Ralf Dujmovits: „Für mich ist das Lügen“
Müde und enttäuscht. Ralf Dujmovits ist es nicht nur, er klingt auch so. Der 55 Jahre alte Bergsteiger spricht leise und langsam, als er mir per Satellitentelefon von seinem gescheiterten Gipfelversuch ohne Flaschensauerstoff am Mount Everest erzählt. Am Samstag hatte Ralf auf einer Höhe von 8580 Metern umgedreht, kurz vor dem Second Step, der markantesten Felsstufe auf dem Nordostgrat: „Das war bitter.“
Zehn Minuten in der Felsnische
Er sei wie geplant um 1 Uhr nachts zusammen mit dem Sherpa Namgyal Lama von Lager 3 auf 8300 Metern aus aufgebrochen und „zügig vorangekommen“, berichtet Ralf. Dann habe Schneefall eingesetzt und schließlich auch noch Wind. Er und sein Begleiter hätten in einer Felsnische Schutz gesucht. „Ich bin total schnell ausgekühlt. Zehn Minuten lang habe ich nachgedacht. Und mir war klar: Wenn ich weitermache, werde ich mir Erfrierungen zuziehen.“
„Extrem schwere Entscheidung“
Der Kopf sagte nein, und der Bauch? „Die Entscheidung ist mir extrem schwer gefallen. Schließlich hatte ich mich ja schon vorher festgelegt, dass es mein letzter Versuch sein sollte“, sagt Ralf. „Es war total enttäuschend, das Gegenteil von dem zu machen, was ich eigentlich vorhatte. Bis dahin hatte ja fast alles perfekt geklappt. Und dann spielt am entscheidenden Tag das Wetter einfach nicht mit.“
Flaschensauerstoff beim Abstieg
Frustriert kehrte Ralf wieder zurück nach Lager 3, wo er sich eine Stunde lang ausruhte. „Namgyal hat mir geraten, Flaschensauerstoff zu atmen, damit ich beim weiteren Abstieg konzentriert bleibe. Das habe ich dann auch getan, in dem Augenblick war es mir wirklich scheißegal. Der Versuch war ja sowieso gescheitert.“ Dujmovits stieg noch am Samstag bis ins vorgeschobene Basislager ab und dann am Sonntag ins Chinese Base Camp auf 5300 Metern. „Ich war extrem fertig, als ich dort eintraf. Das hing auch mit der Enttäuschung zusammen.“ Schließlich habe er vorher extrem viel Aufwand betrieben, um sich seinen großen Traum zu erfüllen. „Damit muss ich erst mal klarkommen.“
Jornet „von einem anderen Planeten“
Seinen Hut zieht Ralf Dujmovits vor der Leistung des Spaniers Kilian Jornet, der innerhalb einer Woche zweimal den Everest bestiegen hat, alleine, ohne Flaschensauerstoff und im Eiltempo: „Der ist von einem anderen Planeten. Eine gigantische Leistung. Ich freue mich total für Kilian.“ Ganz anders stehe er zu Adrian Ballingers Aufstieg ohne Flaschensauerstoff. „Zwischen Jornet und Ballinger liegen Welten“, sagt Ralf. „Die Leistung zählt für mich nur, wenn der Gipfel selbstständig und aus eigener Kraft erreicht wurde. Ich muss noch Herr meines Körpers sein, und Herr meines Kopfs. Alles andere hat nichts mit Bergsteigen zu tun.“
„Am kurzen Seil“
Der US-Amerikaner Ballinger habe ein ganzes Team um sich herum gehabt – nicht nur seinen Partner Cory Richards, sondern auch noch einen ecuadorianischen Bergführer sowie zwei Sherpas, die das technische Equipment trugen, um in Echtzeit in den sozialen Netzwerken präsent zu sein: „Da geht es nur noch um Publizität.“ Beim Abstieg sei Ballinger von dem Ecuadorianer am kurzen Seil geführt worden. Davon habe er hinterher nichts gelesen, sagt Ralf Dujmovits: „So viel zum Thema Ehrlichkeit. Da werden Dinge in der öffentlichen Darstellung einfach weggelassen. Für mich ist das Lügen.“
Update 30. Mai: Das Ballinger-Team hat auf den Bericht reagiert. „Ich bin mit ihm den ganzen Weg vom Basislager auf den Everest hinauf und wieder herunter geklettert, und ich sage, dass er niemals während des Abstiegs am kurzen Seil ging, wie Ralf in diesem Interview fälschlicherweise behauptet“, schreibt der Ecuadorianer Esteban Mena. „Diese Information ist nicht korrekt und sollte sofort korrigiert werden.“ Aus meiner Sicht steht da erst einmal Aussage gegen Aussage.