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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Vor 35 Jahren: Everest ohne Atemmaske

Messner (l.) und Habeler (1975)

Tod oder irreparable Hirnschäden. So lautete die Prognose vieler Experten vor dem Versuch des Südtirolers Reinhold Messner und des Österreichers Peter Habeler, den höchsten Berg der Erde erstmals ohne Flaschensauerstoff zu besteigen. „Ich wollte damals im Grunde nur ein Exempel statuieren, einen Versuch machen. Ich wusste nicht, wie weit ich komme“, sagte mir Reinhold Messner, als ich vor zehn Jahren mit ihm über diese Everest-Besteigung sprach (siehe Audios unten). Gerade weil es im Vorfeld so viele Kritiker und Skeptiker gegeben habe, sei dieses Projekt, so Messner, „meine erfolgreichste Geschichte nach außen“ gewesen. „Wir haben da wirklich eine Erfahrung gemacht, die es noch nicht gab. Und darauf springen immer viele Menschen an.“ 

Team im Team 

Dass es möglich sein könnte, hatte bereits 1924 Edward Norton bewiesen. Der Brite war auf der Nordseite des Bergs ohne Atemmaske bis auf eine Höhe von 8570 Metern aufgestiegen. Dieser „Oben ohne“-Höhenweltrekord stand auch noch im Frühjahr 1978, als sich Messner und Habeler einer österreichischen Everest-Expedition unter Leitung von Wolfgang Nairz anschlossen. Die beiden waren wegen ihres extremen Vorhabens ein Team im Team. Sie durften ohne Rücksprache mit den anderen Teilnehmern (darunter auch Reinhard Karl, der als erster Deutscher den Everest bestieg) entscheiden, wann sie zu ihrem Gipfelversuch aufbrechen wollten. 

Noch bei Trost? 

Letzte Etappe zum Gipfel vom Südsattel aus

Am 8. Mai 1978, heute vor 35 Jahren, starteten sie vom Südsattel aus zu ihrer letzten, der Gipfeletappe. Die Wetterverhältnisse waren mäßig: Minus 40 Grad kalt, starker Wind. Bedingungen, bei denen Gipfelaspiranten heute kaum noch aufsteigen würden. „Wir haben in der Schlussphase wirklich mehr auf Knien und Händen als gehend den Gipfel erreicht, sonst wären wir vom Grat gefegt worden“, erinnert sich Messner. Frei von Zweifeln seien sie bei ihrem Aufstieg nicht gewesen. „Es war schon so, dass wir uns während jeder Rastpause angeschaut haben: Sind wir noch bei Trost, ist es noch verantwortbar oder nicht?“ 

Messner: Auf Knien und Händen

Weder Euphorie noch Weisheit möglich 

Gegen 13 Uhr Ortszeit erreichten Messner und Habeler den höchsten Punkt auf 8850 Metern. Er habe damals weder Euphorie verspürt, noch Genugtuung, es seinen Kritikern gezeigt zu haben. „Wir sind da oben in Eigenverantwortung für uns allein und versuchen nur, das Leben zu retten“, sagt Messner. „Euphorie kommt auch nicht auf, weil das Gehirn nicht mehr voll durchblutet ist und das Ganze sehr verzögert läuft. Nicht nur das Gehen und Steigen, auch das Denken und Entscheiden, alles geht sehr, sehr langsam. Es ist, als wäre unser Gehirn etwas behindert, tumb. Und damit ist weder große Freude, noch große Erkenntnis, noch Weisheit möglich.“ 

Messner: Kein Platz für Euphorie

Der nächste Everest-Gipfelerfolg ohne Flaschensauerstoff gelang fünf Monate nach Messners und Habelers Coup dem deutschen Bergsteiger Hans Engl. Die Öffentlichkeit nahm davon kaum noch Notiz. Nur bei rund 180 der bis heute über 6000 Everest-Besteigungen verzichteten die Bergsteiger auf Atemmasken.

P.S. Wenn ihr hier klickt, könnt ihr euch ein Interview ansehen, dass Peter Habeler zum 35. Jahrestag gegeben hat.

 

Datum

8. Mai 2013 | 14:36

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