Erik Weihenmayer – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Andy Holzer: „Unsere Everest-Chance lebt“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/andy-holzer-unsere-everest-chance-lebt/ Fri, 03 Mar 2017 08:08:33 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=35221

Andy Holzer 2015 auf dem Rongbuk-Gletscher am Everest

Sechs der „Seven Summits“, der höchsten Berge aller Kontinente, hat Andy Holzer bereits bestiegen. Nur der allerhöchste fehlt noch in der Sammlung des blinden Bergsteigers aus Österreich. Zum dritten Mal will sich der 50-Jährige aus Lienz in Osttirol in diesem Frühjahr am Mount Everest versuchen. Bei seinem ersten Anlauf 2014 war die Saison nach dem Lawinenunglück im Khumbu-Eisbruch, bei dem 16 Nepalesen ums Leben gekommen waren, abgebrochen worden. Im Frühjahr 2015 hatte das verheerende Erdbeben in Nepal mit fast 9000 Toten dafür gesorgt, dass der Everest weder von Süden, noch von Norden aus bestiegen worden war. Wir vor zwei Jahren plant Holzer,  auch diesmal über die tibetische Nordseite aufzusteigen. Begleitet wird er von seinen (sehenden) Osttiroler Freunden Wolfgang Klocker und Klemens Bichler.

Andy, wieder reist du zum Mount Everest – nach zwei Anläufen 2014 und 2015, bei denen dir aus unterschiedlichen Gründen gar nicht erst die Möglichkeit gegeben wurde, dich am höchsten aller Berge zu versuchen. Dreimal ist göttlich?

Andy Holzer

Einmal, zweimal, dreimal, viermal, das haben die Menschen erfunden. Ich gehe nochmal dorthin, weil ich zu wissen glaube: Wenn alles stimmt, meine Verfassung an diesem Tag, die Verfassung meiner Freunde dort, das Wetter, die Verhältnisse am Berg … dann könnte es für uns klappen.

Wie schon 2015 willst du von der tibetischen Nordseite aus aufsteigen. Warum über diese Seite?

Weil mir meine kleine Erfahrung, die ich bei meinen vorherigen Versuchen am Everest machen konnte, eindeutig gezeigt hat, dass der Khumbu-Eisbruch wie Russisches Roulette ist. Die steileren Felsen und die Routenanlage an der Nordseite sind, abgesehen von einem Erdbeben, relativ statisch. Ich habe es lieber etwas abweisender, etwas „unfreundlicher“, aber eben verlässlicher, als die – neben den beschriebenen objektiven Gefahren – doch einfachere Route an der nepalesischen Seite zu nehmen.

Wie hast du dich auf die Expedition vorbereitet?

Mir kommt es langsam vor, dass mein ganzes Leben eine Vorbereitung auf so manche Prüfung ist. Viele davon konnte ich positiv abschließen, einiges ist mir nicht gelungen. Je älter ich werde, desto klarer wird mir, es geht gar nicht um die Anzahl der bestandenen Prüfungen. Es geht für mich immer mehr um diesen freien Geist, wie ihn heute fast nur noch die Kinder haben: einfach aufzubrechen, ohne Erfolgsgarantie in der Tasche. Zu diesem freien, unverdorbenen Aufbruchsgeist noch etwas Lebenserfahrung, etwas rationales Denken, das mir jetzt mit fünfzig Lebensjahren gegeben wurde, und dann fühle ich mich vorbereitet.

Andy Holzer in der Nordwand der Großen Zinne (Foto: Martin Kopfsguter)

Ganz pragmatisch noch die technische Antwort auf deine Frage: Meine Natur, mein Team, meine Freunde sind meine Basis. Wir sind ein eingespieltes Team, wie es wohl nur wenige haben können. Und das noch teils aus dem eigenen Dorf.

Wie seit 30 Jahren bin ich an rund 200 Tagen pro Jahr in den Bergen. Speziell jetzt im Winter haben wir sehr viele ausgedehnte Skitouren im Block ohne Ruhetage gemacht. Außerdem absolvieren wir ein Hypoxie-Programm. Jeder von uns schläft schon Wochen vor unserem Aufbruch zu Hause im Schlafzimmer in einem „Höhensimulationszelt“. Damit können wir nachts durch Sauerstoffentzug eine große Meereshöhe simulieren und den Körper schon anregen, rote Blutkörperchen zu bilden.

Bisher hat als blinder Bergsteiger nur der US-Amerikaner Erik Weihenmayer 2001 den Everest bestiegen – über die Südseite. Wie hoch schätzt du deine Chancen ein?

Ich kenne Erik seit Jahren, und wir sind lange Freunde geworden. Natürlich habe ich ihn über den Everest ausgequetscht. Aber in der Art, wie es Erik am 25. Mai 2001 mit seinem Team geschafft hat, werde und kann ich es nicht angehen. Damals stand ein ganzes Land hinter dem ersten Versuch eines Blinden am Everest. Erik hatte eine vielfache Zahl von Partnern, Freunden und Teammitgliedern an seiner Seite, die sich mit der Unterstützung abwechseln konnten. In unserem Fall können sich nur Wolfi und Klemens von Zeit zu Zeit abwechseln, um mir die Schwierigkeiten beim Auf- und Abstieg anzusagen. Beim Gipfelgang werden wir nur zu dritt jeweils mit unseren Sherpas den höchsten Punkt des Mount Everest anpeilen. Aber das heißt für mich nicht, dass wir geringere Chancen haben. Wir sind ein kompaktes Team, flexibel und schnell bei Entscheidungen. So denke und hoffe ich: Unsere Chance lebt ganz fest.

Du steigst mit Begleitern, mit Flaschensauerstoff. Viele rechnen für dieses Jahr mit einer Rekordzahl von Everest-Anwärtern, es könnte also voll werden auf den Normalrouten. Welche Taktik habt ihr euch überlegt?

Dies war auch noch ein kleinerer Grund, die Everest-Nordseite zu wählen. Dort werden es derzeit im Vergleich zur Südseite nur ca. ein Drittel an Permits ausgegeben. Aber mal ganz ehrlich: Wenn ich zum Everest gehe und mich dort dann über die zu vielen anderen Bergsteiger beklage, dann gehe ich am besten gleich wieder heim. Dann ist am Everest schon wieder einer weniger. 🙂

Andy 2011 an der Shishapangma

Es stimmt, wir werden beim Gipfelgang Flaschensauerstoff benutzen. Ich möchte den Berg der Berge so erleben, dass ich da oben auch noch etwas mitbekomme, dass ich vielleicht sogar noch etwas genießen kann und mich richtig freuen kann. Außerdem gibt uns der künstliche Sauerstoff ja überhaupt erst die Möglichkeit, gemeinsam im exakt selben Rhythmus aufzusteigen. Das wissen vielleicht zu wenige Menschen: Als Reinhold Messner und Peter Habeler 1978 als Erste ohne Flaschensauerstoff den Everest bestiegen und anschließend jeder für sich alleine abstiegen, hatte das nichts mit Egoismus zu tun, sondern mit der Tatsache, dass der extreme Sauerstoffmangel in großer Höhe jedem Menschen seinen eigenen Geh- und Leistungsrhythmus aufzwingt. Gehst du einen Schritt zu schnell, dann erliegst du der Sauerstoffschuld. Gehst du einen Schritt zu langsam, vielleicht aus Rücksicht auf deinen Partner, erfrierst du da oben.

Sauerstoffmangel bedeutet in erster Linie nicht. dass man keine Luft bekommt, sondern vielmehr, dass die Erfrierungsgefahr extrem erhöht wird, weil der Körper weniger Sauerstoff für die „Eigenheizung“ bzw. Verbrennung zur Verfügung hat.

Everest-Nordseite im letzten Tageslicht

Wenn Wolfgang (oder Klemens) vor mir immer einen Tick langsamer gehen muss, weil ich viele Fehltritte korrigieren muss und deshalb langsamer bin, dann wird er es zu kalt und ich es zu heiß haben. Und wenn mein Partner vor mir sein eigenes Tempo gehen würde, dann würde sich der Abstand zwischen uns vergrößern. Bei mehr als ca. fünf Meter Abstand kann ich seine Steigeisen nicht mehr exakt hören und muss daher mein Tempo noch mal drosseln, weil ich selbst die Tritte suchen muss.

Aber für mich und meine „Buam“ ist das ja alles schon lange klar. Wir stellen uns auf ein vielleicht nicht weniger schwieriges Abenteuer ein, als den Berg ohne künstlichen Sauerstoff zu ersteigen. Wir versuchen, diesen großen Berg mit einer Person ohne Licht zu ersteigen. Und das verlangt aus meiner „Sicht“ enormes Zusammenhalten und Gefühl für den Anderen.

Warum überhaupt muss es der Everest sein? Was zieht dich dorthin?

Wenn du mehrfach ein Projekt geplant, finanziert hast und angegangen bist, bekommst du einfach einen großen Bezug zu diesem Projekt. Genauso geht es mir gemeinsam mit Wolfi und Klemens dort auch. Wir wissen natürlich, dass es so viele andere schöne Berge gibt, und, und, und … Aber den Everest dann wirklich zu besteigen, bedeutet ja nicht, dass man sich den zahllosen anderen schönen Bergen nicht ebenso nähern kann.

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Die eigentlich Blinden am Everest sind die Unerfahrenen https://blogs.dw.com/abenteuersport/die-eigentlich-blinden-am-everest-sind-die-unerfahrenen/ Mon, 05 Oct 2015 14:31:39 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=30765 Südseite des Mount Everest

Südseite des Mount Everest

Die nepalesische Regierung hat ein Fass aufgemacht, dessen Inhalt ihr jetzt um die Ohren spritzt. Vor einer Woche kündigte Tourismusminister Kripasur Sherpa schärfere Regeln zur Vergabe von Permits für den Mount Everest an. Die Regierung erwägt Altersgrenzen – ab 18, bis 75 Jahre – und will seltener als bisher Genehmigungen für behinderte Bergsteiger ausstellen. „Körper- oder sehbehinderte Menschen brauchen normalerweise jemanden, der sie hochträgt, das ist kein Abenteuer“, sagte der Minister. „Nur diejenigen, die selbstständig laufen können, werden künftig eine Erlaubnis erhalten.“ Der US-Amerikaner Erik Weihenmayer, der 2001 als erster Blinder den Mount Everest bestieg, ist empört. Das spreche für die Vorurteile, die in der nepalesischen Regierung verbreitet seien. „Es ist eine Schande, dass der Tourismusminister die Tragödien der letzten beiden Jahre dazu nutzt, um die verschwindend kleine Zahl behinderter Bergsteiger als Sündenböcke abzustempeln und eine Politik einzuleiten, die das Problem nicht lösen würde“, schreibt Weihenmayer auf Facebook. „Offen gesagt, sind Bergsteiger mit besonderen Einschränkungen wie einer Behinderung, Alter oder ähnlichem doch sogar gezwungen,  besser vorbereitet und vorsichtiger bei ihren Entscheidungen zu sein.“

Erst der Kibo, dann der Everest

Andy Holzer

Andy Holzer

Das sieht auch der blinde österreichische Bergsteiger Andy Holzer so. „Ich denke, dass sehr wenige Bergsteiger am Everest so exakt auf ihre ganz spezielle Herausforderung Everest vorbereitet sind wie das behinderte Abenteurer mit ihrem persönlichen Team sind bzw. sein müssen“, schreibt mir der 49-Jährige. „Das Problem sind wohl eher die Bergsteiger, die am Everest zum ersten Mal Steigeisen anziehen und darüber ganz erstaunt sind.“ Andy war im Frühjahr 2014 auf der nepalesischen Südseite und in diesem Jahr auf der tibetischen Nordseite des Mount Everest, um sich am höchsten Berg der Erde zu versuchen. Beide Male musste er unverrichteter Dinge wieder heimreisen: 2014 wegen des Lawinenunglücks im Khumbu-Eisbruch, 2015 wegen der Folgen des Erdbebens vom 25. April. In Nepal habe er im vergangenen Jahr Everest-Aspiranten getroffen, die ganz stolz verkündeten, sie hätten schon den Kilimandscharo bestiegen und der Everest würde jetzt der zweite Berg in ihrer Seven-Summits-Sammlung, sagt Andy: „Solche Tatsachen geben mir eher zu denken. Und da kann ich auch verstehen, dass nicht jeder jederzeit auf den Everest gehört.“

Kompetenz sollte entscheiden

Ins gleiche Horn stößt der Neuseeländer Mark Inglis, der 2006 als erster beidseitig Beinamputierter den Everest bestieg. „Wenn man die Daten über die Jahre analysiert, stellt man fest, dass nicht die behinderten oder älteren Bergsteiger das Problem sind, sondern die unerfahrenen“, sagte Mark dem kanadischen Sender CBC. „Wir sollten die Leute danach sortieren, wie kompetent sie am Berg sind.“ Er könne versichern, dass niemand ihn damals auf den Everest getragen habe. „Es so hinzustellen, dass jeder behinderte Bergsteiger hinaufgetragen werden muss, ist schlichtweg falsch. Es sollten nur Leute dort hinaufsteigen, die es aus eigener Kraft können.“

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Blinder Kletterer Andy Holzer will auf den Everest https://blogs.dw.com/abenteuersport/blinder-kletterer-andy-holzer-will-auf-den-everest/ Fri, 21 Mar 2014 15:01:49 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=25527 Im Fels der Carstensz-Pyramide (Foto: Andreas Unterkreuter)

Andy Holzer im Fels der Carstensz-Pyramide (Foto: Andreas Unterkreuter)

„Ich habe mich entschlossen, mit meinen Freunden auf große Reise zu gehen.“ Mit diesen fast lapidar klingenden Worten kündigt Andy Holzer sein bisher spektakulärstes Projekt an. Der blinde Bergsteiger will auf das Dach der Welt, den Gipfel des Mount Everest. Am 2. April bricht der 47 Jahre alte Österreicher mit seinen Freunden Andreas Unterkreuter, Wolfgang Klocker und Daniel Kopp nach Nepal auf, um den höchsten Berg der Erde zu besteigen. „Mein Antrieb ist ganz einfach das Bewusstsein, eine Chance im Leben nutzen zu wollen“, schreibt Andy auf seiner Homepage. „Nie zuvor und wahrscheinlich auf Grund der so schnell vergehenden Jahre wohl auch niemals danach werde ich noch mal in solch körperlicher, mentaler und auch logistischer Verfassung sein, dieses ‚heimliche‘ Traumziel eines jeden richtigen Bergsteigers greifen zu können.“ Kurz gesagt: Jetzt oder nie!

Mehr als nur „ein geiler Gedanke“

Andy beim IMS 2013

Andy beim IMS 2013

Als ich Andy im vergangenen Oktober beim International Mountain Summit in Brixen nach dem Everest gefragt hatte, hatte er eine Reise dorthin zwar als „geilen Gedanken“ bezeichnet, aber noch abgewiegelt. Der höchste aller Berge sei „jetzt nicht das absolut fokussierte Ziel“, sagte Holzer damals. Der Everest ist der einzige der „Seven Summits“, der höchsten Berge aller Kontinente, der ihm noch in seiner Sammlung fehlt. Doch Andy ließ durchblicken, wie sehr ihn der Everest fasziniert: „Ich glaube, wer nicht seine Tränen in den Augen spürt, wenn er den Hillary Step hinaufsteigt und die letzten Meter zum höchsten Punkt dieser Erde geht, der hat auf keinem Berg etwas verloren. Wenn da keine Emotion ist!“

Andy Holzer: Everest-Reise ist ein geiler Gedanke

Immer schön im Dunkeln

Andy und seine Helfer wollen mit Flaschensauerstoff aufsteigen. Das sei eine Selbstverständlichkeit, schreibt Holzer und verweist auf die für ihn als Blinden  höhere Gefahr auszukühlen. „Es ist auf Grund des Temperaturhaushaltes eigentlich unmöglich, ohne künstlichen Sauerstoff im Gleichschritt eines anderen Bergsteigers zu steigen. Wenn mein Freund auch nur zehn Meter von mir entfernt wäre, kann ich nicht mehr weitergehen, weil ich seine Steigeisen nicht mehr exakt knarren höre, und ich bleibe auf der Strecke.“ Außerdem verzichte er ja schon auf ein anderes Hilfsmittel, meint Andy scherzhaft: „Ich steige ohne Stirnlampe, und das auch bei Tageslicht. Also immer schön im ‚Dunkeln‘.“

Sollte der Österreicher den höchsten Punkt auf 8850 Metern erreichen, wäre er der zweite Blinde auf dem Mount Everest. Der US-Amerikaner Erik Weihenmayer hatte 2001 den Everest bestiegen. Mit Erik zusammen hat Andy auch schon einmal bei einer Klettertour in den Lienzer Dolomiten in Osttirol eine „doppel-blinde“ Seilschaft gebildet.

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Andy Holzer: „Auf 7500 Metern ist jeder behindert“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/interview-andy-holzer/ Sat, 23 Nov 2013 13:26:04 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=24245

Der blinde Kletterer Andy Holzer

Blinde können sehen, nur anders. Das beweist der Österreicher Andy Holzer. Der 47-Jährige aus Lienz in Osttirol ist seit seiner Geburt blind. Das hindert ihn aber nicht, im Fels zu klettern, Skitouren zu machen und selbst Berge im Himalaya zu besteigen. Der 16. August 1975 war ein besonderer Tag in Andys Leben. Mit seinen Eltern durfte der damals Neunjährige erstmals einen felsigen Berg besteigen. Nachdem er sich erst stundenlang durchs Geröll geschuftet hatte, war ihm plötzlich beim Klettern im Fels der Vater zu langsam, die Mutter kam nicht mehr hinterher. „Das war für mich ein Gefühl, als ob mir jemand die Fesseln abnimmt“,  erinnert sich Andy, als wir uns kürzlich beim International Mountain Summit in Brixen treffen.

Andy, die erste Frage ist wahrscheinlich immer dieselbe. Wie machst du das, in einer Felswand zu klettern, ohne wirklich zu sehen?

Ich klettere nicht, ohne es zu sehen. Das würde nicht funktionieren.

Das musst du erklären.

Ich generiere die topographischen Details einer Felswand mit anderen Sinneseindrücken, etwa wenn ich den Griff anfasse, der wenig später zum Tritt wird. Das ist einfach ein intuitives Klettern. Auch sehende Spitzenkletterer trainieren – natürlich im geschützten Rahmen – blind zu klettern, weil es ganz andere Bewegungsabläufe sind. Du greifst nicht nach einem Griff, weil du ihn siehst, sondern du greifst dorthin, wo es dein Körperschwerpunkt gerne hätte. Das ist der Unterschied, wenn du blind kletterst. Das habe ich ausgefeilt, mittlerweile bald schon 25 Jahre lang. Es ist kein Spitzenklettern, kein Riesending, aber ein Riesenspaß.

Im Fels der Carstensz-Pyramide (Foto: Andreas Unterkreuter)

Du musst ein gigantisches Gedächtnis haben, wenn du die topographischen Details in deinem Kopf zu diesem 3-D-Bild zusammenbastelst.

Mir ist das gar nicht bewusst. Ich merke immer nur, dass ich einen wesentlich höheren Stoffwechsel habe als meine Freunde oder andere Bergsteiger. Das ist ein ganz anderer Aufwand an Energie. Ich muss mir viel mehr vorstellen, viel mehr Geisteskraft investieren, um auf demselben Level zu klettern wie die sehenden Freunde. Die Schwierigkeiten liegen für mich zwei, drei oder vier Klettergrade höher. Es ist einfach eine andere Dimension.

Du kletterst mit sehenden Seilpartnern. Kannst du eine Route anschließend auch alleine bewältigen?

Das ist für mich überhaupt die Motivation, steile Berge zu besteigen. Ich möchte wissen: Wie schaut das aus? Was sehen die Sehenden? Welche Formen und Strukturen hat der Berg? Das kann ich eben nicht mit den Augen. Auch nicht mit den Ohren. Du kannst noch so gut in die Natur hinaus lauschen, du wirst den Berg nicht in seinen Details hören. Dafür habe ich den Tastsinn. Der reicht gerade so weit wie der Arm lang ist. Ich muss den Berg hinaufklettern, um ihn zu sehen. Das ist eine Riesenmotivation. Die Route anschließend im Gedächtnis abzuspeichern, ist nicht anstrengend, sondern eher eine emotionale Regung, so wie sich Sehende Gesichter merken oder Sonnenuntergänge.

Im Vorstieg (Foto: Martin Kopfsguter)

Erlebst du auch Adrenalin-Ausstoß wie andere, die in der Wand hängen, nach unten schauen und plötzlich einfach überwältigt sind von dem, was sie da gerade anstellen?

Viele Menschen verwechseln Blindheit mit Torheit. Blindheit ist nur der Ausfall eines von fünf Sinnesnerven. Du hast immer noch vier, 80 Prozent Wahrnehmung sind da. Wenn ich klettere und sich ein 600 Meter tiefer Abgrund unter meinen Beinen auftut, dann nehme ich die gähnende Leere wahr, die mich fast herunterziehen will. Es ist gewaltig. Das Wissen darum genügt vollkommen, um dieses Gefühl der Ausgesetztheit zu bekommen, das Wissen, dass der nächste Schritt über Untergang oder Gipfelsieg entscheidet. Da gibt es keinen Unterschied. Zu mir wird immer gesagt, du bist doch sicher schwindelfrei, du siehst ja nicht hinunter. Da muss ich antworten: Es ist schon eine wilde Geschichte hinunterzustürzen, wenn du siehst, wo es hingeht. Aber in die Dunkelheit, in die Ungewissheit zu stürzen, ist noch viel schlimmer.

Andy Holzer: Das Wissen um den Abgrund genügt

Andy in der Nordwand der Großen Zinne (Foto: Martin Kopfsguter)

Du hast schon sechs der „Seven Summits“ bestiegen, der höchsten Gipfel aller Kontinente. Jetzt fehlt dir nur noch der Mount Everest. Er ist bereits einmal von einem Blinden bestiegen worden, dem US-Amerikaner Erik Weihenmayer. Du bist mit ihm auch schon geklettert, als „doppel-blinde“ Seilschaft. Hat er dich angespornt, den Everest zu wagen?

Die „Seven Summits“ sind für mich weniger eine geplante Aktion. Bis zum vierten Gipfel ist mir überhaupt nicht bewusst gewesen, dass es diese Sammlung gibt. Ich steige auf 200 Berge pro Jahr, nicht nur hier. Von Grönland bis in die Antarktis. Überall bin ich unterwegs. Diese „six of seven“ waren eben dabei. Ich habe auch schon an zwei Achttausendern meine Spuren hinterlassen, an der Shishapangma und am Cho Oyu, leider Gottes ohne Gipfelsieg. Ich weiß, wie es sich in Tibet, Nepal, im Himalaya anfühlt.

Andy Holzer: Everest-Reise ist ein geiler Gedanke

Wagnis Everest? Jeder weiß, dass der Everest der sicherste aller Achttausender ist. Das ist keine Expedition, sondern eine Reise. Wenn ich jetzt mit 47 Jahren morgen zusammenpacken und mit meinen Freunden zum höchsten Berg der Erde aufbrechen könnte, wäre das schon reizvoll. Eigentlich cool, andere machen eine Reise nach Venedig oder aufs Kitzsteinhorn, und wir fahren gerade mal zum Everest. Das ist ein geiler Gedanke. Denn ich glaube, wer nicht seine Tränen in den Augen spürt, wenn er den Hillary Step hinaufsteigt und die letzten Meter zum höchsten Punkt dieser Erde geht, der hat auf keinem Berg etwas verloren. Wenn da keine Emotion ist! Schauen wir, ob es noch passiert. Es kann ohne weiteres sein. Aber der Everest ist jetzt nicht das absolut fokussierte Ziel.

Es gibt also keinen konkreten Plan, ihn im nächsten Jahr anzugreifen. Die biologische Uhr tickt auch bei dir. Man weiß, so ab 50 wird es in der Höhe schwieriger.

Das ist absolut ein Thema und mir ganz bewusst. Ich höre immer wieder von meinen Freunden, ein 70-, ein 80-Jähriger ist auch hochgestiegen. Aber das ist eigentlich nur ein Kompliment meiner Freunde mir gegenüber. Die steigen alle mit Stirnlampe hoch. Ich bin der einzige, der in der vollkommenen Dunkelheit klettert. Das ist rein körperlich, vom Stoffwechsel, vom Energiehaushalt her, eine komplett andere Nummer. Da hast du mit 50 Jahren wahrscheinlich nichts mehr verloren, und ich bin wahrscheinlich schon jetzt schon ziemlich an der Kippe. Der Everest ist für mich einfach ein anderer Berg als für einen Sehenden. Darüber brauchen wir überhaupt nicht zu diskutieren.

Du warst an zwei Achttausendern. War das für dich eine andere Selbsterfahrung in dieser großen Höhe?

Dort oben gleichen die Sehenden und ich uns immer mehr an, weil die Geschwindigkeit reduziert wird. Langsamer zu gehen, bedeutet für mich als Blinden, dass ich für jeden Schritt einige Millisekunden mehr Zeit habe, zu analysieren, ob ich hinten links oder vorne rechts am Steigeisen mehr Druck geben muss, um im Balance zu bleiben. Hier unten, wo die Höhe keine Rolle spielt, muss ich die Schritte ganz schnell hintereinander setzen, um das Tempo halten zu können. Da ist jeder Schritt wie ein Lottotipp. Das ist auf die Dauer extrem anstrengend. Wenn du plötzlich zwei Sekunden Zeit für einen Schritt hast, ist es geradezu ein Spiel. Die große Höhe reizt mich so, weil es mir da oben gut geht.

Auf Skitour auf dem 3358 Meter hohen Schneebigen Nock (Foto: Erwin Reinthaler)

Mir hat einmal ein Paralympics-Sieger gesagt, er möge den Begriff Behindertensportler nicht. Fühlst du dich auch in eine Schublade geschoben, wenn dich jemand so nennt.

Nein. Ich höre das auch relativ selten, weil ich nicht im Wettbewerb stehe. Außerdem: Oben auf 7500 Metern ist jeder behindert. Da habe ich noch nie einen Nicht-Behinderten getroffen. Und wenn beim Felsklettern in den Dolomiten mein sehender Seilpartner nicht behindert ist, haben wir wohl die falsche Route ausgesucht. Dann war es zu einfach, keine Herausforderung. Wir gehen ja gerade deshalb bergsteigen, um uns zu behindern. Um den asphaltierten Wegen zu entkommen, den Schienen auszuweichen, um die Hinderung zu suchen. Das ist ja das Geniale beim Bergsteigen.

Andy Holzer: Auf 7500 Metern ist jeder behindert

Du gehst auch auf Skitouren.

In den letzten zehn Jahren bin ich pro Winter mindestens hundert Tage auf meinen Tourenskiern unterwegs gewesen, im letzten Winter sogar noch mehr. Das Element Schnee kommt mir entgegen. Den Schnee kannst du mit Schwung und Balance formen, bei Steinen geht das nicht. Natürlich musste ich auch Techniken entwickeln. Auch hier ist das Ohr extrem wichtig. Durch die Schwünge meines Freundes höre ich sofort die Neigung. Er braucht auch nicht zurückzurufen: Andy, pass‘ auf, da kommt ein Eisfleck! Ich höre das ja schon lange. Wenn er da vorne ausrutscht, passiert mir das tausendprozentig nicht. Das Hörbild funktioniert ähnlich wie beim restlichen Leben. Was dazu kommt, ist die Geschwindigkeit. Wenn du im Tiefschnee oder Bruchharsch kein gewisses Tempo hast, säufst du ab. Daran habe ich in den letzten zehn Jahren gearbeitet und mich extrem entwickelt, so dass ich es jetzt wirklich in vollen Zügen genieße.

Ich bin von der Shishapangma aus 7100 Metern Höhe mit den Skiern abgefahren, auch vom Mount McKinley oder vom Ararat in der Türkei. Nicht weil ich besonders gescheit sein will, sondern weil es für mich eine Erleichterung ist, die Schwünge zu ziehen, zentrisch auf dem Ski zu stehen. Dafür brauchst du keine Augen, das ist eine Gefühlssache. Ich muss mich auch auf das Material einstellen. Meine Ski sind sehr kurz und ganz breit, damit die Wendigkeit erhalten bleibt. Wenn der Ski 1,80 Meter lang ist, hast du mehr Chancen einzufädeln oder einen Stein zu treffen, als wenn er nur 1,40 Meter lang ist.

Das hört sich an, als sei dein Leben immer auch Werkstatt.

Ha! Ich würde jedem wünschen, dass sein Leben eine Werkstatt ist. Denn wenn es keine ist, dann entwickelst du dich nicht. Ich bin ständig in Entwicklung meines Werkes. Was ich jeden Tag lebe, ist eine Lebenswerkstatt. Das hast du wunderschön festgestellt.

Andy Holzer: Meine Lebenswerkstatt

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