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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Midsummer Crisis

Einige von euch haben sich gestern vielleicht gefragt, warum ich erst mit einigen Tagen Verspätung über Christians Stangls Erfolg am K 2 berichtet habe. Weil ich euch eine sauber recherchierte Story, angereichert mit eigenem Material, bieten wollte? Klar doch! Aber es gibt auch eine viel profanere Erklärung.

Ich war eine Woche lang offline. Ich war nicht krank, habe auch nicht Internet-gefastet und werde darüber nicht – wie es derzeit en vogue erscheint – ein Buch schreiben. Es hat sich einfach so ergeben, im Urlaub in Tignale, rund 400 Meter über dem Gardasee. Jetzt denkt ihr wahrscheinlich, ich wäre verhindert gewesen, weil ich Extremsport getrieben hätte. Vielleicht hätte ich ja mit dem Mountainbike die Gegend unsicher gemacht, wäre im nicht weit entfernten Arco schwierigste Routen geklettert, hätte den See schwimmend durchquert oder einen neuen Geschwindigkeitsrekord im Kitesurfen aufgestellt.


Achtung Kreisverkehr! Wörtlich und im übertragenen Sinne

Vergleichsstudien über Malaga-Eis

Weit gefehlt. Mein immenses sportliches Tagewerk bestand darin, morgens hundert (!) Höhenmeter ins Dorf aufzusteigen, um beim Bäcker Brötchen fürs Frühstück zu holen, auf dem Rückweg den einsamen jungen Schäferhund zu streicheln, der mich am Wegesrand hinter einem Zaun immer so traurig ansah, später mit grandiosem Blick auf den See mehrere Tassen Kaffee zu schlürfen, Hunderte von Buchseiten umzublättern, zwischendurch kurz einzunicken, unseren Kleinbus dellenfrei durch die engen Tunnel zu manövrieren, über Märkte zu schlendern und mich zu fragen, ob Frau inzwischen lieber Taschen als Schuhe kauft, meine Vergleichsstudie über die Qualität von Malaga-Eis fortzusetzen, den Kiesstrand unbeschuht zu überwinden, um die gepiesackten Füße und den Rest anschließend im Wasser zu kühlen, vorzügliche Pizzaböden samt Belag durchzusägen und mir einzuverleiben, dazu die Ein-Liter-Karaffe vino rosso della casa zu stemmen, mich anschließend noch ein bisschen müde zu würfeln, um mich dann selig schlummernd von all den Strapazen zu erholen.

Schnurrender Muskelkater

Oder um es mit einem in unserer atemlosen und fitnessfixierten Zeit verbotenen Wort zu sagen: Ich war schlichtweg faul und, noch schlimmer, habe es sogar genossen. Zu meiner Verblüffung hat sich die Welt weiter gedreht.


Dilettant in der Wand (=ich)

Aber um euch nicht vollends zu schocken: Jetzt arbeite ich wieder. Und ein zünftiger Muskelkater, der in meinen Unterarmen schnurrt, erinnert mich an einen Besuch in der Kletterhalle. Die Midsummer Crisis ist also überwunden. Schade eigentlich.

Datum

19. August 2010 | 9:38

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