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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Der andere Tote von der Annapurna

Annapurna I

Annapurna I

Tot und weg. Warum eigentlich wird über einzelne Sherpas, die im Himalaya tödlich verunglücken, häufig so schnell hinweggegangen? Fast so, als wäre es nur ein Betriebsunfall. Nach dem Motto: Es ist zwar traurig, aber kommt eben vor. Jüngstes Beispiel war das Unglück an der Annapurna vor vier Wochen. In den Tagen danach waren viele Nachrufe auf den verstorbenen 36 Jahre alten Finnen Samuli Mansikka zu lesen. Das hatte er zweifellos verdient. Samuli war nicht nur ein ausgezeichneter Bergsteiger – die Annapurna war sein zehnter Achttausender, acht davon bestieg er ohne Flaschensauerstoff – , sondern, nach allem, was seine Mitstreiter berichten, auch ein cooler Typ, ein echter Kumpel, immer für einen Spaß oder auch eine zünftige Party zu haben. Über den anderen abgestürzten Bergsteiger erfuhren wir jedoch so gut wie nichts. 35 Jahre alt sei Pemba Sherpa gewesen, hieß es in einigen Berichten. Er habe aus der Gegend um den Achttausender Makalu gestammt und wegen seiner technischen Kletterfähigkeiten den Spitznamen „Technical Pemba“ getragen. Über das, was Pemba zuvor als Bergsteiger geleistet hatte, gingen die Informationen weit auseinander. Damit wollte ich mich nicht zufrieden geben.

Häufiger Name

Die Recherche erwies sich als aufwändig. In Expeditionsberichten werden Sherpas häufig totgeschwiegen. Nicht selten wird ganz auf ihre Namen verzichtet, fast so, als wären sie nur Nummern, keine Menschen aus Fleisch und Blut. Liegt es vielleicht daran, dass es den Verfassern peinlich ist, auf die Hilfe der Sherpas zurückgegriffen zu haben? Oder auch daran, dass deren Namen häufig zum Verwechseln ähnlich oder sogar identisch sind. In Nepal gibt es jede Menge Sherpas, die den tibetischen Namen „Pemba“ tragen. Er bedeutet eigentlich nur, dass derjenige an einem Samstag das Licht der Welt erblickte.

Billi Bierling

Billi Bierling

Ich wandte mich an den Expeditionsveranstalter Dreamers Destination, für den der verstorbene Pemba Sherpa gearbeitet hatte, wie sich später herausstellte allerdings zum ersten Mal. Meine Anfrage blieb ebenso unbeantwortet wie diejenige an den nepalesischen Bergsteigerverband NMA. Wie gut, dass es Billi Bierling gibt, eine in Kathmandu lebende deutsche Bergsteigerin und Journalistin. Sie arbeitet an der Himalayan Database mit, der Chronik der legendären US-Amerikanerin Elizabeth Hawley, und hat immer einen Finger am Puls des Himalaya-Bergsteigens. Auch Billi tappte zunächst im Dunkeln. Beinahe jeder, den sie nach dem an der Annapurna verstorbenen Sherpa fragte, schien einen anderen Pemba zu meinen. Die Angaben über sein Alter, seine Herkunft und seine Bergsteiger-Vita gingen wie Kraut und Rüben durcheinander. Zudem schienen sie auf keinen Pemba Sherpa in der Himalayan Database zu passen.

Viermal auf dem Everest

Billi ließ nicht locker. Nach rund zwei Wochen gelang es ihr, den Nebel zu lichten. Nach ihren Nachforschungen wird der an der Annapurna verunglückte Pemba Sherpa im Archiv von Miss Hawley als Pema Tshering geführt. Er wurde am 16. Juni 1970 im oberen Walung-Distrikt im Makalu-Barun-Nationalpark geboren. Zwölf Achttausenderbesteigungen standen bis 2014 auf seinem Konto: Viermal bestieg Pemba (Pema) den Mount Everest (2003, 2004, 2007 und 2013), dreimal den Dhaulagiri (2005, 2009, 2012), zweimal den Kangchendzönga (2009, 2011), zweimal die Annapurna (2010, 2012) und einmal den Lhotse (2008).

Mit Oh Eun-Sun und Cleo Weidlich

Es fällt auf, dass er häufig Bergsteigerinnen auf Achttausender-Gipfel begleitete: je dreimal die Südkoreanerin Oh Eun-Sun und die US-Brasilianerin Cleo Weidlich. „Miss Oh“ komplettierte 2010 als erste Frau ihre Achttausendersammlung, wobei bis heute ihr Gipfelerfolg am Kangchendzönga in der Himalayan Database als „umstritten“ geführt wird. Pemba hatte im Gegensatz zu einem anderen Mitglied des fünfköpfigen Sherpa-Teams zu Protokoll gegeben, Oh Eun-Sun habe 2009 mit ihm wirklich auf dem Gipfel des dritthöchsten Bergs der Erde gestanden. Ein Jahr später bestieg Pemba mit der Koreanerin auch deren letzten Achttausender, die Annapurna. 2014 begleitete er Cleo Weidlich, mit der er zuvor schon die Gipfel von Annapurna, Dhaulagiri und Kangchendzönga erreicht hatte, bei deren Versuch am Lhotse. Die Expedition sorgte für Schlagzeilen gesorgt, weil sich Cleo (wie die Chinesin Wang Jing) mit dem Hubschrauber ins Hochlager oberhalb des Khumbu-Eisbruchs fliegen ließ.

Amateurhaft? Wohl kaum

Pembas 13. Achttausender-Besteigung, seine dritte der Annapurna, endete für ihn tödlich. Was genau ihm und Samuli Mansikka beim Abstieg widerfuhr und zum tödlichen Verhängnis wurde, werden wir wahrscheinlich nie erfahren. Ihre Leichen wurden in einer Gletscherspalte auf 7200 Metern entdeckt. Dem Sherpa und dem Finnen „amateurhaftes Verhalten“ und „Fahrlässigkeit“ vorzuwerfen, wie es ein Expeditionsmitglied nach dem Unglück getan hatte,  erscheint mir sehr voreilig. Wie Samuli war auch Pemba ein sehr erfahrener Achttausender-Bergsteiger, alles andere als ein Amateur. Pem(b)a Tshering Sherpa wurde 44 Jahre alt. Er hinterlässt eine Frau und eine vierjährige Tochter.

Update: Offenbar lagen wir falsch. Mingma Sherpa, Chef von Dreamers Destination, hat mich darüber informiert, dass es sich bei dem tödlich verunglückten Sherpa von der Annapurna um Pemba Sherpa aus Sankhuwasava handelte: „Er hat die Annapurna 2009, 2010, 2012 und 2015 bestiegen, den Kangchendzönga von Indien aus, den Dhaulagiri 2012, den Makalu 2011. Er war 2009 und 2014 am K 2. Dort traf ich ihn im vergangenen Jahr. Ich war überrascht von seiner Leistungsfähigkeit, er hat alleine die Route von Camp 2 nach Camp 4 gespurt. Er ein wirklich erfahrener, technisch versierter Bergsteiger, deshalb wurde er auch ‚Technical Pemba‘ genannt.  He was a really experienced and technical climber so named technical Pemba.“

Datum

22. April 2015 | 16:38

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