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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Muskellöwe nach „Power-Pilgern für Nepal“

Nass am Ziel

Nass am Ziel

Langsam, ganz langsam. Meine Füße fühlen sich an, als wären sie doppelt so dick. Die Beine sind ein steinhartes Muskelpaket, das bei jedem Schritt schmerzt. Ich bin noch nie bei einem Marathon gestartet, mutmaße aber, dass es mir geht wie einem 42-Kilometer-Läufer am Tag nach dem Rennen. Mit dem Unterschied, dass mir zweieinhalb Marathondistanzen in den Knochen stecken – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Nach unterschiedlichen Messungen bin ich von Mittwoch, 8 Uhr bis Donnerstag, 19.55 Uhr insgesamt 96 Kilometer gewandert. Und ich habe mein Ziel erreicht: auf dem Jakobsweg vom Kölner zum Aachener Dom innerhalb von 36 Stunden, inklusive einer Übernachtung. Fünf Minuten vor der gesetzten Zeit schlug ich gestern Abend an der Dompforte in Aachen an. Die Mission „Power-Pilgern für Nepal“ war erfüllt.

Flugblätter

Eine Kerze im Kölner Dom

Eine Kerze im Kölner Dom

Als ich am Mittwoch früh den Kölner Dom betrete, ist die Kathedrale noch leer. Ich entzünde eine Kerze, anschließend erteilt mir ein Geistlicher in der Sakristei den Pilgersegen. Es kann losgehen. Um 8.20 Uhr mache ich mich auf den Weg. In Widdersdorf, am Rand des Kölner Stadtgebiets, (Kilometer 13) entfährt mir erstmals ein nicht zitierfähiger Fluch. Irgendwo auf dem letzten, halben Kilometer muss ich meine Kartenblätter verloren haben, die in meiner Hosentasche steckten. Also wieder zurück. An einer Kreuzung erblicke ich die leere Klarsichthülle. Die gut 20 Kartenblätter haben sich im Wind selbstständig gemacht und liegen verteilt auf der Straße. Zwei Passanten helfen mir dabei, die Zettel, inzwischen teilweise nass und mit Reifenspuren bedruckt, wieder einzusammeln. „Jetzt wissen Sie, warum es Flugblatt heißt“, sagt mir eine Frau und grinst.

Nicht ganz ideale Pistenbedingungen

Die Sonne verabschiedet sich

Die Sonne verabschiedet sich

Anschließend verläuft meine Wanderung ohne Zwischenfälle. „Ski und Rodeln gut?“, fragt mich ein Spaßvogel in Frechen-Königsdorf (Kilometer 21), als ich mit meinen Wanderstöcken an ihm vorbeistakse. „Ideale Pistenbedingungen“, gebe ich zurück. Das stimmt nicht ganz. Erst nach fünfeinhalb Stunden gehe ich erstmals eine längere Passage auf Waldwegen. Immerhin hat der Wind inzwischen die Wolken weggeblasen, die Sonne scheint. Als sie gegen 16.30 Uhr untergeht – ich bin inzwischen hinter der Stadt Kerpen (Kilometer 33) angelangt – beginnt der härteste Tagesabschnitt. Die Kräfte lassen nach, ich laufe nicht mehr ganz rund und nur noch im Schein meiner Stirnlampe. Nicht nachdenken, weiter, immer weiter, über nun endlos erscheinende Feldwege.

Zu früh gefreut

Im Schein der Stirnlampe

Im Schein der Stirnlampe

Es muss etwa 19 Uhr sein, als ich am Horizont einen angestrahlten Rundbau erblicke. Das ist bestimmt eine Kirche in Düren, meinem Etappenziel, hoffe ich, mobilisiere noch einmal ein paar Restkräfte – und werde mit dem Ortsschild Merzenich (Kilometer 47) enttäuscht. Das markante Gebäude war ein alter Wasserturm. Weitere fünf Kilometer bis Düren, dann auch noch quer durch die Stadt! Um 21 Uhr erreiche ich mein Zwischenziel (Kilometer 56), nach 13 Stunden unterwegs. Fit sehe ich wohl nicht mehr aus, die Hotelwirtin drückt mir mitfühlend eine Flasche Mineralwasser in die Hand.

Zu zweit weiter

Noch halbwegs trocken

Noch halbwegs trocken

In der Nacht bringen mich Sturm und Regen um den Schlaf. Dennoch fühle ich mich am nächsten Morgen wieder so weit erholt, dass ich pünktlich um 8 Uhr wieder aufbreche. Mein Sohn Jan, der in Aachen studiert, ist früher als ich aufgestanden, um mich auf der zweiten Etappe zu begleiten. Das ist Balsam für die Seele. Es wandert sich einfach leichter, wenn du einen Gesprächspartner hast. Hinter Düren führt der Jakobsweg lange Zeit durch Wälder. Die Wege sind nach dem Unwetter der vergangenen Nacht matschig. Nach vier Stunden kehren wir im kleinen Ort Schevenhütte (Kilometer 70) in der „Schlemmerbud“ ein. Wir füllen unsere leeren Kalorienspeicher mit einer Frikadelle und einer großen Portion Fritten.

Himmlische Dauerdusche

Regenwandern

Regenwandern

„Normalerweise kommen um die Zeit keine Pilger mehr vorbei“, erzählt uns der Besitzer der Imbissbude. Er wundert sich, dass wir uns in der gegenüberliegenden Kirche keinen Pilgerstempel abgeholt haben. „Ohne Stempel seid ihr doch keine richtigen Pilger.“ Stunden später holen wir das tatsächlich noch nach, im kleinen Dorf Breinig (Kilometer 83), in dem der Pilgerstempel in einem Kasten an der Hauptstraße hängt. Zu der Zeit ist es bereits wieder dunkel, und es regnet seit geraumer Zeit in Strömen: Die letzten sechs Stunden laufen wir unter himmlischer Dauerdusche.

Ins Ziel gewackelt

Unsere Handabdrücke auf der Aachener Dommauer

Unsere Handabdrücke auf der Aachener Dommauer

Die Wald- und Feldwege sind matschig oder zu kleinen Bächen mutiert. Das Wasser läuft in die Schuhe, in den Nacken und auch der Regenschutz ist überfordert. Als wir auf die Zielgerade in Aachen einbiegen, sind wir bis auf die Unterhose durchnässt. Die letzten Kilometer wackeln wir nur noch mit letzter Kraft durch die Stadt, vom aufrechten Gang haben wir uns längst verabschiedet. Was uns jetzt noch vorantreibt, ist der pure Willen, es noch innerhalb der gesetzten Zeit zu schaffen. Und es gelingt: Als wir bereits unsere „Gipfelfotos“ vor der längst geschlossenen Kathedrale (Kilometer 96) machen, läuten die Glocken. 20 Uhr.

Ab zur Bank! 😉

So, ihr lieben Spender: Multipliziert jetzt bitte den von festgesetzten Betrag pro gewanderten Kilometer mit 96 und überweist das Geld auf das Konto unseres Hilfsprojekts „School up!“:

Nepalhilfe Beilngries
Volksbank Bayern Mitte eG
IBAN: DE05 7216 0818 0004 6227 07
BIC/SWIFT-Code: GENODEF1INP
Verwendungszweck: Gerlinde-und-Ralf-Schule

Euch allen schon jetzt – auch im Namen der Kinder in Nepal – vielen Dank, auch für die aufmunternden Worte. Wenn ich es richtig überschlagen habe, müsste ich (inklusive Spenden als Festbeträge) über 800 Euro für den Wiederaufbau der Schule in Thulosirubari erwandert haben. Dafür nehme ich den aktuellen „Muskellöwen“, der mich bestimmt noch ein paar Tage begleiten wird, gerne in Kauf. 😉

Datum

20. November 2015 | 15:40

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