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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Hey cool!

„Talent bedeutet Energie und Ausdauer, weiter nichts“, hat einst Heinrich Schliemann gesagt, der berühmte deutsche Archäologe. Das mag gereicht haben, um Troja auszubuddeln – doch auch um eine überhängende Wand hinaufzuklettern? Ines Papert klingt fast ein bisschen wie Schliemann, als ich sie frage, ob sie ein Naturtalent sei (das Gespräch könnt ihr, wie immer, unter dem Artikel nachhören). „Jein“, antwortet die 36-Jährige Spitzenkletterin, „ich bin sehr ehrgeizig. Wenn ich mir etwas einbilde, dann passiert das auch, dann ziehe ich das durch.“


Ines fühlt sich in Fels und Eis wohl

In Sachsen geboren und aufgewachsen, entdeckte Ines spät ihre Leidenschaft für die Berge. Das war, als sie nach der Ausbildung zur Physiotherapeutin eine Stelle in Berchtesgaden annahm. Erst mit Anfang 20 machte sie ihre erste große Bergtour. Bereits drei Jahre später kletterte Ines die „Nose“, die legendäre Route am Granit-Riesen El Capitan im Yosemite Valley. Zunächst habe sie sich immer starke Kletterpartner gesucht, erinnert sich Ines. „Aber irgendwann habe ich gemerkt, ich will das nicht mehr, immer nur hinterher. Ich will selbst entscheiden, wo ich klettere. Ich möchte den Vorstieg machen.“

Keine ausgetretenen Pfade

Ihre Spezialität wurde das Eisklettern. Ines sammelte vier Weltmeistertitel und holte sich mehrmals den Gesamtweltcup. 2006 sagte sie der Szene Adieu: „Wettkämpfe sind für mich nicht die echten Abenteuer im Gebirge“, sagt die Kletterin. Die wirklichen Abenteuer finde sie in den steilen Wänden. Dort lauerten Gefahren, dort müsse sie auch einmal umkehren, weil die Bedingungen zu gefährlich seien. „Am Endes des Tages ist es für mich wertvoller zu sagen: ‚Hey cool! Ich habe diese geniale Wand durchstiegen.‘ Das gibt mir viel mehr als der x-te Weltcupsieg.“

Für ihre Expeditionen sucht sich Ines „Berge, die keinen Namen haben. Auf den Mount Everest, auf die Achttausender gehen doch alle. Die ausgetretenen Pfade sind nicht das, was ich suche.“ Im Winter 2009 etwa eröffnete Ines in Nepal mit dem Kanadier Cory Richards bei einer Eiseskälte von minus 25 Grad Celsius eine neue Route durch die 1300 Meter hohe Nordwand des Sechstausenders Kwangde Shar. 2010 reiste sie zum 5842 Meter hohen Kyzyl Asker, um als Erste die Südostwand des entlegenen Bergs in Kirgistan zu durchsteigen. 200 Meter unter dem Gipfel mussten Ines und ihre beiden Kletterpartner umkehren. Im Sommer will sie einen neuen Versuch starten.

Voller Leidenschaft

Ines lebt von ihrem Sport. Verbiegen lassen will sie sich deshalb aber nicht. „Ich könnte nicht über einen Berg als Wunschziel reden, wenn er das nicht auch wirklich ist“, versichert die Bergsteigerin. „Im Endeffekt kannst du nur dann Höchstleistung bringen, wenn du voll dahinter stehst, voller Leidenschaft und Begeisterung bist. Nur dann schaffst du es auch, dich zu quälen und immer wieder zu pushen.“ Ende Januar bereitete sich Ines mit Klettertouren in den schottischen Highlands auf die neuerliche Expedition nach Kirgistan vor. Derzeit trainiert sie in Kanada.

Mit Emanuel in der Steilrinne

Seit zehneinhalb Jahren ist Ines Mutter. Mit ihrem Sohn Emanuel lebt sie in Bayerisch Gmain nahe Bad Reichenhall. Einen Spagat zwischen ihrer Rolle als Mutter und ihrem Beruf als Profibergsteigerin müsse sie eigentlich nicht machen, erzählt Ines bei unserem Treffen vor anderthalb Wochen auf der Sportartikelmesse ISPO in München. „Wir leben ein ganz normales Leben. Mein Sohn und ich verbringen am Berg viel Zeit miteinander. Gestern etwa waren wir in einer Steilrinne beim Skifahren. Da habe ich mehr Angst gehabt als er.“


Im Eis macht ihr keiner etwas vor

Traumziel Antarktis

Im Sommer wird Emanuel wahrscheinlich seine Mutter sogar ins Basislager am Kyzyl Asker begleiten. Doch auch wenn sie alleine unterwegs sei, bereite das ihrem Sohn keine Riesen-Probleme, sagt Ines. „Das kennt er nicht anders. Er weiß, dass ich ohne die Berge, ohne das Klettern als meinen Lebensinhalt wahrscheinlich auch keine glückliche Mutter wäre.“ Ines will anderen Frauen Mut machen, „ihren Weg weiterzuführen, trotz oder mit Kindern. Jeder hat noch eigene Bedürfnisse, Ambitionen und Leidenschaften, die er leben möchte. Darauf hat auch jede Mutter ein Recht.“
Einen ganz großen Traum als Kletterin hat Ines auch noch: „Was ich wahnsinnig gerne noch machen würde, wäre, in die Antarktis zu fahren. Aber das kann ich mir einfach nicht leisten.“ Noch nicht. Ich würde fast darauf wetten, dass sie irgendwann den Pinguinen hallo sagt – bei der Energie und Ausdauer, die Ines seit Jahren beweist. Vom Talent ganz zu schweigen.

Interview mit Topkletterin Ines Papert

Datum

18. Februar 2011 | 14:02

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