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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Böhm: „Der ganze Hang brach einfach weg“

Benedikt Böhm

Benedikt Böhm

Zeit ist relativ, je nachdem, wie du sie empfindest. Schon drei Wochen? Erst drei Wochen? So viel Zeit ist seit dem Lawinenunglück am Achttausender Shishapangma in Tibet vergangen. Am 24. September waren der deutsche Skibergsteiger Sebastian Haag und der Italiener Andrea Zambaldi ums Leben gekommen, als sich kurz unter dem Gipfel eine Lawine gelöst hatte. Der ebenfalls mitgerissene Martin Maier hatte überlebt. Benedikt Böhm und der Schweizer Ueli Steck waren nicht von den Schneemassen erfasst worden. Ich erreiche Benedikt telefonisch zu Hause in München.

Benedikt, das Lawinenunglück an der Shishapangma liegt jetzt drei Wochen zurück. Hast du das Ganze für dich persönlich schon ein wenig verarbeiten können?

Nein, nicht wirklich. Unmittelbar nach der Lawine war ich mit der Rettungsaktion von Martin Maier beschäftigt, der wie durch ein Wunder überlebt hat. Das hat zwei Tage gedauert, dann sind wir sofort zurück gereist. Mein unglaublich schönes Leben, das ich hier führen darf, hat mich jetzt wieder fest im Griff. Als Geschäftsführer einer relativ großen Sportmarke stehen sofort viele Aufgaben an, wenn man so lange weg war. Da bleibt nicht viel Zeit, um wirklich herunterzukommen. Diese Zeit habe ich bisher nur gehabt, wenn ich ein paar Stunden lang Sport getrieben habe, frühmorgens oder spätabends am Berg. 

Böhm (r.) und  Haag an der Shishapangma

Böhm (r.) und Haag an der Shishapangma

Wo genau ging die Lawine ab?

Ziemlich genau auf 7900 Metern, 100 Höhenmeter unter dem Gipfel. Wir konnten ihn schon deutlich vor uns sehen, zum Greifen nahe. Es war 6.30 Uhr, die Sonne ging auf, es war sofort zehn Grad wärmer, von -30 auf -20 Grad Celsius. Die Stimmung im Team war super. Wir hatten alle Schlüsselstellen hinter uns. Es ging ein Glücksraunen durch die Gruppe. Wir gingen davon aus, dass wir alle zusammen den Gipfel erreichen würden, spätestens um 8 Uhr. Wir versuchten, uns immer am Gipfelgrat zu halten. Wir hatten die Ski unten gelassen, weil wir gesehen hatten, dass zu viel Schnee in der Bergflanke lag. Basti spurte und ging ein bisschen vom Grat weg. Er wollte sich mir gerade wieder zuwenden. In diesem Moment löste sich der ganze Hang. Er ist einfach weggebrochen. Es gab keinen Knall oder so etwas. Man hat gemerkt, es zieht einem den Boden unter den Füßen weg. Es ging zunächst gespenstisch langsam, aber dann hat die Lawine stark beschleunigt. Weil ich nahe am Grat war, konnte ich zur Seite springen. Ebenso Ueli, der knapp unter mir war. Aber die anderen drei hatten keine Chance, sich herauszuwinden.

Martin Maier wurde – wie Basti Haag und Andrea Zambaldi – von der Lawine erfasst. Wie konnte er sich retten?

Wir haben die drei schnell aus den Augen verloren, weil die Lawine durch einen konvexen Gletscherbereich donnerte, den wir nicht einsehen konnten. Wir sahen die Lawine erst wieder, als sie etwa 600 Meter tiefer in einer Mulde zum Stillstand kam. Es war eine gigantische Lawine, die klein begonnen, aber sich wie ein umgedrehtes „V“ enorm ausgebreitet hatte. Martin hatte wahnsinnig viel Glück. Unter Umständen hat ihm das Leben gerettet, dass er sofort seinen Rucksack abgestreift und seine Stöcke weggeschmissen hatte. Er kam auf der Lawine liegend unten an. Sein zweites Glück war, dass er relativ geringe Verletzungen hatte. Obwohl er natürlich eine Kopfverletzung hatte, keine offene, sondern ein Hämatom. Er lag zunächst sieben Stunden lang bewusstlos auf dem Schnee, dann wachte er auf. Er riss sich zusammen und rettete sich trotz eines Kreuz- und Innenbandrisses am Knie nach Lager 3. Alles in allem ist es ein kleines Wunder, dass er überlebt hat.   

Wurde er von den Schneemassen wirklich die gesamten 600 Meter heruntergespült?

Ja, Martin lag im Lawinenkegel auf dem Schnee. Er wusste erst gar nicht, wo er war und was geschehen war. Dann kehrte aber die Erinnerung zurück. Er hat sogar noch nach Basti und Andrea gesucht, sie aber nicht gefunden.

Ueli und du, ihr habt stundenlang vergeblich versucht, in die Lawinenzone zu gelangen. War eine Bergung der beiden Verschütteten unmöglich?

Den Weg der Lawine hinunter konnten wir nicht, das war zu steil und zu gefährlich. Meine Idee war, bis auf 7300 Meter abzusteigen und von dort aus mit den Skiern in den Lawinenhang zu queren. Ueli war aufgrund der Lawinengefahr zu Recht skeptisch. Wir haben es probiert, aber es hat überall gekracht, die Hänge waren dermaßen geladen. In diesem Augenblick war mir klar, dass ich zurück muss. Ich habe gedacht: Ich habe zwei kleine Söhne, und es ist niemandem geholfen, wenn ich auch noch mein Leben riskiere. Die Chancen, jemanden noch lebend zu bergen, waren sehr, sehr gering. Wir hatten etwa 45 Minuten für den Abstieg nach Lager drei gebraucht und wären bis zum Lawinenkegel sicher noch einmal eine Stunde unterwegs gewesen. Eindreiviertel Stunden, viel zu lang für jemanden, der unter einer Schneedecke liegt, die dicht zusammengepresst ist wie Beton. Abgesehen davon hatten wir gar keine Schaufeln zum Graben. Wir sind noch einmal 100 Meter aufgestiegen und haben versucht, dort hinüberzukommen. Aber das Risiko war einfach zu groß. Es wäre nicht unmöglich, aber sehr, sehr gefährlich gewesen. Auch die Sherpas, die aufgestiegen waren, um uns zu helfen, haben sofort gesagt, dass sie dort nicht hinübergehen.

Auf dem Gasherbrum II, ihrem ersten Achttausender

2006 auf dem Gasherbrum II, ihrem ersten Achttausender

Bei eurem ersten Gipfelversuch wart ihr etwas unterhalb der Unglücksstelle wegen der großen Lawinengefahr umgekehrt. Habt ihr auch diesmal diskutiert, ob ihr weitergehen sollt oder nicht?

Beim ersten Versuch war nicht die Lawinengefahr der Hauptgrund, warum wir umkehrten. Wir hatten schon das Gefühl, dass wir das Risiko kontrollieren konnten, wenn wir am Grat blieben. Aber wir hatten am 18. September einfach keine Power mehr. Der Schnee auf dem Grat lag so hoch, dass wir bis zur Brust einsanken.

Ihr habt schon vor diesem zweiten Gipfelversuch gesagt, das sei definitiv euer letzter. Habt ihr euch damit nicht selbst unter zu großen Druck gesetzt?

Schwer zu sagen. Druck ist auch wichtig. Wenn man nicht bis in jede Haarspitze motiviert ist, solche Projekte an den Achttausendern zu machen, dann schafft man es auch nicht. Du brauchst diesen Druck, der dich anschiebt und dir sagt, jetzt legst du alles in diesen Versuch. Aber natürlich musst du auch einen klaren Kopf behalten. Dass wir dazu in der Lage sind, haben wir zum Beispiel 2012 am Broad Peak bewiesen, als wir 20 Höhenmeter vor dem Hauptgipfel umkehrten, weil es zu gefährlich war. 

Ueli und du hattet viel Glück.

Auf jeden Fall. Ich war ja schon in Bastis Spur, habe dann aber instinktiv umgedreht und bin ein paar Schritte aus dem Hang herausgegangen.

Nach dem Unglück hat Reinhold Messner euch in einem Interview vorgeworfen, euer Projekt als Rekordversuch verkauft zu haben. Ziehst du dir diesen Schuh an?

Nein. Ich habe mich immer von dem Wort „Rekord“ im Zusammenhang mit dem, was ich in den Bergen mache, distanziert. Rekorde machen auf einer 100-Meter-Bahn Sinn, aber nicht an einem Achttausender, der heute so und morgen ganz anders sein kann. Für mich ging es immer darum, mich schnell am Berg zu bewegen, um sicherer zu sein, nicht um Rekorde zu brechen. Wir haben im Zusammenhang mit unserem Projekt „Double8“ nie von Rekord oder Weltrekord gesprochen. Das habe ich hier nach meiner Rückkehr zum ersten Mal gehört. Es ist nervig. Aber man kann es den Medien auch nicht übel nehmen, dass sie es so verkaufen. Wenn über dem Artikel „Weltrekord“ steht, klicken wahrscheinlich acht von zehn Usern, bei „Double8“ vielleicht einer.

Beste Freunde: Basti (l.) und Bene

Beste Freunde: Basti (l.) und Bene

2012 am Manaslu seid ihr, Sebastian und du, schon einmal knapp einem Lawinenunglück entkommen. Damals starben 11 Bergsteiger. Jetzt hast du in der Lawine an der Shishapangma Basti, deinen besten Freund und Bergpartner, verloren. Was bedeutet das für deine Zukunft als Bergprofi?

Das kann ich noch gar nicht abschätzen. So ein Partner wie Basti ist nicht ersetzbar. In solchen Grenzbereichen brauchst du jemanden, auf den du dich blind verlassen kannst, den du in- und auswendig kennst, der dieselben Werte vertritt und der genauso tickt wie du. Wir haben uns über alles Mögliche unterhalten, Politik, Kultur, Wirtschaft, was auch immer, nicht nur über irgendwelche Berggeschichten. Das war uns zu einseitig. Ich weiß noch nicht, wie es sich jetzt weiter entwickelt. Ich hatte ja sowieso schon versucht, mit den eher leichten Achttausendern Shishapangma und Cho Oyu die Gefahr etwas herauszunehmen. Basti wollte lieber zum Dhaulagiri. Aber ich habe zu ihm gesagt: Der ist zu gefährlich. Ich will nicht mehr so unkalkulierbare Steilwände fahren. Das habe ich früher gemacht, aber mit Familie ist das für mich passé.

Datum

16. Oktober 2014 | 10:10

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