einem quirligen Gewerbeviertel ‚auf der Ecke zwischen Bosporus und Goldenem Horn. Auch hierher hat die Kunst inzwischen einen Fuß gesetzt. Erste Galerien lassen sich zwischen Läden mit Kugellagern und Bootsmotoren, in Nachbarschaft von Schweißern und Schlossern nieder. In Deutschland gibt es diese Form des kleinteiligen, nach Branchen sortierten, Gewerbes längst nicht mehr. Für die deutsche Künstlerin Anna Heidenhein ist Karaköy deshalb ein Art-Space eigener Art: Das ganze Viertel ist ihr Atelier, denn sie arbeitet mit den denkbar unterschiedlichsten Materialien.

Wie für den Maler seine Palette die Vielzahl der farblichen Möglichkeiten darstellt, verkörpert für Anna Heidenhain das Gewirr von Handwerkergassen in Karaköy die Palette der technischen Möglichkeiten bei ihren künstlerischen Projekten. Zur Verwirklichung ihrer großen, wandgebundenen Arbeit „Overview O“ an der Universität Mannheim beispielsweise, arbeitete sie mit über zehn verschiedenen Werkstätten in Karaköy zusammen. „Diese Arbeit hätte man in Deutschland gar nicht herstellen können“, sagt die Künstlerin, die seit über fünf Jahren in Istanbul arbeitet und lebt. Und so ist jenes Kunst-am-Bau-Projekt in Mannheim also „Made in Karaköy by Anna Heidenhain“.

"Overview O"

„Overview O“ in der Universität Mannheim

Sie ist aber nicht nur eine deutsche Künstlerin in Istanbul, zugleich repräsentiert sie „Nüans“, ein interdisziplinäres Künstler-Projekt, das sie gemeinsam mit Maki Umehara und Elmar Hermann in Düsseldorf gründete. Inzwischen haben die drei Künstler in unterschiedlichsten Städten Projekte realisiert, auch davon abhängig, wo sie sich gerade aufhalten. So waren sie bei Beginn der Produktion ihres Buches „Apogee“ jeweils gerade in Florenz, in Mumbay und auf dem Weg nach New York. Das nun fertige Buch über ‚Inseln und Isolation‘, über künstlerisches Arbeiten außerhalb des vertrauten Kontexts, präsentierten sie dann aber unter anderem auch in Istanbul: auf einer Bootsfahrt auf dem Bosporus.

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Galerie Polistar https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/09/14/galerie-polistar/ Fri, 14 Sep 2012 13:15:31 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=113 Galerie Polistar

Die Galerie Polistar im Szeneviertel Tophane

Ein Nachbar montiert Kronleuchter, ein anderer ist Buchbinder: Die Galerie Polistar liegt in der vierten Etage eines Iş Hanı, eines rein gewerblich genutzten Gebäudes, im Stadtteil Tophane. Das erinnert mich stark an das Westberlin meiner Studienzeit in den 1980er Jahren an der damaligen HdK Berlin (Hochschule der Künste, heute UdK, Universität der Künste) und teilweise an die Nach-Wendezeit im Osten Berlins, als sich Galerien und Ateliers in der Nachbarschaft alteingesessenen Gewerbes ansiedelten.

Tophane war bis vor wenigen Jahren ein vergessenes und heruntergekommenes Altbauviertel im Bezirk Beyoglu und ist heute eines jener inzwischen zahlreichen Viertel, die sich in einem rasanten Umbruch befinden – vom traditionellen Gewerbe- und Wohnviertel zum Kunst- und Szeneviertel. Und „rasant“ heißt im Vergleich zu Deutschland „richtig schnell“ – denn das allgemeine Tempo dieser Stadt betrifft auch die Geschwindigkeit ihrer eigenen Veränderung. Erst hier und nicht in Berlin ist mir klar geworden, wie sehr eine Stadt ein sich ständig verändernder Organismus ist – unaufhaltsam …

Magnet für unterschiedliche Kunstliebhaber

Galerie Polistar

Hier treffen sich Künstler, Kuratoren und Kunstliebhaber, Sammler und Journalisten

Eröffnet wurde die Galerie Polistar im Dezember 2011 und ihre Arbeit stößt nicht nur auf großes Interesse in der Istanbuler Kunstszene, sondern auch in der unmittelbaren Nachbarschaft – wie bei dem Buchbinder und dem Kronleuchter-Monteur, die zu den Ausstellungseröffnungen kommen oder bei Murat dem Müllsortierer, der einen kleinen Raum auf der Dachterrasse des Gebäudes bewohnt und hin und wieder Freunde von der Straße mitbringt, denen er die Ausstellungen zeigt. Soviel nachbarschaftliche Harmonie ist nicht unbedingt selbstverständlich, hat es doch vor einiger Zeit vor einer anderen Galerie des Viertels einen Überfall gegeben. Betroffen waren Besucher einer Ausstellungseröffnung gegeben, die sich weintrinkend auf dem Gehweg vor der Galerie aufhielten.

Doch das Zielpublikum von Polistar ist nicht in erster Linie die unmittelbare Nachbarschaft in Tophane. Bei den Eröffnungen treffe ich junge deutsche Künstler, die ganz oder auf Zeit, mit und ohne Stipendien in Istanbul leben und auf junge türkische Künstler aus Deutschland und aus Istanbul, Kuratoren von dort wie von hier, Kunstliebhaber, Sammler, Journalisten … „Polistar“ eben – die vielfältigsten und unterschiedlichsten Sterne und Planeten in einem gemeinsamen Universum der Kunst.

Künstlergespräche als wesentlicher Teil der Rezeption

Galerie Polistar

Ein Laboratorium für Kunst ...

Zum Zeitpunkt meines Besuches ist die Galerie allerdings „leer“, das heißt ohne Besucher und Ausstellung, denn ich bin genau in die Woche von Abbau und Aufbau zwischen zwei Schauen hineingeplatzt: Gözde Ilkins Installation, in der sie „Schule“ als Metapher für autoritäre Prägung in autoritären Systemen einsetzt, ist abgebaut. Die neue Ausstellung von Natalie Czech ist noch im Aufbau. Natalie Czech arbeitet mit Fotografie und Texten, deren verborgene Poesie sie freilegt. So unterschiedlich die Ausstellungen und Positionen der Künstler auch sind, die Ausstellungstitel sind alle gleich: METODİK ÇALIŞMALAR / METHODICAL INQUIRIES. Kristina Kramer hat für den Ausstellungszyklus mit dem Leiter des Künstlerhauses Stuttgart, Adnan Yildiz, und der als freie Kuratorin in Berlin lebenden Övül Durmusoglu zusammengearbeitet. Das Konzept könnte man auch als Gruppenausstellung in Form von Einzelschauen oder besser noch als Atelierbesuche in Form von Galerie-Ausstellungen betrachten. Wesentlicher Teil dieses diskursiven Ansatzes sind Künstlergespräche und entspannt geführten Diskussionen, die von Arbeitsgruppen vorbereitet werden und am Eröffnungsabend und weiteren Terminen stattfinden.

So hat sich in diesem Iş Hanı mit Polistar also weniger eine Galerie im klassischen Sinne angesiedelt – Nachbar des Buchbinders und Lüsterklempners ist eher ein Laboratorium für Kunst im Beuys’schen Sinne.

Der Sog der lebendigen Stadt

Galerie Polistar

Die Kunst hat Fuß gefasst in Tophane

Kristina Kramer kam bereits vor über acht Jahren nach Istanbul – im Rahmen von Recherchen für ihre Magister-Arbeit über Zeitgenössische Kunst in Istanbul. Und dann erging es ihr wie mir und vielen anderen hier. Die Projekte kamen ‚auf ihre eigenen Füße‘, lösten einander ab und die Jahre in Istanbul addierten sich nicht als Resultat einer grundsätzlichen Entscheidung für diese Stadt, sondern Istanbul hatte sich für uns entschieden. Bei Kristina Kramer folgte auf Recherchen im Rahmen eines Praktikums Mitarbeit bei der von Vasıf Kortun und Charles Esche kuratierten Istanbul Biennale 2005 bevor sie später in unterschiedlichen Projekten als Kuratorin tätig war.

Jene Istanbul Biennale 2005 war unter anderem übrigens auch für Tophane bedeutend: einer der dezentralen Ausstellungsorte der Biennale war ein leerstehendes ehemaliges Tabak-Depot in unmittelbarer Nachbarschaft des heutigen Standorts von Polistar. Mit dieser Ausstellung hatte die Kunst erstmals ihren Fuß nach Tophane gesetzt.

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