Türken – Treffpunkt https://blogs.dw.com/treffpunkt Vier Kulturschaffende aus Deutschland und der Türkei schreiben über verschiedene Aspekte ihres kulturellen Umfelds Tue, 11 Dec 2012 09:23:30 +0000 de-DE hourly 1 Vom Mitgefühl und der Liebe im Straßenverkehr https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/21/vom-mitgefuhl-und-der-liebe-im-strasenverkehr/ https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/21/vom-mitgefuhl-und-der-liebe-im-strasenverkehr/#comments Sun, 21 Oct 2012 07:28:06 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=521 Einen Tag vor meiner Abreise nach Istanbul sitzen ein Freund und ich in einem Café in der Berliner Oranienstraße und schauen dem Regen zu. In Istanbul war es zu dieser Zeit schon 30 Grad warm. Durch die Fenster beobachten wir die Autos auf den nassen Straßen. Alles fährt und bewegt sich gleichmäßig in einem ruhigen Fluss. Plötzlich gerät der Verkehr ins Stocken. Ein Kleinwagen hat mitten auf der Straße gehalten und hinter ihm staut sich der Verkehr. Vor dem Kleinwagen ist alles frei. Warum hält er? Aus Liebe!

Denn in dem Wagen ganz vorne küssen sich ein junger Mann und eine junge Frau aus der Türkei. Fast könnte man annehmen, dass sie gerade Sex haben. Die Fahrer aus den hinteren Autos tun nichts. Keiner hupt. Keiner schreit aus dem Autofenster. Sie warten. Sie warten, bis die Erregung abnimmt. Vielleicht hört der Regen nicht so schnell auf, aber die Lust wird wohl vergehen. Sie warten. Das junge Paar gibt sich dem Moment der Liebe hin, sie huldigen der Liebe. Hier halten Autofahrer für die Liebe an. Da wir sonst nichts anderes zu tun haben, zählen mein Freund und ich die Minuten. Es sind bereits mehr als fünf Minuten vergangen. Mittlerweile ist der junge Mann aus dem Kleinwagen ausgestiegen, doch das Auto bewegt sich immer noch nicht und der Stau wird immer länger. Als der junge Mann merkt, dass sie nicht weiterfährt, kommt er zurück und beugt sich mit dem halben Körper durch das Fenster ins Auto und schmeißt sich wieder an ihre Lippen. Dann kommt er wieder zum Vorschein, dreht sich um und entfernt sich. Auch der Kleinwagen bewegt sich endlich. Lust und Aufregung vor unserem Café kommen wieder zur Ruhe. Alle Autos setzen sich nun in Bewegung und der Verkehr läuft sofort normal weiter. Es regnet immer noch.

Ich frage mich, wie Autofahrer in der Türkei auf eine ähnliche Situation reagieren würden. Dazu fällt mir ein „typisch türkisches Fahrverhalten“ ein. Um voranzukommen würden sie sofort versuchen den Kleinwagen zu umfahren Die meisten Autofahrer in der Türkei riskieren alles, um andere Autos zu überholen, und mindesten einen Wagenabstand Vorsprung zu bekommen. Dadurch gefährden sie sich nicht nur selbst, sondern auch die anderen Fahrer. Und wozu das Ganze? An der nächsten Brücke, der nächsten Ampel, Stau oder Mautstelle, stehen sie doch alle wieder nebeneinander.

Dieses gefährliche Verhalten der Fahrer im Straßenverkehr ähnelt der Einstellung vieler Bürger zu ihrem Land. Ohne Rücksicht auf Andere, ohne Solidarität mit den eigenen Landsleuten oder Mitmenschen, beutet jeder Jeden aus. Man nutzt die Situation oder die Umstände aus wo man nur kann. Man denkt an den eigenen Vorteil ohne nur einen einzigen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden.

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Warum sich Türken in Bayern sehr wohl fühlen https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/18/warum-sich-turken-in-bayern-sehr-wohl-fuhlen/ Thu, 18 Oct 2012 07:44:51 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=501 Berge sind Schauplätze mächtiger Naturgewalten. Sie beschwören immer wieder plötzliche Unwetter herauf, die den Bewohnern und dem Vieh in den Tälern den Tod bringen können – im Sommer wie im Winter. Ein falscher Schritt in den Bergen kann oft einen tödlichen Absturz bedeuten. Auf Grund dieser Gefahren haben die Menschen in der ganzen Welt, die in gebirgigen Regionen leben, einen höheren Grad an Frömmigkeit in ihrer Religion entwickelt. Glaubensstärke soll die Extra-Portion Schutz gegen die Naturgewalten bieten. Das gilt im Himalaya, in Anatolien und genauso in Oberbayern. Ebenso im Karwendelgebirge, wie im Doğu Karadeniz Dağları.

„Bin ich froh, dass meine Großeltern nicht nach Berlin angeworben wurden. Nach Berlin in diese gottlose Stadt! Nein sie gingen nach Bayern. Allah sei Dank. Denn die Bayern leben ihre Religion, sie gehen regelmäßig in die Kirche, sie sind gottesfürchtig und sie veranstalten Prozessionen, bei den sie um gutes Wachstum für ihre Früchte bitten und im Herbst danken sie bei einer weiteren Prozession für den Ertrag der Ernte“, erklärt mir Bülent in München und fährt fort „außerdem pflegen sie wie die Menschen in Anatolien ihre Traditionen, ziehen zu den Festlichkeiten ihre Trachten an und feiern und trinken Bier. Dem Bier zu Ehren geben sie ein ganzes Fest: das Oktoberfest. Wir nennen es ‚Bira Bayramler'“, lacht Bülent. „Viele Bayern halten sich auch an das Fasten, auch wenn sie dafür ein spezielles Bier erfinden mussten. Die Mönche haben beschlossen, dass sie während der Fastenzeit nur flüssige Nahrung zu sich nehmen zu dürfen, also haben sie einfach ein spezielles Starkbier gebraut. Sind schon ganz schlaue Leute, die Bayern“ so schließt Bülent seine Erklärung.

Mit diesem Festhalten an ihren Traditionen sind die Bayern in Deutschland ebenso eine Minderheit, wie die Menschen, die aus der Türkei nach Deutschland kamen. Auch die Bayern werden vom übrigen Teil der deutschen Bevölkerung etwas belächelt und argwöhnisch betrachtet. Programme zu ihrer Integration gibt es nicht. Doch am „Bira Byramler“, dem Münchner Oktoberfest sind die Mehrheitsdeutschen dann gerne mit dabei. Denn auch Deutschland ist ein Land mit vielen verschiedenen Kulturen, Gebräuchen und Religionen. Wenn diese unterschlichen Volksgruppen ihren Dialekt sprechen, können sie sich untereinander nicht verstehen. Diese Unterschiede betrachten die Deutschen als normal. Ihnen fällt es aber schwer zu begreifen, dass auch die Menschen aus der Türkei aus unterschiedlichen Volksgruppen stammen. Sie stecken diese einfach in eine Schublade. Menschen aus Bayern und Anatolien haben gemeinsam, dass sie nicht aufgrund ihrer Religiosität oder Frömmigkeit beschimpft oder beleidigt werden möchten. Was übrigens fromme Menschen auf der ganzen Welt nicht wollen.

Sollten sich in den Bergen ein Bayer und ein Muslim begegnen, so wird der Bayer dem Muslim ein „Pfiadi“ – deutlicher ausgesprochen ein „(Gott) Behüte Dich“ -entgegenrufen. Der Muslim wird antworten: „Allaha ısmarladık!“. Zu Deutsch: „Gott befohlen“.

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Arabesk-Abend oder anatolisches Rock-Konzert? Wie Berliner Türken feiern. https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/16/arabesk-abend-oder-anatolisches-rock-konzert-wie-berliner-turken-feiern/ Tue, 16 Oct 2012 19:17:54 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=487 Immer wieder stellen mir Leute die Frage: „Wo kann man denn so hingehen, wenn man mal so typisch türkisch abfeiern kann?“ „Ja, dann schleicht ihr euch am Besten in einen der zahlreichen Hochzeitssäle und schwingt die Hüften auf einer türkischen Hochzeit.“, antworte ich dann meistens und muss schmunzeln. Was heißt denn das überhaupt „typisch türkisch abfeiern“? Geht es dabei um türkische Musik? Wenn ja, welche? Oder geht es um die türkische Art zu feiern, was auch immer das heißen mag? Wo und wie Berliner Türken feiern ist ganz unterschiedlich, doch schon zu Anfang kann man etwas festhalten: Türkische Musik ist das A und O!

Um herauszufinden welche Attribute maßgeblich die Feierlaune junger Türken in Berlin beeinflussen, habe ich per soziales Netzwerk die Frage „Was ist das Wichtigste beim Feiern?“ gestellt. In der nicht repräsentativen Umfrage bei Facebook kam heraus, dass in der Altersgruppe der 15 – 35 jährigen Deutschtürken die orientalischen Dance-Songs die Feier ausmachen (siehe Abbildung). Türkische Musik geht eben durch Mark und Bein und muss regelmäßig betanzt werden – auf Partys, Konzerten, in Clubs und auf Festivals.

Klar, in der Umfrage auf meiner Facebook-Seite mit knapp 6.000 Usern wurden noch andere Attribute für die perfekte Sause genannt: So sind für feierwütige Türken, nach der türkischen Musik, eine angesagte Location und ein nobles Ambiente wichtig. Ein junger User kommentierte, dass „Bunnys“, also Mädels, eine ebenso wesentliche Rolle beim Amüsieren spielen – erscheint logisch bei der oben genannten Altersgruppe. Es ist im türkischen Nachtleben auch nicht unüblich, dass männliche Besucher ohne weibliche nicht an den Türstehern vorbeikommen. Ein ausgewogenes Frau-Mann-Verhältnis belegt inoffiziell, dass es sich um ein gehobenes Event handelt. Die jungen Männer, die vor der Tür bleiben müssen, sehen das sicher anders…

Doch obwohl türkische Musik eine ganze Generation durch das Nachtleben stürzen lässt, sind nicht alle Partys mit türkischer Musik ein Besuchermagnet.

Was ist es also, was sich auf den Plattentellern drehen muss? Welche Beats müssen durch die Boxen rauschen und damit die jungen Deutschtürken elektrisieren?

„Das kommt ganz drauf an!“, weiß Djane İpek, die die türkische Partymeute rund um den Globus einheizt. „Deutschtürken haben ja keinen homogenen Geschmack.“

Die mehrfach ausgezeichnete DJane trifft den Nerv der Leute und bringt die Partys zum Kochen. „Die Deutschtürken sind genauso vielfältig wie alle anderen und weinen sich den einen Tag bei einer Arabesk-Veranstaltung die Augen aus dem Kopf und besuchen ein paar Tage später ein türkisches Rock-Konzert.“ Die Berlinerin genießt die bunte Musikwelt und bietet ihrem Publikum ihren eigens kreierten „Berlinİstan“-Sound. Ihre akustischen Darbietungen tragen immer İpekçioğlus beliebte Note, unterscheiden sich aber je nach Publikum, Anlass und Location.

„Das ist genau das, was ich an meinem Job und meinem deutschtürkischen Publikum so liebe“, schwärmt die DJane. „Auf einer Elektro-Minimal-Techno-Party gehen alle völlig verrückt auf der Tanzfläche ab, während Hip-Hop-Partys werden regelmäßig Revolutionen angezettelt und dann gibt es noch die legendären „Gayhane“-Partys im Berliner SO36, bei denen die Leute bei Belly-Musik oder kurdischem Halay total ausflippen.“

Fazit ist, dass „typisch türkisches Feiern“ kaum zu definieren ist. „Typisch türkisch“ gibt es nicht, außer die Lust am Feiern…

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Grillen https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/15/grillen/ https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/10/15/grillen/#comments Mon, 15 Oct 2012 19:13:21 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=475 Meine türkischen Freunde behaupten, dass die Türken zu jeder Tages- und Jahreszeit grillen würden. Da kennen sie aber die Saarländer nicht! „So ein schöner Garten und nie grillen die Nachbarn da drin“ klagt Murat mir in Mannheim und weist auf den akkuraten drei Millimeter geschnitten Rasen seiner Nachbarn. „Guck mal, die benutzen ihren Garten eigentlich nie, aber wenn ich den Grill anschmeiße, beschweren Sie sich“, klagt mir Jörg in Köpenick und weist auf den akkuraten drei Millimeter geschnitten Rasen seiner Nachbarn. Murat stammt aus Konya, Jörg stammt aus dem Saarland. Was beide vereint ist die hemmungslose Lust zu jeder Tages- und Jahreszeit saftige Fleischstücke auf den Grill zu werfen.

Mein schönste Grillerlebnis mit Freunden aus der Türkei, war an einem Silvesterabend auf einer Dachterrasse in Berlin bei gefühlten 10 Grad minus und Schneeregen. Das Wetter tat der guten Stimmung keinen Abbruch, man hielt sich warm mit Lachen und guter Laune und Glühwein. Der Grillwagen wurde einfach unter die Markise gerollt und los ging es. Natürlich standen wir mit draußen und ließen den Grillmeister nicht allein. Das Ergebnis seines Werks war ein lukullischer Genuss.

Wenn Jörg, der Saarländer, grillt, dann packt er das ganz große Gerät aus: den Schwenker. Er ist ein stählernes Dreibeingestell mit dazwischen aufgehängtem, rundem Grillrost aus Edelstahl. Dabei unterscheidet man allerdings zwischen dem „Schwenker de Luxe“ und dem Gekauften. Der erste ist so stabil, dass er jederzeit als Panzersperre einzusetzen wäre. Der Gekaufte ist dagegen ein blasser Abklatsch: Er steht nicht wie eine Eins, und manchmal wackelt er sogar. Ein Unding! – Kein Saarländer lobt ihn. Völlig klar ist der Ursprung des Schwenk-Gestelles: die ersten Geräte dieser Art entstanden während der Arbeitszeit auf saarländischen Hütten und in Gruben-Werkstätten über Tage. Hütten- und Grubenbesitzer stellten mehr oder weniger freiwillig und gerne das Material zur Verfügung.

Im Saarland soll so viel gegrillt werden, dass die Piloten der Flugzeuge im Anflug auf den Flughafen, vor lauter Grillschwaden die Landebahn nicht finden. „Gott lenkt, der Mensch denkt, der Saarländer schwenkt“, mit diesem Spruch macht sich Jörg an seine Aufgabe. Kalte Nebelschwaden an diesem tristen Novembertag machen ihm nichts aus. Das Wetter tat der guten Stimmung keinen Abbruch, man hielt sich warm mit Lachen und guter Laune und Bier. Das Ergebnis des Grillens war ein lukullischer Genuss.

Schön dass beide Kulturen von sich behaupten, dass sie die Weltmeister in der Zubereitung von Fleisch auf dem offenen Feuer seien. Damit stehen sie aber nicht alleine, viele andere behaupten das auch. Leider grillen Deutsche und türkisch-stämmige Deutsche meistens allein vor sich hin. Vielleicht werden Murat und Jörg einmal Nachbarn.

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Türken gehen nicht ins Theater https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/09/14/turken-gehen-nicht-ins-theater/ https://blogs.dw.com/treffpunkt/2012/09/14/turken-gehen-nicht-ins-theater/#comments Fri, 14 Sep 2012 11:01:54 +0000 http://blogs.dw.com/treffpunkt/?p=73 Ein Transparent über der Berliner Naunynstraße (Foto: Şirin Manolya Sak)

Die Naunynstraße ohne Türken ...

Türken gehen nicht ins Theater, weil sie bildungsfern sind und sich sowieso nicht für die deutsche Kultur interessieren. Und tatsächlich: Ob im Berliner Wintergarten, der Philharmonie oder der Deutschen Oper – kaum sitzt man auf seinem Platz und lässt den Blick durch die Publikumsreihen schweifen, fällt immer wieder Eines auf: Es sind so gut wie keine Deutschtürken da. Ein bestätigtes Vorurteil?

Nein, denn im Ballhaus Naunynstraße bietet sich seit einigen Jahren ein ganz anderes Bild: In dem Off-Theater in Berlin-Kreuzberg tüfteln Hakan, Neco und Shermin regelmäßig an neuen Stücken. Hier ist es normal, dass Burak, Emel und José neben Lisa und ihrer Mutter Momo sitzen und gemeinsam die Uraufführung der Reihe „Vibrationshintergrund“ beklatschen. Doch was ist im Ballhaus Naunynstraße anders als in anderen Theatern?

Liegt der Erfolg des kleinen Hauses an der Lage im so genannten „Little Istanbul“ in Berlin-Kreuzberg?

Kulturelles Interesse wecken

Das Off-Theater war allerdings nicht immer in aller Munde und so scheint es, als würden für den Erfolg des Hauses andere Faktoren eine Rolle spielen. Das kulturelle Interesse von Menschen zu wecken ist keine Frage der Herkunft weiß Shermin Langhoff, die hinter der Erfolgsgeschichte des Kreuzbergers Ballhaus Naunynstraße steht. Sie war diejenige, die das postmigrantische Theater 2008 am Szene-Theater in Berlin gründete und dafür weit über die Landesgrenzen hinaus auf sich aufmerksam machte.

Für die Theatermacherin steht am Anfang der schleppenden interkulturellen Öffnung an Theatern, die wenig durchdachte Verteilung der Mittel: „Interkulturalität an Theatern beginnt mit ‚PPP‘ – Personal, Programm und Publikum. Alles hängt zusammen. Dort, wo die finanziellen Ressourcen für das Personal gering sind, wird der Zugang von Menschen mit biografischer Interkulturalität und Interreligiosität verlangsamt.“ Das künstlerische Programm wiederum hänge von dem Personal an einem Haus ab, sagt Langhoff. Das Angebot eines Theaters entspringe schließlich aus dem geistigen Gut des Personals und sowohl die Leitung als auch die Dramaturgie müsse echtes Interesse an innovativen Stücken haben. Dem entsprechend müsse die Akquise des Hauses aussehen, fährt sie fort.

Der Zugewinn an interkulturellem Publikum komme dann, laut Langhoff, ganz von alleine: „Es hat nicht unbedingt etwas mit den gleichen ethnischen Wurzeln zu tun, wenn sich der Zuschauer mit der Geschichte oder der Figur in einem Stück identifizieren will. Es geht dabei eher um ähnliche Perspektiven und der Wahrnehmung und Reflektion der eigenen Lebenswelt.“

Vielfalt auf und hinter den Bühnen

Shermin Langhoff, die ihre Arbeit als Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin ab der Spielzeit 2013/14 aufnimmt, spricht sich öffentlich immer wieder für die Förderung von Kunst von und mit Migranten aus. Dabei geht es ihr nicht nur um die Förderung der freien Szene, ganz im Gegenteil – Langhoffs Visionen einer bunten Kulturlandschaft machen nicht vor großen Häusern halt. Sie erhofft sich mehr Vielfalt auf und hinter den Bühnen von Staatstheatern und –opern.

In diesem Zusammenhang erwähnt Langhoff anerkennend die Arbeit ihrer jüdischstämmigen Kollegin an der Berliner Philharmonie, Pamela Rosenberg, die die Reihe „Alla turca“ initiierte. Auch Jürgen Flimm an der Staatsoper hätte ernsthafte Neugier an neuen Wegen in der künstlerischen Darbietung gezeigt und bereits mit Neco Çelik an einer Operette gearbeitet. Gemeinsam mit 22 Jugendlichen brachte der türkeistämmige Film- und Theaterregisseur „Moskau Tscherjomuschki“ von Dmitri Schostakowitsch an die Staatsoper.

„Man kann sich nur wünschen, dass mehr Intendanten wie die geschätzten Kollegen Rosenberg und Flimm an dem Thema festhalten. Dafür ist es allerhöchste Zeit, denn meiner Meinung nach hätte man das postmigrantische Theater auch schon 20 Jahre vor mir machen können. Heute ist das Interesse so groß, dass es fast schon grotesk erscheint: „Vor Kurzem haben sich einige Häuser um die wenigen Künstler migantischer Herkunft gestritten“, erinnert sich Langhoff.

Nachwuchsförderung in der Szene

Besonders die Nachhaltigkeit in der kulturellen Arbeit liegt Langhoff am Herzen und sieht darin auch ihren persönlichen Erfolg. „Mir war es immer wichtig, den Nachwuchs in der Szene zu fördern und somit ganz neue Texte in ganz neuen Stücken zu ermöglichen. Mit tollen Nachwuchskünstlern, wie Hakan Savaş Mican, haben wir erfolgreich inszeniert und einen Grundstein für weitere Schritte gelegt.“

Für Langhoff geht die interkulturelle Arbeit in der Berliner Theaterszene weiter und durch ihr Beispiel wird klar, welchen kulturellen Zugang Theaterstücke von und mit Migranten schaffen. Ganz unabhängig von ethnischer Herkunft, kulturellem Vorinteresse und Schulabschluss der Eltern, kann man Berliner Türken in die Loge locken. Das Vorurteil „Türken gehen nicht ins Theater“ stimmt also nicht. Türken gehen eben nur noch nicht in jedes Theater …

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