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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Matthias Baumann (in Nepal): „Organisiertes Chaos“

Matthias Baumann im Krankenhaus Dhulikhel

Matthias Baumann im Krankenhaus Dhulikhel

Er hat nicht gezögert. Kaum waren die ersten Berichte über das verheerende Erdbeben in Nepal eingelaufen, packte der deutsche Arzt und Bergsteiger Matthias Baumann seine Sachen. Der Unfallchirurg aus Tübingen flog ins Katastrophengebiet, um zu helfen. Über eine Woche lang arbeitete der 43-Jährige in einem Krankenhaus in der Bergstadt Dhulikhel, 25 Kilometer östlich von Kathmandu gelegen. Vor seiner Heimreise am Sonntag will er sich noch einmal ein Bild von der Lage in den Bergdörfern der Region machen und helfen, so gut er kann.

Matthias, du bist jetzt anderthalb Wochen in Nepal. Wie lange hast du täglich gearbeitet?

Wir haben morgens um acht Uhr mit einem Treffen aller leitenden Ärzte und Krankenschwestern angefangen. Dabei wurde besprochen, was im Krankenhaus aber auch in den Krankenstationen auf dem Land an Hilfe benötigt wird. Dann legten wir los. Vorgegebene Zeiten gab es nicht. Jeder hat so lange gearbeitet, wie er es geschafft hat. Ich war meistens bis zehn, elf Uhr abends in der Klinik.

Geduldig Wartende

Geduldig Wartende

Wie sah die Arbeit konkret aus?

Ich war die meiste Zeit über im Operationssaal. Wir haben vor allem Knochenbrüche an Armen und Beinen versorgt. Ab und zu habe ich auch in der Notaufnahme mit angepackt.

Woher kamen die Patienten?

Dhulikhel liegt eine Stunde Autofahrt östlich von Kathmandu, es ist es schon sehr hügelig. Die Stadt liegt an der Straße, die nach Tibet führt. Daher treffen hier vor allem die Patienten aus den östlichen Bergregionen ein. Für sie ist es die erste große Klinik Richtung Kathmandu.

Sind diese Menschen traumatisiert?

Ja, eindeutig. Bewundernswert ist jedoch, dass sie sich nicht beklagen. Sie haben ein unglaubliches Schicksal erlitten: Sie haben ihre Angehörigen verloren; sie haben einen langen Weg hinter sich, um ins Krankenhaus zu kommen; sie müssen auf dem Gang oder sogar im Freien schlafen und unter Umständen stundenlang vor dem Operationssaal warten, bis sie dran sind. Und doch gehen sie geduldig damit um und beklagen sich nicht über die Umstände. Schließlich ist es ja doch ein organisiertes Chaos, weil der Patientenstrom so groß ist.

Ist die Lage außerhalb des Krankenhauses auch chaotisch?

Ich habe den Eindruck, dass man die Lage auf dem Land, vor allem in den Bergregionen, noch gar nicht im Griff hat. Unser Krankenhaus hat gerade zwei Tage lang die ganz abgelegenen Dörfer im Langtang-Gebiet mit Pendelflügen per Hubschrauber versorgt. Ich habe erschreckende Bilder gesehen. Diese Dörfer gibt es einfach nicht mehr. Aber auch diese Hilfe war ja nur punktuell. Ich denke, es gibt immer noch Dörfer, in denen seit dem Beben vor zwei Wochen noch niemand gewesen ist.

Werden aus diesen Gebieten noch Verletzte gebracht, oder nur noch Tote?

In den Bergdörfern wurden die meisten Leichen schnell verbrannt, um Seuchen vorzubeugen. Es treffen immer noch Verletzte aus den Bergdörfern ein, aber natürlich nicht mehr so viele wie anfangs.

Leben in Trümmern

Leben in Trümmern

Wie sehen die Menschen in Nepal ihre Zukunft?

Jemand hat mir kürzlich gesagt: Nepal wurde um 20 Jahre zurückgeworfen. Ich war auch mehrfach außerhalb der Stadt unterwegs. Es ist unglaublich, was dort alles kaputt gegangen ist. Ich denke, es wird auf jeden Fall Jahre dauern, das Land wieder aufzubauen. Auf der einen Seite spürt man den großen Zusammenhalt der Nepalesen. Auf der anderen Seite sind sie alle traumatisiert. Gestern sagte mir jemand: „We suffer!“ Wir leiden.

Haben die Nepalesen Angst davor, vergessen zu werden, wenn die Erdbeben-Katastrophe aus den Hauptnachrichten-Sendungen verschwindet?

Ab und zu höre ich das. Aber Nepal ist nicht nur wegen seiner schönen Berge, sondern vor allem wegen seiner Menschen in der ganzen Welt beliebt. Im Erdbebengebiet sind unglaublich viele internationale Hilfsorganisationen im Einsatz, an einigen Stellen fast schon zu viele. Und auch Privatpersonen sind hergekommen, die helfen wollen. Ich glaube nicht, dass die Nepalesen vergessen werden.

P.S. Matthias Baumann hat eine Spendenaktion für die Erdbebenopfer in Nepal gestartet. Hier ist die Kontoverbindung: Himalayan Project e.V., Kreissparkasse Biberach, IBAN: DE82 6545 0070 0007 8203 31, SWIFT-BIC:  SBCRDE66, Kennwort: „Erdbeben Opfer“.

Datum

8. Mai 2015 | 11:53

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