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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Ein Hoch auf die Nicht-Achttausender!

Satellitenaufnahme des Kangchendzönga

Satellitenbild des Kangchendzönga

Egal ob man es verflucht, über den Klee lobt oder es einfach nur ganz pragmatisch nutzt, niemand wird bestreiten: Das Internet hat unser Leben verändert hat und ist kaum noch daraus wegzudenken. Das gilt auch für das Leben von Bergabenteurern. Fast schon vergessen sind die Urzeiten des Himalaya-Bergsteigens, als noch Expeditionen losgeschickt wurden, die lediglich den Zweck hatten, alpinistische Ziele zu erkunden. Viele der besten Kletterer der Gegenwart bereiten ihre Projekte am Bildschirm vor – und machen daraus auch keinen Hehl. „Ich habe ein bisschen auf Google Earth geschaut und diesen Berg mehr oder weniger gefunden“, erzählte mir kürzlich der österreichische Topbergsteiger Hansjörg Auer, bevor er zum knapp 7000 Meter hohen Gimigela Chuli East in Nepal aufbrach. Auer versucht sich mit seinem Landsmann Alex Blümel an der Nordwand des Bergs, der im Gebiet des Achttausenders Kangchendzönga liegt: „Ohne Bild geht es nicht. Dann schaue ich mir an: Wie sieht der Zustieg aus? Ist es mega-gefährlich oder vertretbar? Wie sieht es im Basislager aus?“ Auer ist noch nicht zurückgekehrt, doch schon jetzt zeigt die Herbstsaison im Himalaya einmal mehr: Die alpinistischen Glanzlichter werden derzeit eher an unbekannten Fünf-, Sechs- oder Siebentausendern gesetzt als an den Achttausendern.

Kandidaten für den nächsten Piolet d‘Or

Russische Direttissima am Thalay Sagar

Russische Direttissima am Thalay Sagar

So gelang den Russen Sergey Nilov, Dmitry Grigoriev und Dmitry Golovchenko in der Nordwand des 6904 Meter hohen Thalay Sagar im indischen Himalaya eine neue Route, die die Bezeichnung „Direttissima“ wirklich verdient. Nicht ganz so geradlinig, darum aber nicht weniger spektakulär war die Erstbegehung, die – wie berichtet – den Briten Paul Ramsden und Nick Bullock in der Nordwand des Nyainqentangla South East (7046 Meter) in Tibet glückte. Auch die britischen Altmeister Mick Fowler (60 Jahre alt) und Victor Saunders (66 Jahre alt) demonstrierten, dass sie noch nichts verlernt haben: Ihre Erstbegehung des Nordpfeilers am 6100 Meter hohen Sersank in Nordindien dürfte wie die vorher genannten Erfolge auf der nächsten Auswahlliste für den Piolet d’Or, den „Oscar der Bergsteiger“, erscheinen. Das gilt auch für die Pioniertat der Deutschen Ines Papert und des Slowenen Luka Lindic, die – wie berichtet – eine oft versuchte Linie durch die schwierige Südostwand des 5842 Meter hohen Kyzyl Asker im Tian-Shan-Gebirge vollendeten.

Mehr Ziele, dickere Luft und Einsamkeit

Mick Fowler am Nordpfeiler des Sersank

Mick Fowler am Nordpfeiler des Sersank

Selbstverständlich gibt es auch an den Achttausendern noch ungelöste Probleme – etwa am Makalu der direkte Durchstieg durch die Westwand zum Gipfel oder am Mount Everest die Route über den „Fantasie-Grat“ („Phantasy Ridge“) auf der äußerst selten versuchten Ostseite des Bergs, der Kangchung-Wand. Doch die nicht ganz so hohen Berge haben einige unleugbare Vorteile: Dort locken noch deutlich mehr jungfräuliche Wände und Grate. Außerdem brauchen die Kletterer weniger Zeit, um sich zu akklimatisieren. Damit fallen auch die Expeditionen kürzer aus. In der im Vergleich zu den Achttausendern dickeren Luft lässt es sich zudem extremer klettern. Und, last but not least, können die Bergsteiger an diesen häufig versteckt liegenden Bergen auch noch Einsamkeit erleben und sich damit leichter wie echte Abenteurer fühlen. Ein vorheriger Blick in die digitale Bergwelt lohnt sich also.

Datum

6. November 2016 | 11:00

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