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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Vor 100 Jahren: Dülfers großer Coup

Totenkirchl (vom Stripsenkopf aus)

Geht es euch manchmal auch so? Ich habe einen Termin in meinem Hinterkopf unter einem bestimmten Datum abgespeichert, das sich dann jedoch als falsch erweist. Diesmal lag es allerdings nicht daran, dass ich, wie so oft, nicht in meinen Kalender gesehen habe. Vielmehr habe ich die Angaben eines Zeitungsartikels, den ich im Sommer gelesen und aufgehoben hatte, nicht nachgeprüft. Und so bin ich jetzt eigentlich zwei Tage zu spät dran, für den Jubiläumsartikel. Aber besser jetzt als gar nicht. Ich hebe mein Glas auf Hans Dülfer und Willi von Redwitz, die am 26. September 1913  im Wilden Kaiser erstmals die „direkte Totenkirchl-Westwand“ durchkletterten. Die Route – nach heutigem Maßstab, frei geklettert, im sechsten Grad – galt damals als die anspruchsvollste in den Alpen und eine der schwierigsten weltweit.

Durchgerumpelt

Siebeneinhalb Stunden benötigen Dülfer und von Redwitz für die 600 Höhenmeter vom Einstieg oberhalb der Winklerschlucht bis zum 2190 Meter hohen Gipfel des Totenkirchl. Die Schlüsselstelle hat Dülfer drei Monate zuvor ausgekundschaftet, als er sich in die Wand abgeseilt hat. Jetzt bewältigen die beiden den so genannten „Nasenquergang“ in der Wandmitte, indem sie schräg abseilen. Für die ganze Route, die noch heute zu den Alpen-Klassikern zählt, schlagen die Erstbegeher 26 Haken.  „Wir sind durchgerumpelt, als hätten wir die Wand schon einmal gemacht“, wundert sich von Redwitz hinterher

Der Felsstreichler

So – wie hier dargestellt – hat sich Hans Dülfer garantiert nicht abgeseilt!

Hans Dülfer, obwohl damals gerade einmal 21 Jahre alt, gehört zu den besten Felskletterern seiner Zeit. „Dülfer klettert nicht, er streichelt den Fels“, wird einer seiner damaligen Kletterpartner  zitiert. In Barmen, dem heutigen Wuppertal, geboren, studiert Hans seit 1911 in München und nutzt jede freie Minute, um in den Alpen zu klettern. Innerhalb kürzester Zeit gelingen ihm zahlreiche spektakuläre Erstbegehungen. So durchsteigt er 1912, ebenfalls im Wilden Kaiser,  mit dem Münchner Werner Schaarschmidt erstmals die Fleischbank-Ostwand. Es ist das „Gesellenstück der Extremen“. Sein Meisterstück lässt Dülfer dann ein Jahr später mit der „direkten Totenkirchl-Westwand“ folgen.

Dülfer-Sitz

Er ist auch ein Pionier der Sicherungstechnik. Zu einer Zeit, in der es weder Klettergurt noch Achter gibt, entwickelt Dülfer eine eigene Abseilmethode. Der Kletterer nimmt das Seil doppelt, führt es zwischen den gespreizten Beinen hindurch um den rechten Oberschenkel, von dort vorne zur linken Schulter, dann wieder diagonal über den Rücken zurück zur rechten Hand, mit der er bremst. Mit der linken Hand hält er den Körper vorne am Seil im Gleichgewicht. Diese Technik wird „Dülfer-Sitz“ getauft und ist so lange Standard, bis moderne Sicherungsmittel entwickelt werden.

Früher Tod

Hans Dülfer wird nur 23 Jahre alt. Er stirbt nicht bei einer seiner Klettertouren, sondern als Soldat im Ersten Weltkrieg,  im Juni 1915 nahe Arras in Nordfrankreich. Willi von Redwitz überlebt den Krieg und leitet später die Universitäts-Frauenklinik in München. Noch in fortgeschrittenem Alter wiederholt er fast jährlich die „Dülfer“ in der Fleischbank-Ostwand – eine Reminiszenz an seinen alten Kletterpartner, mit dem er in der Totenkirchl-Westwand Klettergeschichte geschrieben hat. Vorgestern vor 100 Jahren.

Datum

28. September 2013 | 21:23

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