Interview – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Tima Deryan: Eine starke arabische Frau auf dem Weg zum Everest https://blogs.dw.com/abenteuersport/tima-deryan-eine-starke-arabische-frau-auf-dem-weg-zum-everest/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/tima-deryan-eine-starke-arabische-frau-auf-dem-weg-zum-everest/#comments Thu, 24 Jan 2019 09:38:09 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=43363

Tima Deryan

Sie passt so gar nicht in das Klischee, das viele Menschen im Westen von arabischen Frauen haben. Fatima, genannt Tima, Deryan steht nicht im Schatten eines Mannes. Sie ist weltoffen, selbstbewusst und selbstständig. Sie hat in Dubai, wo sie lebt, ein Unternehmen gegründet – und sie ist Bergsteigerin: Fünf der „Seven Summits“, der höchsten Berge aller Kontinente, hat Tima bereits bestiegen. Der Mount Everest und der Mount Vinson in der Antarktis fehlen ihr noch in ihrer Sammlung.

Am 23. März wird die 26-Jährige nach Nepal fliegen, um den höchsten Berg der Erde zu besteigen. Auf dem Trekking ins Everest-Basislager wird Tima sicher besonders auf die Yaks achtgeben. Als sie im Oktober 2017 auf dem Weg zum Island Peak zwischen Phakding und Namche Bazaar gerade eine Brücke über den Dudh Kosi überquert hatte, wurde sie von einem Yak angegriffen und zu Boden geworfen. Die Hörner trafen sie am Oberschenkel, Deryan wurde leicht verletzt.

Tima, wie kamst du überhaupt zum Bergsteigen?

Auf dem Gipfel des Aconcagua (2017)

Ich wurde in Kuwait geboren. Meine Familie zog in den Libanon, als ich zwei Jahre alt war, und dann nach Dubai, als ich neun war. Ich habe eigentlich immer Sport getrieben. Als Teenager habe ich Bodybuilding gemacht, mit 16 Bungee- Jumping. Dann begann ich zu tauchen, später Fallschirm zu springen.

2015 hörte ich einen Vortrag Omar Samras, des ersten Ägypters, der den Everest bestieg. Das erinnerte mich an ein Ziel, das ich schon lange mit mir herumtrug: Seit ich 14 Jahre alt war, wollte ich immer den Everest besteigen. Ich habe fünfmal Nepal besucht, bin zweimal über den Everest geflogen und habe immer gesagt: Eines Tages stehe ich auf dem Gipfel dieses Bergs. Also machte ich den ersten Schritt, um zu sehen, ob mir Bergsteigen gefällt oder nicht: Ich bestieg den Elbrus in Russland. Danach war ich süchtig, und mein Weg als Bergsteigerin begann.

Wie würdest du selbst deinen Charakter beschreiben?

Ich bin eine starke Frau, sowohl physisch, als auch mental. Ich lache gerne und genieße die einfachen Dinge des Lebens. Für mich geht es vor allem um Erfahrung, nicht um das Materielle. Ich habe zwei Jobs, wenn ich nicht in den Bergen bin – den einen im Finanzsektor, dazu mein eigenes Unternehmen. Das bedeutet, ich arbeite hart für mein Geld.

Ich bin ein lauter Mensch, wenn ich glücklich bin und versuche, das einigermaßen unter Kontrolle zu halten. In meiner aktuellen Lebensphase würde ich sagen, ich bin sowohl extro-, als auch introvertiert. Ich glaube an „Mind over Matter“ (frei übersetzt: Alles eine Sache des Willens). Ich versuche, zu jeder Zeit ein positives, ausgeglichenes und glückliches Leben zu führen.

Auf der Leiter über die Spalte (am Island Peak)

Welche deiner Eigenschaften helfen dir in den Bergen am meisten?

Der Glaube an meine Stärke, meine positive Lebenseinstellung, das Lachen (besonders wenn die Höhe zuschlägt) und natürlich, dass sich alles um „Mind over Matter“ dreht. Um mich daran zu erinnern, habe ich es auch auf meine Hand tätowiert.

Was bedeutet dir das Bergsteigen heute?

Ganz ehrlich, ich würde mir wünschen, Bergsteigen wäre mein Beruf, aber das funktioniert in meiner Welt nicht. Meine Träume sind groß und ich muss eine Menge Geld verdienen, um sie zu erfüllen. Bergsteigen ist für mich eine Flucht aus dem normalen Leben in der Stadt und aus der Mainstream-Welt. Es bedeutet für mich, meine positive Energie wieder aufzufüllen und mein Selbstvertrauen zu stärken. Es bedeutet, mit mir selbst in Einklang zu sein, Grenzen zu verschieben und dabei glücklich zu sein. Es bedeutet, meine Gedanken wieder ins Gleichgewicht zu bringen und mental zu gesunden. Bergsteigen ist für mich im wahrsten Sinne des Wortes mein Himmel auf Erden und mein Glücksplatz.

Wie bereitest du dich auf den Everest vor?

Beim Felsklettern

Obwohl ich so lange vom Everest geträumt habe, wurde mir erst in dem Augenblick, als ich mich entschloss, ihn anzugehen, richtig bewusst, dass die Expedition zwei Monate dauern wird! Als Neuling bin ich erst einmal drei Jahre Bergsteigen gegangen. Erst dann hatte ich ausreichend Selbstvertrauen und genug gelernt, um so eine Entscheidung zu treffen.

Zum Training: Von sechs bis sieben Uhr morgens mache ich Krafttraining, dann folgt ein langer Arbeitstag. Wenn ich abends nach Hause komme, mache ich mein HIIT (Hochintensives Intervalltraining). Ein- oder zweimal pro Woche laufe ich zehn Kilometer, zwei-, dreimal die Woche trainiere ich in der Kletterhalle. Und am Wochenende gehe ich immer wandern.

Wie finanzierst du die Expedition?

Ich bin ein Minimalist. Ich lebe bei meiner Familie, deshalb gebe ich wirklich nicht viel von dem aus, was ich verdiene. Ich investiere alles in die Berge und für Reisen. Der Everest ist auch eine Art Start-Event für meine neue Firma „Yalla Cleaning(ein Online-Portal für die Reinigungsbranche). Ein Teil meiner Initiative ist es, dazu beizutragen, den Everest sauberer zu machen. Deshalb stehe ich aktuell mit den Nepalesen in Verbindung, um zu klären, wie ich dabei helfen kann, ein System zu entwickeln, um den Müll vom Berg zu bringen.

Nepalesische Südseite des Mount Everest

Mit welchen Erwartungen gehst du an den Everest?

Ich denke, jeder, der sich an einem Berg versucht, hat auch das Ziel, den Gipfel zu erreichen. Am Everest will ich definitiv ganz oben stehen, bin mir aber durchaus bewusst, dass die Dinge ganz anders laufen können, als ich erwarte. Es ist bereits schön, dass ich überhaupt die Chance habe, rund 50 Tage auf diesem Berg zu verbringen und meine Erfahrungen zu sammeln. Aber das Sahnehäubchen wäre natürlich, mit einem Gipfelerfolg heimzukehren. Ich habe nicht allzu viele Erwartungen – außer Kälte, Aluminiumleitern, Khumbu-Eisfall, Gletscherspalten und dem epischen Basislagerleben!

Eine Frau als Bergsteigerin – davon gibt es nicht viele in der von Männern dominierten arabischen Welt. Welche Widerstände musstest du überwinden?

Ich weise ständig darauf hin, dass sich die arabische Welt in einer Übergangsphase befindet. Es ist wahr, dass sie von Männern dominiert wird, aber Frauen steigen allmählich in allen Bereichen auf. Sie erreichen, was früher für unmöglich gehalten wurde, ob im Fitnessbereich, im Geschäftsleben, der Kultur, der Musik oder in der Unterhaltungsbranche.

Nepal, ich komme!

Als ich mit dem Bergsteigen begann, war es für mich schwierig, meine Familie davon zu überzeugen, alleine unterwegs zu sein, möglicherweise auch von der Außenwelt abgeschlossen, sodass sie eine Weile nichts von mir hören. Es war hart für sie, dies zu akzeptieren, aber letztlich gelang es mir, sie zu überzeugen. Ansonsten habe ich wirklich nicht viele Schwierigkeiten überwinden müssen, um meine Leidenschaft ausleben zu können.

Was die Gesellschaft anbelangt, erfahre ich normalerweise viel Respekt sowohl von Männern als auch von Frauen. Wie in jeder anderen Ecke der Welt, gibt es auch hier Leute, die denken, dass ich verrückt bin und vor einer komplizierten Zukunft stehe. Ich mache mir nicht wirklich die Mühe, es zu erklären. Ich klettere einfach mehr und beweise so, dass sie sich irren. Am Ende des Tages dreht sich doch alles um Taten.

Wie reagieren arabische Männer auf deine Bergerfolge? Wie arabische Frauen?

Sowohl arabische Männer als auch Frauen reagieren auf eine sehr schöne Weise. Es macht mich so glücklich zu hören: „Wir sind stolz auf dich.“ Einige Männer fordern mich auch heraus, um zu beweisen, dass sie mir in puncto Fitness überlegen sind. Aus Spaß mache ich mit. Aber es spielt keine Rolle, ob ich dabei gewinne oder verliere. Wichtig ist, dass meine Botschaft durchdringt: Frauen sind starke Geschöpfe mit einer hohen Schmerzgrenze.

Gibt es auch eine Botschaft, die du arabischen Frauen mit auf den Weg geben willst, indem du auf den Everest steigst?

Auf Expedition (zum Denali)

Ja. Mit meiner Everest-Besteigung möchte ich zeigen, dass eine arabische Frau in der Lage ist, alle Arten von Einschränkungen zu bekämpfen, die ihr die Gesellschaft auferlegt. Sie kann sich ihre Freiheit nur durch Taten verdienen. Wenn sie etwas will, muss sie wirklich hart arbeiten, um es zu bekommen! Stark zu sein, bedeutet nicht, nicht feminin genug zu sein. Stark zu sein, ist viel attraktiver als „weich“ zu sein.

Arabische Frauen befinden sich immer noch in der Phase, in der sie ihre Unabhängigkeit erlangen und Dinge selbst in Angriff nehmen. Die meisten Frauen empfinden es noch immer als schwer, auf eigenen Füßen zu stehen. Wenn ich also den Everest besteigen kann und nur von mir selbst abhängig bin, signalisiert es ihnen, dass auch sie alles schaffen können. Alles, was man dazu braucht, ist Mut und harte Arbeit.

Ich möchte, dass arabische Frauen wissen, dass sie schön sind, dass sie stark sind und dass sie die Welt erobern können. Aber nur mit der richtigen Einstellung.

P.S. Die erste arabische Frau auf dem Everest war übrigens die Palästinenserin Suzanne Al Houby, die im Frühjahr 2011 den höchsten Punkt auf 8850 Metern erreichte.

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Alexander Huber wird 50: „Geil, so einen Sport zu haben“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/alexander-huber-wird-50-geil-so-einen-sport-zu-haben/ Fri, 28 Dec 2018 10:24:40 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=43053

Alexander Huber am Choktoi Ri

Still crazy after all these years. Dieser Titel eines Songs von Paul Simon könnte auch über dem Leben vieler Bergsteiger und Kletterer stehen – wenn sie denn ihre tollkühnen Abenteuer bis ins hohe Alter überlebt haben. Ein bisschen verrückt sein – und ich meine das durchaus positiv – gehört einfach dazu, auch bei Alexander Huber. Der jüngere der beiden „Huberbuam“ feiert an diesem Sonntag seinen 50. Geburtstag.

Die Liste seiner Erfolge als Kletterer und Bergsteiger ist lang. So eröffnete Alexander mehrere Felskletterrouten im elften Grad, durchstieg (mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Thomas, Toni Gutsch und dem US-Amerikaner Conrad Anker) 1997 erstmals die Westwand des 7108 Meter hohen Latok I im Karakorum, stand ein Jahr später ohne Flaschensauerstoff auf dem Achttausender Cho Oyu oder bewältigte free solo – also im Alleingang und ohne Seilsicherung – schwierige Alpenrouten wie die „Hasse-Brandler-Diretissima“ durch die Nordwand der Großen Zinne (2002) oder die „Schweizerführe“ am 3838 Meter hohen Grand Capucin im Montblanc-Gebiet (2008). Im vergangenen Sommer eröffnete Huber mit seinem deutschen Kletterpartner Fabian Buhl am 6166 Meter hohen Choktoi Ri im Karakorum eine 2200 Meter lange neue Route über den Südpfeiler (s. Video unten).

Alexander lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern auf einem Bauernhof nahe Berchtesgaden. Ich habe ihn – einige Tage vor seinem Geburtstag – angerufen.

Alexander, du knackst die 50er Marke, ist das für dich ein Tag wie jeder andere?

Alexander auf der Messe „Outdoor“ 2017

Es ist sicher nicht ein Tag wie jeder andere, weil mir sehr wohl bewusst ist, dass wieder ein Jahrzehnt vergangen ist. Aber es wird für mich kein besonderer Geburtstag sein, das Gefühl kenne ich ja schon von meinen anderen runden Geburtstagen.

Wenn du dich selbst heute mit dem Alexander vergleichst, der 25 Jahre alt war – erkennst du dich dann noch wieder?

Ich erkenne mich noch absolut, wie ich damals war. Man geht seinen Weg im Leben. Es gibt vieles, das sich verändert, manches bleibt gleich. Ich wäre vielleicht noch mal gerne 25, aber mein Realitätssinn sagt mir, dass es so eben nicht kommen wird. Und es ist ja auch nicht so, dass mit 25 alles besser war. Es gibt auch Dinge, die mit 50 besser sind.

Haben sich für dich die Prioritäten verschoben?

Die Prioritäten verschieben sich ständig. Das ist ein ganz normaler Prozess im Leben. Es wäre auch ein Wunder, wenn es nicht so wäre.

Bist du vorsichtiger geworden?

Ja, in dem Sinne, dass ich nicht mehr die wilden Aktionen wie mit 25 oder 35 mache. Das hat auch viel mit meinem Realitätssinn zu tun. Ich weiß, dass ich die Sachen damals auf einem Niveau durchgezogen habe, das ich heute nicht mehr habe. Das heißt, ich kann die Dinge sowieso nicht mehr toppen, die ich schon realisiert habe. Und von daher lasse ich es einfach ruhiger angehen und mache die Dinge, die für mich möglich sind.

Im vergangenen Sommer hast du mit Fabian Buhl am Sechstausender Choktoi Ri eine neue Route über den Südpfeiler eröffnet. Wie gut hat dir der Erfolg getan – nach einigen gescheiterten Expeditionen im Karakorum?

So ein Erfolg tut immer gut. Es macht Spaß, wenn man auch den Gipfel erreicht. Das ist ja der Grund, warum man überhaupt aufbricht. Aber es ist ganz normal im Leben eines Bergsteigers, dass es auch immer wieder Aktionen gibt, die nicht zum Ziel führen. Ich habe ja gerade bei größeren Expeditionen eine Erfolgsquote, die deutlich unter 50 Prozent liegt. Wenn man damit nicht zurechtkommt, hat man an diesen Bergen mit ambitionierten Zielen auch nichts zu suchen. Wenn irgendjemand von sich behauptet, er sei „Mister 100 Percent Success“, kann ich nur sagen: Na ja, dann hat er es auch nie wirklich probiert, an die Grenze zu gehen. Ich ziehe es eher vor, immer wieder meine Grenzen auszuloten und auch hin und wieder einen Rückschlag einstecken zu müssen, anstatt Dinge zu versuchen, die letztendlich leicht zu holen sind.

Aber am Choktoi Ri ist es für euch richtig rund gelaufen.

Ja, obwohl wir von den meteorologischen Bedingungen her eine schwierige Saison hatten. Man merkt auch im Karakorum, dass die Klimaerwärmung zuschlägt. Es gab in diesem Jahr ziemlich viel schlechtes Wetter. Aber wir haben taktisch extrem gut agiert, sodass am Ende der Erfolg herausgekommen ist. Nur eine taktische Fehlentscheidung hätte dazu geführt, dass wir es nicht geschafft hätten. Wir haben es gut gemacht, aber auch das nötige Quäntchen Glück gehabt.

Fabian ist 28 Jahre alt, also über 20 Jahre alte jünger als du. Warst du schon ein bisschen in der Rolle des Mentors, der seine Erfahrung weitergibt?

Mit Fabian Buhl (r.) auf dem Gipfel des Choktoi Ri

Klar, das ist die Rolle, die man dann automatisch einnimmt. Ich bin natürlich ein Mentor Fabians. Aber letztendlich habe ich für meine Idee einen kompetenten Kletterpartner gesucht. Eine von Fabians Stärken ist, dass er unglaublich motiviert ist, einen unglaublichen Spaß am Bergsteigen hat und sich für nichts zu schade ist, jede Anstrengung wirklich mit Freude angeht. Genau so einen Partner brauchst du am Berg. Nur so kann es funktionieren.

War es für dich vielleicht auch ein Modell für die nächsten Jahre, nur zu zweit unterwegs zu sein?

Das habe ich früher auch schon mal gemacht, es ist also kein neues Modell für mich. Prinzipiell bin ich lieber in einem möglichst kleinen Team unterwegs. Aber es hängt auch vom Ziel ab. Einen Latok II zum Beispiel zu zweit anzugehen, wäre schon fast an der Gefahr des Bergs vorbeigedacht. Wenn irgendetwas passiert, ist man zu zweit nur noch mit einer minimalen Sicherheitsreserve ausgestattet.

Gibt es einen Höhepunkt in deiner Kletterer- und Bergsteigerkarriere, der hervorsticht, an den du dich besonders gerne erinnerst?

Ich freue mich darüber, dass ich in ganz verschiedenen Bereichen meine Highlights setzen konnte und mir dadurch den Alpinismus auch stets lebendig gehalten habe und interessant. Angefangen hat es bei mir ja im Spitzenbereich mit dem alpinen Sportklettern. Heute kann ich mir nicht vorstellen, noch einmal mit der gleichen Begeisterung Sportkletterer zu sein, da wäre es mir wahrscheinlich viel zu langweilig geworden. Aber wenn man sich anschaut, was im Alpinismus alles geht – sei es in der Antarktis, in Patagonien, im Yosemite Valley, in den Dolomiten, beim Speedklettern, Free-Solo-Klettern, auf schwierigen alpinen Routen, bei Expeditionen, Achttausender, Sportklettern im elften Grad – dann kann man nur sagen: Geil, so einen Sport zu haben, der auch nach dreißig Jahren im Spitzenbereich interessant sein kann.

Extrem unterwegs, hier am Mount Asgard auf Baffin Island

Schauen wir nach vorn, welche Ziele setzt du dir noch als Bergsteiger und Kletterer?

Ich setze mir nur mittelfristig Ziele. Langfristig kann ich nur sagen: Ich will mit dem, was ich mache, glücklich sein. Aber was genau das sein wird? Keine Ahnung. Es ergibt sich. Ich habe ja das Glück, fast verletzungsfrei durch mein Bergsteigen gekommen zu sein. Ich bin immer noch gesund, mir tut nichts weh, und deswegen gehe ich weiter in die Berge. Aber das kann natürlich von einem auf den anderen Tag ganz anders ausschauen.

Gibt es schon ein konkretes Projekt für 2019?

Das einzige, das ich sicher weiß, ist, dass ich nicht auf Expedition fahre. Ich will noch diverse Routen hier zu Hause in den Alpen klettern. Aber das konkrete Projekt für 2019 ist nicht, in den Himalaya oder ins Karakorum zu reisen.

Und wie wirst du deinen Geburtstag verbringen?

Wie jedes Jahr. Ich feiere ihn mit meinen Freunden.

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Luis Stitzinger wird 50: „Ich versuche noch mal den Everest“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/luis-stitzinger-wird-50-ich-versuche-noch-mal-den-everest/ Fri, 14 Dec 2018 23:22:05 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=42955

Luis Stitzinger in den heimischen Bergen über Füssen

Ohne ihn dürfte ich mich nicht Erstbesteiger nennen. Luis Stitzinger war im Sommer 2014 der Expeditionsleiter des Veranstalters „Amical Alpin“, der uns am 7129 Meter hohen Kokodak Dome im Westen Chinas zum maximalen Erfolg führte: Alle 16 Teammitglieder erreichten den Gipfel – nicht zuletzt dank Luis‘ Erfahrung und Umsicht. Stitzinger stand bereits auf acht Achttausendern: Cho Oyu (2000), Gasherbrum II (2006), Nanga Parbat (2008), Dhaulagiri (2009), Broad Peak (2011), Shishapangma (2013), Manaslu (2017) und Gasherbrum I (2018). Allesamt hat er sie ohne Flaschensauerstoff bestiegen, sechs davon gemeinsam mit seiner Ehefrau Alix von Melle.

An diesem Sonntag feiert Luis seinen 50. Geburtstag, „unter Palmen am Sandstrand“, wie er mir lachend erzählt. Mit Alix gönnt er sich einen dreiwöchigen Urlaub im griechischen Kletterparadies Leonidio: „Das habe ich mir zum Geburtstag geschenkt.“ Ich habe mit ihm vor seiner Abreise gesprochen.

Luis, ein halbes Jahrhundert, wird da nicht auch einem erfahrenen Höhenbergsteiger ein bisschen schwindelig?

Luis (2.v.l.) am Tag vor unserem Gipfelvorstoß am Kokodak Dome (2014)

Die Zahl fünf da vorne ist auf den ersten Blick schon etwas erschreckend. Auf der anderen Seite hatte ich jetzt ein Jahr lang Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen. Und wenn man es hin und her denkt, wird einem auch bewusst, dass dieser Übergang ja nur vom Menschen definiert und nicht messerscharf ist. Es ist nur eine Zahl. Ich fühle mich nach wie vor gut. 50, das hört sich schon verdächtig nahe der Verrentung an. Aber so fühle ich mich eigentlich überhaupt nicht.

Wenn du dich jetzt mit dem Luis vergleichst, der 25 Jahre alt war, erkennst du dich dann noch wieder?

Ja schon, aber ich habe mich in der Zeit natürlich auch verändert. Ich würde nicht noch einmal 25 sein wollen, weil ich mich jetzt viel selbstsicherer fühle. Ich kann die Dinge auch viel mehr genießen als damals. Wenn man sich in der Zeit zurücktransportieren könnte, würde ich eher 36 oder 38 Jahre ansteuern.

Warum dieses Alter?

Weil man dann schon einige Erfahrungen im Leben gesammelt hat. Auch beruflich war ich in einem Fahrwasser, das mir getaugt hat, wo ich mich angekommen gefühlt habe. Privat und sportlich war das ein Alter, in dem ich gut unterwegs war und in mir geruht habe. Mit Mitte 30 ist man einerseits kein Grünschnabel mehr, andererseits aber auch noch nicht wirklich alt.

Die Skier immer im Gepäck

50 Jahre sind so eine Marke, an der man sowohl zurück-, als auch nach vorne schaut. Blicken wir zunächst zurück! Gibt es ein Highlight in deiner Bergsteigerkarriere, das du besonders hervorheben würdest?

Gerne denke ich immer an den Nanga Parbat 2008 zurück. Wir haben dort dreimal so viel erlebt wie andere, weil wir ja wirklich dreimal am Berg unterwegs waren. Erst haben wir mit der Gruppe des „DAV Summit Club“ den Gipfel über die Kinshofer-Route auf der Diamirseite bestiegen. Dann habe ich mit meinem Bergkameraden Josef (Lunger) versucht, den Mazeno-Grat zu überschreiten. Bis zum Mazeno Col sind wir gekommen, dann mussten wir absteigen, weil uns Gas und Nahrung ausgegangen waren. Und schließlich bin ich noch die zentrale Diamir-Flanke mit Skiern abgefahren.

Mit Alix am Gipfel des Manaslu

Du hast deinen ersten Achttausender, den Cho Oyu, im Jahr 2000 bestiegen. Wie hat sich das Höhenbergsteigen im Himalaya und Karakorum aus deiner Sicht in den vergangenen 18 Jahren verändert?

An gewissen Bergen ist viel mehr los als damals, es ist allgemein teurer geworden und damit elitärer. An manchen Bergen können sich das nur noch reiche Leute leisten. Auch die Szene der Expeditionsveranstalter hat sich verändert. Aus ehemals wenigen größeren Unternehmen ist mittlerweile eine Vielzahl an Veranstaltern geworden. Immer mehr übernehmen auch lokale Anbieter den Markt. Sie veranstalten – wie z.B. am Manaslu im Herbst 2017 – riesige Expeditionen von mehreren hundert Leuten am Berg.

Inzwischen haben auch die Asiaten das Höhenbergsteigen für sich entdeckt. Es sind sehr viele, teilweise auch unerfahrene Leute unterwegs, die umfassende Betreuung brauchen. Der Stilwandel weg von den großen Achttausender-Expeditionen der frühen Zeiten hin zum Individualbergsteigen, das Messner, Habeler und Konsorten eingeleitet haben, hat sich mittlerweile wieder umgekehrt.

Das klingt, als hättest du damit extreme Bauchschmerzen.

Schlange am Manaslu

Es erfreut mich nicht, weil es in meinen Augen eine sehr kipplige Sache ist. Es ist solange sicher, wie diese unerfahrenen Teilnehmer massiv betreut werden und die dafür Zuständigen auch zur rechten Zeit die richtigen Strippen ziehen. Aber wehe, es geschieht einmal zu spät oder die Betreuung fällt aus irgendeinem Grund weg. Dann wird es ganz schnell ein gefährliches Vabanque-Spiel. Ich erwarte, dass irgendwann ein größeres Unglück passiert. Es wird zwangsläufig kommen.

Glaubst du, dass ein solches Unglück etwas ändern würde?

Eher nicht. Wenn man z.B. sieht, wie sich jetzt die Regeln in Tibet verschärft haben, geht das eigentlich komplett in die falsche Richtung. Die Individualbergsteiger werden eingeschränkt. Die chinesischen Behörden sehen den einzelnen Bergsteiger, der sein eigenes Spiel spielt, eher als Gefahr an – selbst wenn er das Spiel im Griff hat und weiß, auf was er sich einlässt. Als sicher wird dagegen angesehen, was die großen Veranstalter dort treiben: mit massivem Climbing Sherpa- und Bergführer-Einsatz, um den unerfahrenen Teilnehmern möglichst viel Personal an die Hand zu geben. Für die Behörden ist das der Weg der Zukunft. Im Falle eines Unglücks gäbe es wahrscheinlich noch mehr Auflagen für die Veranstalter, aber der Weg des Individualbergsteigens würde wohl kaum wieder gestärkt.

Im Hochlager am Gasherbrum I

Du bist selbst als Bergführer kommerzieller Gruppen im Einsatz. Wie löst du für dich diesen Zwiespalt auf, dass du einerseits Teil des Systems bist, andererseits aber auch die negativen Seiten siehst?

Es ist manchmal eine Gratwanderung. Wir als deutsche Veranstalter haben immer noch eine etwas andere Tradition. Die kommerziellen Expeditionen hierzulande sind ja aus Gemeinschaftsfahrten entstanden. Die Teilnehmer werden mehr als selbstständige Bergsteiger angesehen und müssen auch mit anpacken. Das ist bei amerikanischen oder auch vielen nepalesischen Anbietern mitunter ganz anders: Da wird man von vorne bis hinten an die kurze Leine genommen und hat nichts mehr zu melden.

In diesem Jahr hat du deinen achten Achttausender bestiegen, den Gasherbrum I im Karakorum. Wie schwer oder leicht ist dir das gefallen, oder anders gefragt: Hast du gespürt, dass der Zahn der Zeit auch an dir nagt?

Es war sehr anstrengend, wegen des vielen Schnees und weil wir nur zu zweit unterwegs waren. Die anderen Bergsteiger waren alle im Sturm des Vortags wieder abgestiegen. Gianpaolo (Corona) und ich waren die letzten im Hochlager und haben es einfach probiert. Es waren 13, 14 Stunden Stapfen durch tiefen Schnee. Dafür, dass es so anstrengend war, habe ich mich wirklich sehr gut gefühlt. Auch in den Tagen danach war ich nicht so ausgebrannt wie an manchen anderen Bergen zuvor.

Aufstieg zum Gipfel des G I

Schauen wir nach vorn! Welche Ziele setzt du dir noch in deiner Bergsteigerkarriere?

Udo Jürgens sang ja: „Mit 66 Jahren ist noch lange nicht Schluss.“ Erst recht nicht mit 50! Ich habe schon noch einige Ziele. Ich habe mir auch keine Altersbegrenzung gesetzt. Ich schaue einfach, wie es mir aktuell geht und entscheide dann. Konkret plane ich für das Frühjahr 2019 noch einmal den Everest von der Nordseite aus (sein erster Versuch dort 2015 blieb erfolglos, weil der Berg nach dem Erdbeben in Nepal gesperrt wurde)– zunächst einmal als Bergführer, als Arbeitsauftrag. Vielleicht kann ich anschließend mit (dem Österreicher) Rupert Hauer – einem guten Freund, der dort eine andere Gruppe führt – noch selbst etwas am Berg unternehmen.

Ohne Flaschensauerstoff?

Ja, möglichst ohne.

Sind die 14 Achttausender noch ein Thema für dich?

Ich habe jetzt acht, es fehlen also noch sechs, das ist eine ganze Menge. Ich versuche in der Regel ja einmal pro Jahr einen Berg, und es geht auch nicht jedes Mal gut. Also bedeuten sechs ausstehende Achttausender noch einige Jahre. Ich weiß nicht, ob mir da nicht die Zeit ausgeht. Es interessiert mich schon, aber es gibt auch noch andere Dinge, die mich vielleicht sogar noch mehr reizen, z.B. eine anspruchsvolle Route an einem Achttausender zu begehen.

P.S.: Alix von Melle wird Luis im Frühjahr nicht zum Everest begleiten, sie ist in ihrem Job unabkömmlich.

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Adam Ondra: „Immer härter zu klettern, macht einfach mehr Spaß“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/adam-ondra-immer-haerter-zu-klettern-macht-einfach-mehr-spass/ Sat, 27 Oct 2018 15:38:35 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=42595

Adam Ondra

Auch der Meister des Unmöglichen steht zuweilen vor ganz profanen Problemen. „Steig ein, ich muss noch einen Parkplatz finden“, sagt mir Adam Ondra, als wir uns vor zwei Wochen am vereinbarten Ort im Zentrum der norditalienischen Stadt Trient treffen. Der 25 Jahre alte Tscheche gehört zu den Topstars eines Sportfestivals, zu dem er mit seinem Kleinbus aus seiner Heimatstadt Brünn angereist ist.

Ondra verschiebt seit Jahren die Grenzen im Sportklettern. Schon mit 13 Jahren kletterte er eine Route im Schwierigkeitsgrad 9 a auf der in der Sportkletterszene üblichen französischen Skala – was in der Bewertung des Weltverbands der Bergsteiger und Kletterer (UIAA) einer Route im elften Grad entspricht. Zum Vergleich: Reinhold Messner beherrschte zu seinen besten Zeiten als Felskletterer den siebten Grad. Ende 2016 gelang Ondra am El Capitan im Yosemite-Nationalpark im Alleingang in nur acht Tagen die erste Wiederholung der Route „Dawn Wall“, die als schwierigste Big-Wall-Route der Welt gilt. Im September 2017 meisterte er in einer Höhle nahe Flatander in Norwegen eine extrem überhängende Route – die weltweit erste 9c (glatter zwölfter Grad in der UIAA-Skala). Die Kletterwelt verneigte sich einmal mehr vor Ondra, niemand zweifelte seine Bewertung an.

Nachdem ich Adam zu dem Parkhaus in Trient gelotst habe, in dem auch mein Auto steht, nutzen wir den Weg zurück zum Veranstaltungsort für das verabredete Interview.

Adam, du kletterst, seit du ein kleiner Junge warst. Kannst du dir vorstellen, eines Tages die Nase davon voll zu haben?

Adam in der Route „Silence“

Ich denke, in einem solchen Moment wäre ich einfach nur müde, aber nicht unbedingt vom Klettern. Manchmal ist es einfach notwendig, die Batterien wieder aufzuladen und sich wieder frisch zu fühlen. Aber das hat nichts mit dem Klettern zu tun. Klettern ist so toll. Ich glaube nicht, dass ich es leid werde, denn es gibt so viele verschiedene Disziplinen. Es ist doch etwas ganz anderes, einen zwei Meter hohen Felsbrocken oder eine 1.000 Meter hohe Wand zu klettern. Ich glaube, ich kann meine Motivation immer sehr hoch halten, wenn ich zwischen den Disziplinen wechsele.

Was machst du, um dich zu entspannen?

Jeden Dezember nehme ich mir eine Kletter-Auszeit von zwei oder drei Wochen. Nach einer kompletten Saison Training und Klettern braucht mein Körper das. Und mental hilft es mir wie gesagt, zwischen Kletterhalle und Felsklettern zu wechseln, zwischen Wettkämpfen und Klettern im Freien. All das hilft mir, immer zu 100 Prozent motiviert zu sein.

Muss man vielleicht auch ein wenig verrückt sein, um solche beeindruckenden Routen zu klettern?

Was mich wirklich motiviert, immer härter zu klettern, ist nicht unbedingt, dass ich meine Grenzen verschieben will, mich darüber freuen will oder den anderen zeigen möchte, wer der Beste ist. Es ist vielmehr, dass es irgendwie mehr Spaß macht, immer härtere Routen zu klettern. Je schwieriger sie sind, desto interessanter wird das Klettern und desto mehr verrückte Moves musst du dir ausdenken. Und sobald du weißt, wie es sich anfühlt, auf einem bestimmten Level zu klettern, willst du es nicht mehr darunter tun, weil du weißt, dass du dann nicht mehr das Gleiche fühlen würdest.

Adam Ondra: Immer härter zu klettern, macht einfach mehr Spaß

Du hast in einer Höhle bei Flatander in Norwegen die erste Route der Welt im französischen  Grad  9c (12. Grad der UIAA-Skala) eröffnet. Zuerst hast du sie „Hard Project“ getauft, hartes Projekt. Nachdem du sie gemeistert hattest, nanntest du sie „Silence“, Stille. Warum?

Wenn ich das Ende einer superharten Route erreiche, schreie ich normalerweise meine Freude heraus. Aber in diesem Moment war die Emotion so stark, dass ich nichts sagen konnte. Eine Minute lang schwieg ich.

Aus welchem Grund?

Ich weiß es nicht. Vielleicht konnte ich einfach nicht fassen, dass es jetzt wirklich passiert war. Wenn du vierzehn Wochen lang an einem einzelnen Projekt arbeitest und rund zwei Saisons lang speziell darauf hintrainiert hast, dann geschieht es wohl einfach auf diese Weise.

„Die Route passt zu meinem Stil“

Glaubst du, dass deine Route wiederholt wird? Und wenn ja, wann und wer könnte es schaffen?

Ich weiß es nicht. Ich wünschte, sie könnte wiederholt werden, aber warten wir es ab! Es gibt definitiv Leute, die es draufhaben – wie Alex Megos, der meiner Meinung nach in der Lage ist, eine 9c zu klettern. Gleichzeitig glaube ich aber nicht, dass diese Route zu seinem Stil passt. Er könnte sicher eine 9c mit ‚Pockets‘ (minimalen Vertiefungen für die Finger) oder schmalen ‚Crimps‘ (Felsleisten) klettern. Aber meine Route „Silence“ ist stilistisch sehr speziell. Und ich gebe zu, dass ich sie genau deswegen ausgesucht habe. Weil ich dachte, dass sie richtig gut zu dem passt, was ich am besten kann.

Adam Ondra: Die „Silence“ passt zu dem, was ich am besten kann

Das ist ziemlich genau das, was Alex mir gesagt hat. Worin liegt denn die besondere Herausforderung deiner Route?

Es ist die Route, in die ich so viel Zeit investiert habe wie in keine andere zuvor. Ich bin die meisten 9b+ Routen weltweit geklettert und denke, dass diese Route wirklich zu meinem Stil passt. Deshalb hatte ich den Mut zu sagen: Das ist die erste 9c der Welt. Wäre ich mir nicht ganz sicher gewesen, hatte ich sie eher mit 9b+ bewertet. Aber sollte sie jemals heruntergestuft werden, wäre mir das schon total peinlich. (lacht).

Ondra bei der WM in Innsbruck

Du nimmst auch an Kletterwettbewerben teil. Bei der Weltmeisterschaft in Innsbruck im vergangenen September warst du Zweiter in der Olympischen Kombination. Sind die Olympischen Spiele in Tokio 2020 für dich ein Ziel?

Ja, definitiv. Im nächsten Jahr werde ich sowohl im Boulder-Weltcup starten, als auch im Lead-Weltcup. Das ist meine Vorbereitung für die Saison 2020, in der die Olympischen Spiele mein größtes Ziel sein werden.

Als beschlossen wurde, dass Sportklettern in Tokio zum ersten Mal olympische Disziplin wird, gehörtest du zu den Kritikern des neuen Formats – der Kombination aus Speedklettern, Lead und Bouldern. Hast du deine Meinung geändert?

Im Wettkampf

Dass ich immer noch gegen das Format bin, ändert ja nichts daran. Ich wollte immer schon bei Olympischen Spielen starten. Da spielt es keine Rolle, wie kritisch ich dem Format gegenüberstehe. An meiner kritischen Haltung hat sich nichts geändert. Aber wenn ich teilnehmen will, muss ich das Format akzeptieren. Eine andere Option gibt es nicht – außer auf die Spiele zu verzichten.

Es ist also die bittere Pille, die du schlucken musst.

Ja, genau.

Können die Olympischen Spiele das Klettern in irgendeiner Weise voranbringen?

Adam in der Route „Dawn Wall“ am El Capitan

Ich würde immer noch zwischen der Welt der Wettkämpfe und der des Kletterns im Freien unterscheiden. Ich glaube, dass es die Wettkämpfe selbst definitiv verbessern kann. Sie werden größer werden, das Interesse der Mainstream-Medien wird zunehmen. Es könnte sich sogar zu einer besseren Show entwickeln. Gleichzeitig muss es nicht unbedingt einen negativen Einfluss auf das Felsklettern haben, denn das ist eine Welt für sich. Ich glaube nicht, dass es zwangsläufig so kommen muss, dass unser Sport irgendwann zu groß wird und unsere Klettergebiete überfüllt sein werden. Ich erwarte, dass die Wettbewerbe immer beliebter werden und dass auch viel mehr Leute in die Kletterhalle gehen. Vielleicht wird auch die Anzahl derer steigen, die im Freien klettern, aber nicht in so beträchtlichem Umfang.

Adam Ondra über die möglichen Auswirkungen von Olympia auf den Klettersport

Ende 2016 hast du als Erster die Route „Dawn Wall“ am El Capitan wiederholt, in nur acht Tagen. Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson, hatten für ihre Erstbegehung 19 Tage gebraucht und sich mehr als sieben Jahre darauf vorbereitet.

Ich brauchte insgesamt einen Monat.

Wie war es für dich, eine so schwierige Big-Wall-Route alleine zu klettern?

Für mich war es eine komplett neue Erfahrung, denn ich war absoluter Anfänger in Sachen Big-Wall-Klettern. Und als eine meiner ersten Routen wählte ich zufällig diejenige, die als die härteste der Welt gilt. Ich habe viel gelernt, aber am Ende stellte sich heraus, dass es nicht wirklich schwierig war, diese Big-Wall-Kniffe zu lernen. Der schwierige Teil ist eigentlich das Klettern selbst. Es ist eine harte Route, und es hat ziemlich lange gedauert, bis ich mich mit diesem speziellen Stil vertraut gemacht hatte. Aber schließlich gelang es mir. Dennoch muss ich auch darauf hinweisen, dass Tommy und Kevin so lange gebraucht haben, weil sie erst einmal herausfinden mussten, auf welchem Weg man durch diese Wand klettern kann. Jahrelang waren sie sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt möglich sein würde. Deshalb ist es für mich super beeindruckend. Ich kannte bereits alle Details der Route und musste nur das nötige Kletterlevel mitbringen, um sie zu durchsteigen.

Adam Ondra über die „Dawn Wall“

Grenzen verschieben bis zum Alter von 35

Das klingt, als hätte es dir gefallen, aber nicht so sehr wie das Sportklettern.

Nein, ich habe es definitiv sehr genossen. Aber mit Sicherheit ist Big-Wall-Klettern eine Menge Arbeit. (lacht) Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, nur in Big Walls unterwegs zu sein, auch in puncto Training. Um eine solche Route sehr schnell klettern zu können, braucht man zunächst ein sehr hohes Sportkletterniveau. Dieses Level erreichst du vor allem durch – Sportklettern. Und wenn du dann noch eine sehr hohe körperliche Fitness hast, kannst du nach Yosemite gehen und versuchen, die Route schnell zu durchsteigen.

Denkst du, dass der Grad 9c für dich das Limit ist?

Ich glaube, dass Menschen noch härter klettern können. Ob ich es sein werde oder jemand anderer, der eine 9c+ meistert, weiß ich nicht. Es wäre schön, eines Tages eine 9c+ zu schaffen. Aber ich bin mir definitiv sicher, dass ich nie eine 10a klettern kann – obwohl ich glaube, dass es möglich ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es in 20, 30 Jahren 10a-Routen geben wird.

Du bist erst 25, aber der Tag wird kommen, an dem du merkst, dass deine körperliche Stärke nachlässt. Hast du schon darüber nachgedacht, was nach dem Sportklettern kommen könnte?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich so lange Sportklettern werde, wie ich kann. Ich bin davon überzeugt, dass ich mein Sportkletterniveau steigern kann, bis ich 35 Jahre alt bin. Danach wird es dann wahrscheinlich nicht mehr möglich sein. Gleichzeitig würde ich gerne alles, was ich gelernt habe, in die größeren Wände bringen – nicht unbedingt an einem Achttausender, aber vielleicht an einem Sechstausender, wo die Hauptschwierigkeit das Klettern selbst ist und man noch mit bloßen Händen und Kletterschuhen unterwegs sein kann. Das würde mich für die fernere Zukunft reizen.

Adam Ondra: Grenzen verschieben, bis ich 35 bin

Du fürchtest dich also nicht vor der Kälte, die du an Sieben- oder Sechstausendern aushalten müsstest?

Doch. Aber das ist Teil des Spiels, ein wenig Abenteuer, um das Klettern interessanter zu machen.

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Beat Kammerlander: „Es geht immer nur um das Wollen“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/beat-kammerlander-es-geht-immer-nur-um-das-wollen/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/beat-kammerlander-es-geht-immer-nur-um-das-wollen/#comments Sat, 20 Oct 2018 19:46:31 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=42453

Beat Kammerlander (beim IMS in Brixen)

Der 59-Jährige ist ein Phänomen, eine lebende Kletterlegende: Immer noch meistert der Österreicher Beat Kammerlander senkrechte, fast grifflose Felswände – am liebsten im Rätikon, quasi vor der eigenen Haustür. Der Vorarlberger lebt mit seiner Frau Christine und den beiden gemeinsamen Kindern in Feldkirch. Vor einer Woche erhielt Kammerlander beim „International Mountain Summit“ (IMS) in Brixen den renommierten „Paul-Preuss-Preis“, mit dem Bergsteiger und Kletterer geehrt werden, die in der Tradition des 1913 verstorbenen Freikletter-Pioniers stehen. Preuss hatte für einen weitgehenden Verzicht auf Hilfsmittel wie Seile oder Haken plädiert („Das Können ist des Dürfens Maß“). „Eigentlich könnte man die Auszeichnung auch ‚Beat-Kammerlander-Preis‘ nennen“, sagte der Südtiroler Hanspeter Eisendle, Preisträger von 2013, in seiner Laudatio. Ich habe während des IMS mit Kammerlander gesprochen.

Beat, du wirst im nächsten Jahr 60 Jahre alt und kletterst immer noch krasse Touren. Verrätst du uns dein Erfolgsgeheimnis?

In der Wand

Da gibt es kein Geheimnis. Do what you love! Nur das zählt. (lacht) Ich habe mir mal vorgenommen, bis 40 mit diesem Leistungssport weiterzumachen. Dann wurde ich 40 und war stärker als vorher. Da habe ich gesagt: Warum soll ich jetzt mit etwas aufhören, das ich am liebsten mache? Über die Jahre gab es dann auch wieder mal Einbrüche, Stagnation, Verletzungen, aber immer wieder auch Highlights. Ich habe erkannt, dass es mir gefühlsmäßig mit der Weise, wie ich mein Leben führe und auch finanzieren kann, viel besser geht, als wenn ich irgendeinen Job machen würde. Und ich darf klettern gehen. Damit hat sich diese Frage erübrigt. Jetzt werde ich bald 60, das ist nur eine Zahl. Entscheidend ist, wie ich mich fühle und wie es mir geht.

Beat Kammerlander: Do what you love

Während das letzte Jahr super lief, war dieses Jahr kein schönes. Ich wurde von einer Zecke gebissen, bekam Borreliose und musste behandelt werden. Das hat mich über den Sommer ziemlich klein gehalten. Jetzt muss ich ein Stehaufmännchen sein. Es geht mir wieder gut. Aber ich brauche noch einige Monate mit gezieltem Training und Physiotherapie, damit ich wieder auf einem sehr hohen Level klettern kann.

Hat man dir Ruhe verordnet?

Nein, aber ich habe eine Familie mit zwei Kleinkindern. Sarah ist zweieinhalb, Samuel wird im Februar fünf Jahre alt. Ich verbringe sehr viel Zeit mit ihnen. Früher habe ich viel zu viel herumgeblödelt und sinnlos trainiert. Die Zeiteinteilung ist jetzt viel gezielter. Mir passt das sehr gut.

Unterwegs im (beinahe) Grifflosen

Du hast 2017 eine neue extrem schwierige Route im Rätikon eröffnet und sie „Kampfzone“ getauft. Musst du heute mehr kämpfen als früher?

Man kämpft immer so gut wie man kann, zu jedem Zeitpunkt. (lacht) Je nach Typus. Ich habe bei dieser Route vielleicht sogar ein bisschen mehr Motivation entwickelt wie früher, mehr Konsequenz, um dieses Ziel zu realisieren. Es war so schwer, diese Route erst einmal von unten bis oben zu eröffnen und die Haken zu setzen, dann die Passagen frei zu klettern. Und schließlich ging es darum, die Route Rotpunkt zu klettern, an einem Tag diese fünf Seillängen in hohem Schwierigkeitsgrad. 10+, 11-, 10-, 8 und 9+. Es erfordert eine sehr hohe Intensität, diese Seillängen aneinanderzuhängen. Für dieses Projekt habe ich mich noch einmal extrem kasteit und sehr speziell vorbereitet. Auch bei widrigsten Wetterverhältnissen bin ich dorthin gegangen und habe keine Zeit verschwendet. Ich bin auch bei Regen losgezogen. Ich wusste, dass es auf der anderen Seite des Bergs windig ist und der Pelz dann trocken wird. Das Ganze auf 2800 Metern, in  einer Gipfelregion, wo es immer bläst. Da musst du dich warm anziehen und trotzdem klettern – und nicht sagen: Heute habe ich keine Lust, heute bin ich zu bequem. Es geht immer nur um das Wollen.

Beat Kammerlander: Es geht immer nur um das Wollen

Zeichnet es dich aus, beißen zu können?

Wahrscheinlich schon.

Braucht man das, um so lange im Geschäft zu bleiben?

Ich sehe das eher als beißen dürfen. Ich habe ja Spaß dabei. Sicher ist es ab und zu auch mit Schmerzen verbunden, so kleine Griffe zu halten. Aber es ist eben schön, wenn man so glatten, kleingriffigen Fels entschlüsseln und dort hochklettern kann. Wenn du der erste Mensch bist, der diesen Fels angreift und dort eine Spur, eine Linie hinterlässt. Das ist für mich Motivation.

Den Blick nach oben

Auch nach so langer Zeit? Kommt da nicht irgendwann auch mal ein Punkt, an dem man sagt: Jetzt reicht es?

Ich bin ja nicht jeden Tag unterwegs. Über das Jahr verteilt sind es im Grunde ja nur einige Tage, auf die man hinarbeitet – mental und körperlich, bis man dann losgelassen wird wie ein Rennpferd.

Brauchst du, um so ein Rennpferd zu sein, auch die Konkurrenz zu anderen Kletterern?

Nein. Das wäre mir so was von zuwider. Ich mache das ja nur für mich. Ich will mich nicht mit anderen messen. Das ist mir schnurzegal.

Aber das Klettern im Team ist dir schon wichtig?

Natürlich. Ich klettere eigentlich nur mit Freunden, anders funktioniert es nicht. Es ist ein Geben und Nehmen. Es ist ein echter Freundschaftsdienst, wenn jemand mit dir kommt, der die Schwierigkeiten nicht klettern kann. Du musst dankbar sein, wenn dich ein guter Freund bei einer Erstbegehung den ganzen Tag sichert und mit dir mitleidet. Und immer auf Zack ist. Denn wenn er dich nicht gut sichert, kannst du dich extrem verletzen.

Hauchdünne Leisten

Hat sich deine Rolle in den Jahrzehnten verschoben, vom Grünling …

Grünling war ich nicht lange. (lacht)

… zum Mentor?

Natürlich auch. Ich habe eine Riesen-Kletterszene um mich herum und habe sie auch hinsichtlich der Ideologie und Einstellung sehr geprägt: Dass man ehrlich bleiben muss und sagt, was man getan hat und wie man es realisiert hat.

Glaubst du, dass sich das Problem der fehlenden Ehrlichkeit in Zeiten der Vermarktung verstärkt?

Klar. Man kann sich ja viele Kletterprojekte aus den Fingern saugen, die eigentlich nichts wert sind, aber für einen schlechten Report eine gute Schlagzeile ergeben. Du hast dann dein mediales Echo bekommen, und das wird auch nicht widerrufen. Aber du hast einen Imageverlust, mit dem du auch leben musst.

Beat Kammerlander: Nur für die Schlagzeile

Deine Routen hast du zum größten Teil in Europa eröffnet. Warum bist du nie zu den ganz hohen Bergen im Himalaya oder Karakorum gegangen?

Das hat sich einfach nicht ergeben. Meine Projekte, die stetig vorhanden waren, haben mich einfach hier gehalten. Ich hätte schon die Motivation und das Interesse gehabt, auch an den hohen Wänden des Karakorum zu klettern, aber mittlerweile ist das passé.

Lass‘ uns über das Risiko reden. Wieviel Risiko darf bei dir sein?

Ich glaube, dass meine Routen, so wie ich sie geklettert habe, relativ sicher sind. Bei einigen meiner früheren Routen war das Risiko natürlich viel höher, etwa wenn ich free solo beim Eisklettern war oder schwere Routen beim Sportklettern gemacht habe. Aber im alpinen Sportklettern geht es um das Bewusstsein, das man entwickelt hat. Ich bin keiner, der sich ganz schnell aus einer blöden Situation befreien will. Ich habe die nötige Geduld und auch die mentale Power. Immer wieder rauf und runter, bis ich es schaffe. Viele halten das nicht aus und machen dann den verhängnisvollen Fehler.

„Do what you love!“

Hast du auch mal Glück gehabt?

Natürlich. Des Öfteren.

Und was hat dich das gelehrt?

Vor allem, vorsichtig zu sein bei den Routineangelegenheiten. Oder wenn blöde Emotionen daherkommen. Dann machst du manchmal eine Dummheit. Und das ist nicht klug.

Hat sich in puncto Risikobereitschaft auch deine Vaterrolle ausgewirkt?

Wenn ich als Berg- und Skiführer beim Freeriden mit Gästem oder auch mal für mich selber unterwegs bin, sind es eigentlich die großen Gefahren, vor denen ich Schiss habe. Manchmal kannst du eine Flanke nicht ganz genau beurteilen. Dann stehst irgendwo da oben und musst runter. Du kannst die alpinen Sicherheitsregeln einhalten, aber ab und zu brauchst du eben auch deine Portion Glück. Da bin ich viel vorsichtiger geworden als früher.

Beat Kammerlander: Ich bin vorsichtiger geworden

Würdest du deine Kinder bestärken, wenn sie eines Tages kommen und sagen: Wir möchten das Gleiche wie du machen?

Natürlich. Tue, was du liebst! Aber ich will niemals jemanden in eine Richtung manipulieren. Das muss von selber kommen.

Und du hast das Gefühl, dass du dein ganzes Leben lang das gemacht hast, was du wolltest?

Ich glaube schon. (lacht)

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Robert Jasper: „Wie ein Juwel im Schatzkästchen“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/robert-jasper-wie-ein-juwel-im-schatzkaestchen/ Thu, 18 Oct 2018 18:49:37 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=42407

Robert Jasper (beim IMS in Brixen)

Der gefährlichste Eisbär von Grönland war er selbst. Immer wenn der deutsche Extrembergsteiger Robert Jasper im vergangenen Sommer während seiner einmonatigen Solo-Expedition im ewigen Eis sein Zelt aufschlug, baute er einen Eisbär-Schutzzaun darum. Wenn eines der Raubtiere den Zaun berührt hätte, wäre eine Leuchtrakete losgegangen, um den Eisbär zu vertreiben – und natürlich auch, um Robert zu warnen. An einem Tag war der 50-Jährige jedoch so in Gedanken, dass er den Zaun berührte, als er darübersteigen wollte. „Da hätte ich mich fast selbst in die Luft gesprengt“, erzählt Jasper.

Sprung zwischen zwei Welten

Alleine in Grönland

Wir begegnen uns beim zehnten und letzten „International Mountain Summit“ in Brixen. Im April hatte Robert seinen 50. Geburtstag gefeiert. „Ich habe mir gedacht: Bevor ich jetzt eine Midlife-Crisis kriege, mache ich lieber eine Solo-Expedition“,  sagt Jasper und lacht. „Es war, als würde ich zwischen zwei Welten hin- und herspringen.“ Jasper paddelte mit einem Faltkajak durch die Fjorde Grönlands, wanderte bis zum Fuße des Bergs, den er sich ausgeguckt hatte, und schaffte in drei Tagen die erste Solobegehung des Molar Spire. Seine Route durch die 450 Meter hohe Felswand taufte er „Stonecircle“, weil „die beeindruckendsten Dinge im Leben meist steinig und schwer sind“.

Innere Ruhe und Nervenstärke

Mit dem Kajak durch die Fjorde

Die Mischung aus Alleine-unterwegs-sein, Kajakfahren und Bigwallklettern sei „sehr speziell gewesen“, sagt Robert. „Es war ein absolut geniales Abenteuer.“ Auch wenn er anfangs ein mulmiges Gefühl gehabt habe, sei er mit der Einsamkeit insgesamt gut klargekommen. „Es war sehr, sehr ruhig. Du hast nur die Geräusche der Natur. Über diese Stille findest du sehr schnell auch zu dir selbst. Ich war schnell mit mir im Reinen und habe die Stille in mich aufgenommen. Diese Einsamkeit, verbunden mit der Wildnis, war ein Wellnessurlaub für die Seele.“

Robert Jasper: Wellnessurlaub für die Seele

Als Jasper nach seiner Rückkehr in die Zivilisation von seinen Erlebnissen erzählte, waren seine Stimmbänder überfordert. „Ich habe ein paar Tage gebraucht, bis ich wieder richtig sprechen konnte.  Ich war es nach vier Wochen einfach nicht mehr gewöhnt.“ So lange „alleine in der Wildnis, das hätte ich mit 20 Jahren niemals gekonnt“, glaubt Robert. „Auch nicht mit 30, vielleicht auch nicht mit 40. Du musst dich gut kennen, die innere Ruhe haben und auch die Nerven.“ Alle diese Eigenschaften erfülle er nun mit 50. „Trotzdem war es ein Experiment. Es hätte auch schiefgehen können.“ Dennoch, so Jasper, habe er in der ganzen Zeit nie das Gefühl gehabt, „das Ruder aus der Hand zu geben“.

Robert Jasper: Es war trotzdem ein Experiment

Erlebte Geschichten bewahren

Während der Solobegehung

Expeditionen wie diese auf Grönland seien „wie Juwelen, die ich in ein Schatzkästchen lege. Das sind Erinnerungen die mich glücklich machen“, sagt Robert. „Ich kenne viele, speziell jüngere Kollegen, die von einer Tour zur nächsten jagen, die erlebnissüchtig sind und das einfach nur konsumieren. Da denke ich mir: ‚Seid vorsichtig!‘ Du kannst einen Unfall haben und am nächsten Tag vielleicht nicht mehr bergsteigen oder klettern. Wenn du dann nicht gelernt hast, Erlebnisse zu schätzen, wirst du daran vielleicht sogar zerbrechen. Es ist wichtig, erlebte Geschichten zu bewahren.“

Robert Jasper: Juwelen für das Schatzkästchen

Auch wenn es seine erste Solo-Expedition war, gab es neben Teamerfolgen auch schon zuvor einige Alleingänge in Jaspers langer Karriere. So durchstieg er 1991 solo die „klassischen“ Alpen-Nordwände von Eiger, Matterhorn und Grandes Jorasses. Mit seiner Ehefrau Daniela eröffnete Robert 1999 die erste Eiger-Route im zehnten Schwierigkeitsgrad („Symphonie de Liberté“). Seine 2015 mit dem Schweizer Roger Schaeli und dem Südtiroler Simon Gietl gemeisterte „Odyssee“ gilt als bisher schwierigste Route durch die Eiger-Nordwand.

Expeditionen führten ihn unter anderem an den 7804 Meter hohen Nuptse East im Himalaya, nach Baffin Island in der Arktis – und nach Patagonien: Für ihre neue Route durch die Nordwand des Cerro Murallon im Jahr 2005 wurden Jasper und sein Teampartner Stefan Glowacz für den Piolet d’Or nominiert, den „Oscar der Bergsteiger“.

Eher ein Zehnkämpfer

Auf dem Gipfel des Molar Spire

Robert ist nicht nur im extremen Fels unterwegs, sondern auch ein exzellenter Eiskletterer. „Ich war ja nie ein reiner Sportkletterer“, sagt Jasper. „Ich betreibe verschiedene Disziplinen des Alpinismus und bin damit eher wie ein Zehnkämpfer. Sportklettern ist meine Basis: Je sicherer du klettern kannst, desto mehr Luft hast du im alpinen Gelände.“ Als Vater einer Tochter und eines Sohns sei „der Rucksack, den ich trage, größer und schwerer geworden“, räumt Robert ein. „Ich habe mehr Verantwortung, aber die Erfahrung wiegt das auf.“ Sicherheit sei für ihn das oberste Gebot, nicht nur am Berg. „Du musst versuchen, das Risiko zu minimieren und trotzdem den Schritt hin zu deiner Leidenschaft, deinen Abenteuern wagen. Das ist meine Philosophie.“

Robert Jasper: Das ist meine Philosophie

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Tamara Lunger: „Ich bin zurzeit suchend“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/tamara-lunger-ich-bin-zurzeit-suchend/ Tue, 16 Oct 2018 14:42:00 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=42375

Tamara Lunger während des IMS

„Ich wünsche mir oft: Wäre ich doch vor hundert Jahren auf die Welt gekommen!“, sagt Tamara Lunger. „Wenn ich die 90-Jährigen reden höre, denke ich mir: Oh, das waren noch Abenteurer! Dagegen sind wir heute nur noch Weicheier.“ Dabei stand die Profibergsteigerin aus Südtirol 2010 mit 23 Jahren als damals jüngste Frau auf dem Gipfel des Achttausenders Lhotse und bestieg 2014 ohne Flaschensauerstoff den K 2, den zweithöchsten Berg der Erde.

Tamara Lunger: Wir sind dagegen doch Weicheier

Während des „International Mountain Summit“ in Brixen wandere ich mit Tamara vom Latzfonserkreuz aus talwärts. Ihre Eltern führen die dortige Schutzhütte. Wir sprechen über Tamaras Abenteuer der vergangenen Jahre. Die 32-Jährige ist eine ehrliche Haut und nimmt kein Blatt vor den Mund: „Die Leute sagen mir: ‚Du hast leicht reden, du kannst das leben, was dir Freude bereitet.‘ Dabei steckt auch in meiner Freude manchmal etwas Negatives, das ich annehmen und daraus lernen muss. Das ist eigentlich das Wichtige.“

Dem Tod nahe

Tamara (2.v.l.) mit den Wintererstbesteigern des Nanga Parbat, Alex Txikon, Simone Moro und Muhammad Ali „Sadpara“(v.l.)

Im Februar 2016 kehrte Tamara Lunger in Pakistan knapp unter dem Gipfel des Nanga Parbat um. Nur 70 Höhenmeter fehlten ihr zum Ruhm, als erste Frau zu den Wintererstbesteigern eines Achttausenders zu gehören. Während des gesamten Gipfeltags war es ihr schlecht gegangen, sie hatte sich den Berg regelrecht hinaufgeschleppt. Dann habe Gott zu ihr gesprochen, erzählt Tamara: „Normalerweise bekomme ich immer, was ich erbitte. Aber an dem Tag hat zehn Stunden Beten nichts geholfen. Da habe ich gewusst, da ist etwas faul.“ Sie drehte um. Im Abstieg geriet sie ins Rutschen. „Es war mein bisher todesnächstes Erlebnis. Auch beim Absturz habe ich mit dem Herrgott geredet: ‚Ich hätte nicht gedacht, dass es jetzt schon so schnell passiert. Aber wenn es so sein muss, bin ich eben bereit, und das passt.‘“ Nach 200 Metern blieb Tamara im lockeren Schnee liegen.

Tamara Lunger: Gespräche mit Gott

Viel gelernt

Sie überlebte, mit Verletzungen an der Schulter und am Sprunggelenk. Sie hatte Schmerzen, durfte keinen Sport treiben. Und die Medien überfielen sie mit Interviewanfragen. Es sei eine „schwierige Zeit“ gewesen, sagt die Bergsteigerin. „Erst mit der Zeit habe ich verstanden, was der Nanga Parbat mir geschenkt hat.“ Sie wisse jetzt, dass es nicht immer der Gipfel sein müsse. „Ich habe auch viel über mich gelernt. Zum Beispiel, wie ich mich in Todesangst verhalte. Werde ich panisch oder bin ich ruhig? Kann ich noch klar denken? Diese Erkenntnisse sind extrem wichtig, weil sie in unserem Beruf oder unserer Berufung zum Spiel mit dazugehören.“

Vielen fehlt der Respekt

Ein starkes Team: Tamara Lunger mit Simone Moro (r.)

Ihre nächste Achttausender-Expedition führte sie im Frühjahr 2017 zum Kangchendzönga, dem dritthöchsten Berg der Erde. Mit ihrem Teampartner und Mentor Simone Moro wollte sie alle Gipfel des Massivs überschreiten. Doch dazu kam es nicht, weil Moros Gesundheit nicht mitspielte. Die Erlebnisse im Basislager, das sich die beiden Profibergsteiger mit den Mitgliedern kommerzieller Expeditionen teilten, verleideten Lunger erst einmal das Achttausender-Bergsteigen. „Unglaublich, was einige Leute da so treiben“, sagt Tamara und schüttelt den Kopf. „Ich habe mich teilweise für sie geschämt. Denen ging es nur darum, irgendwie raufzukommen. Sie haben keinen Respekt mehr, weder vor dem Berg, noch vor den anderen Leuten. In den Hochlagern wird gestohlen.“

Nie mehr ein Basislager mit anderen

Einem Sherpa des nepalesischen Veranstalters „Seven Summit Treks“ sei es oben ziemlich schlecht gegangen, er sei unfähig gewesen abzusteigen. „Dem Chef der Sherpas war das total scheißegal. Er spielte unten lieber mit dem Handy auf Facebook herum anstatt zu helfen.“ Das, so Tamara, verstoße so sehr gegen ihre Prinzipien, dass sie ihre ganze Kraft verliere: „Ich habe mir zu der Zeit geschworen: Nie mehr in ein Basislager mit anderen Leuten! Ich hoffe, ich kann das durchziehen. Künftig gehe ich eben im Winter oder den Berg von einer anderen Seite an, mit einem Basislager, in dem ich meine Ruhe habe.“

Tamara Lunger: Die haben keinen Respekt mehr

Befreiung in der Kälte Ostsibiriens

Bei der Wintererstbesteigung des Gora Pobeda

Im vergangenen Februar gelang Lunger und Moro im eiskalten Osten Sibiriens bei Temperaturen um minus 50 Grad Celsius die erste Winterbesteigung des 3003 Meter hohen Gora Pobeda (auch Pik Pobeda genannt). Nach dem Scheitern im Winter 2015 am Manaslu, ihrer Umkehr im Winter 2016 am Nanga Parbat und dem erfolglosen Versuch am Kangchendzönga 2017 habe sie sich unter großem Druck gefühlt, erzählt Tamara. Sie habe versucht, jeden Schritt in der wunderschönen Natur Sibiriens zu genießen und nicht daran zu denken, was irgendwelche Leute von ihr erwarteten. „Das habe ich relativ gut geschafft und es hat mich richtig befreit. Als ich am Gipfel angekommen bin, habe ich aufgeatmet. Endlich!“

Das leben, was sie fühlt

Bei ihren künftigen Abenteuern wolle sie mehr auf ihre innere Stimme hören, verrät Tamara Lunger: „Ich versuche, das zu leben, was ich fühle. Ich kann nicht sagen, was morgen oder in einer Woche ist. Ich bin zurzeit suchend.“ Und dabei nicht nur auf die Berge fixiert. „Mir würde auch gefallen, mit einem Segelboot aufzubrechen.“

Tamara Lunger: Ich bin zurzeit suchend

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Dani Arnold: „Ein bisschen Risiko darf sein“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/dani-arnold-ein-bisschen-risiko-darf-sein/ Mon, 08 Oct 2018 13:07:43 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=42205

Dani Arnold in Köln

Wieder einmal ist er eine Wand geradezu hinaufgesprintet. Im August durchkletterte der Schweizer Dani Arnold die Grandes-Jorasses-Nordwand solo und ohne Seilsicherung in der neuen Rekordzeit von 2:04 Stunden. Die Erstbegeher der Route über den Walker-Pfeiler um den Italiener Riccardo Cassin hatten dafür 1938 drei Tage benötigt. Auch in der Matterhorn-Nordwand hält der 34-Jährige seit drei Jahren die Bestzeit: 1:46 Stunden. Für seinen ersten Paukenschlag hatte Dani 2011 gesorgt, als er Ueli Stecks Rekord in der Eiger-Nordwand um 20 Minuten unterboten und den Gipfel nach 2:28 Stunden erreicht hatte. Steck hatte sich die Bestzeit 2015 zurückgeholt (2:22 Stunden).

Dani Arnold ist Bergführer und lebt mit seiner Frau Denise im Kanton Uri  im 4000-Seelen-Dorf Bürglen, in dem mehr als 200 Einwohner (kein Witz, er hat es mir gegenüber bestätigt) den Namen Arnold tragen. Ich habe Dani in meiner Heimatstadt Köln getroffen – vor seinem Auftritt als Hauptredner des Kölner-Alpintags.

Dani, wie gefällt dir die Bezeichnung „Usain Bolt der Alpen-Nordwände“?

Ich finde sie ein bisschen übertrieben. Ich bin sicher sehr schnell unterwegs, aber es gibt noch viele andere sehr, sehr gute Bergsteiger. Ich glaube, es stimmt einfach nicht, dass ich der beste bin.

Grandes-Jorasses-Nordwand

Aber vielleicht der schnellste. Du hältst schließlich an zwei der drei klassischen Nordwände in den Alpen den Geschwindigkeitsrekord. Kommst du, wenn du so schnell kletterst, auch manchmal in einen Rauschzustand, wie etwa beim Laufen, wenn irgendwann ein „Flow“ einsetzt und alles wie von selbst zu gehen scheint? 

Ja, so ein Gefühl gibt es schon. Ich fühle mich dann frei und leicht. Wenn zum Beispiel in der Eiger-Nordwand der Wasserfall-Kamin, das brüchige Band und der brüchige Riss kommen, dauert es normalerweise ewig, bis man dort durchgeklettert ist. Wenn man aber solo und auf Geschwindigkeit unterwegs ist, dann folgt einfach eine Stelle nach der anderen. Und man hat dann wirklich auch das Gefühl, es sei schnell.

Du bist im Sommer den Walker-Pfeiler an den Grandes Jorasses in zwei Stunden vier Minuten geklettert, 17 Minuten schneller als der vorherige Rekordinhaber Ueli Steck. Du bist komplett ohne Seil und Sicherung geklettert. Wieviel Risiko darf aus deiner Sicht sein?

Es geht nicht ohne Risiko, das ist ganz klar. Auf der anderen Seite war es mein Ziel, am Walker-Pfeiler auf jedes Sicherungsmaterial zu verzichten. Es sollten einfach nur der Berg und ich sein. Ich musste erst einmal herausfinden: Traue ich mich überhaupt? Ist es noch sicher? Ich habe mich dann für den Weg entschieden. Und ich habe nie das Gefühl gehabt, dass ich ein Riesen-Risiko eingegangen bin. Ich glaube, man kann nicht pauschal sagen, dass weniger Material gleich ein höheres Risiko bedeutet.

Dani Arnold: Weniger Material nicht gleich mehr Risiko

Wie hast du dich vorbereitet? Kanntest du jeden Kletterzug auf dieser Route?

Die Route ist 1200 Meter lang. Ich habe das Talent, dass ich mir sehr gut Stellen und Kletterbewegungen merken kann. Ich weiß zum Beispiel, wie im Rebuffat-Riss, einer der schwierigen Stellen dort, die Griffe aussehen, mit welcher Hand ich welchen Griff klettern muss. Dazu braucht man auch noch eine, ich sage mal, „rollende Planung“ und außerdem sehr viel Selbstvertrauen.

In der Wand

Du hast einmal gesagt, es gebe ein Recht auf Risiko. Wie hast du das gemeint?

Wenn man für etwas lebt, sich seriös darauf vorbereitet und sich dann in einen Gefahrenbereich begibt, wird das von der Gesellschaft nicht akzeptiert. Das finde ich nicht richtig. Schließlich geht man diese Dinge doch nicht einfach fahrlässig an, aus Unwissenheit oder Dummheit. Wenn man sich wirklich auf etwas vorbereitet und es seriös durchzieht, darf man auch ein bisschen Risiko eingehen, denn es lohnt sich zu hundert Prozent.

Dani Arnold: Das Recht auf Risiko

Wenn man sich deine Speedrekorde ansieht, stößt man immer wieder auf den Namen Ueli Steck, weil es seine Rekorde waren, die du gebrochen hast. Er ist im vergangenen Jahr am Nuptse mit 40 Jahren in den Tod gestürzt. War das für dich Warnung oder Mahnung?

Er hat genau das Gleiche gemacht wie ich jetzt. Und da denkt man natürlich sofort: Hej, das kann mir auch passieren. Ich glaube jeder Unfall – nicht nur von Ueli, sondern auch von anderen Bergsteigern – bleibt im Gehirn drin. Das bedeutet nicht, dass man nun einen komplett anderen Weg geht. Aber ich bin mir trotzdem sicher, dass ich jetzt nicht mehr so viel Risiko eingehe wie noch vor fünf oder zehn Jahren.

Dani kurz vor dem Ausstieg aus der Wand

Beim Klettern und Bergsteigen auf höchstem Niveau besteht immer die Gefahr, die Schraube eines Tages zu überdrehen. Hast du Schutzmechanismen dagegen?

Die Gefahr, dass man irgendwann einen Schritt zu weit geht, liegt auf der Hand. Das macht mir auch ein bisschen Angst, weil ich natürlich immer versuche, das Optimum zu erreichen und noch ein bisschen mehr. Um gegenzusteuern, gehe ich z.B. fischen oder ich verbringe einfach mal Zeit mit Freunden und Familie, wo wir das Thema Bergsteigen gar nicht ansprechen. Das hilft mir, aktiv ein bisschen davon wegzukommen. Es dreht sich sonst alles ums Bergsteigen und auch um dieses mehr, mehr, mehr. Ich muss dann andere Gedanken haben und es auch mal gut sein lassen.

Dani Arnold: Es auch mal gut sein lassen

In der breiten Öffentlichkeit bist du vor allem wegen deiner Speedaufstiege bekannt. Dabei bist du ja ein kompletter Kletterer. Du gehörst z.B. zu den Wintererstbesteigern des Cerro Egger in Patagonien, du warst mit den Huber-Brüdern auf Expedition im Karakorum. Stört es dich, dass man dich öffentlich häufig auf das Geschwindigkeitsklettern reduziert?

Es stört mich schon ein bisschen. Auf der anderen Seite kann ich durch das Speedklettern jetzt vom Bergsteigen leben, weil es ausreichend Vorträge und Sponsoren gibt. Von daher ist es schon wichtig. Wenn ich an einem Abend einen 90-Minuten-Vortrag halte, nutze ich die Bekanntheit über das Speedklettern, um auch meine Herzensgeschichten zu erzählen, wie zum Beispiel über das Mixed-Klettern in Schottland, diese ganz, ganz schweren Klettereien.

Dani Arnold (3.v.r.) 2015 mit Thomas und Alexander Huber, ihrem pakistanischer Begleiter Rasool, Mario Walder und Seppi Dabringer (v.r.)

Wirst du in den nächsten Jahren wieder auf große Expeditionen gehen?

Ganz bestimmt. Schwierigkeitstechnisch und auch in Sachen Geschwindigkeit wird es nicht unendlich lange so weitergehen. Da werden dann diese Geschichten an neuen Bergen in unbekannten Regionen aufkommen. Mit den Huber-Brüdern habe ich wirklich zwei Super-Leute gefunden, mit denen ich super gerne unterwegs bin. Das ist mir fast wichtiger, als wenn jemand extrem stark ist. Man muss eine gute Zeit zusammen haben. Und das haben wir.

Wäre auch mal ein Achttausender für dich interessant?

Bestimmt. Bis jetzt hatte ich noch nie ein Bedürfnis, dort hochzusteigen, aber so langsam kommt es. Ich möchte gerne mal erleben, wie es sich anfühlt.

Hast du ein Traumziel, einen Berg, zu dem du unbedingt noch hin willst?

Eigentlich nicht. Die Eiger-Nordwand z.B. war für mich nicht dieses eine große Ziel. Ich habe viele, viele Ideen. Wenn es dann in der Vorbereitung konkreter wird, fokussiert man sich auf einen Berg. Und dann wird dieser plötzlich mein Berg, und es gibt keinen anderen mehr.

Beim Eisklettern in den Helmcken Falls in Kanada

Du hast die drei großen Alpen-Nordwände solo und in großer Geschwindigkeit bestiegen, damit hat sich ein Kreis geschlossen – es sei denn, du willst dir den Eiger-Rekord wieder zurückholen. Machst du jetzt einen Haken hinter das Speedklettern?

Mit dem Rekord in der Grandes-Jorasses-Nordwand hat sich das schon ein bisschen erledigt. Mit größter Wahrscheinlichkeit werde ich nicht mehr an den Eiger zurückgehen. Ich möchte mir das Ganze aber offen lassen. Im Moment habe ich tatsächlich kein konkretes Speedprojekt, aber das kann sich bei mir schlagartig ändern. Ich glaube, ich habe damit noch nicht ganz abgeschlossen.

Wann werden wir dich wieder auf großer Expedition erleben?

Im Winter möchte ich Richtung Russland oder China zum Eisklettern aufbrechen. Ich war noch nie im Hochwinter dort. Ich möchte auch die Menschen in diesen extrem kalten Regionen treffen. Das fasziniert mich auch. Es gibt sicher kalte Finger dort! (lacht)

Kannst du auch ganz normal bergsteigen, ohne Hintergedanken an eine krasse Route?

Ja. Es gibt diese Tage, an denen ich keine Ambitionen habe und es einfach nur genießen kann. Ich liebe halt immer noch dieses Draußen-sein.

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David Göttler: „Mehrere Achttausender im Visier“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/david-goettler-mehrere-achttausender-im-visier/ Tue, 04 Sep 2018 13:56:14 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=41931

David Göttler

Sie haben zwei Zuhause. Den Winter verbringen der deutsche Profibergsteiger David Göttler und seine Lebensgefährtin Monica Piris in Chamonix am Mont Blanc, den Sommer in Monicas Heimat Nordspanien, zwischen Bilbao und Santander, „da, wo Spanien noch richtig grün ist“, schwärmt David. In diesem Sommer war Göttler – wie berichtet – mit leeren Händen aus Pakistan zurückgekehrt. Das schlechte Wetter hatte ihm und seinem Teamkameraden, dem Italiener Hervé Barmasse, am 7932 Meter hohen Gasherbrum IV im Karakorum einen Strich durch die Rechnung gemacht. Gestern feierte Göttler in Spanien seinen 40. Geburtstag – nicht in den Bergen, sondern auf der Baustelle, wie er mir erzählt, als ich ihm nachträglich gratuliere: „Ich habe meinen Trainingsraum fertiggestellt. Von daher war es auch ein guter Tag.“

40 Jahre, David, das ist schon eine Marke. Viele blicken dann auf ihr Leben zurück oder schmieden Pläne für die Zukunft. Du auch?

Für mich war es eigentlich ein ganz normaler Geburtstag. Allerdings grübelt man schon ein bisschen darüber nach, dass jetzt vielleicht die Mitte des Lebens erreicht ist. Ich habe nicht das Gefühl, etwas verpasst oder falsch gemacht zu haben. Aber ich freue mich auch auf die nächsten 40 Jahre. Mein Vater wird im nächsten Winter 79 Jahre alt und ist noch jeden Tag in den Bergen unterwegs, mit dem Gleitschirm oder Snowboard oder beim Klettern. Wenn ich von diesen Genen nur ein bisschen geerbt habe, dann habe ich noch weitere 40 gute Jahre vor mir. Gerade im Höhenbergsteigen kann ich jetzt noch in den nächsten Jahren gute Sachen machen. Und darauf freue ich mich total.

David mit Ueli Steck (l.) im Frühjahr 2016

Hast du vielleicht gestern auch an Ueli Steck gedacht, mit dem zusammen du im Frühjahr 2016 an der Shishapangma-Südwand warst. Er ist im vergangenen Jahr am Nuptse tödlich abgestürzt – mit vierzig Jahren. Machst du dir Sorgen, du könntest auch selbst einmal die Schraube überdrehen?

Ich versuche eigentlich immer, sehr bewusst mit dem Risiko umzugehen – wie Ueli es übrigens auch getan hat.  Ich habe gestern im Laufe des Tages schon mal an ihn gedacht, aber eher mit Blick auf meine Zukunft: Es wäre so schön gewesen, mit ihm neue Ziele planen zu können.

Welche Ziele hast du dir denn gesteckt?

Ich habe mir erst mal vorgenommen, im Flachland einen Marathon in einer vernünftigen Zeit zu laufen. Das werde ich wahrscheinlich Anfang Dezember angehen. Auf längere Sicht, für die nächsten etwa fünf Jahre, habe ich ein paar Achttausender, die mich besonders interessieren. Auch der Gasherbrum IV, an dem Hervé und ich in diesem Sommer waren, ist noch auf der Liste.

Yoga im Basislager

Welche Achttausender hast du konkret im Visier?

Ich habe mich noch nicht entschieden, in welcher Reihenfolge ich sie angehe. Aber einer der Achttausender auf meiner Liste ist der Kangchendzönga, an dessen faszinierender Nordseite 2003 meine Achttausenderkarriere begann und an dem ich mich gerne noch einmal versuchen möchte. Dann der Nanga Parbat, ein super spannender Berg, an dem ich schon einmal im Winter war (2014 hatte er mit dem Polen Tomek Mackiewicz ein Höhe von 7200 Metern erreicht). Der Mount Everest ohne Sauerstoff ist für mich ebenfalls noch ein Ziel, auch wenn dort so viele Menschen unterwegs sind. Ich würde es gerne mal ausprobieren, wie sich die letzten quasi 400 Höhenmeter mehr anfühlen im Vergleich zu den anderen Achttausendern, die ich bisher gemacht habe (David hat bisher fünf 8000er bestiegen: Gasherbrum II, Broad Peak, Dhaulagiri, Lhotse und Makalu). Auch der Gasherbrum I, den ich mir in diesem Sommer vom G IV aus angesehen habe, bietet noch viele Möglichkeiten für neue oder ungewöhnliche Touren jenseits des Normalwegs.

Mit Herve Barmasse (r.)

Du warst mit Herve Barmasse am Gasherbrum IV. Wie ist es euch dort ergangen?

Es war vom Wetter her eine super merkwürdige Saison im Karakorum. Die Leute wurden vielleicht von der Nachricht geblendet, dass es am K 2 so viele Gipfelerfolge wie nie zuvor gab. Aber auch am K 2 ist der Kommerz inzwischen angekommen: Von unten bis oben wird der Weg gesichert, viele Sherpas sind im Einsatz, treten die Spur und stellen die Lager auf. Fast alle waren mit Sauerstoff oben. An den anderen Achttausendern sah es ganz anders aus. Am Gasherbrum I und am Gasherbrum II etwa waren jeweils nur zwei Bergsteiger am Gipfel, Luis Stitzinger und Gianpaolo Corona am G I, Adam Bielecki und Felix Berg am G II. Das schlechte Wetter und die daraus resultierenden schwierigen Bedingungen am Berg haben uns auch am Gasherbrum IV zu schaffen gemacht und einen wirklichen Gipfelversuch verhindert.

Wie hoch seid ihr gekommen?

Unseren höchsten Punkt haben wir noch während der Akklimatisationsphase mit 7100 Metern erreicht, unterhalb der Ostwand. Beim Gipfelversuch sind wir nur bis Lager 1 auf 6000 Metern gekommen. Es hat die ganze Nacht geschneit, am Morgen immer noch, dazu null Sicht. Wegen zu hoher Lawinengefahr sind wir dann umgekehrt.

Unterwegs am Gasherbrum IV

Nicht nur ihr seid wegen des anhaltend schlechten Wetters mit leeren Händen heimgekehrt. Wie schon in den letzten Jahren waren die Verhältnisse in der klassischen Sommersaison im Karakorum  problematisch. Sollte man wegen der Auswirkungen des Klimawandels später im Jahr anreisen?

Wir haben im Basislager darüber diskutiert. Vielleicht muss man wirklich nicht mehr zu diesen „Old-School-Wetterfenstern“ anreisen, in denen früher die besten Verhältnisse herrschten. Das Klima verschiebt sich. Nicht nur niederschlagsreiche, sondern auch zu heiße und trockene Sommer sind für viele Projekte eher schlecht. Ich denke, man muss vielleicht künftig wirklich experimentieren und zu anderen Zeiten in den Karakorum reisen. In der klassischen Sommersaison scheint es immer schwieriger zu werden. 

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Hansjörg Auer nach seinem Solo-Erfolg in Pakistan: „Der Teufel schläft nie“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/hansjoerg-auer-nach-seinem-solo-erfolg-in-pakistan-der-teufel-schlaeft-nie/ Wed, 25 Jul 2018 10:30:25 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=41523

Hansjörg Auer in der Westwand des Lupghar Sar West

„Es war schon sehr, sehr lässig und intensiv“, erzählt mir Hansjörg Auer. Nach seinem erfolgreichen Soloprojekt im Hunza-Gebiet im Norden Pakistans ist der österreichische Top-Bergsteiger wieder zurück im heimischen Ötztal. Wie berichtet, hatte der 34-Jährige erstmals die rund 1000 Meter hohe Westwand des selten versuchten 7157 Meter hohen Lupghar Sar West durchklettert – und das im Alleingang. Zunächst stieg Hansjörg vom Basislager zu einem Biwakplatz am Wandfuß auf etwa 6200 Metern auf. Von dort brach er am 7. Juli um fünf Uhr morgens auf und kletterte in sechseinhalb Stunden bis auf den Gipfel. Um 20 Uhr war Auer wieder zurück im Basislager.

Hansjörg, du hast im Vorfeld gesagt, du wolltest wissen, wie es ist, allein in der Wand eines sehr hohen Bergs. Wie war es denn?

Lupghar Sar in Nordpakistan

Seit unserer Erstbesteigung des 7400 Meter hohen Kunyang Chhish East 2013 habe ich mir diese Frage immer wieder gestellt. Ich habe gewartet, bis der richtige Moment gekommen war. In diesem Jahr war es so weit. Es hat sich sehr, sehr gut angefühlt. Es war natürlich ganz anders als im Team. Man ist viel fokussierter, man fühlt sich auch stärker, wie abgerichtet auf ein Ziel. Insgesamt gesehen ist es weniger emotional, als ich es normalerweise gewohnt bin. Aber wenn es dann doch emotional wird, ist es viel intensiver, weil man alleine ist und den starken Drang hat, es irgendwie zu schaffen.  

Worin bestand für dich die besondere Herausforderung, alleine durch diese Wand zu klettern?

Es ging nicht so sehr darum, eine schwierige Route zu klettern, sondern wirklich um das Alleine-sein. Man ist in der Höhe generell sehr exponiert. Das wird noch multipliziert, wenn man alleine unterwegs ist und keinen Freund oder Kletterpartner quasi als Back-up hat. Es ist auch mental schwieriger. Wenn du mal eine schlechte Phase hast und zweifelst, ist da keiner, der dich auffängt und motiviert. Man muss es selbst hinkriegen.

Selfie aus dem Biwakzelt

Gab es denn Momente, in den du gezweifelt hast?

Klar gab es die. Als ich am Abend im Biwak lag, habe ich mich schon gefragt, ob ich es schaffe. Dann sagte ich mir, dass ich schon so viele Soloprojekte hinter mir habe. Das hat geholfen. Außerdem bin ich jetzt schon bald Mitte 30 und habe viel Erfahrung. Auch das hilft natürlich.

Hattest du dir die Route im Vorfeld exakt ausgeguckt?

Ich hatte zwei Linien im linken Wandteil im Kopf. Ich wartete dann auf meine innere Stimme. Schließlich entschied ich mich für ein eisiges Couloir und mehrere Eisfelder hinauf zum Nordwestgrat, den ich auf etwa 6900 Metern erreichte. Über den Grat stieg ich dann zum Gipfel.

Wie sehr warst du am Limit?

Blick in die Tiefe

Es lief relativ flüssig. Ich hatte eigentlich noch ein zweites Biwak im Aufstieg geplant. Aber ich kam relativ schnell voran. Auf 6700 Metern fand ich,  dass der Gipfel nicht mehr so weit entfernt sei und liebäugelte damit, direkt hinaufzuklettern. Schon im Vorfeld hatte ich gedacht, dass man die Wand eigentlich nonstop klettern könnte. Weil das Wetter aber nicht so beständig war und ich fürchtete, dass mich unter Umständen am Grat ein Schneesturm erwischen könnte, habe ich das Zelt mitgenommen. Aber dann deponierte ich meinen Rucksack auf 6900 Metern und kletterte die letzten 250 Höhenmeter zum Gipfel ohne Material hinauf.

Die Route durch die Wand war technisch gesehen natürlich nicht so schwierig wie Routen, die man im Team klettern kann. Der Grat war exponiert, mit sehr brüchigem Fels, sodass ich aufpassen musste. Beim Abstieg habe ich mehr sehr viel Zeit gelassen. Am Bergschrund ist eine Schneebrücke gebrochen, und ich bin 50 Meter abgerutscht. Es ist nichts passiert, weil der Schnee weich war. Schlussendlich ist alles gut gegangen.

Was nimmst du von diesem Soloprojekt in Pakistan mit? Wirst du künftig wieder im Team unterwegs sein? Oder hast du jetzt Blut geleckt und denkst: In dieser Form – allein in großer Höhe kletternd – ist für mich noch mehr drin?

Auf dem Gipfel

Natürlich habe ich in Sachen Soloklettern immer viele Projekte im Kopf. Für mich ist es jedoch wichtig, dass der richtige Moment kommt und ich mir keinen Druck mache. Deshalb kann ich im Augenblick dazu noch gar nichts sagen. Nur so viel: Den technischen Linien in großer Höhe werde ich treu bleiben. Es ist natürlich auch im Team sehr herausfordernd, auf sehr hohen Berge neue Routen zu klettern, weil man in einer Seilschaft technisch sehr viel mehr ans Limit gehen kann.

Generell ist es nicht einfach für die Familie und die Freunde, wenn ich allein losziehe. Diesmal hat mir vor der Expedition niemand gesagt, dass es eine schlechte Idee sei. Noch kurz vor meiner Abreise hat mich Simon Anthamatten (Schweizer Bergsteiger, mit dem Hansjörg und sein Bruder Matthias Auer 2013 den Kunyang Chhish East erstbestiegen hatte) angerufen und mich in meiner Vision bestärkt. Das war sehr angenehm. Es wäre ungemein schwieriger, wenn alle sagen würden: „He, was machst du für einen Scheiß?“

Hansjörg Auer

Legst du jetzt erst mal die Füße hoch?

Letzte Woche fühlte ich mich schon sehr müde. Es dauert halt, bis man sich erholt hat – auch im Kopf. Aber jetzt gehe ich wieder in den Alpen klettern. Ich habe zum Beispiel noch vor, eine neue Route in der Marmolata-Südwand zu erschließen. Für mich reicht eine Expedition in großer Höhe pro Jahr aus. Ich denke mir, der Teufel schläft nie. Du willst natürlich nie mit dem aufhören, was du gerne machst. Aber um das Risiko zu minimieren, sollte man mehr auf Qualität als Quantität setzen.

P.S.: Allen, die noch eine tolle Bergsteiger-Lektüre für laue Sommerabende suchen, kann ich Hansjörgs vor seiner Expedition erschienenes Buch „Südwand“ ans Herz legen – in dem er sehr offen und ehrlich über gute und auch schlechte Tage seiner Kletterkarriere berichtet.

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Tendi Sherpa: „Springe nicht gleich auf den Everest!“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/tendi-sherpa-springe-nicht-gleich-auf-den-everest/ Thu, 12 Apr 2018 15:25:51 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=40143

Tendi Sherpa

Die Rekorde überlässt er anderen. „Ich könnte irgendetwas anstellen, um mir einen Rekord am Everest zu sichern. Aber ich will das nicht, weil ich so großen Respekt vor den Bergen habe“, sagt mir Tendi Sherpa. „Ich habe kein Problem mit anderen, die Rekorden hinterherjagen. Aber mein Ziel ist einfach, Berge zu besteigen und als ganz normaler Bergführer zu arbeiten. Ich muss nicht super berühmt sein.“ Bekannt ist Tendi schon jetzt. Elfmal hat er den Mount Everest bestiegen, achtmal von Süden, dreimal von Norden her. In diesem Frühjahr könnte Gipfelerfolg Nummer zwölf folgen. Der 34-Jährige begleitet als Sirdar, also als Chef-Sherpa, eine Expedition des US-Anbieters „Climbing the Seven Summits“ auf der nepalesischen Südseite des höchsten Bergs der Erde. Fünf seiner Kunden wollen auf den Everest, zwei auf den Lhotse.

Tendi: No Everest record man

Mit sieben ins Kloster

Tendi mit seinem Bruder Karma Nima (r.)

Viel hätte nicht gefehlt, und Tendi Sherpa wäre heute ein buddhistischer Mönch. Als er sieben Jahre alt war, schickten ihn seine Eltern als ältesten Sohn ins Kloster. Mit zwölf Jahren kehrte er in sein Heimatdorf nahe dem Achttausender Makalu zurück, weil sich herausstellte, dass sich sein Bruder eher für die religiöse Laufbahn eignete als Tendi: „Mein Bruder interessierte sich mehr dafür, Mönch zu werden. Ich spielte viel und wollte immer nur auf Entdeckungsreise gehen.“ Sein Vater verdiente den Lebensunterhalt als Träger bei Trekkinggruppen und brachte für seine Kinder immer Schokolade und Spielsachen mit. „Er sagte: ‚Das ist ein Geschenk der Touristen‘. Ich wollte diese Touristen mit eigenen Augen sehen“, erinnert sich Tendi.

Barfuß in Kathmandu

Er nervte seine Eltern so lange, bis sie ihn mit 13 Jahren nach Kathmandu ziehen ließen. „Ich hatte weder Schuhe noch Sandalen. Ich wusste überhaupt nicht, dass es so etwas gibt“, erzählt der Sherpa. „Ich sagte: Was ist denn hier los? Wo sind eure Füße? Ich habe alle Finger und Zehen, und ihr habt nichts!“

Tendi: Without shoes to Kathmandu

Seinen ersten Job als Träger bekam Tendi, obwohl der Inhaber der Trekkingagentur ihn eigentlich als zu jung und zu schwach abgelehnt hatte. Ein Freund seines Vaters riet ihm, sich im Bus zu verstecken und sich erst zu rühren, wenn sie unterwegs seien. „Ich war so klein, dass ich unter den Sitz passte“, erinnert sich Tendi. „Noch heute gucke ich jedes Mal unter den Bussitz und frage mich: Wie konnte ich da nur reinpassen?“

Tendi: Hidden under the seat of the bus

43 Kilo auf dem Rücken

Thorong La, höchster Punkt der Annapurna-Runde

Dreieinhalb Wochen lange schleppte der kleine Sherpa eine Last von 43 Kilogramm über die Annapurna-Runde – für einen Lohn von anderthalb Dollar pro Tag. „Anfangs konnte ich am Abend meinen Hals nicht mehr bewegen. Ich musste den ganzen Körper drehen“,  sagt Tendi. „Ich habe aus diesem Trekking gelernt, dass man nicht mit 13 Jahren als Träger arbeiten sollte. Auch nicht mit 15, frühestens mit 18.“ Heute beschäftige er bei seinen Unternehmungen immer einen Träger-Führer, der über die Berge, Klettertechniken und die Höhenkrankheit Bescheid wisse und sich um die richtige Kleidung und Ausrüstung der Träger kümmere.

Auf dem Dach der Welt

Zum elften Mal auf dem Everest (2016)

2003 arbeitete Tendi erstmals am Everest, als Mitglied einer japanischen Reinigungs-Expedition. 25 Sherpas brachten damals insgesamt acht Tonnen Müll vom Berg, Tendi stieg bis zum Südsattel auf rund 8000 Metern auf. „Es war sehr wichtig für mich, meinen Beruf am Everest so zu beginnen“, sagt Tendi. „Es lehrte mich Respekt vor dem Berg, vor den Menschen, vor der Umwelt, wie wir den Berg sauber halten sollten.“ 2004 führte er erstmals einen Kunden über den Nordostgrat zum Gipfel des Everest: „Wir gingen immer weiter. Plötzlich waren da viele Gebetsfahnen. Da erst kapierte ich: Ich stehe ganz oben auf dem Everest, jetzt ist alles gut.“

Tendi: First time on Everest summit

Beim Abstieg rettete Tendi seinem Kunden aus Bulgarien das Leben, als er ihm auf 8700 Metern seine Atemmaske und Sauerstoffflasche überließ. „Der Gipfel des Everest war für mich nicht der wirkliche Gipfel“, erzählt der Sherpa. „Den hast du erst erreicht, wenn du wieder sicher zu Hause bist, deine Familie triffst, deinen Erfolg feierst und deine Erfahrungen weitergibst. Wenn du da oben dein Leben verlierst, ist alles sinnlos.“

Tendi: The real summit of Everest

Immer mit Atemmaske

Mount Everest

Als Mitinhaber des nepalesischen Expeditionsveranstalters „TAGnepal“ hat für Tendi Sicherheit oberste Priorität. Deshalb benutze er am Everest auch stets Flaschensauerstoff. „Was ist, wenn ich auf dem Weg nach oben oder unten höhenkrank werde? Rettet dann mein Kunde mich, den Bergführer? Das wäre doch fürchterlich“, sagt Tendi und lacht. „Deshalb stelle ich sicher, dass ich Sauerstoff nutze und damit stark genug bin, um meinen Kunden im Notfall helfen zu können.“

Tendi: Not without oxygen on Everest

Hubschrauber-Rettung am Everest ist gefährlich

Hubschrauber-Retter

Der Sherpa hat ein Bergführer-Zertifikat der UIAGM (Internationale Vereinigung der Bergführerverbände). 2011 absolvierte er in Sion in der Schweiz auch ein Training für Hubschrauberrettung am langen Seil. Er warnt Everest-Kandidaten, sich darauf zu verlassen, dass im Notfall Hilfe aus der Luft kommt: „Eine Rettung am langen Seil oberhalb von 6000 Metern ist eigentlich zu gefährlich und wirklich hart. Der Hubschauber muss durch einen engen Korridor zwischen Nuptse, Lhotse und Everest fliegen. Nur wenn es wolkenfrei ist und kein Wind weht, ist eine Rettung möglich.“ Oberhalb des Südsattels müssten Bergsteiger, die in Not geraten sind, ohnehin erst einmal nach unten gebracht werden, sagt Tendi. „Je höher du kommst, desto schwieriger wird es auch für die Retter.“

Noch nie einen Knoten gemacht

Tendi im Khumbu-Eisbruch

Tendi beklagt, dass sich in den vergangenen Jahren viele unerfahrene Bergsteiger am Everest versucht hätten: „Einige wissen nicht einmal, wie man ein Seil nutzt, wie man Steigeisen oder einen Klettergurt anlegt. Sie haben noch nie einen Knoten gemacht.“ Im vergangenen Jahr habe er 28 Anfragen für den Everest erhalten, berichtet der Bergführer. „Ich habe keinen von ihnen akzeptiert.“ Tendi Sherpa rät solchen Leuten, erst einmal an niedrigeren Bergen alpine Erfahrung zu sammeln: „Du bist reich und hast das nötige Kleingeld. Dann springe nicht gleich auf den Everest! Gehe erst mal trainieren!“

Tendi: Don’t just jump on Everest!

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Paul Ramsden: „Beim Klettern ist der Stil alles“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/paul-ramsden-beim-klettern-ist-der-stil-alles/ Thu, 14 Dec 2017 14:16:44 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=38839

Paul Ramsden

Er ist alles andere als ein Selbstdarsteller. Paul Ramsden gehört nicht zu den Extrembergsteigern, die sich vermarkten wollen und darauf aus sind, ständig im Rampenlicht zu stehen. Dabei hätte er es durchaus verdient – die Liste seiner Erstbegehungen im Himalaya ist lang. So durchstieg der Brite im Herbst 2016 zusammen mit seinem Landsmann Nick Bullock erstmals die extrem anspruchsvolle Nordwand des 7046 Meter hohen Nyainqentangla South in Tibet. Dafür wurde er kürzlich mit dem Piolet d’Or ausgezeichnet. Es war bereits das vierte Mal, das Ramsden den „Oscar der Kletterer“ erhielt. Und das, obwohl der 48-Jährige kein Profibergsteiger ist. Er verdient sein Geld als selbständiger Arbeitshygieniker, der Unternehmen berät und Gutachten erstellt.

Paul, du bist kein Profibergsteiger, hast einen Job und eine Familie. Was motiviert dich, Jahr für Jahr in entlegene Regionen des Himalaya aufzubrechen, um unbestiegene Berge, Wände oder Grate anzugehen?

Ich liebe die Berge, so einfach ist das. Aber da ich nicht in den Bergen lebe oder arbeite, verbleibt meine Begeisterung für die Zeit, in denen ich sie besuche. Kurioserweise finde ich es schwieriger, bei all den Verpflichtungen durch Familie und Arbeit einfach mal am Wochenende zum Klettern zu fahren, als einmal im Jahr auf Expedition zu gehen.

Was macht für dich echtes Abenteuer aus?

Gipfelselfie von Paul (l.) mit Nick Bullock (r.)

Echtes Abenteuer bedeutet, nicht zu wissen, wie es ausgeht. Wenn der Erfolg ungewiss ist, erlebst du ein Abenteuer. Allerdings ist für mich das Abenteuer so eng mit dem Kletterstil verbunden, dass diese beiden Dinge untrennbar sind. Die britische Klettertradition ist immer so gewesen.

Wie wichtig ist es für dich, in sauberem Stil zu klettern?

Stil ist alles, ohne einen sauberen Stil wird Klettern zu einer bedeutungslosen körperlichen Aktivität. Guter Stil bedeutet für mich, im reinen Alpinstil zu klettern, kleines Team, keine Bohrhaken, keine Fixseile, keine Unterstützung von außen.

Wieviel Risiko bist du bereit einzugehen?

Ich bemühe mich wirklich, die Risiken auf ein Minimum zu reduzieren. Ich bin sehr wählerisch, wenn ich mich für eine Route entscheide. Dafür schätze ich immer die objektiven Gefahren ein, und die Möglichkeiten, wieder herunterzukommen. Das Risikomanagement in meinem Kopf ist ein stetiger Prozess und schwierig zu beschreiben, aber ich bin schon auf vielen Routen umgekehrt.

Die Route am Nyainqentangla South East

Worin liegt dein Erfolgsgeheimnis?

Wenn ich ehrlich sein soll, ich weiß es nicht. Ich denke, es ist vielleicht eine Kombination aus Erfahrung, Urteilsvermögen und Klettern in einem Stil, der meinen Fähigkeiten und meinem Temperament entspricht.

Du bist über viele Jahre mit Mick Fowler geklettert, nun mit Nick Bullock. Welche Kriterien muss ein perfekter Teampartner erfüllen?

Der perfekte Teampartner ist sicherheitsbewusst, hat eine gute Portion Humor (der britische Humor hilft in den Bergen sehr), ist aber auch darauf vorbereitet, das Maximum zu geben, wenn es darauf ankommt.

Bei Mick wurde in diesem Jahr Krebs diagnostiziert. Was hast du empfunden, als du davon erfahren hast?

Das war ein richtiger Schlag, eine totale Überraschung, weil er sehr gesund zu sein schien und mir immer unverwüstlich vorkam. Er hat seine Krebstherapie gerade abgeschlossen, und hoffentlich wird alles wieder gut. Da machst du dir schon Gedanken über die Zukunft und führst dir all die Dinge vor Augen, die du noch nicht geschafft hast.

Piolet-d’Or-Gewinner Ramsden (l.) und Mick Fowler (r.)

Du bist schon viermal mit dem Piolet d’Or, dem „Oscar der Bergsteiger”, ausgezeichnet worden, damit bist du der Rekordgewinner (mit Marko Prezelj). Bedeutet dir das irgendetwas?

Auf der einen Seite ist es ganz angenehm, von euch Kollegen wahrgenommen zu werden, andererseits hat es praktisch keinen Einfluss auf mein Leben. Da ich kein Profi, sondern ein Teilzeit-Kletterer bin, brauche ich wirklich weder Sponsoring noch Öffentlichkeit. Allerdings unterstütze ich den Piolet d’Or als ein Instrument, um Ethik und Stil im Bergsteigen zu fördern.

Hast du dir schon ein Kletterziel für das nächste Jahr gesetzt?

Ja, ich werde 2018 erneut mit Nick Bullock auf Expedition gehen. Allerdings bevorzuge ich es, meine Ziele geheim zu halten!

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Simone Moro wird 50: „Ich lebe noch“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/simone-moro-wird-50-ich-lebe-noch/ Thu, 26 Oct 2017 11:56:39 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=38283

Simone Moro

Es tut nicht weher als sonst. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Es ist eher eine mentale Herausforderung, die ersten 50 Jahre voll zu machen. Schließlich ist klar, dass dann definitiv die zweite Lebenshälfte beginnt. Zeit, Bilanz zu ziehen. An diesem Freitag feiert Simone Moro seinen 50. Geburtstag. Der Italiener kann schon jetzt mit seiner Karriere als Höhenbergsteiger mehr als zufrieden sein. Niemand sonst hat wie Simone vier Winter-Erstbesteigungen von Achttausendern auf dem Konto.

Mit dem Polen Piotr Morawski erreichte Moro 2005 erstmals in der kalten Jahreszeit den 8027 Meter hohen Gipfel der Shishapangma. Drei weitere Winter-Erstbesteigungen folgten: 2009 mit dem gebürtigen Kasachen Denis Urubko am Makalu (8485 Meter), 2011 mit Urubko und dem US-Amerikaner Cory Richards am Gasherbrum II (8034 Meter) und 2016 mit dem Spanier Alex Txikon und dem Pakistaner Muhammad Ali „Sadpara“ am Nanga Parbat (8125 Meter). Simone verzichtete bei allen diesen Aufsteigen auf Flaschensauerstoff. Im vergangenen Frühjahr hatte sich Moro gemeinsam mit der Südtirolerin  Tamara Lunger vorgenommen, die vier Gipfel des Kangchendzönga-Massivs zu überschreiten. Zwei Vorstöße endeten auf 7200 Metern, weil Simone an Bauchschmerzen litt.

Moro ist mit der Südtiroler Kletterin Barbara Zwerger verheiratet und hat eine 19 Jahre alte Tochter und einen siebenjährigen Sohn. Simone hat sich auch als Rettungshubschrauberpilot im Himalaya Verdienste erworben.

Simone, ein halbes Jahrhundert in den Knochen, wie fühlt sich an?

Na ja, ich lebe noch, habe noch alle Finger und Zehen und bin immer noch motiviert. Mein Gewicht ist dasselbe wie damals, als ich 25 Jahre alt war. Auch mein Trainingsumfang hat sich nicht geändert. Deshalb bin ich einfach glücklich. 

Simone mit Muhammad Ali (l.) auf dem Gipfel des Nanga Parbat

Dir sind Wintererstbesteigungen an den Achttausendern Shishapangma, Makalu, Gasherbrum II und Nanga Parbat gelungen. Ist dir eine unter diesen Pioniertaten besondern wichtig und wenn ja, warum?

An der Shishapangma habe ich nach 17 Jahren “Ruhe” die Winterspiele an den Achttausendern wieder eröffnet. Unser Erfolg am Makalu kam nach 39 Jahren Winterversuchen dort, und wir waren gerade mal zu zweit und in superleichtem Stil unterwegs. Die Winter-Erstbesteigung am Gasherbrum II war die erste überhaupt an einem Achttausender im ganzen Karakorum. Und am Nanga Parbat wurde ich der Erste mit Winter-Erstbesteigungen an vier verschiedenen Achttausendern. Also, wie sollte ich da eine herausheben können?

Was macht für dich die Faszination aus, die höchsten Berge der Erde im Winter zu besteigen?

Einsamkeit, Wildnis, Abenteuer, das Gefühl des Entdeckens, geringe Erfolgschancen, kein Rabatt bei den Schwierigkeiten, Wind, selten Schönwetterfenster. Eine Winterexpedion ist NICHT einfach die kalte Version einer Sommerexpedition. 

Im vergangenen Frühjahr am Kangchendzönga hattest du gesundheitliche Probleme. Müssen wir uns Sorgen machen?

Nicht wirklich. Ich habe einfach viele dumme Fehler gemacht. Ich trank im Basislager Coca Cola, Sprite und anderes Mistzeug und anschließend am Berg nicht ausreichend. Also macht euch keine Sorgen! Derzeit fühle ich mich und bin auch stark und gesund.

Ein starkes Team: Moro mit Tamara Lunger (l.)

Zuletzt warst du regelmäßig mit der Südtirolerin Tamara Lunger unterwegs. Siehst du dich in der Rolle ihres Mentors?

Ja, das war ich lange Zeit. Jetzt aber ist Tamara 31 Jahre alt, hat eine Menge gelernt und ist absolut unabhängig. Aber wir arbeiten so gut zusammen. Das findet man nicht oft. Deshalb ist es besser, unseren Teamgeist als zusätzliche Kraft zu erhalten.

Wohin wird dich deine nächste Expedition führen?

Leider kann ich noch nicht verraten, wohin ich gehe. Ich kann aber so viel sagen, dass ich im kommenden Winter unterwegs sein werde und dass es wahrscheinlich die kälteste Besteigung wird, die ich jemals versucht habe.

Wenn du drei Wünsche für die zweite Lebenshälfte offen hättest, welche wären das?

Gesundheit, Gesundheit und Gesundheit. Für den Rest sorge ich selbst. Ich hatte und habe alles. Und nur GOTT kann mir Gesundheit schenken, auch wenn ich schon so viel wie möglich tue, um ein gesundes Leben zu führen …

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Alexander Huber: „Der Ogre ist kein Menschenfresser“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/alexander-huber-der-ogre-ist-kein-menschenfresser/ Sat, 24 Jun 2017 11:02:09 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=36771

Alexander Huber

Der Ogre wirkt auf die „Huberbuam“ wie der Gesang der Sirenen in der griechischen Mythologie: Die beiden deutschen Topkletterer können sich dem Ruf dieses faszinierenden Granitriesen kaum entziehen. Immer wieder in ihren langen Karrieren sind Alexander und Thomas Huber zum Ogre-Massiv im Karakorum oder den nahe gelegenen Gipfeln der Latok-Gruppe aufgebrochen. 1999 scheiterten sie gemeinsam beim Versuch, den 7285 Meter hohen Ogre I zu besteigen. 2001 schaffte Thomas mit den beiden Schweizern Urs Stoecker und Iwan Wolf die zweite Besteigung des Bergs. Die erste war am 13. Juli 1977, also vor fast 40 Jahren, den Briten Chris Bonington und Doug Scott gelungen. Der Abstieg wurde zum Drama mit glücklichem Ausgang: Scott brach sich beide Knöchel, Bonington zwei Rippen. Dennoch erreichten beide, unterstützt von den anderen Teammitgliedern, eine Woche nach dem Gipfelerfolg das Basislager. Eine der großen Überlebensgeschichten an den höchsten Bergen der Welt.

Mit Freunden ist es einfacher

Gestern ist Alexander Huber zum Ogre aufgebrochen. Zu seinem Team gehören die beiden Osttiroler Mario Walder und Christian Zenz sowie der Schweizer Dani Arnold. Mit Dani (und Thomas Senf)  hatte Alexander im vergangenen März eine neue Route durch die Matterhorn-Nordwand eröffnet, mit Mario und Christian war ihm im Sommer 2016 am Ritterknecht in Ostgrönland eine Erstbegehung geglückt. „Man greift gerne auf Partner zurück, die man kennt“, sagt Alexander Huber. Seine drei Gefährten seien nicht nur gute, kompetente Bergsteiger, sondern auch Freunde. „Man muss ja doch viel Zeit gemeinsam verbringen, oft Momente mit Anspannung durchleben. Umso mehr die menschliche Chemie passt, umso besser ist es.“ Ich habe mit dem 48-Jährigen, dem jüngeren der Huberbuam, vor seiner Abreise nach Pakistan über die Expedition gesprochen.

Alexander, es zieht euch zum Ogre, einem Siebentausender im Karakorum. Was genau habt ihr vor?

Ogre I (l.) und Ogre II, Ostpfeiler führt vom Sattel links aufwärts

Wir würden gerne den Ostpfeiler erklettern. Diese Route wurde bis heute noch nicht begangen. (Mehrere Versuche über die Ostseite scheiterten, so drehte ein spanisches Team 1992  im Schneesturm auf einer Höhe von 6500 Metern um.) Aber es ist weniger die Idee, an diesem Berg eine Erstbegehung zu kreieren, sondern überhaupt den Gipfel zu erreichen. Es ist einer der exklusivsten Gipfel unserer Erde, einer der schwierigsten Punkte, die man erreichen kann. Thomas hat ja 2001 die Zweitbesteigung des Ogre realisiert, seitdem gab es nur eine weitere Besteigung (2012 durch die US-Amerikaner Kyle Dempster und Hayden Kennedy). Daran sieht man: Es ist kein einfacher Gipfel, aber genau deswegen wollen wir hin.

Nur drei Besteigungen. Und es mangelte ja nicht an Versuchen, es gab weit über 20 Expeditionen an diesem Berg. Was macht ihn so schwierig?

Der Ogre ist einfach ein unheimlich komplexer Berg mit vielen objektiven Gefahren, durch die Seracs, die sich praktisch auf allen Seiten befinden. Deswegen ist auch der Ostpfeiler unser Ziel, weil er aus meiner Sicht frei von objektiven Gefahren ist. Aus der Ferne eingeschätzt, glaube ich, dass wir über diesen Weg allen Seracs aus dem Weg gehen können. Wie es sich dann in der Realität verhält, werden wir sehen. Aber ich hoffe, dass wir damit den maximal sicheren Weg zum Gipfel des Ogre erkunden und realisieren.

Alexander Huber: Ein unheimlich komplexer Berg

Ogre heißt übersetzt „Menschenfresser“. Trägt dieser Berg seinen Namen zu Recht?

Die Ogre-Erstbesteiger Bonington (l.) und Scott (im April 2015)

Das kann man eigentlich nicht sagen. Es gab zwar einen Unfall, bei dem ein Bergsteiger ums Leben gekommen ist. (Bei einer deutschen Expedition, die sich 1993 am Ogre-Südpfeiler versuchte, stürzte der Schweizer Philipp Groebke tödlich ab.) Aber er ist sicher nicht der Menschenfresser an sich. Dafür ist er als Berg einfach viel zu anspruchsvoll. Das heißt, die Bergsteiger, die sich vornehmen, einen Ogre zu besteigen, sind allesamt kompetente, starke Bergsteiger, die genau wissen, was sie tun. Gefährlich wird das Bergsteigen ja meist immer dann, wenn inkompetente Leute versuchen, einen Gipfel zu erreichen. Das Musterbeispiel dafür im Himalaya ist sicher der Mount Everest. Dort wird auch in der Zukunft noch viel gestorben werden, weil viele Leute den Berg besteigen wollen, ohne die Kompetenz zu haben. Insofern hat der Ogre seinen Namen nicht verdient. Er ist kein Menschenfresser.

Aber eigentlich ist das ja auch nicht sein ursprünglicher Name, sondern Baintha Brakk. Baintha ist eine Wiese am Rande des Biafo-Gletschers, von der aus der höchste Punkt des Bergs als dominanter Gipfel zu sehen ist. Brakk heißt Spitze. Es ist also die Spitze, die man von der Wiese Baintha aus sieht. Ich bin ja sowieso der Meinung, man sollte zu ursprünglichen Namen der Berge zurückkehren. Der Mount McKinley ist der Denali, der Mount Everest von der tibetischen Seite aus der Chomolungma, von der nepalesischen die Sagarmatha, der K 2 der Chogori, und der Ogre ist an sich der Baintha Brakk.

Alexander Huber: Ogre ist kein Menschenfresser

Alex, Mario und Dani (v.l.) 2015 auf dem Gipfel des Sechstausenders Panmah Kangri

Die letzten Sommer im Karakorum waren sehr warm. Das führte dazu, dass viele Expeditionen scheiterten. Welches Wetter eröffnet euch eine reelle Chance am Ogre?

Wenn wir das gleiche Schicksal wie vor zwei Jahren  (damals waren die Huber-Brüder mit Mario Walder und Dani Arnold in der Latok-Gruppe unterwegs) haben, als die Null-Grad-Grenze über mehrere Wochen bei 6500 Meter und höher lag, werden wir auch in diesem Jahr Probleme bekommen. Ich denke, das Bergsteigen wird sich in der Zukunft aufgrund des Klimawandels ohnehin verändern. Die Bergsteiger müssen sich darauf einstellen. Wenn die Null-Grad-Grenze weiter so massiv ansteigt, werden wir beizeiten auf die Herbst- oder Frühjahrssaison ausweichen müssen. Ich habe jetzt trotzdem noch einmal die Sommersaison gewählt, weil ich der Überzeugung bin, dass es auf dem Weg zum Gipfel des Ogre eminent wichtig ist, dass man gerade in Gipfelnähe nicht die tiefen Temperaturen hat. Vielleicht haben wir das Glück, dass diesmal die Verhältnisse passen. Das Wetter ist schwer zu interpretieren. Aber das sind eben die Herausforderungen, denen man sich heute stellen muss.

Ihr habt ja 2014 schon einmal eine Expedition nach Pakistan wegen der brisanten politischen Lage abgesagt. Fährst du wieder mit einem mulmigen Gefühl dorthin?

Leider kann man heute in Pakistan nicht mehr so reisen wie vor 20 Jahren. Ich habe Pakistan noch zu einer Zeit kennenlernen dürfen, wo es diese Division in westliche Welt und muslimische, arabische Welt nicht gab. Damals konnte man sich frei in diesem Land bewegen. Wenn man heute über das freie Land reist, kann man sich nie sicher sein, dass es nicht doch zu Anschlägen kommt, gerade auf Touristen. Deswegen gibt es auch keinen Tourismus mehr in Pakistan. Die Leute, die heute noch in das Land reisen, sind ausschließlich Bergsteiger, die ein ganz konkretes Ziel haben. Wenn wir dorthin reisen, sind wir wirklich undercover unterwegs, das heißt wir sind nicht sichtbar.

Alexander Huber: In Pakistan undercover unterwegs

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Kammerlander: „Ich möchte am Manaslu meinen Weg beenden“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/kammerlander-ich-moechte-am-manaslu-meinen-weg-beenden/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/kammerlander-ich-moechte-am-manaslu-meinen-weg-beenden/#comments Wed, 14 Jun 2017 12:50:56 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=36671

Hans Kammerlander

Er will einen Schlussstrich ziehen. Der Südtiroler Hans Kammerlander will im Spätherbst in Nepal den 8163 Meter hohen Manaslu besteigen und damit sein Trauma von 1991 endgültig hinter sich lassen. Während eines Gipfelversuchs waren damals seine beiden Freunde Friedl Mutschlechner und Karl Großrubatscher bei einem Wettersturz ums Leben gekommen. Kammerlander erklärte seinerzeit, er werde niemals mehr zum Manaslu zurückkehren. In den Jahren zuvor hatte Hans an der Seite Reinhold Messners Alpingeschichte geschrieben. So gelang den beiden 1984 am Gasherbrum I und Gasherbrum II in Pakistan die erste Achttausender-Doppelüberschreitung, und das im Alpinstil.

„Kein Alpinismus“

Insgesamt bestieg Kammerlander bisher zwölf der 14 Achttausender. Vom Mount Everest fuhr er 1996 vom Gipfel mit Skiern über die tibetische Nordseite ab. Weil es eine schneearme Saison war, musste Hans mehrfach die Abfahrt unterbrechen. Heute hat er das Interesse am Everest verloren. „Ich verfolge das gar nicht mehr. Normale Everest-Besteigungen sind für mich kein Alpinismus. Sauerstoff, präparierte Berge, die Sherpas machen alles klar“, sagt mir der heute 60-Jährige. „Aber jeder soll es so machen, wie er es für richtig hält. Er soll nur keinen Müll dort oben lassen. Er soll den Berg sauber verlassen, dann ist es für mich okay.“ Ich habe mit Kammerlander über sein Manaslu-Projekt gesprochen, das er zusammen mit dem Nordtiroler Bergführer Stephan Keck realisieren will.

Hans, Manaslu heißt übersetzt „Berg der Seele“. Liegt dir der Manaslu immer noch auf der Seele?

Manaslu (l.) und Pinnacle East (r.)

Ja, natürlich. Wenn du mit solchen Schicksalsschlägen konfrontierst wurdest, wie ich am Manaslu, wo ich bei einem Versuch meine zwei damals sehr, sehr engen Freunde verloren habe, dann liegt dir so ein Berg mehr auf der Seele als einer, an dem du die größten Erfolge erzielt hast, wie der Everest oder der Nanga Parbat.

Du hast damals gesagt: Dieses Erlebnis war so traumatisch, dass ich nie mehr zum Manaslu zurückkehren will. Warum der Sinneswandel?

Ich wollte wirklich nicht mehr zurück. Ich dachte immer, das könnte nur die Wunden aufreißen. Vor einigen Jahren (2006) ist in Nepal bei einem Versuch am (7350 Meter hohen) Jasemba – wir waren zu zweit – ein sehr guter Freund von mir (Luis Brugger) beim Abseilen tödlich abgestürzt. Wir waren zu zweit. Im Jahr danach war ich wieder dort, und ich habe mit Karl Unterkircher die Begehung erfolgreich abgeschlossen. Ich habe festgestellt: Es ist besser, nach vorne zu gehen und nicht den Kopf in den Sand zu stecken und aufzuhören. Da entstand die Idee, vielleicht doch noch einmal an den Manaslu zurückzukehren, ohne Leistungsdruck, einfach ganz entspannt versuchen, auf den Berg zu gehen und damit einen Weg zu beenden. Das werden wir in diesem Jahr versuchen. Wir werden einen großen Kinofilm drehen. Er soll nicht reißerisch sein, sondern in die Tiefe gehen. Es wird ein Porträt meines Lebens, mit Höhen und Tiefen. Und der Manaslu ist das Hauptthema.

Starke Seilschaft: Kammerlander/Messner (hier 1991)

Du hast irgendwann einmal geschrieben, dass du dich jahrelang mitschuldig am Tod der beiden Freunde gefühlt hast und dir das Unglück damals auch die Fähigkeit genommen hat, dich am Berg zu freuen. Bist du in dieser Hinsicht inzwischen mir dir im Reinen?

Ja, vollkommen. Aber es ist natürlich klar: Als Expeditionsleiter fühlt du dich immer ein bisschen schuldig. Ich wollte damals Freunden die Chance geben, einen Achttausender zu besteigen, so wie Reinhold Messner es mit mir gemacht hat, als ich ein junger Bergsteiger war. Dann erreichen wir den Gipfel nicht und die beiden Topfreunde verunglücken. Obwohl du keine Schuld hast, bedrückt es dich sehr. Und doch möchte ich den Menschen jetzt sagen: Egal, was euch im Leben passiert, geht nach vorne. Wenn jemand eine Treppe herunterfällt und sich verletzt, kann er nicht ein Leben lang Treppen meiden. In diesem filmischen Porträt werden nicht nur glänzende Erfolge, sondern auch tiefe Schmerzen vorkommen, die mir im Leben sehr oft passiert sind: durch den Verlust von Freunden, durch einen schweren Autounfall, wo ich selbst die Schuld auf mich nehmen muss. Das waren ganz schwere, ungewollte Einschnitte. Das kommt in diesem Film alles auf den Tisch.

Du hast den Autounfall Ende 2013 angesprochen, bei dem ein junger Mann ums Leben kam. Du bist unter Alkoholeinfluss gefahren und wurdest als Schuldiger 2015 zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Kann man mit so einer Geschichte überhaupt klarkommen?

Wenn du einen Fehler machst, dann willst du ihn ja nicht machen. Dann ist er passiert, und du musst versuchen, damit zu leben. Natürlich weiß niemand auf der Welt, wie vielen Leuten ich bei Einsätzen als Bergrettungsmann das Leben gerettet habe. Und dann machst du einen Fehler, und dir wird nicht alle Schuld, aber ein Großteil der Schuld zugewiesen. Es war ungewollt, und auch damit musst du leben können. Das ist schwer. Wenn du einen Fehler gemacht hast, und es passiert etwas Dramatisches, das ist sehr, sehr, sehr hart. Weil du kein Guthaben bei der Öffentlichkeit hast. Da wirst du als bekannte Person auf diesen Fehler reduziert. Das ist sehr, sehr bitter.

Kammerlander über den Autounfall 2013

Camp 1 auf der Manaslu-Nordseite

Kommen wir auf den Manaslu zurück. Seit vergangenem Dezember bist du 60 Jahre alt. Wie bereitest du dich auf deine erste Achttausender-Expedition seit über 15 Jahren vor?

Ich bereite mich nicht besonders vor. Ich habe eine unglaubliche Routine. Ich weiß genau, was mein Körper schafft und was nicht. Diese Expedition soll ja auch mit Leistung nichts zu tun haben. Für mich persönlich soll es nur ein Weg sein, den ich gerne beenden möchte. Vielleicht gelingt es mir auch. Und ich glaube, dann bin ich innerlich  sehr ausgeglichen und kann sagen: Jetzt kannst du dich langsam zur Ruhe setzen. Jetzt hast du am Berg die großen Ziele erreicht. Das am Manaslu habe ich einfach nur abgewürgt, verschoben und mich nie mehr diesem Projekt gestellt.

Kammerlander: Keine besondere Vorbereitung auf Manaslu

Wirst du ohne Flaschensauerstoff aufsteigen?

Flaschensauerstoff kam für mich nie in Frage. Ich brauche ihn auch nicht. Den Berg traue ich mir natürlich auch zu, sonst würde ich das Projekt gar nicht erst andenken. Ich bin noch relativ fit. Und es sind schon viel Ältere auf solchen Höhen gewesen, die keine große Erfahrung hatten. Ich dagegen habe sie. Deshalb muss ich jetzt nicht wie verrückt laufen, um mich in Form zu bringen. 

Wollt ihr, wie 1991, über die Nordseite aufsteigen?

Ich würde ganz gerne in die Südwand gehen. Ich mag immer noch lieber eine steile Wand als einen ganz langen Hatscher (mühseliger Marsch), der leicht ist.

Die Südseite hätte ja auch den Vorteil, dass du den Massen, denen du am Manaslu im Herbst sicher begegnen wirst, aus dem Weg gehen könntest. Denn die sind zu 99 Prozent auf der Nordseite unterwegs.

Das hat sich wirklich sehr verändert. Damals waren wir alleine am Manaslu. Aber das ist für mich ohnehin kein Thema, weil ich erst im November aufbrechen und in den Winter hinein gehen werde. Dann ist niemand mehr da, und wir haben den Berg für uns alleine. Es wird sicher mehr Wind und mehr Kälte geben, dafür ist das Wetter wahrscheinlich beständiger. Das habe ich alles bedacht. Ich möchte nicht in so einer Masse nach oben gehen.

Die 14 Achttausender wären für dich im Erfolgsfall zum Greifen nahe. Dir fehlt ja neben dem Manaslu noch die Shishapangma, wo du „nur“ auf dem Mittel-, nicht dem Hauptgipfel warst. Wäre das für dich noch ein Thema?

Wenn ich den Gipfel des Manaslu erreiche, hätte ich für mich persönlich die 14 Achttausender voll gemacht. Denn auch der (8008 Meter hohe) Shishapangma-Mittelgipfel ist ja ein Achttausender. Damals war die Shishapangma mein Vorbereitungsgipfel für den Everest. Das habe ich echt vergeigt. Ich bin direkt auf den Mittelgipfel, habe dort ein paar Gebetsfahnen an einem Eispickel gesehen und bin nicht mehr den Grat hinüber zum wenige Meter höheren Hauptgipfel gestiegen. Aber das interessiert mich nicht, die Zahl 14 war für mich nie ein Thema. Ich hätte damals im Erfolgsfall bestenfalls der Vierte sein können, der alle 14 Achttausender bestiegen hätte. Da interessieren mich andere Geschichten mehr, wo ich etwas Neues probieren kann und mich nicht nur in einer Liste einreihen muss.

Kammerlander: 14 Achttausender sind für mich kein Thema

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