Hillary Step, Klappe, die letzte!
Ich gelobe, nach diesem Artikel nicht mehr über den Hillary-Step zu schreiben. Denn wo nichts mehr ist, muss auch nichts mehr berichtet werden. „Es steht hundertprozentig fest, dass der Hillary-Step verschwunden ist“, schreibt mir Mingma Gyalje Sherpa, Expeditionsleiter des nepalesischen Anbieters „Imagine“. Der 32-Jährige war am 14. Mai bis zu einer Stelle zwischen dem Südgipfel (8750 Metern) und dem einstigen Hillary-Step (8790 Meter) aufgestiegen, hatte dort stundenlang auf die Rückkehr seines Gipfelteams gewartet und damit auch genügend Zeit gehabt, sich die Stelle genau anzusehen. Über den Hillary-Step, so Mingma, „muss in Zukunft nicht mehr diskutiert werden“. Da kann sich das nepalesische Tourismusministerium noch so querlegen. Die Behörde hatte doch tatsächlich vor der Saison allen Bergsteigern unter Strafandrohung untersagt, sich zum Hillary-Step öffentlich zu äußern. Was für ein Unsinn!
Zacken aus der Krone gebrochen
Berge verändern sich nun einmal – durch den Klimawandel sogar schneller und deutlicher erkennbar als bisher. Im Falle des Hillary-Step war es jedoch wahrscheinlich das verheerende Erdbeben in Nepal vom 25. April 2015, das der Felsstufe den Garaus machte. Der Everest-erfahrene britische Expeditionsleiter Tim Mosedale wies bereits 2017 darauf hin, dass die frühere Felskletterpassage nun nur noch ein schneebedeckter Hang sei, deutlich leichter zu überwinden als vorher. Mosedale belegte seine Behauptung mit Bildern. Die Regierung Nepals sah schon damals darin so etwas wie eine Majestätsbeleidigung. Dabei ist dem Everest doch nur ein kleiner Zacken aus der Krone gebrochen. Eigentlich müsste sich das Tourismusministerium über dieses vermeintliche Malheur sogar freuen: Ein Nadelöhr weniger, an dem sich früher häufig Staus bildeten, was sich nicht nur in puncto Sicherheit nachteilig auswirkte, sondern auch mit Blick auf das Everest-Marketing.
Zwölf Meter Fels
Sir Edmund Hillary lacht sich wahrscheinlich oben im Bergsteiger-Himmel ein Loch in den Bauch über die lächerlichen Versuche der Regierung, totzuschweigen, was inzwischen Hunderte von Bergsteigern mit eigenen Augen gesehen haben: Der einst zwölf Meter hohe Felsblock, eine echte Hürde, die Hillary einst als Erster gemeistert hatte, existiert nicht mehr. Bei der Erstbesteigung 1953 hatte der Neuseeländer sein Herz in beide Hände nehmen müssen und war durch einen dünnen Riss zwischen Fels und Eis nach oben geklettert. „Danach realisierte ich erstmals, dass wir es auf den Gipfel schaffen würden“, sagte der Everest-Pionier über diese letzte Schlüsselstelle, die später nach ihm benannt wurde. Der Neuseeländer starb 2008 im Alter von 88 Jahren.
So viele Gipfelerfolge wie noch nie
Das kommerzielle Bergsteigen am Everest sah Sir Ed sehr kritisch. „Da sind Leute, die vom Bergsteigen kaum etwas verstehen“, sagte mir der Everest-Pionier, als ich ihn im Jahr 2000 dazu befragte. „Denen ist der Berg egal. Sie haben 65.000 Dollar bezahlt und alles, was sie wollen, ist: den Fuß auf den Gipfel setzen, nach Hause zurückkehren und damit angeben.“ Allein in der nun zu Ende gegangenen Frühjahrssaison 2018 – zehn Jahre nach Hillarys Tod – erreichten von der Süd- und der Nordseite her offenbar insgesamt mehr als 700 Bergsteiger den 8850 Meter hohen Gipfel. Auch wenn Billi Bierling und ihre Mitarbeiter bei der Chronik „Himalayan Database“ die Angaben noch bestätigen müssen, wird die Saison wohl, gemessen an der Zahl der Gipfelerfolge, als die bisher erfolgreichste in die Everest-Geschichte eingehen. Und als die dritte ohne Hillary-Step.