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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Der ganz normale Wahnsinn

Winterschlussverkauf am Everest

Die Frühjahrssaison am Mount Everest ist so gut wie beendet. Die letzten Bergsteiger packen ihre Sieben(hundert)sachen und verlassen die Basislager auf der nepalesischen Süd- und der tibetischen Nordseite des höchsten Bergs der Erde. Am Freitag und Samstag erreichten noch einmal rund 180 Bergsteiger den 8850 Meter hohen Gipfel – diesmal offenbar ohne die chaotischen Zustände, die am vergangenen Wochenende geherrscht hatten. Unter den Erfolgreichen war auch der Brite Kenton Cool, der eine Goldmedaille der Olympischen Winterspiele 1924 auf den Gipfel trug und damit ein 88 Jahre altes Versprechen einlöste.

In diesem Frühjahr wurden mehr als 530 Besteigungen des Mount Everest vermeldet. Zehn Todesfälle sind bestätigt. Diese Zahl wird sich nach den Worten des Schweizer Topbergsteigers Ueli Steck noch erhöhen, „weil niemand von den vier zusätzlichen toten Sherpas sprach“. Ueli hatte den Gipfel gemeinsam mit seinem Kletterpartner, dem Sherpa Tenji, am 18. Mai erreicht, beide hatten auf Flaschen-Sauerstoff verzichtet. An diesem Wochenende waren rund 300 Bergsteiger im Gipfelbereich unterwegs. „Was glauben Sie, warum ich so schnell abzog nach der Besteigung?“, fragt Ueli. „Ich sah die Leute und rechnete mit zehn Toten.“

Endloser Lindwurm

Richie auf dem Gipfel des Mount Everest

Auch Richard Stihler ist inzwischen aus Nepal zurückgekehrt. Mein alter Kumpel vom Manaslu hatte am 19. Mai auf dem Gipfel des Mount Everest gestanden, seinem vierten Achttausender: „Neben dem Glücksgefühl und der Befriedigung darüber, mein Ziel erreicht zu haben, werden auch die negativen Ereignisse an diesem und den davor liegenden Tagen für immer in meinem Gedächtnis bleiben.“  Richie war gezwungen, sich auf dem Weg zum Südsattel in die lange Schlange der Gipfelanwärter einzureihen. „Am frühen Morgen traue ich meinen Augen nicht: Ein endloser Lindwurm von Bergsteigern hangelt sich entlang des gelegten Fixseils die Lhotseflanke hinauf“, schreibt der 43-Jährige. „Die meisten gehen bereits hier auf 7000 Meter Höhe mit Sauerstoff und sind extrem langsam und unsicher unterwegs. Ein Überholen ist nur durch seilfreies Gehen im Absturzgelände möglich und kommt meistens nicht in Frage. Einreihen und Warten heißt die Devise.“

Im Schneckentempo

Ueli ganz oben - vor dem Stau

Richie greift erst am Gipfeltag zur Atemmaske. Mit seinem Begleiter Partner, dem Sherpa Pasang, startet der Architekt aus Lahr in Baden sehr früh. Doch diese Idee haben die beiden nicht alleine: „Zu meinem Entsetzen sind bereits gegen 19.30 Uhr unzählige Lichter auf dem Weg zum Everest zu erkennen. Erneut bin ich zu spät unterwegs!“ Aus den veranschlagten sieben bis acht Stunden zum Gipfel werden 13. Immer wieder müssen Richie und Pasang anhalten. „Völlig überforderte ‚Bergtouristen’ quälen sich, unterstützt von Sherpas, im Schneckentempo über einfache Kletterpassagen, alle anderen dahinter müssen frierend warten.“

Zwei Stunden Vollsperrung

Zeltdorf auf knapp 8000 Metern am Südsattel

Richtig dramatisch wird es dann aber für die beiden beim Abstieg:„An der Schlüsselstelle zwischen den beiden Gipfeln, dem so genannten ‚Hillary-Step‚, haben sich auf- und absteigende Bergsteiger so miteinander verkeilt, dass keinerlei vor oder zurück mehr möglich ist. Erst nach fast zwei Stunden eiskalten Wartens in 8800 Meter Höhe macht sich eine kleine Lücke auf, die wir zur Flucht nach unten nutzen. Für einige Bergsteiger hinter uns endet diese endlose Blockade mit schlimmsten Erfrierungen oder dem Tod.“

Mindestens vier Bergsteiger bezahlten das Chaos auf der Südseite an jenem Wochenende mit dem Tod. Sherpas haben inzwischen eines der Opfer, eine in Nepal geborene Kanadierin, hinunter zum Südsattel getragen. Dann wurde die Bergungsaktion unterbrochen. Möglicherweise kann die Leiche erst im Herbst ins Basislager gebracht werden.

P.S. Die Frist für die Vorauswahl im Wettbewerb um den „Online-Star 2012“ endet am Freitag. Es handelt sich um eine Publikumswahl. Wenn euch mein Blog gefällt, stimmt bitte für ihn. So geht’s: Auf die Wettbewerbsseite (hier) gehen und den Button „Zur Vorwahl“ drücken. Der Rest ergibt sich eigentlich von selbst. Die Kategorie wäre „Private blogs“ (im Gegensatz zu Commercial Blogs). Da müsstet ihr dann die Blog-Adresse http://blogs.dw.com/abenteuersport eingeben. Bitte weitersagen! Tausend Dank! 🙂

 

Datum

28. Mai 2012 | 14:44

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