Expedition „Hypoxie“ erfolgreich beendet
Und plötzlich kam der Anruf aus dem All: „Hier Alex“. Ralf Dujmovits wusste zunächst nicht, wer da am anderen Ende der Telefonleitung sprach: „Wie Alex? Dann habe ich plötzlich die Stimme wiedererkannt, die ich zwei Tage zuvor während der Übertragung des Raketenstarts gehört hatte.“ Alexander Gerst erkundigte sich von der Internationalen Raumstation ISS aus nach dem Befinden des deutschen Bergsteigers und seiner kanadischen Partnerin Nancy Hansen in der Hypoxiekammer des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. „Es hat sich angehört, als säße er nebenan.“ Eine Viertelstunde lang sprach Ralf, der erste und bisher einzige deutsche Bergsteiger, der alle 14 Achttausender bestiegen hat, mit „Astro Alex“, dem ersten deutschen Astronauten, der das Kommando auf der ISS übernehmen wird. „Er hat sich sehr für unsere Erfahrungen im Labor interessiert. Das war große Klasse.“ Natürlich wechselte auch Nancy einige Worte mit Gerst. Für beide Bergsteiger sei es ein „echter Höhepunkt“ gewesen, sagt die 49 Jahre alte Kanadierin.
Belastung unterschätzt
Nach fünf Wochen in der Hypoxiekammer, auf 110 Quadratmetern, öffnen sich am Dienstag die Türen für Dujmovits und Hansen. Dann ist das Experiment vorbei, bei dem getestet werden sollte, ob sich bei langem Aufenthalt in extrem dünner Luft Herzfunktionen verbessern. Die vergangenen beiden Wochen haben Ralf und Nancy durchgängig tagsüber auf einer simulierten Höhe von 6718 Metern verbracht und nachts auf 6490 Metern geschlafen. Das hat Spuren hinterlassen. „Du siehst uns hier ziemlich müde“, sagt Ralf, als ich die beiden am vergangenen Wochenende noch einmal (mit Atemmaske) besuche. „Ich hatte es anders erwartet. Ich war überzeugt, dass wir anfangs etwas müde wären, uns aber nach einiger Zeit so weit an die sauerstoffarme Luft gewöhnen würden, dass wir gut damit zurechtkämen. Ich habe unterschätzt, wie anstrengend das Ganze ist.“
„Ein Riesenerfolg“
Ein Grund für diese Müdigkeit dürfte sein, dass sich – wie sich bei Ralfs MRT herausstellte – das Blut in den Venen des Gehirns mit der Zeit extrem gestaut hat und die Adern angeschwollen sind. „So massiv habe ich das noch nie gesehen. Auf den ersten Blick ist man darüber nicht gerade glücklich“, sagt Dr. Ulrich Limper, der zusammen mit Prof. Jens Tank die DLR-Studie leitet. „Andererseits ist es aber auch keine direkte Gefahr. Wir gehen davon aus, dass es sich wieder zurückbildet.“ Bereits in vier Wochen werden Dujmovits und Hansen zur ersten Nachkontrolle ins DLR zurückkehren.
Die Wissenschaftler haben jede Menge Daten gesammelt, die jetzt ausgewertet werden. Voraussichtlich in einem halben Jahr werden die ersten Ergebnisse vorliegen. „Für uns ist es schon jetzt ein Riesenerfolg“, sagt Limper. „Das Konzept hat funktioniert, wir haben sehr viel gelernt. Wir sind noch vorsichtig, aber es sieht klinisch danach aus, als würde sich unsere Hypothese bestätigen, dass sich bestimmte Herzfunktionen unter Hypoxie-Einfluss verbessern. Wenn wir das mit den Daten untermauern können, wäre es toll.“ Möglicherweise könnten dann aus der Studie sogar neue Therapien für Herzinfarktpatienten hervorgehen.
Herz „angeschwollen“
Ursprünglich war geplant gewesen, dass die beiden Bergsteiger nach einer Gewöhnungsphase zwei Wochen lang Tag und Nacht auf einer simulierten Höhe von 7112 Metern leben sollten. Doch die Wissenschaftler mussten umdisponieren. Bei Nancy war in dieser Höhe der Druck in den Lungenarterien – der Druck, mit dem das sauerstoffarme Blut vom Herz in die Lunge gepresst wird – stark erhöht. Die rechte Herzhälfte war deshalb, vereinfacht gesprochen, „angeschwollen“, Nancys Werte bewegten sich im Grenzbereich. „Es hätte aus unserer Sicht keinen Erfolg gebracht, sie ‚hochzuprügeln‘“, sagt Limper. „Wahrscheinlich wäre es ihr schlechter gegangen.“ Deshalb wurde die simulierte Höhe auf unter 7000 Meter gesenkt, nachts noch etwas weiter als tagsüber. „Damit ist Nancys Körper klargekommen. Ihre Werte verbesserten sich langsam und näherten sich gegen Ende wieder jenen von Ralf an.“
Nicht viel höher als 7000 Meter
Man gehe davon aus, so Limper, dass es sich bei Nancy um eine „normale Reaktion eines Herzens handelte, das an die ganz großen Höhen einfach noch nicht gewöhnt ist“. Auch Ralf habe von gesundheitlichen Problemen bei seinen ersten Expeditionen erzählt, die bei seinen späteren Projekten nicht mehr aufgetreten seien. „Es könnte sein, dass es so etwas wie eine Langzeitadaption gibt“, sagt der Mediziner. Wissenschaftlich bewiesen sei das jedoch bisher nicht.
Nancys Schwierigkeiten haben ihr und Ralf zu denken gegeben. „Einen Siebentausender anzugehen, bei dem wir die letzte Nacht auf 6300 oder 6500 Metern verbringen, dürfte kein Problem sein“, sagt Ralf. „Aber in Höhen darüber könnte es schon sein, dass sich Nancy einen gesundheitlichen Schaden zuzieht. Das haben wir gelernt, und darauf werden wir natürlich Rücksicht nehmen.“
Ständig gefroren
Beide haben während der Zeit in der Hypoxiekammer jeweils gut zwei Kilogramm Körpergewicht verloren, in erster Linie wohl Muskelmasse. „Die Oberarme sind dünner geworden“, stellt Ralf fast. „Und wo normalerweise die Hosen an den Oberschenkeln straff sitzen, schlabbert jetzt alles.“ Der Gewichtsverlust der Bergsteiger sei geringer gewesen als gedacht, sagt Ulrich Limper. „Wir führen es darauf zurück, dass sie außer der Hypoxie keine Stressfaktoren hatten wie normalerweise im Gebirge: keine Kälte, kein Zeltaufbau, keine andauernde körperliche Belastung. Im Endeffekt haben sie sich ja sehr wenig bewegt.“ Auf einem Laufband und einem Ergometer sowie an einer mobilen Kletterwand versuchten Nancy und Ralf, halbwegs fit zu bleiben. Zu den auch für die Wissenschaftler überraschenden Erkenntnissen gehörte, dass Ralf nach 50 Minuten auf dem Ergometer zwar erschöpft war, aber überhaupt nicht schwitzte. Auch dass es Nancy und Ralf bei 24 Grad Raumtemperatur durchgehend so sehr fröstelte, dass sie noch zwei Jacken über ihre T-Shirts zogen, wirkte ungewöhnlich. Es gibt also noch einige Fragezeichen.
Ab in die Sonne!
Nancy und Ralf bedauern es nicht, sich auf das DLR-Experiment eingelassen zu haben. Ganz im Gegenteil. „Ich würde es noch einmal machen“, sagt Nancy. „Wissenschaftlich gesehen, fand ich es unglaublich interessant. Natürlich war es nicht in jedem Moment das reine Vergnügen, doch insgesamt war es eine tolle und einzigartige Erfahrung.“ Auch für Ralf „war es die Anstrengung unbedingt wert“: „Wir gehen gesund aus der ganzen Geschichte heraus. Und wenn wir noch einen Beitrag dazu leisten, dass vielleicht künftig eine Therapie für Herzinfarktpatienten entsteht, dann ist doch alles perfekt.“
Und worauf freuen sich die beiden jetzt am meisten? „Sonnenschein“, sagt Nancy, wie aus der Pistole geschossen. Ralf sehnt besonders das Wiedersehen mit seiner Familie und den Freunden herbei und freut sich darauf, im Garten zu sitzen, durch die Wälder zu laufen oder mit dem Mountainbike stundenlang durch die Gegend zu radeln: „Wir hatten hier ein unglaublich engagiertes Wissenschaftler- und Ärzteteam um uns herum. Wir haben es genossen, es war spannend, und wir haben sehr viel dazugelernt. Aber jetzt ist es gut, dass wir wieder heimkommen.“