Tradition – Treffpunkt https://blogs.dw.com/treffpunkt Vier Kulturschaffende aus Deutschland und der Türkei schreiben über verschiedene Aspekte ihres kulturellen Umfelds Tue, 11 Dec 2012 09:23:30 +0000 de-DE hourly 1 Hochzeitsbräuche in Oberbayern und Anatolien https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/22/hochzeitsbrauche-in-oberbayern-und-anatolien/ Mon, 22 Oct 2012 10:38:15 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=563 Wer je eine Hochzeit in Oberbayern besucht hat, braucht vor einer türkischen Hochzeit keine „Angst“ zu haben! Du weißt, dass du Türke bist, wenn du die meisten der Gäste auf deiner eigenen Hochzeit nicht kennst. Diese Formulierung wird gerne benutzt um den Deutschen ein wenig ironisch die türkische Kultur des Heiratens zu erklären. Aber die wenigsten von ihnen haben wohl schon einmal eine traditionelle Hochzeit in Oberbayern erlebt. Denn hier gilt das gleiche wie oben beschrieben. Wenn auch nur auf dem Dorf.

Bei einer typisch bayerischen klopft zunächst einmal der „Hochzeitslader“ an die Tür. Der in Bayern übliche Hochzeitslader unterstützt das Brautpaar bei der Planung und Durchführung der Hochzeit. Er bringt sich aktiv in die Feier ein und ist oft auch eine Art Moderator der Feier. Der Begriff Hochzeitslader stammt aus der Zeit, als Papier noch sehr teuer war und eine Person daher von Tür zu Tür ging und die Gäste mit einem Vers zur Hochzeit eingeladen hat. Der Brauch wird auch heute noch gepflegt. Auf seinem Rundgang durchs Dorf hat der Hochzeitslader immer einen mit Bändern verzierten Stock dabei. Die Farben der vier Bänder symbolisieren Liebe (rot), Treue (blau), Hoffnung (grün) und Jungfräulichkeit (weiß).

Im Dorf wird jeder eingeladen. Es ist auch erwünscht, dass jeder kommt. Dabei ist es oft  Brauch, dass die Gäste ein Bescheid-Tüchlein zur Hochzeit mitbringen. In dieses Tuch ist ein beliebiger Geldbetrag als Beitrag zur Hochzeitsfeier eingewickelt. Am Ende der Feier erfüllt das Tüchlein dann einen weiteren Zweck. Die Gäste dürfen sich darin die Essenreste einpacken und diese mit nach Hause nehmen.

Als ich zum ersten Mal eine türkische Hochzeit besuchte, war ich überwältigt. Meine Frau und ich waren zur Hochzeit eines türkischen Kollegen eingeladen. Auch hier gibt es viele Traditionen und Gebräuche. Wir kamen zum Beispiel nicht pünktlich zur angegebenen Uhrzeit an – soviel hatte ich bis dahin schon gelernt. Kein Türke kommt pünktlich. Aber dass die angegebene Adresse stimmt, hatte ich zunächst nicht glauben wollen: Das Fest fand tatsächlich in einem großen städtischen Gemeindezentrum statt. Im Saal befanden sich dann um die 1.000 Gäste. Der Kleidungsstil war sehr unterschiedlich: Vom edlen Outfit bis zum Sportdress war so ziemlich alles dabei.

Es wurde ein langes Fest. Mit dem Brautpaar sprachen wir nur geschätzte 60 Sekunden. Es war eine kurdische Hochzeit. Da war es selbstverständlich, dass jeder, der das Brautpaar kannte, einfach mal vorbei kam und auch bewirtet wurde. Auch die Geschenke waren typisch kurdisch: Ich heftete dem Bräutigam, wie alle anderen auch, einen Geldschein an den Anzug. Unser mitgebrachtes Geschenk ließen wir in der Tasche stecken.

Deutsche und Türken leben nicht in abgeschotteten Kulturen. Sie haben viel mehr gemeinsam als sie selbst wissen wollen. Jeder reklamiert für sich, dass die eigenen Gebräuche, Werte und Sitten einzigartig seien. Nun kennen viele Deutschen ihre eigene Kultur nicht. Ob das bei den Türken auch so ist, dieses Urteil steht mir nicht zu. Aber bevor wir Deutsche in den Hof des anderen schauen, sollten wir erst einmal in unseren eigenen schauen. Aber ein Blick von der „anderen Seite“ ist auch wünschenswert.

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