Steck und Göttler nach der Shishapangma-Südwand: „Nur aufgeschoben“
Es war eines der spannendsten Projekte der Frühjahrssaison im Himalaya. Der Schweizer Topkletterer Ueli Steck und der Deutsche David Göttler wollten eine neue direkte Route durch die Südwand der 8027 Meter hohen Shishapangma eröffnen. Sie konnten es nicht in die Tat umsetzen. Die beiden kletterten „nur“ die so genannte „Girona-Korridor-Route“, die 1995 von einem spanischen Team erstbegangen worden war, bis hinauf zum Grat auf 7800 Metern und bei ihrem letzten Versuch dann noch die Route der britischen Erstdurchsteiger der Wand 1982, Doug Scott, Alex MacIntyre und Roger Baxter-Jones, bis auf eine Höhe von 7600 Metern. Obwohl ihr Plan einer neuen Route scheiterte, kehren Ueli und David nicht mit leeren Händen zurück. Ich habe den 39 Jahre alten Schweizer und den 37 Jahre alten Deutschen in ihrem Hotel in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu angerufen.
Zufrieden, enttäuscht, von jedem ein bisschen? Wo sortiert ihr euch nach dieser Expedition ein?
(David) Eher auf der zufriedenen Seite. Natürlich denkt man: Wenn das Wetter und die Verhältnisse ein bisschen mehr auf unserer Seite gewesen wären, hätten wir den Gipfel bestimmt geschafft. Das schwingt ein bisschen mit. Aber je mehr Zeit vergeht, desto positiver sehen wir das Ganze. Wir haben viel gelernt, waren ständig unterwegs, haben nicht viel herumgesessen. Verglichen mit anderen Expeditionen haben wir viel gemacht.
Eigentlich hattet ihr euch vorgenommen, eine neue Route durch die Shishapangma-Südwand zu klettern. Woran ist das Vorhaben letztlich vor allem gescheitert?
(Ueli) Wenn man so eine Erstbegehung machen will, braucht man wenigstens zwei bis drei Tage stabiles Wetter. Das hatten wir einfach nie. Wenn du es trotzdem probierst, kommst du vielleicht 300, 400 Meter hoch und musst wieder abseilen. Von daher war es also utopisch. Aber darüber muss man sich von vornherein klar sein. Wenn du an einem Achttausender in so einer Wand eine Erstbegehung machen willst, muss einfach vieles stimmen. Dann musst du auch den Mut haben, mehr als einmal hinzufahren, es zu probieren und auf das Glück zu warten.
Als ihr zum ersten Mal am Wandfuß wart, habt ihr mir noch gesagt, die Verhältnisse sähen richtig gut aus. Wann habt ihr realisiert, dass es nicht möglich sein würde?
(David) Wir hatten eigentlich bis zum Ende, also bis zum letzten Wetterfenster um den 22. Mai herum, die Option, in die Route einzusteigen, wenn es drei oder vier Tage gutes Wetter gegeben hätte. Wir hatten bis zuletzt unser Material dafür im ABC (im vorgeschobenen Basislager). Und wir haben auch bis zuletzt daran geglaubt. Als wir anfangs am Wandfuß waren, sahen die Verhältnisse super aus, die Voraussetzungen waren wirklich perfekt. Nur die Windverhältnisse haben noch nicht gestimmt, und es war brutal kalt. Gegen Ende der Expedition, vor dem letzten Wetterfenster, hat es sich dann jedoch abgezeichnet, dass es einfach zu instabil war. Auch Karl (Gabl, Meteorologe aus Österreich), der uns mit den Wetterberichten versorgte, hat gesagt, er habe noch nie so eine feuchte und durchwachsene Vormonsunzeit in Tibet erlebt – auf der Seite des Himalaya, auf der es sonst ja eher trocken ist. Eigentlich ist dieser Traum also erst am Ende geplatzt.
Bei eurem letzten Versuch seid ihr über die Route der britischen Südwand-Erstbegeher aufgestiegen. Hattet ihr die neue Route zu dem Zeitpunkt schon abgeschrieben?
(Ueli) Am Ende war das Wetterfenster gerade mal einen halben Tag lang. Da war die Entscheidung klar, es über die Engländer-Route zu probieren. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, ob wir vielleicht noch länger bleiben würden. Theoretisch hätten wir noch bis Ende des Monats auf ein Wetterfenster warten können. Aber schlussendlich machte es keinen Sinn.
Schnell und leicht, also mit möglichst wenig Gepäck – das war eure Taktik. Was setzt sie voraus?
(Ueli) Zunächst einmal muss bei beiden die Grundfitness stimmen, sonst geht das einfach nicht. Wenn du nicht genug trainiert bist, um 2000 Höhenmeter in dieser Höhe, in diesem technischen Gelände aufzusteigen, ist es unmöglich. Aber du musst auch bereit sein, das Spiel kompromisslos zu spielen. Da gibt es kein „Vielleicht nehme ich noch einen Schlafsack und einen Kocher mit“, damit man doch noch biwakieren könnte. Du musst sagen können: Wir nehmen nichts mit, und vielleicht geht es oder eben nicht. Du musst dir auch bewusst sein, wie exponiert du bist. Beide Male mussten wir entscheiden: Jetzt müssen wir runter, sonst wird es ungemütlich und gefährlich. Du bist dann halt limitiert, du kannst nicht einfach warten und am nächsten Tag auf den Gipfel gehen.
Außer euch war niemand auf der Südseite der Shishapangma. Habt ihr die Einsamkeit genossen?
(David) Das gehört wirklich zu den ganz speziellen Dingen dieser Achttausender-Expedition. Das Basislager lag auf einer Wiese mit einem kleinen See davor, ein genial schöner Platz. Den hatten wir für uns alleine. Wir hatten auch nicht diesen Druck, wenn mehrere Teams am Berg auf derselben Route unterwegs sind, die sich dann gegenseitig bei den Entscheidungen beeinflussen, wo man dann auch schnell mal unter Zugzwang gerät. Das alles nicht zu haben, war Luxus für uns beide. Wir haben es sehr genossen.
Ihr seid jetzt zwei Monate lang zusammen unterwegs gewesen. Da kann man sich auch schon mal auf die Nerven gehen. Habt ihr nie Lagerkoller gehabt?
(David) Nein, es war total entspannt. Wir haben uns gut verstanden. Das lag daran, dass wir in vielen Dingen sehr ähnlich ticken und dann auch immer unterwegs oder in Bewegung waren. Ueli hat gebouldert, ich habe Yoga gemacht. So hat sich jeder ausgetobt. Und dann sind wir wieder zum Berg gegangen. Wir hatten selten Tage, an denen wir herumsitzen und ausharren mussten, wo ein Lagerkoller hätte entstehen können. Das war für mich etwas Neues auf einer Expedition, immer in Bewegung zu sein. Für Ueli ist das normal. Aber ich glaube, er hat es auch genossen.
Ist das Projekt einer neuen Route durch die Shishapangma Südwand nun aufgeschoben oder aufgehoben?
(Ueli) Sag niemals nie! Wenn man so etwas machen will, muss man den Mut haben und es auch akzeptieren können, dass man auch dranbleiben muss – nicht das Gefühl, es klappt beim ersten Mal. Ich würde eher sagen, es ist aufgeschoben.
Seid ihr jetzt als Team so weit zusammengewachsen, dass ihr sagt: Wir ziehen wieder gemeinsam los?
(David) Ja, von meiner Seite aus schon. (Beide lachen)
(Ueli) Das war ja das Geniale an dieser Expedition. Wir waren das erste Mal gemeinsam unterwegs, und es hat so genial funktioniert. Wir werden hoffentlich noch viele Expeditionen zusammen machen. Ich habe selten erlebt, dass es mit einem Partner so gut funktioniert und man auch dieselbe Einstellung hat.