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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Ohne Flasche auf den Gipfel

Thomas Lämmle auf dem Gipfel des Mont Everest

Thomas Lämmle auf dem Gipfel des Mont Everest

Er hat es schriftlich. Der chinesisch-tibetische Bergsteiger-Verband CTMA bescheinigte Thomas Lämmle, dass er den Gipfel des Mount Everest am 23. Mai ohne Flaschensauerstoff erreicht hat. Der Deutsche gehörte – wie berichtet – zu einer Handvoll von Bergsteigern, die es in dieser Saison ohne Atemmaske bis zum höchsten Punkt auf 8850 Metern schafften. „Zum Schluss machte ich wirklich vier Atemzüge pro Schritt“, schreibt mir Thomas aus Kathmandu, wo er auf den Heimflug wartet. „Aber ich war nicht am Limit. Ich konnte den Aufstieg genießen, da es fast windstill und relativ warm war. Der Gipfel steckte leider in einer Wolkenhaube.“

Geplanter Heiratsantrag

Laemmle_Heiratsantrag

Per SMS und Bild

Ganz oben habe er sogar seine Handschuhe ausziehen können, um zwei SMS zu schreiben, sagt der 50-Jährige. In einer davon bat er seine Freundin Heike um ihre Hand. Der Antrag war nicht spontan, sondern lange geplant. „Sonst hätte ich das Schild nicht dabei gehabt.“ Den Pappkarton fotografierte Thomas anschließend noch auf dem höchsten Punkt der Erde. Eigentlich hatte Lämmle bereits 2015 geplant, erst den Cho Oyu und dann den Everest zu besteigen, jeweils ohne Flaschensauerstoff. „Nach vier Wochen machte mir das Erdbeben in Nepal einen Strich durch die Rechnung“, schreibt Thomas.

Zwei Gipfelversuche am Cho Oyu

Training auf dem Kilimandscharo

Training auf dem Kilimandscharo

Auch in diesem Jahr fuhr der Sportwissenschaftler, der in Waldburg in Baden-Württemberg lebt, zunächst zum Cho Oyu, um sich dort zu akklimatisieren. Zuvor hatte er im März bereits am 5895 Meter hohen Kilimandscharo Höhenluft geschnuppert. Dreimal innerhalb einer Woche hatte er den Gipfel des höchsten Bergs Afrikas erreicht. Am Cho Oyu habe er gemeinsam mit einem Freund zwei Gipfelversuche gemacht, berichtet Lämmle. Der erste am 7. Mai endete auf 7500 Metern, der zweite bei schwierigen Verhältnissen am 13. Mai auf 7850 Metern. „Meinem Freund war klar, dass uns nur die erste Maihälfte für die Besteigung zur Verfügung stand. Die Führung habe ich auch kostenlos gemacht.“

Jämmerlich gefroren

Thomas, im Hintergrund der Cho Oyu

Thomas, im Hintergrund der Cho Oyu

Bestens akklimatisiert, erreichte Thomas am 16. Mai das Everest-Basislager. Sein Plan: Unterhalb einer Höhe von 5700 Metern regenerieren und dann direkt ab zum Gipfelversuch. Um möglichen Staus auf dem Nordostgrat aus dem Weg zu gehen – „Etwa 100 Leute standen in den Startlöchern.“ – entschied sich Lämmle in Absprache mit dem österreichischen Meteorologen Charly Gabl für den 23. Mai als Gipfeltag – zwei Tage nach dem von den meisten anderen Bergsteigern angestrebten Termin. Ganz ohne Staus sei es auch am 23. Mai nicht abgegangen, berichtet Thomas: „Bis zum Sonnenaufgang am Grat gegen 5.30 Uhr habe ich wegen des Sauerstoffmangels jämmerlich gefroren. Meine Schuhheizung lief auf höchster Stufe. Dann fand ich endlich einen von der Sonne beschienenen Fels, an dem ich warten konnte, bis sich der Stau an der zweiten Stufe auflöste.“ Auch hinter dieser Schlüsselstelle habe es noch zwei kurze Staus gegeben. Schließlich habe er gegen 14 Uhr den Gipfel erreicht – als letzter Bergsteiger von der Nordseite aus. Eine Stunde später machte sich Thomas wieder auf den Abstieg.

Sorge um Finger und Zehen

Zertifikat des tibetischen Bergsteiger-Verbands

Zertifikat des tibetischen Bergsteiger-Verbands

Am Abend in Lager 3 auf 8300 Metern habe dann Schneefall eingesetzt, Schnee sei auch ins Zelt eingedrungen. „Der Kocher war innerhalb kürzester Zeit nicht mehr funktionsfähig“, erzählt Lämmle. „Ich hatte keine Möglichkeit, den Flüssigkeitsmangel auszugleichen. Um einem drohenden Lungenödem vorzubeugen, blieb ich die Nacht über im Zelt sitzen und wach.“ Als es am nächsten Morgen wieder warm wurde, sei es ihm zwar gelungen, den Kocher anzuschmeißen und Schnee für einen halben Liter Wasser zu schmelzen. Aber weil starker Wind vorhergesagt war, habe er schließlich doch noch Flaschensauerstoff geatmet. „Das Risiko von Erfrierungen auf Grund des Flüssigkeitsmangels und des starken Windes war mir zu groß“, schreibt Thomas. „Ich entschloss mich, den Notsauerstoff zu benutzen, um Finger und Zehen beim Abstieg vor Erfrierungen zu bewahren.“ Auf einer Höhe von 7400 Metern sei die Flasche leer gewesen. Von dort aus habe er den Weg hinunter wieder ohne zusätzlichen Sauerstoff fortgesetzt.

Nicht auf die Liste

Da er beim Abstieg noch zur Atemmaske griff, wird Lämmles Besteigung in der Everest-Statistik wohl nicht als Gipfelerfolg ohne Flaschensauerstoff vermerkt. In dieser Liste landen nur Bergsteiger, die sowohl beim Aufstieg als auch beim Abstieg ohne Atemmaske unterwegs waren. Thomas wird es egal sein. Er kehrt körperlich unversehrt heim. Und dass er es ohne Flaschensauerstoff auf den Gipfel des Mount Everest schaffte, hat er schließlich schriftlich.

Datum

1. Juni 2016 | 13:06

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