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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Bergmüll, Müllberg?

Leichen sind Müll – zumindest nach Lesart der nepalesischen Behörden. Jede Expedition zum Mount Everest, dem höchsten Berg der Erde, muss bei der Abreise eine Müll-Kaution von 4000 US-Dollar hinterlegen. Erst wenn die Bergsteiger nachweisen, dass sie den wiederverwertbaren Müll zurückgebracht und Bio-Abfall verbrannt oder regelgerecht entsorgt haben, erhalten sie das Geld zurück. Leichen gehören zur letztgenannten Kategorie. Bleiben sie am Berg, behalten die Behörden die Kaution ein.


Jahr für Jahr sterben Bergsteiger beim Versuch, den Mount Everest zu besteigen. Auf aktuell mehr als 5000 Besteigungen kommen 220 Todesfälle. Lassen die Kletterer ihr Leben in der sogenannten „Todeszone“, also oberhalb von 8000 Metern, ist es schwer bis unmöglich, die Leichen zu bergen. Hannelore Schmatz war 1979 die erste Deutsche, die den Gipfel des Everest erreichte. Beim Abstieg starb sie an Erschöpfung. Jahrelang passierten Bergsteiger auf dem Weg zum höchsten Punkt die als „German woman“ bekannte, im Schnee sitzende Leiche, ehe sie vom Sturm weggeweht wurde.

Zwei Leichen geborgen

In diesem Jahr hatte sich eine Expedition von rund 20 Sherpas (Extreme Everest Expedition 2010) vorgenommen, nicht nur Müll von der Aufstiegsroute auf der nepalesischen Südseite des Mount Everest zu sammeln, sondern auch einige tote Bergsteiger zu bergen – wie den US-Amerikaner Scott Fischer und den Neuseeländer Rob Hall, die bekanntesten Opfer des Unglücks im Jahr 1996, das weltweit Schlagzeilen gemacht hatte. Fishers Familie lehnte den Plan jedoch ab. Zwei Leichen aber brachten die Sherpas talwärts: Zunächst die des Schweizers Gianni Goltz, der 2008 ohne Sauerstoff den Gipfel erreicht hatte, dann aber beim Abstieg am Südsattel auf rund 8000 Metern gestorben war. Und schließlich auch die Leiche des russischen Boxers Sergej Duganov, der in diesem Frühjahr beim Versuch, den Lhotse zu besteigen, ums Leben gekommen war. Die Sherpas transportieren die beiden Toten hinunter ins Lager II auf etwa 6500 Metern, von wo aus sie mit einem Spezialhubschrauber der „Fishtail Air“ ausgeflogen wurden – eine aufwändige und für die Beteiligten riskante Aktion.


Mitglieder der „Extreme Everest Expedition 2010″ in Lager II“

Problem erkannt

Doch die Sherpas sammelten auch rund 2000 Kilogramm “normalen” Müll: alte Zelte, Seile, Leitern, Büchsen, Gasflaschen, Sonnencremetuben … Vieles davon hätten die Bergsteiger früherer Expeditionen einfach in Gletscherspalten geworfen. Jetzt, da Schnee und Eis immer mehr schmölzen, träte der Unrat wieder zutage, heißt es im Blog der Expedition: „Dort gibt es genüg Müll für Reinigungs-Expeditionen in den nächsten 50 Jahren. Ein trauriges Bild unserer Expeditionsgeschichte.“
Inzwischen ist das Problem nicht nur erkannt, sondern auch angegangen worden. Im Gegensatz zu früheren Expeditionen werden heute in der Regel wieder befüllbare Sauerstoff-Flaschen verwendet, deren Pfand so teuer ist, dass man es sich dreimal überlegt, sie zurückzulassen.
Das Basislager ist ein vergleichsweise sauberer Platz. Die Umweltvorschriften sind streng. So müssen selbst die Fäkalien gesammelt und von Trägern, im Bergsteiger-Jargon „Shitporter“ genannt, abtransportiert werden. Auch in großen Höhen gibt es für die menschlichen Bedürfnisse mittlerweile intelligente Lösungen: etwa doppelwandige Beutel, mit denen Urin und Fäkalien geruchsneutral und sicher verpackt ins Basislager zurückgebracht werden könnten. Doch längst nicht alle nutzen diese Möglichkeit.

Einsamer Tod

Hier nähern wir uns der Wurzel des Übels. Sie liegt in der großen Zahl der Gipfelanwärter. Je mehr Bergsteiger sich am Everest versuchen, desto größer wird der Müllberg, der entsorgt werden muss. Desto schwieriger wird es, alle zu kontrollieren. Und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich doch einige schwarze Schafe finden, die sich um Umweltschutz einen feuchten Kehricht scheren. Das Problem der Leichen am Berg lässt sich kaum lösen.
Auch in dieser Saison bezahlten wieder einige Bergsteiger ihren Traum vom Everest mit ihrem Leben und blieben dort, wo sie starben. So waren alle Versuche erfolglos, den erblindeten und völlig entkräfteten Briten Peter Kinloch auf der Nordroute in Sicherheit zu bringen. Vier Sherpas mussten ihn, auf 8600 Metern im Schnee liegend, zurücklassen, um selbst zu überleben. Es sei die schwierigste Entscheidung seines Lebens gewesen, die Helfer zurückzubeordern, sagte Expeditionsleiter Dan Mazur. Kinloch starb einsam. Im kommenden Jahr werden die Bergsteiger ihn dort passieren – eine Leiche mehr auf dem Weg nach oben.
Die Bergungsaktion der Sherpas auf der Südseite wirkt da wie ein Kampf gegen Windmühlen.

Datum

5. Juni 2010 | 11:09

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