Sprache – Treffpunkt https://blogs.dw.com/treffpunkt Vier Kulturschaffende aus Deutschland und der Türkei schreiben über verschiedene Aspekte ihres kulturellen Umfelds Tue, 11 Dec 2012 09:23:30 +0000 de-DE hourly 1 „Aşkım ja, du siehst voll schlecker aus!“ https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/02/askim-ja-du-siehst-voll-schlecker-aus/ Tue, 02 Oct 2012 08:24:47 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=395 Sprechen Sie Kiezdeutsch? Wissen Sie welche Begriffe und Gesten wichtig sind? Was? Sie haben keine Ahnung und sprechen nur Hochdeutsch? Dann sind Sie entweder aus einem Kaff oder gehören der Generation 40 plus an. Entschuldigen Sie, aber laut anerkannten Sprachwissenschaftlern ist Kiezdeutsch eine Entwicklung, die eine lebendige und dynamische Sprache wie Deutsch ausmacht.

„Ey Alter, ich weiß wo dein Haus wohnt!“ und „Was guckst du?“ – sind typische Sätze, die man mit Migranten-Kindern auf Großstadt-Hinterhöfen verbindet. Sie wurden unzählige Male parodiert, belächelt und durch den Kakao gezogen. Doch: „Kiezdeutsch ist die deutsche Sprache der Gegenwart!“, davon ist die Professorin Heike Wiese an der Universität Potsdam überzeugt. „Die Jugendsprache von heute ist grammatikalisch korrekt integriert. Es gibt daran nichts zu beanstanden, ganz im Gegenteil.“ Die Autorin von „Kiezdeutsch: ein neuer Dialekt entsteht“, stellt sich gegen alle Klischees: „Es ist ein Vorurteil, dass Kiezdeutsch kein richtiges Deutsch ist. Nur tote Sprachen entwickeln sich nicht und hierzulande hat sich die Sprache dahingehend verändert, dass nicht nur auf Bayerisch oder Sächsisch gesprochen wird, sondern auch auf ‚Kanaksprak’“, sagt sie.

Die Sprachforscherin schreibt in ihrem Buch ausführlich über Kiezdeutsch, welches für sie Kompetenz belegt, statt Defizite darstellt. Bei „Kanaksprak“ handelt es sich ihrer Auffassung nach nicht um irgendein Kauderwelsch von bildungsfernen Migranten-Kindern.

Auch Aslı Özarslan, Initiatorin der Videoinstallation „Kanaksprak bist du“, weiß um die Mannigfaltigkeit der Jugendsprache. Die Deutschtürkin setzt sich für die Anerkennung der Jugendsprache ein und zeigte während der Berliner Sprachwoche eine Videoinstallation zu dem Thema. „Ich wollte mal die Gelegenheit nutzen, Sprachbarrieren zu brechen“, sagt die Filmemacherin. „Die bürgerlichen Besucher haben hier, in der Friedrichstraße, ein paar Tage Zeit einen Eindruck von dem Dialekt zu gewinnen“, sagt Özarslan.

Das geschieht in dem Spot anhand von Lektionen, die von unterschiedlichen Jugendlichen erklärt werden. Die Videoinstallation ist quasi ein Crash-Kurs für „Kanaksprak“.

Um jedoch nicht nur über die Jugendlichen und ihre Sprache zu sprechen, sondern auch mit ihnen selbst, haben sie sich bei mir vor Ort zu Wort gemeldet.

„Das was man so im Fernsehen, in den Medien hört – also so was wie von ‚Erkan und Stefan‘ – ist nicht das wahre Kiezdeutsch. Das ist eine Kunstsprache. Wir sagen gar nicht Sachen wie ‚Ey, ich weiß wo dein Haus wohnt!‘, oder so etwas. Bei uns hört sich das ganz anders an“, meint einer der 19 jährigen Protagonisten des Videos. „In Wirklichkeit geht es in unserer Alltagssprache viel um Bewertungen wie ‚Vallah, du bist King!‘ oder ‚Moruk, du siehst echt Bombe aus!'“

Anders ist es, wenn ernsthaft geflirtet wird. Auf meine Frage, wie eine Traumfrau auf Kiezdeutsch angebaggert wird, läuft der Abiturient rot an. „Ich würde meiner Traumfrau kein Kompliment auf Kananksprak machen. Kommt doch nicht gut rüber. Klingen würde es aber ungefähr so: Aşkım ja, du siehst voll schlecker aus!“

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Wie ich den deutschen Sprachraum entdeckte https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/01/wie-ich-den-deutschen-sprachraum-entdeckte/ Mon, 01 Oct 2012 10:30:55 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=377 Im Sommer 1970 hatte ich die Aufnahmeprüfungen bestanden und wurde in eins der renommiertesten Gymnasien des Landes, und zwar in das österreichische Sankt Georgs Kolleg, aufgenommen, welches seit 1882 besteht. Damals war ich 11 Jahre alt. Doch eines konnte ich mit meiner kindlichen Vernunft schon begreifen: Die europäische Kultur, der sich die türkische Republik schon seit ihrer Gründung und davor zuwendet und von der sie ein Teil werden möchte oder vielleicht von Zeit zu Zeit bereits ein Teil geworden ist – in Form von einer Gegenidentifikation – diese europäische Kultur würde eine bedeutende Rolle in meinem Leben spielen. Und so geschah es auch.

Anfangs hatte das Land Österreich für mich verschiedene Bedeutungen: Es war das Land, in dem meine Lieblingsrockgruppen ihre Schallplatten gleichzeitig wie in den angelsächsischen Ländern auf den Markt brachten; das Land, in dem ich meine Lieblingsbücher oder Zeitschriften günstiger kaufen konnte; das Land, in das wir mit der Schule jedes Jahr in einem Bus fuhren und das wir nach 30-stündiger Fahrt erreichten und zwei Wochen lang eine schöne Zeit verbrachten – jedoch unter Aufsicht unserer Lehrer … Damals waren das Ausreisen aus der Türkei nicht so einfach. Also war das Land Österreich für uns Halbwüchsige, die es aus dem Land geschafft hatten, das wunderbare Land, in dem wir die Kosmetikbestellungen unserer Mütter erledigen konnten.

Zur gleichen Zeit begannen wir im Deutschunterricht mit unserem Lehrer Stephan Unterberger das Buch „Wesen und Werden der deutschen Dichtung“ zu lesen und ich begriff sehr schnell, wie wir über Sprache und Literatur ein Teil des gemeinsamen Menschheitsabenteuers wurden. Einerseits konnte ich mithilfe der deutschen Sprache sowie der deutschen Literatur mein Land mit Abstand und mit anderen Augen betrachten. Andererseits konnte ich dadurch sowohl die Unterschiede aber auch die Gemeinsamkeiten zwischen Österreich und der Türkei, oder besser formuliert, zwischen dem deutschsprachigen Gebiet und der Türkei, sehen. Ich konnte mich beiden Gebieten mit Einfühlungsvermögen annähern. Auf diese Weise erhielt ich zwei Heimatländer. Wenn ich in dem einen lebte, vermisste ich das andere. Meine eine Heimat war die Türkei und die andere der deutsche Sprachraum. Ich nenne es den „deutschen Sprachraum“, denn der Lehrplan des österreichischen Sankt Georgs Kolleg kann einen Schüler genau so gut in den österreichischen wie auch in den deutschen Sprachraum integrieren.

Natürlich habe ich in der Schule ziemlich viel über Österreich und Deutschland erfahren. Meine Neugier hielt in den folgenden Jahren an. Und vielleicht habe ich den deutschen Sprachraum aus bester Quelle erlernt: aus der Literatur.

Thomas Bernhard gilt meine Liebe. Genau so wie Thomas Mann und Heinrich Mann. Bernhard beschrieb das gesellschaftliche Trauma, das nach der geografischen Verkleinerung des österreichischen Reiches auftauchte. Ich habe lange darüber nachgedacht. Nach Bernhards Anmerkungen habe ich das österreichische Theater, die Operette und die Oper besucht. Um eben dieses Trauma zu überwinden, wählte Österreich diesen Weg aus: Die aktuellen emotional-historischen Komplexe sollten auf der künstlerischen Bühne reproduziert und aufgeführt werden. Vielleicht ist auch aus diesem Grund die Wahl des Leitungsteams des Burgtheaters in Wien für das Volk genauso wichtig wie die Wahlen zum Präsidentenamt.

Das türkische Volk lebt mit demselben Trauma. Das Trauma des Herabsteigens von der Weltmacht hinunter auf die Dritte-Welt-Kategorie. Die unaufhörliche Spannung zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitskomplexen. Aber man kann nicht mit Traumata weiterleben. Oder wie der Held meines neuen Romans es behauptet „Wir sind das, was wir aufgrund unserer Traumata geworden sind“. So hat die Türkei das Trauma des Herabsteigens von einer Weltmacht überstanden, indem sie in der Lage ist, eine ganze Straße, oder, wenn es sein müsste, ein ganzes Land sofort in eine Theaterbühne zu transformieren. Diese Fähigkeit der türkischen Republik hat sicherlich zu der Entstehung des soziologischen Phänomens, das ich Formalismus nenne, beigetragen.

In dieser Hinsicht ist Deutschland ein fruchtbares Land was seine Kultur, Kunst sowie Literatur angeht und meiner Meinung nach bodenständig. Trotz seiner besonderen Fähigkeiten von Form bis zur Funktion, sei es eine Maschine oder Architektur, konzentrierte sich das Land auf andere Inhalte. Es scheint, dass Deutschland ein Land ist, welches mit sich selbst in Frieden ist. Es ist ein Land, welches nach seiner Vergangenheit aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der daran anschließenden Konfrontation, also nach so einem Trauma, eine demokratische und pluralistische Weltsicht hervorbringen konnte. Dieser Fähigkeit verdankt es sein Wachstum. Deutschland ist ein Land, in dem gutes Theater auf die Bühne kommt und in dem Theater geschützt und gefördert wird.

Aber wie schon gesagt, ich bin in beiden Ländern zuhause. Sowohl in der Türkei als auch im deutschen Sprachraum. Zwar ist die jeweilige geografische Lage unterschiedlich, jedoch der jeweilige Platz in meinem Leben gleich.

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