Nepalesische Bergsteigerinnen am Everest: Auf den Spuren von Pasang Lhamu Sherpa
Ein Drama, zwei Versionen. In beiden stirbt die Hauptdarstellerin, die Gründe, die für ihren Tod angeführt werden, unterscheiden sich jedoch deutlich. Am morgigen Sonntag jährt sich zum 25. Mal der Tag, an dem Pasang Lhamu Sherpa als erste Frau aus Nepal den 8850 Meter hohen Gipfel des Mount Everest bestieg. Der Triumph endete in einer Tragödie. Die 31-Jährige Mutter dreier Kinder starb anschließend beim Abstieg auf dem Südgipfel. Nach offizieller nepalesischer Lesart hatte Pasang Lhamu am 22. April 1993 wertvolle Zeit verloren, weil sie sich um ihren höhenkranken Teamkollegen Sonam Tshering Sherpa gekümmert hatte. Dann sei auch noch das Wetter umgeschlagen, hieß es. Ein Bericht der (kürzlich verstorbenen) legendären Himalaya-Chronistin Elizabeth Hawley, der im American Alpine Journal erschien, hat einen deutlich anderen Tenor.
Zu langsam
Danach war Pasang Lhamu als sehr langsame Bergsteigerin bekannt. Für die Strecke vom Südsattel auf den Gipfel habe sie 14einviertel Stunden gebraucht, schrieb Hawley. Normalerweise werden für diese Etappe zehn Stunden veranschlagt. Laut Hawley war Pasang Lhamu am höchsten Punkt derart geschwächt, dass die anderen Teammitglieder sie und Sonam Tshering, der dann schon Blut spuckte, die rund 100 Höhenmeter vom Haupt- zum Südgipfel regelrecht herunterziehen mussten. Viereinhalb Stunden habe das gedauert. Dann sei der Sauerstoff ausgegangen. Erst am nächsten Tag, so Hawley, als andere Teammitglieder versucht hätten, volle Sauerstoffflaschen vom Südsattel heraufzubringen, sei der Wind so stark geworden, dass eine Rettung unmöglich geworden sei.
„Ungeheurer Mut“
Erst zweieinhalb Wochen später, am 10. Mai, konnte wieder ein Sherpa zum Südgipfel aufsteigen, wo er Pasang Lhamu tot auffand , im Schnee sitzend, mit dem Rücken an den 40 Grad steilen Hang gelehnt. Sonam Tsherings Leiche blieb verschollen. Für damalige Verhältnisse ungewöhnlich, wurde die Leiche Pasang Lhamus aus 8749 Meter Höhe nach unten gebracht. Die tote Bergsteigerin wurde vor der Einäscherung in einem Stadion in Kathmandu aufgebahrt, Tausende Menschen erwiesen der Sherpani dort die letzte Ehre. Die Bergsteigerin, so schrieb der damalige Ministerpräsident des Landes an ihre Familie, habe bewiesen, „dass auch nepalesische Frauen mit einem ungeheuren Mut ausgestattet sind“. Pasang Lhamu wurde zur Volksheldin, zum Mythos. Ihr Konterfei zierte Briefmarken. Straßen und Schulen tragen ihren Namen, seit 1996 sogar offiziell auch ein Berg, der 7350 hohe Pasang Lhamu Chuli, Bergsteigern eher bekannt als Jasemba. Noch heute kennt jedes Kind in Nepal den Namen der Bergsteigerin.
Kämpferin für Gleichberechtigung
Mag ihre Everest-Besteigung auch vielleicht etwas weniger heroisch verlaufen sein, als viele Nepali denken, war Pasang Lhamu Sherpa doch eine Pionierin. Sie hatte sich in das Ziel, als erste Frau ihres Heimatlandes den höchsten aller Gipfel zu erreichen, regelrecht verbissen. In den drei Jahren zuvor war Pasang Lhamu dreimal gescheitert. Bei ihrem bis dahin erfolgreichsten Versuch 1991 als Mitglied einer französischen Expedition hatte sie auf 8700 Metern, nur 50 Meter unterhalb des Südgipfels, umkehren müssen. Für Pasang Lhamu zählte nicht nur der bedingungslose Einsatz für einen Gipfel. Sie kämpfte als Bergsteigerin auch für die Gleichberechtigung der Frauen in Nepal. „Männer werden als Helden betrachtet, wenn sie klettern, Frauen dagegen nennt man verantwortungslos“, klagte Pasang Lhamu einmal.
Zwei nepalesische Frauen-Expeditionen auf der Südseite
Dass ihre Botschaft nicht ungehört verklang, sondern die Saat aufgegangen ist, beweist die diesjährige Frühjahrssaison am Everest. Mehr als ein Dutzend nepalesische Bergsteigerinnen versuchen sich allein auf der Südseite des höchsten Bergs der Erde. So steht die „Women Everest Expedition 2018“ der 30 Jahre alten Lakpa Yangji Sherpa, der 37-jährigen Pasang Lhamu Sherpa „Phinasa“ und der 25 Jahre alten Yangdi Sherpa unter dem Motto „Women’s Confidence“. Die Expedition sei eine großartige Plattform „um die Stimme für Frauen und ihre Rechte zu erheben und sie zu ermutigen“, schreibt Pasang Lhamu. Die drei Bergsteigerinnen bestiegen in dieser Woche den 6189 Meter hohen Island Peak nahe dem Everest, um sich zu akklimatisieren. Noch auf dem Trekking Richtung Basislager befinden sich die Mitglieder der „First Women Journalists Everest Expedition 2018“. Die nepalesischen Journalistinnen Kalpana Maharjan (33 Jahre alt), Rosha Basnet (29), Rojita Buddhacharya (26), Deuralee Chamling (35)und Priya Laxmi Karki (27) wollen ein Zeichen setzen für die „Gleichheit aller Menschen, egal welcher Rasse, Kaste, Gemeinschaft oder welchen Geschlechts“.
Lhakpa Sherpa will Rekord ausbauen
Lhakpa Sherpa kann auf Botschaften verzichten, sie ist gewissermaßen selbst eine: Frauen können den Everest nicht nur besteigen, sondern können es sogar in Serie tun. Mit acht Gipfelerfolgen steht die 44 Jahre alte Nepalesin, die im US-Bundesstaat Connecticut lebt, schon jetzt als die Frau mit den meisten Everest-Besteigungen im Guinness-Buch der Rekorde. In diesem Frühjahr will die Mutter einer elf und einer 16 Jahre alten Tochter erneut von der tibetischen Nordseite aus aufsteigen und Gipfelerfolg Nummer neun folgen lassen. „Mein Körper weiß, dass sich schon so hoch oben gewesen bin“, sagt Lhakpa. „Er ist wie ein Computer. Er findet es sehr schnell heraus. Mein Körper kennt die große Höhe, er erinnert sich daran.“ Bei ihrem ersten Everest-Erfolg am 17. Mai 2000 war Lhakpa Sherpa übrigens die erste nepalesische Bergsteigerin, die nicht nur am Gipfel stand, sondern anschließend auch wieder wohlbehalten das Basislager erreichte. Ein Mythos wie Pasang Lhamu Sherpa wurde sie in ihrem Heimatland trotz dieses und ihrer zahlreichen weiteren Everest-Erfolge jedoch nicht.