Lawinenunglück – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Everest-Jobs der Zukunft sichern https://blogs.dw.com/abenteuersport/everest-jobs-der-zukunft-sichern/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/everest-jobs-der-zukunft-sichern/#comments Sat, 02 Apr 2016 07:00:34 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=32289 Dawa Gyaljen Sherpa

Dawa Gyaljen Sherpa

Er gehört zu den Sherpas, die in diesem Jahr einen Bogen um den Mount Everest machen. „Ich habe einfach keine Zeit”, sagt Dawa Gyaljen Sherpa, als ich ihn während meines Nepalbesuchs in einem Kaffee in Kathmandu treffe. Der 29-Jährige arbeitet für einen Veranstalter, der Trekkingreisen organisiert. „Vielleicht klappt es ja 2017 wieder. Ich bin gefragt worden, ob ich dann ein Everest-Team leite. Mal sehen, ob ich so viel Urlaub nehmen kann.“ Viermal stand der Sherpa, der im Khumbu-Gebiet in einem kleinen Dorf westlich von Namche Bazaar geboren wurde, bereits auf dem höchsten Punkt der Erde: 2005, 2007, 2008 und 2009. Die anstehende Frühjahrssaison könnte die Weichen für die Zukunft stellen, glaubt Dawa.

An Nachbeben gewöhnt

„Wenn es wieder Unglücke wie 2014 und 2015 geben sollte, dürften die Leute endgültig verschreckt sein“, erwartet Dawa. „Wenn die Expeditionen jedoch erfolgreich sind, wird die Zahl der Bergsteiger am Everest 2017 und auch 2018 bestimmt nach oben gehen.“ Er sei froh, dass inzwischen wieder viele Ausländer bereit seien, nach Nepal zu reisen, um die Wirtschaft des vom Erdbeben gebeutelten Landes anzukurbeln. Dawa denkt nach eigenen Worten kaum noch an das Beben vom 25. April 2015, nicht zuletzt wegen der mehr als 400 Nachbeben der Stärke 4 und höher: „Manchmal registriere ich die Erdstöße der Stärke 4,5 oder 5 gar nicht mehr, weil ich mich daran gewöhnt habe. Es ist für mich fast normal geworden. Wir haben eine sehr gefährliche Situation überlebt, jetzt fühle ich mich sicher. Doch es gibt immer noch Gerüchte, dass uns ein weiteres starkes Erdbeben bevorsteht.“

Unmöglich, unbefangen zu sein

Rettungshubschrauber über dem Khumbu-Eisbruch (2014)

Rettungshubschrauber über dem Khumbu-Eisbruch (2014)

Die Sherpas seien fest entschlossen, die diesjährige Everest-Saison erfolgreich zu gestalten. „Schließlich geht es auch darum, ihre Arbeitsplätze in der Zukunft zu sichern“, sagt Dawa Gyaljen. „Ich würde nicht von Druck sprechen, eher von einer speziellen Herausforderung. Sie werden sich richtig ins Zeug legen, um in diesem Jahr den Gipfel zu erreichen.“ Im Frühjahr 2014 gehörte der junge Sherpa zu den Ersten, die nach dem Lawinenabgang im Khumbu-Eisbruch die Unglücksstelle erreichten und mit der Bergung der Verletzten und Toten begannen. 16 nepalesische Bergsteiger kamen damals ums Leben, drei von ihnen blieben verschollen. Ich frage Dawa, ob er nach dieser Erfahrung wieder unbefangen durch den Eisbruch klettern könnte. „Ich denke, davon kann sich keiner frei machen. Wenn wir jetzt an der Unglücksstelle vorbeikommen, werden wir uns wohl fühlen, als ob da immer noch Blutspuren wären oder jemand in der Spalte hinge.“

Besser ausgebildet

Dawa am Lobuche Peak

Dawa am Lobuche Peak

Dawa Gyaljen findet, dass die Everest-Anwärter inzwischen im Vergleich zu früheren Jahren bessere Bergsteiger seien. „Es gibt nur noch ein paar wenige, die nicht wissen, wie man Steigeisen anlegt“, sagt der 29-Jährige. Zudem seien auch die Sherpas inzwischen viel besser ausgebildet, viele hätten die Praxiskurse durchlaufen, die der nepalesische Bergsteiger-Verband NMA zweimal im Jahr anbiete. Die Sherpas seien schließlich für ihre Kunden verantwortlich, meint Dawa: „Denn wenn etwas Schlimmes passiert, wirft man ihnen vor, nicht auf ihre Schützlinge aufgepasst zu haben. Ich höre immer wieder diese Geschichten von Sherpas, die ihre Kunden auf halbem Weg im Stich gelassen haben.“ Gut ausgebildete und erfahrene Sherpa-Bergführer täten dies nicht. „Wenn die Kunden aber entgegen dem Rat ihres Sherpas weiter aufsteigen und etwas passiert, dann sind sie selbst verantwortlich.“

P.S.: Der gestrige Artikel zur Everest-Castingshow war natürlich ein Aprilscherz, die beteiligten Personen frei erfunden. 🙂 Aber Scherz beiseite, erscheint euch so etwas wirklich unmöglich?

]]>
https://blogs.dw.com/abenteuersport/everest-jobs-der-zukunft-sichern/feed/ 2
Baumann: „Familien der Everest-Lawinenopfer brauchen Hilfe“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/baumann-everest-jahrestag-lawine/ Sat, 18 Apr 2015 15:03:04 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=29021 Baumann bei der Familie des Lawinenopfers Chhiring Sherpa

Baumann bei der Familie des Lawinenopfers Chhiring Sherpa

Das Bergsteigen am Mount Everest ruhte an diesem Samstag. Die mehr als 300 westlichen Bergsteiger und ebenso viele Sherpas gedachten im Basislager auf 5300 Metern der 16 Nepalesen, die vor genau einem Jahr bei einer Lawine im Khumbu-Eisbruch ums Leben gekommen waren. Es war das schlimmste Lawinenunglück in der Geschichte des Everest. Der deutsche Bergsteiger und Arzt Matthias Baumann hatte die Tragödie im Basislager miterlebt. Später besuchte er die Familien der Opfer und startete eine Hilfsaktion für sie. Im März reiste der 43 Jahre alte Unfallchirurg aus Tübingen erneut nach Nepal. Er verteilte Geld an die Familien der Opfer und brachte finanzielle Patenschaften auf den Weg, mit denen die Schulbildung der betroffenen Kinder gesichert wird.

Matthias, du warst vor einem Jahr im Basislager des Mount Everest, als die Lawine im Khumbu-Eisbruch abging und hast als Arzt die Verletzten mit erstversorgt. Verfolgt dich dieser 18. April 2014 auch heute noch?

In den vergangenen Tagen und natürlich besonders heute am Jahrestag habe ich immer wieder daran gedacht. Es verfolgt mich nicht traumatisch, weil ich auch in meinem Beruf mit Leid konfrontiert bin. Aber es bewegt mich emotional, zum einen vor dem Hintergrund meiner eigenen Leidenschaft fürs Bergsteigen, zum anderen weil es sich bei den Opfern der Lawine um Sherpas handelte, die ich ohnehin besonders mag.

Du hast insgesamt 100.000 Euro für die Familien der Lawinenopfer gesammelt und warst gerade in Nepal, um das gespendete Geld zu verteilen. Wie geht es den Familien heute?

Ich habe den Eindruck, dass sie sich ein bisschen stabilisiert haben, aber noch nicht komplett. Als ich vorbeikam, sind die meisten Frauen der Lawinenopfer in Tränen ausgebrochen. Das war im letzten Jahr nicht der Fall. Da standen sie vielleicht noch unter Schock, oder sie wollten vor ihren Kindern Stärke zeigen. Diesmal war es viel emotionaler.

Treffen mit Sherpa-Familien in Kathmandu

Treffen mit Sherpa-Familien in Kathmandu

Die Familien haben ihren Ernährer verloren. Kommen sie überhaupt über die Runden?

Es ist schwierig. Wie immer in so einem Fall in Nepal, müssen andere Angehörige helfen. Die Frauen haben dort oben in der Bergregion keine Chance, Geld zu verdienen. In Kathmandu geht das ein bisschen besser. Die nepalesische Regierung hat die Soforthilfe für die Familien von 400 auf 5000 US-Dollar aufgestockt und das Geld auch ausgeliefert. Einige Expeditionsveranstalter, bei denen die Lawinenopfer beschäftigt waren, z.B. Alpine Ascents International, haben ebenfalls Geld gegeben. Die Familien sind also nicht komplett auf sich alleine gestellt, aber ich habe den Eindruck, dass sie sehr auf die Hilfe angewiesen sind.

Ich habe im Khumbu auch einer Sherpa-Familie eine Geldspende zukommen lassen, deren Ernährer 2012 ums Leben gekommen war [Namgyal Tshering Sherpa starb bei einem Spaltensturz nahe Lager 1]. Dessen Familie hat nur die damals übliche Soforthilfe von 400 Dollar erhalten, sonst nichts. Das war schon brutal. Die Lawinenkatastrophe vom letzten Jahr hat immerhin ein wenig Aufmerksamkeit auf die Familien der Everest-Opfer gelenkt.

Hattest du das Gefühl, dass sich innerhalb der Sherpa-Gemeinschaft die Atmosphäre durch das Unglück verändert hat?

Definitiv. Es gab ja diese unterschiedlichen Gruppierungen unter den Sherpas. Das hat man bei dem tätlichen Angriff gegen Simone Moro und Ueli Steck 2013 gesehen. Und auch im letzten Jahr habe ich selbst erlebt, wie aggressiv eine kleine Gruppe von Sherpas aufgetreten ist, während die Mehrheit eigentlich gerne weitergemacht hätte. Ich habe den Eindruck, dass die Sherpas durch das Lawinenunglück wieder ein Stück weit zusammengerückt sind. Es hat sich eine kleine positive Wirkung ergeben, auch wenn längst nicht alle Forderungen der Sherpas erfüllt wurden.

Südseite des Mount Everest

Südseite des Mount Everest

Derzeit halten sich wieder mehr als 300 ausländische Bergsteiger im Basislager auf der nepalesischen Seite des Everest auf. Herrscht wieder „business as usual“?

Ich bin der Meinung, dass man die Zahl der Bergsteiger eigentlich reduzieren müsste. Aber das ist ein zweischneidiges Schwert. Andererseits hängen eben auch so viele Verdienstmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung daran. Deshalb herrscht dort wieder weitgehend „business as usual“, bis auf die Tatsache, dass die Permits 1000 Dollar teurer sind [Die Besteigungsgenehmigung kostet jetzt 11.000 Dollar pro Person, unabhängig von der Anzahl der Expeditionsmitglieder] und die Mehreinnahmen in einen Hilfsfond fließen sollen. Außerdem wurde die Route durch den Eisbruch ein Stück weit verlegt. Aber ansonsten ist alles gleich geblieben.

Die Regierung hat beschlossen, dass die Permits von 2014 bis 2019 gültig bleiben, also auch deines. Juckt es dich, den Everest noch einmal zu versuchen?

Träume verschwinden nicht, auch nicht die Leidenschaft für das Bergsteigen. Bei mir hat es dieses Jahr nicht geklappt, weil ich den Job gewechselt habe. Ich hatte eher auf die Nordseite geschaut, weil dort so viele deutsche Höhenbergsteiger unterwegs sind. Das hätte mich auch als Mediziner interessiert, weil viele von ihnen ohne Flaschensauerstoff aufsteigen wollen. Ganz ehrlich, ich wäre super gerne dabei gewesen.

Matthias Baumann  im Khumbu-Eisbruch (2014)

Matthias Baumann im Khumbu-Eisbruch (2014)

Würdest du mit einem anderen Gefühl zum Mount Everest zurückkehren?

Ich war den Sherpas schon immer nahe. Aber nach den Erfahrungen von 2014 habe ich noch mehr Respekt vor ihnen und ihrer Leistung. Sie sind für mich die Helden am Everest.

Bei vielen anderen Bergsteigern am Everest scheint dieser Respekt noch unterentwickelt zu sein.

Das glaube ich auch. Viele sehen die Sherpas als Hilfsarbeiter. Dabei sind sie teilweise viel bessere Bergsteiger als die Masse der westlichen Gipfelanwärter. Das macht es doch viel interessanter, wenn du gemeinsam mit ihnen unterwegs bist. Ich respektiere sie auf Augenhöhe, und das merken sie. Sie erzählen sie mir viel über ihre Kultur, und wir haben viel Spaß zusammen. Das ist für mich eine echte Bereicherung. Respekt ist manchmal fast mehr wert als Geld.

P.S. Matthias Baumann sammelt weiter Geld für Sherpa-Familien, die von Bergunfällen betroffen sind: Himalayan Project e.V., Kreissparkasse Biberach, IBAN DE45 6545 0070 0007 0581 89, BIC  SBCRDE66, Kennwort: „Sherpa Lawinenopfer“

]]>
Kaltenbrunner: „Alle Everest-Parteien an einen Tisch!“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/kaltenbrunner-interview-everest/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/kaltenbrunner-interview-everest/#comments Fri, 13 Feb 2015 11:00:27 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=28447 Gerlinde Kaltenbrunner auf der ISPO

Gerlinde Kaltenbrunner auf der ISPO

Es ist ruhiger geworden um Gerlinde Kaltenbrunner. Ein Umstand, der ihr eigentlich ganz gut gefällt. Nach wie vor ist die 44 Jahre alte Österreicherin eine gefragte Vortragsrednerin. Über mangelnde Arbeit kann sich Gerlinde also nicht beklagen. Doch ihr bleibt immer noch ausreichend Zeit, um auf Reisen zu gehen. Ganz ohne Druck. Der ist verschwunden, seitdem sie 2011 mit dem Erfolg am K 2 ihr großes Projekt erfolgreich abschloss: Als erste Frau der Welt bestieg sie alle 14 Achttausender, ohne zu Flaschensauerstoff gegriffen zu haben. Unsere Wege kreuzten sich 2005 am Mount Everest, als sie (vergeblich) versuchte, gemeinsam mit Ralf Dujmovits und Hirotaka Takeuchi die Nordwand zu durchsteigen und ich als Reporter darüber berichtete. 2010 stieg sie über die tibetische Normalroute zum Gipfel auf. Auf der ISPO in München sprach ich mit Gerlinde über den Everest.

Gerlinde, du hast den Mount Everest wie auch die anderen 13 Achttausender ohne Sauerstoff bestiegen. Im Moment gibt es viel Unruhe rund um den höchsten aller Berge, vor allem wegen des Lawinenunglücks 2014 auf der nepalesischen Seite und dem anschließenden Abbruch der Expeditionen. Die Sherpas begehrten auf. Ist dort ein Konflikt hoch- und dann übergekocht?

Wahrscheinlich hat es sich wirklich über Jahre angesammelt und aufgestaut, dieses Unwohlsein bei den Sherpas, die sich stark ausgenutzt fühlen. Ich denke, es muss am Everest irgendetwas geschehen, weil es so nicht weitergehen kann.

Everest heute: Viel Verkehr auf der Normalroute

Viel Verkehr auf der Normalroute (2012)

Wer ist gefordert?

Beide Seiten müssen umdenken. Auch wenn ich selbst nie mit Sherpas unterwegs war, weiß ich aus Gesprächen, dass sie sich über die Expeditionen freuen, weil sie davon profitieren. Oft werde ich angesprochen: Die Sherpas bekommen ja nichts. Aber ich weiß aus sicherer Quelle, dass sie vergleichsweise viel Geld verdienen und damit wirklich ihre Familien ein Jahr lang ernähren können. Andererseits verstehe ich, dass sie dieses erhöhte Risiko nicht mehr eingehen möchten.

Viele Bergsteiger am Everest nutzen die Vorteile der Sherpa-Unterstützung, aber sprechen nicht darüber, dass sie mit Sherpas unterwegs sind. Da fehlt einfach die Wertschätzung. Es wäre schön, wenn die Menschen, die dorthin gehen, wieder mehr Eigenverantwortung mitbringen, mehr Selbstständigkeit beim Bergsteigen. Sie sollten viel mehr die Zusammenarbeit mit den Sherpas suchen, anstatt nur zu fordern, was alles zu geschehen hat. Der Materialtransport in die Hochlager, die vielen Sauerstoffflaschen, das hat wirklich ein Ausmaß angenommen, das ich nicht mehr nachvollziehen kann.

Kaltenbrunner:Es fehlt an Wertschätzung

Aber der Everest ist ein durchkommerzialisierter Berg. Ist es nicht naiv zu glauben, dass sich daran etwas ändert? Weil es dort so viel Infrastruktur gibt, wird der Everest immer auch Menschen anlocken, die von ihren Fähigkeiten als Bergsteiger her eigentlich nicht dorthin gehören.

Das stimmt ganz sicher. Man hat in den vergangenen Jahren gesehen, dass sehr viele Leute dort sind, die mit dem Bergsteigen eigentlich nichts zu tun haben, aber unbedingt den Traum verwirklichen wollen, den höchsten Berg der Erde zu besteigen – egal was es kostet, egal mit welchen Mitteln. Das hat eine Richtung eingeschlagen, die absolut nicht gut ist. Ganz im Gegenteil. Vielleicht ist es wirklich naiv zu glauben, dass sich daran etwas ändert. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Eigentlich weiß jeder, dass es so nicht weitergehen kann und etwas passieren muss. Die Frage ist nur, was genau. Viele sprechen darüber, ich auch. Aber letztendlich hat niemand eine wirkliche Idee, mit der man ernsthaft etwas bewirken und verändern kann. Die Sherpas begehren auf. Einige, mit denen ich gesprochen habe, sagen, sie möchten nicht mehr zum Everest, weil sie genug verdient haben. Viele leben inzwischen im Ausland, viele in Amerika. Andere machen es weiter, weil sie das Geld brauchen, um ihren Kindern eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Es ist wirklich ein heikles und schwieriges Thema.

Kaltenbrunner: Die Hoffnung stirbt zuletzt

Ich habe das Gefühl, dass derzeit die Verantwortung hin und her geschoben wird. Die Veranstalter klagen die Regierung an und umgekehrt. Die Sherpas wiederum kritisieren Veranstalter und Regierung. Aber sie setzen sich nicht an einen Tisch und einigen sich auf eine Stoßrichtung.

Genau daran fehlt es, dass sie alle an einem Tisch sitzen und dass jeder sein Ego ein Stück weit zurückschraubt und ernsthaft eine sinnvolle Lösung anstrebt. Es sieht auch nicht so aus, als würde es in nächster Zeit geschehen.

Nordwand-Basislager

Nordwand-Basislager

Bist du vor diesem Hintergrund froh, das Kapitel Everest abgehakt zu haben?

Ich möchte es nicht als abgehakt bezeichnen. Aber ich bin auf jeden Fall froh, dass ich 2010 das große Glück hatte, an einem Tag unterwegs zu sein, an dem nur sehr wenige Leute aufstiegen. Es schneite, es war wolkig, ich hatte am Gipfel keinen Ausblick. Aber dafür war es ruhig am Berg. Von Genuss am Gipfel möchte ich nicht reden, dafür war der Aufstieg zu anstrengend. Aber ich habe mich gefreut, es geschafft zu haben.

Außerdem hatten wir damals unser Basislager unterhalb der Nordwand aufgeschlagen. Dort war es ruhig und abgeschieden, wir waren alleine. An diesem großen Berg, wo wirklich viel los ist, hatten wir ein Stück weit unsere Ruhe. Das habe ich genossen und ich freue mich noch heute, dass ich es so habe erleben dürfen.

Kaltenbrunner: Ich habe Ruhe am Everest erlebt

Das wird in der Diskussion ja auch meist unterschlagen, dass es am Everest immer noch die Möglichkeit gibt, bergsteigerische Abenteuer zu erleben. Ich denke nur an die Nordwand oder auch die Kangshung-Flanke. Es gibt durchaus noch Spielwiesen.

Natürlich, für echte Bergsteiger gibt es noch genug zu tun. Ich weiß nicht, ob in diesem Jahr jemand zur Nordwand geht. Dort hast du pure Einsamkeit. Im Basislager nur die gurrenden Schneehühner. Sonst ist es absolut ruhig, und du hast den Blick auf die Nordwand. Auch an der Kangshung-Wand ist niemand unterwegs. Nur auf den Hauptaufstiegsrouten, die von unten bis oben gesichert sind, tummeln sich die Leute. Ich will sie gar nicht Bergsteiger nennen. Natürlich gibt es solche und solche. Aber am Everest sind viele unterwegs, die dort eigentlich nicht hingehören.

]]>
https://blogs.dw.com/abenteuersport/kaltenbrunner-interview-everest/feed/ 1
Everest-Saisonende? Zwei Frauen sagen: Nein! https://blogs.dw.com/abenteuersport/everest-saisonende-zwei-frauen-sagen-nein/ Sat, 10 May 2014 23:47:15 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=26051 Wang Jing

Wang Jing

Geht da doch noch etwas auf der nepalesischen Seite des Mount Everest? Die „Himalayan Times“ berichtet, die Chinesin Wang Jing habe sich mit sieben Sherpas auf den Weg zum Basislager gemacht. Die 40-Jährige wolle den höchsten Berg der Erde besteigen. Wang stand bereits einmal auf dem Gipfel des Everest, am 22. Mai 2010 – als erste Chinesin, die den Berg über die Südseite bestieg. In ihrer Heimat ist sie ein Star. Sie hat ein Buch über ihr Bergsteigen geschrieben und leitet einen Outdoor-Ausrüster in Peking. Der Everest ist Teil ihres „Projekts 7+2“. Sie will die „Seven Summits“, die höchsten Gipfel aller Kontinente, in Rekordzeit besteigen und zusätzlich noch an Nord- und Südpol stehen.

Vier der „Seven Summits“ hat sie schon

Diesen Rekord hält seit 2011 der frühere walisische Rugbyspieler und Abenteurer Richard David Parks mit sechs Monaten und elf Tagen. Wang hat also nicht viel Zeit. Sie war in diesem Jahr bereits am Südpol und auf den Gipfeln des Mount Vinson (Antarktis), des Aconcagua (Südamerika), des Mount Kosciusko (Australien), der Carstensz-Pyramide (Ozeanien) und des Elbrus (Europa). Ein Sprecher des nepalesischen Tourismusministeriums wies erneut darauf hin, dass der Mount Everest und auch der Lhotse offiziell nicht geschlossen seien, auch wenn alle großen Veranstalter ihre Expeditionen nach dem Lawinenunglück am Karfreitag abgebrochen hätten.

Per Hubschrauber nach Lager 2

Cleo Weidlich

Cleo Weidlich

Diese Worte sind Wasser auf die Mühlen von Cleo Weidlich. Die 51-Jährige, die in Brasilien geboren wurde und in den USA lebt, will den Lhotse besteigen. Es wäre nach ihren Angaben ihr neunter Achttausender (einige Besteigungen sind umstritten), auf dem Gipfel des Everest stand sie bereits 2010. Ein Jahr später sorgte sie weltweit für Schlagzeilen, als sie nach der Besteigung des Achttausenders Kangchendzönga, schneeblind und verletzt, in einer dramatischen Aktion gerettet wurde.

Laut Himalayan Times ließ sich Weidlich jetzt von der Ortschaft Gorak Shep auf 5200 Metern aus per Hubschrauber nach Lager 2 auf 6500 Metern fliegen. Bisher waren nur Rettungsflüge am Everest erlaubt. Doch bereits nach dem Lawinenunglück hatte sich die Regierung nachsichtig gezeigt und zugelassen, dass die Expeditionsteams ihr Material aus den Lagern oberhalb des Khumbu-Eisbruchs mit dem Hubschrauber talwärts transportieren ließen. Angeblich hat sich auch Wang Jing nach Lager 2 fliegen lassen. Die Normalwege auf Lhotse und Everest sind bis auf eine Höhe von etwa 7500 Metern identisch.

Harte Worte

Cleo Weidlich hatte sich in der vergangenen Woche via Facebook mehrfach heftig über die „Icefall doctors“ beschwert. Sie warf ihnen vor, sie zu sabotieren und bezeichnete sie als „Everest-Mafia“.  Das zeugt nicht gerade von Fingerspitzengefühl. „Jeder, der den Everest in dieser Frühlingssaison 2014 besteigt, ist kein Bergsteiger, sondern ein egoistisches und arrogantes Biest“, schreibt Dawa Steven Sherpa, seit einigen Jahren Leiter der „Öko-Everest-Expeditionen“. „Wie kannst du zur Bruderschaft der Bergsteiger gehören wollen, wenn du nicht jene respektiert, die ums Leben gekommen sind, weil sie dabei waren, dich auf den Gipfel des Bergs zu bringen?“

P.S. Ob eine Besteigung von Everest und Lhotse von Lager 2 aus als vollwertiger Gipfelerfolg zählt, sei dahingestellt. Ein Fall für Elizabeth Hawley, die inzwischen 90 Jahre alte legendäre Himalaya-Chronistin in Kathmandu.

Update 12.05.: Der neuseeländische Expeditionsveranstalter Russell Brice ist nach eigenen Worten inzwischen beim nepalesischen Tourismusministerium vorstellig geworden und hat klargestellt, dass er nichts mit Wang Jings Flug nach Camp 2 zu tun habe. Die Chinesin lief ursprünglich auf das Permit seiner „Himalayan Experience“-Expedition. Auch Murari Sharma von „SummitClimb“, über den Cleo Weidlich ihre Besteigungsgenehmigung bezogen hat, soll verstimmt sein. Die Veranstalter fürchten, dass die Everest-Permits ihrer anderen Kunden verfallen oder sie mit anderen Sanktionen belegt werden könnten, weil sich Wang und Weidlich über das verkündete Expeditionsende hinweggesetzt haben.

]]>
Schock und Wut am Mount Everest https://blogs.dw.com/abenteuersport/schock-und-wut-am-mount-everest/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/schock-und-wut-am-mount-everest/#comments Tue, 22 Apr 2014 10:08:59 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=25919 Butterlampen„Es ist ein fürchterlicher Schock für uns alle“, schreibt mir Dawa Steven Sherpa aus dem Basislager auf der nepalesischen Seite des Mount Everest. „Mein Team hatte extremes Glück, von der Lawine verschont zu bleiben, aber wir alle haben in der Lawine Freunde und Familienmitglieder verloren.“ Der 30-Jährige leitet wie in den Jahren zuvor die „Eco-Everest-Expedition“,die Geschäft und Ökologie verbinden soll: Zahlende Kunden werden auf den 8850 Meter hohen Gipfel geführt, das Team sammelt aber auch Müll und bringt ihn ins Tal.

Wann und ob überhaupt die Klettersaison am Everest weitergeht, ist noch unklar. Mit Alpine Ascents International (AAI) hat der erste große Veranstalter seine Expedition abgeblasen. „Wir waren uns einig, dass es am besten ist, den Aufstieg in dieser Saison nicht fortzusetzen, damit alle den Verlust von Angehörigen, Freunden und Gefährten in dieser beispiellosen Tragödie betrauern können“, heißt es auf der Homepage von AAI. Unter den 16 Toten der Lawine vom vergangenen Freitag waren fünf Sherpas aus dem Team von AAI. Sie unterstützten auch den US-Bergsteiger Joby Ogwyn, der plante, erstmals mit einem Wingsuit vom Gipfel des Everest zu springen. Der Fernsehsender Discovery sagte die für den 11. Mai geplante Live-Übertragung des Sprungs ab. Auch der neuseeländische Veranstalter Adventure Consultants, der drei tote Teammitglieder zu beklagen hatte, bricht seine Zelte ab.

Boykottdrohung

Die nepalesische Regierung steht nach dem Lawinenunglück am Everest unter öffentlichem Druck. Die Ankündigung, den Familien der Opfer eine Soforthilfe von 40.000 Rupien (etwa 400 US Dollar) auszuzahlen, löste bei den Sherpas nur Kopfschütteln aus. Die Bergführer, Hochträger und das Basislagerpersonal stellten einen Forderungskatalog auf und drohten mit einem Boykott aller weiteren Arbeiten am Berg. Unter anderem verlangen sie, dass die Regierung einen Hilfsfond gründet, in den sie 30 Prozent ihrer Einnahmen aus den Besteigungsgenehmigungen einzahlt. Das wären in diesem Jahr umgerechnet rund eine Million Dollar. Die einheimischen Mitarbeiter der Everest-Expeditionen fordern außerdem, dass ihnen keine Nachteile entstehen, wenn sie sich entschließen sollten, wegen des Lawinenunglücks in dieser Saison nicht mehr an den Berg zurückzukehren.

In diesem Frühjahr haben nach neuesten Angaben der Regierung 334 Bergsteiger aus 41 Ländern ihre Zelte zu Füßen des Everest aufgeschlagen. Mehr als 400 nepalesische Helfer, die meisten aus der Khumbu-Region, arbeiten für die 31 Expeditionsteams.

Spenden für die Lawinenopfer

Über die Möglichkeit, über den American Alpine Club für die Familien der Lawinenopfer zu spenden, hatte ich euch bereits informiert. Dawa Steven Sherpa verweist außerdem auf den „Juniper Fund“, den die US-Bergsteiger Melissa Arnot und David Morton gegründet haben. Beide haben den Everest mehrfach bestiegen und unterstützen mit ihrem Hilfsfond Bergunfall-Opfer aus Entwicklungsländern und deren Familien. Meine Gedanken sind bei den 16 Toten vom Mount Everest (R.I.P.) und denen, die um sie trauern.

]]>
https://blogs.dw.com/abenteuersport/schock-und-wut-am-mount-everest/feed/ 2