Gastarbeiter – Treffpunkt https://blogs.dw.com/treffpunkt Vier Kulturschaffende aus Deutschland und der Türkei schreiben über verschiedene Aspekte ihres kulturellen Umfelds Tue, 11 Dec 2012 09:23:30 +0000 de-DE hourly 1 Almancı! – Über Parallelwelten und Interessengruppen https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/26/almanci-uber-parallelwelten-und-interessengruppen/ Fri, 26 Oct 2012 07:36:06 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=595 „Almancı“, so wurden türkische Gastarbeiter gemeint, die Ende der 1950er Jahre nach Deutschland kamen. Dieses Wort leitet sich aus dem türkischen Wort für Deutsch, also „alman“ ab und wurde insbesondere von den daheim gebliebenen Landsleuten benutzt.

Hört sich nett an, war aber nicht so gemeint: „Almancı“ umschrieb diejenigen, die aus anatolischen Dörfern kamen, wohlmöglich Analphabeten waren und sich im fernen „Almanya“ mit Drecksarbeit eine goldene Nase verdienten. Ein „Almancı“ zu sein, war in der Heimat Türkei zunächst alles andere als en vogue – höchstens gelobt, wenn deutsche Schokolade mitgebracht wurde.

Heute, einige Jahrzehnte und Generationen später, glänzt die andere Seite der Medaille: Deutschtürkisch zu sein ist eine Lebenseinstellung, ein Lifestyle!

„Almancı“ bedeutet eben nicht mehr zwischen zwei Kulturen kleben geblieben, bildungsfern und konservativ zu sein. „Almancı“ zu sein, riecht nach Erfolg!

Die zahlreichen und vielfältigen „Almancı“-Allstars nennen sich zum Beispiel Fatih Akın (Regisseur), Bülent Ceylan (Komiker) und Shermin Langhoff (Theaterintendantin). Diese Persönlichkeiten sind bundesweit bekannt, doch es lohnt sich an der Oberfläche zu kratzen. Insidern sind Künstler wie die Berliner Band Orientation, Schauspieler und Grimme-Preisträger Oktay Özdemir und der preisgekrönte Regisseur Neco Çelik ein Begriff.

Die deutschtürkische Kulturszene ist aktiv, kreativ und nicht nur bei der Zielgruppe selbst ein beliebter Makrokosmos, in dem man sich privat beheimatet fühlt.

Ob Freunde türkischer Musik, Berlin-Touristen oder einfach kulturell Interessierte – das Motto der Hauptstadt lautet „jung, cool, türkisch“. Und das kommt bei ganz unterschiedlichem Publikum an.

So erkennt auch die Wirtschaft mehr und mehr, welche Bedeutung der deutsch-türkischen Symbiose beigemessen werden muss. Die angeblich „nicht integrierten Parallelwelt“ ist mittlerweile Kernzielgruppe verschiedenster Unternehmen. „Ethno-Marketing“ wird das Werben einer bestimmten kulturellen Gruppe für ein Produkt genannt – Fachjargon eben.

So gibt es ein extra für türkischstämmige Deutsche kreiertes Mobilfunk-Angebot der großen E-Plus Gruppe, die unter dem Namen „Ay Yıldız“ (dt.: Halbmond) geführt wird. Der deutsche Traditionsautobauer Volkswagen startete schon vor Jahren die Werbekampagne „VW türkçe konuşuyor“ (VW spricht türkisch), mit der sie Verkaufsgespräche in den bundesweiten Filialen auf Türkisch anbieten. Das funktioniert natürlich nur mit türkischsprachigen Mitarbeitern.

Auch Marken aus der Türkei zählen immer mehr auf die Kaufkraft ihrer ehemaligen Landsleute, deren Kinder und deren Enkel. Türkische Produkte werden importiert, vermarktet und munden auch vielen Deutschen. Vielleicht ist Ihnen ja auch schon einmal aufgefallen, dass in einigen Ballungsräumen immer mehr Kneipen „Efes Pilsener“ und „Yeni Rakı“ anbieten.

Doch weg von der Kaufkraft der Deutschtürken und den damit entstehenden Wirtschaftszweigen, die viele Milliarden Euro jährlich in die Steuerkassen spülen, und zurück zur Kultur!

Schön und gut: „Almancıs“ von heute inszenieren ihr eigenes Theater, produzieren eigene Filme, organisieren Partys, Konzerte und Festivals – „Wo aber bleibt da die Integration?“, mögen kritische Buschkowskys und Sarrazins nun fragen.

Tja, und manche Fragen lassen sich eben am besten mit Gegenfragen beantworten: Wie wollen Sie autonome Linke dazu bringen sonntags Schweinsbraten zu essen und mit Mutti Wolfgang Petry zu hören, Herr Buschkowsky? Reden Sie bei diesen ‚Randgruppen‘ auch von ‚Integration‘? Dieser Gedankengang scheint für Sie absurd zu klingen, aber muss denn jeder etwas mit jedem zu tun haben? Müssen Schlagerfans mit türkischen Tangoliebhabern feiern?

Dies war zwar mehr als eine Gegenfrage, aber fest steht, dass von Parallelgesellschaften nur dann die Rede ist, wenn diese sich auf Grund ethnischer Wurzeln bilden. Ansonsten werden Strömungen, Trends und Szenen als Interessengemeinschaften bezeichnet. Ähnlich verhält es sich mit den ‚Ehrenmorden‘, die als ‚Familiendramen‘ betitelt werden, sofern es sich um einen nicht muslimischen Täter handelt. Es ist also Ansichtssache und ein großer Unterschied, ob man von ‚Parallelgesellschaften‘ spricht oder von ‚Interessengruppen‘. Jeder von uns fühlt sich doch einer Gruppe und dessen Traditionen verbunden – ob im Fußballverein, der Familie oder der Partei. Kulturelle Vorlieben, Prägungen und Interessen unterschiedlicher Gruppen sind nun mal nicht zu ‚integrieren‘, sondern sind Privatsache!

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