More DW Blogs DW.COM

Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Riesen-Gletscherabbruch in Tibet

Nach der Rieseneislawine

Nach der Riesen-Eislawine

In diesem Sommer ist auf dem tibetischen Hochplateau eine Mega-Eislawine abgegangen. Im Aru-Gebirgsmassiv im Nordwesten Tibets brach eine ganze Gletscherzunge ab und stürzte talwärts. Wissenschaftler sagen, es habe sich um eine der größten Eislawinen gehandelt, die jemals registriert worden seien. Nach Angaben der chinesischen Behörden kamen bei dem Naturereignis, das sich bereits am 17. Juli ereignete, neun tibetische Hirten ums Leben, außerdem wurden mehr als 350 Schafe und 110 Yaks unter den Eis- und Felsmassen begraben. Die amerikanische Raumfahrtagentur NASA veröffentlichte jetzt Satellitenbilder, die das Ausmaß verdeutlichen: Das abgerutschte Eis bedeckete eine Fläche von zehn Quadratkilometern und färbte den angrenzenden See weiß. An einigen Stellen türmten sich Eis und Geröll bis zu 30 Meter hoch auf. Die Ursache des Gletscherabbruchs ist noch unklar. „Der Klimawandel sorgt in den Gletscherregionen für zusätzliche Risiken, mit Mechanismen, die wir noch nicht durchschauen“, sagte der chinesische Glaziologe Tian Lide. „Es ist dringend nötig, diese Prozesse zu überwachen und zu erforschen, vor allem in bevölkerten Gebieten im Hochgebirge.“

Ich habe bei dem Schweizer Wissenschaftler Samuel Nussbaumer nachgefragt. Der 35 Jahre alte Glaziologe arbeitet in Zürich für den World Glacier Monitoring Service (WGMS), der die Entwicklung der Gletscher weltweit beobachtet und analysiert.

Vor dem Gletscherabbruch

Vor dem Gletscherabbruch

Wie ungewöhnlich ist dieser massive Gletscherabbruch in Tibet?

So wie ich das sehe, ist wirklich die Gletscherzunge vollständig abgebrochen, der gesamte untere Teil. Ich kenne keinen anderen Fall diesen Ausmaßes – wobei natürlich nur das bekannt ist, was auch historisch dokumentiert ist. Es gab schon einmal 2002 einen Fall mit einer ähnlichen Dimension am Kolka-Gletscher im russischen Teil des Kaukasus  (damals kamen rund 140 Menschen ums Leben). Dort ist aber zunächst der Fels abgebrochen und hat das Eis mitgerissen. Was damals passiert ist, weiß man ziemlich genau. Die exakten Umstände in Tibet sind dagegen noch nicht bekannt.

Samuel Nussbaumer

Samuel Nussbaumer

Sind solche massiven Gletscherabbrüche vorhersehbar? Gibt es alarmierende Hinweise?

Gletscher sind in ständiger Bewegung. Zeichen dafür sind zum Beispiel die Gletscherspalten. Die kann man mit Kameras oder auch hoch aufgelösten Satellitenbildern beobachten. Dann könnte man so etwas auch vorhersehen. Aber es ist natürlich nicht praktikabel, alle Gletscher weltweit zu überwachen. In den Alpen beispielsweise geschieht das bei vielen Gletschern. Die Dimension ist jedoch viel kleiner. Da geht es dann zum Beispiel darum, dass bei einem steilen Hängegletscher die Gefahr besteht, dass ein Teil abbricht und auf eine Siedlung oder Seilbahnstation stürzt. Diese Gletscher werden mit automatischen Kameras überwacht. Ein solcher Abbruch kündigt sich immer vorher an – etwa indem das Eis schneller fließt oder die Spalten größer werden und sich Klüfte bilden.

Sind Riesen-Gletscherabbrüche wie der in Tibet eine Folge des Klimawandels?

Das kann man erst sagen, wenn die Ursache des Abbruchs in Tibet geklärt ist. Aber für den Prozess, dass sich so eine Gletscherzunge bewegt, spielt Schmelzwasser eine wichtige Rolle. Man spricht in so einem Fall von einer „Zungenrutschung“. 1965 gab es eine in der Schweiz am Allalin-Gletscher (88 Menschen starben damals), dort ist auch die Gletscherzunge komplett abgebrochen. Oft ist es dabei so, dass im Gletscherbett viel Wasser ist, auf dem der Gletscher abgleiten kann, und dann bricht er plötzlich ab. Bei steilen Gletschern ist das ein bekanntes Phänomen, aber natürlich in einem viel kleineren Ausmaß als jetzt in Tibet. Wenn die Temperaturen höher sind, ist die Chance größer, dass es mehr Schmelzwasser gibt. Das ist dann wie ein Wasserfilm, der als Schmiermittel wirkt.

Datum

16. September 2016 | 9:56

Teilen