Spannender Versuch am Cerro Kishtwar
Seit drei Wochen sind sie unterwegs und dürften inzwischen am Ziel ihrer Expedition eingetroffen sein. Die Schweizer Bergsteiger Stephan Siegrist und Julian Zanker sowie der deutsche Top-Kletterer Thomas Huber haben sich vorgenommen, erstmals die Westwand des 6155 Meter hohen Cerro Kishtwar zu meistern. Der Berg, abgelegen im indischen Teil der Unruheprovinz Kaschmir, wurde erst dreimal bestiegen. Die Erstbesteigung gelang 1993 dem Briten Mick Fowler und dem US-Amerikaner Steve Susted über die Nordwestwand. 2011 standen Siegrist und sein Schweizer Landsmann Denis Burdet sowie der Österreicher David Lama als zweite Seilschaft auf dem Gipfel des Cerro Kishtwar, nachdem sie eine neue Route am Rand der Westwand eröffnet hatten. Die dritte Besteigung gelang 2015 den Slowenen Marko Prezelj und Urban Novak sowie dem Amerikaner Hayden Kennedy und dem Franzosen Manu Pellisier. Für ihre Erstbegehung der Südwand wurden sie mit dem Piolet d’Or, dem „Oscar der Bergsteiger“, ausgezeichnet.
Nicht mehr aus dem Kopf gegangen
Die Westwand, „die größte unbestiegene Felswand im Kashmir Himalaya“, sei ihm seit 2011 einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen, schrieb mir Stephan Siegrist vor der Abreise des Teams. „Wir sind damals eine Eisroute rechts der Hauptwand geklettert. Immer wieder habe ich diese geniale Wand betrachtet. Die Idee, diese Linie anzugehen, ließ mich nicht mehr los.“ Laut Stephan will das Trio versuchen, einige Seillängen frei zu klettern. Der 44-Jährige hat mit seiner Begeisterung auch Thomas Huber angesteckt. Der ältere der Huberbuam schwärmte mir gegenüber von „einer der schönsten, geilsten undurchstiegenen Wände der Welt“ mit bestem Granit: „Als ich Bilder von der Cerro-Kishtwar-Westwand gesehen habe, habe ich gesagt: Eigentlich ist das der zweite Cerro Torre “, sagte der 50-Jährige.
Thomas Huber: Der zweite Cerro Torre
Spürnase gefordert
Dritter im Bunde ist der Schweizer Kletterer und Bergführer Julian Zanker, der bereits im Herbst 2016 mit Siegrist im indischen Kashmir unterwegs war. Beide waren damals von der indischen Polizei vorübergehend festgesetzt worden, weil man ihnen fälschlicherweise vorwarf, ein Satellitentelefon benutzt zu haben. Die Benutzung privater Satellitengeräte ist in Indien wegen der Angst vor Terroranschlägen verboten. „Da muss man sich wieder auf die alte Spürnase verlassen, wie das Wetter wird. Das wird total spannend“, sagte Huber. „Wir haben uns eine Taktik zurechtgelegt und ich glaube, sie wird auch aufgehen.“ Er sei unglaublich gerne mit Stephan Siegrist unterwegs, so Thomas: „Stef ist ein unglaublich toller Seilpartner. Mit ihm hast du immer Spaß im Basislager und am Berg. Es gibt immer etwas zu lachen. Er weiß auch genau, wann es ernst wird. Und dann wird durchgezogen.“
Thomas Huber: Mit Stef hat man immer Spaß
„Lebe so intensiv wie möglich!“
Eine weniger erfreuliche Gemeinsamkeit verbindet Siegrist und Huber. Beide erlitten bei Abstürzen Schädelbrüche. Stephan musste wegen der Spätfolgen der Verletzung, die er vor einigen Jahren erlitt, 2013 einen Versuch am Achttausener Makalu abbrechen. Seitdem sucht er sich eher seine Ziele an schwierigen Sechstausendern. Thomas hatte sich Anfang Juli 2016 bei einem 16-Meter-Sturz im Berchtesgadener Land einen Schädelbruch zugezogen und war anschließend notoperiert worden. Bereits gut einen Monat später war er zu einer Siebentausender-Expedition nach Pakistan aufgebrochen. „Ich habe einfach dieses unfassbare Glück angenommen. Ich hinterfrage das nicht. Und dadurch geht es mir gut“, versicherte mir Thomas unlängst. „Ich habe jetzt keine Angst mehr vor meinem Tod. Das Wichtige ist vielmehr: Lebe jetzt, so gut, so intensiv und so schön wie möglich!“