Himalayan Database – Abenteuer Sport https://blogs.dw.com/abenteuersport Blog über Expeditionen und Grenzerfahrungen Wed, 06 Mar 2019 10:38:57 +0000 de-DE hourly 1 Der „Schneeleopard“ vom Mount Everest https://blogs.dw.com/abenteuersport/der-schneeleopard-vom-mount-everest/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/der-schneeleopard-vom-mount-everest/#comments Thu, 06 Dec 2018 21:57:59 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=42899

Ang Rita Sherpa mit Urkunden des Guinness Buchs der Rekorde

Ang Rita Sherpas Everest-Rekord könnte einer für die Ewigkeit sein. Der legendäre Bergsteiger aus Nepal, den die Einheimischen ehrfurchtsvoll „Schneeleopard“ nennen, ist inzwischen 70 Jahre alt. Kein anderer hat den höchsten Berg der Erde so häufig ohne Flaschensauerstoff bestiegen wie Ang Rita in den 1980er und 90er Jahren. „Sein Rekord von neun (Besteigungen ohne Atemmaske) wird wahrscheinlich für eine lange Zeit bestehen bleiben, weil die Expeditionsanbieter inzwischen von den Climbing Sherpas verlangen, dass sie Sauerstoff benutzen“, schreibt mir Richard Salisbury von der Bergsteiger-Chronik „Himalayan Database“.

Nicht zehnmal

Lager 4 am Südsattel

Kürzlich hatte ich über die bemerkenswerte Leistung des pakistanischen Bergsteigers Fazal Ali berichtet, der im Sommer als Erster zum dritten Mal ohne Flaschensauerstoff auf dem Gipfel des K 2, des zweithöchsten Bergs der Erde, gestanden hatte. Dabei fiel mir Ang Rita ein, der Everest-Rekordhalter. Ich hatte im Hinterkopf, dass er zehnmal ohne Atemmaske zum Gipfel aufgestiegen sei. So steht es in Zeitungs- und Internetartikeln und in Büchern, u.a. dem Guinness-Buch der Rekorde. Auch er selbst hat stets diese Zahl genannt. Streng genommen ist sie allerdings nicht korrekt, wie ich bei der Recherche in der „Himalayan Database“ feststellte und wie es mir Richard Salisbury bestätigte.

Sauerstoff zum Schlafen am Südsattel

Ang Rita ist zwar in der Tat zehnmal ohne Flaschensauerstoff zum höchsten Punkt der Erde auf 8850 Metern aufgestiegen, doch bei seinem ersten Erfolg im Mai 1983 nutzte er sowohl vor, als auch nach dem Gipfelgang zum Schlafen in Lager 4 eine Atemmaske. Darauf machte seinerzeit der US-Bergsteiger David Breashears aufmerksam. Er habe im Frühjahr 1983 am Südsattel mit Ang Rita in einem Zelt gelegen, so Breashears, und sie hätten über ein Y-Verbindungsstück dieselbe Sauerstoffflasche genutzt.

Riesenrespekt vor Ang Rita

Am Gipfel

Breashears, der in seiner Karriere fünfmal den Everest mit Atemmaske bestieg, betonte gegenüber der legendären Himalaya-Chronistin Elizabeth Hawley (1923-2018), dass er keinesfalls die überragende Leistung Ang Ritas schmälern wolle. Schließlich sei der Sherpa am Gipfeltag 1983 ohne Flaschensauerstoff zum Gipfel gestiegen. „Ich kann mir keinen stärkeren Kletterpartner oder Sherpa vorstellen, vor dem ich mehr Respekt hätte als vor Ang Rita“, schrieb Breashears. Bei den folgenden neun erfolgreichen Everest-Aufstiegen verzichtete der legendäre Sherpa dann auch beim Schlafen in großer Höhe auf eine Atemmaske.

19 Achttausender-Erfolge

Ang Rita wurde 1948 in Yilajung, einem kleinen Dorf im Khumbu im Osten Nepals geboren. Als Kind hütete er Yaks. Mit 15 Jahren arbeitete der Sherpa erstmals als Träger bei einer Expedition. Seinen ersten Achttausender bestieg Ang Rita 1979: den Dhaulagiri. Insgesamt brachte es Ang Rita bis zu seinem Karriereende im Jahr 1999 auf 19 Achttausender-Gipfelerfolge: Zehnmal Everest, viermal Cho Oyu, dreimal Dhaulagiri, einmal Kangchendzönga und einmal Makalu. Stets verzichtete er komplett auf Flaschensauerstoff – mit einer Ausnahme: bei der erwähnten Expedition 1983.

Nächtliche Aerobic-Übungen auf 8600 Metern

Verehrt und häufig geehrt

Der „Schneeleopard“ setzte Everest-Meilensteine. So eröffnete er 1984 mit den Slowaken Zoltan Demjan und Jozef Psotka eine neue Routenvariante über den Südpfeiler. Beim Abstieg stürzte Psotka in den Tod. Am 22. Dezember 1987 gelang Ang Rita die erste und bisher einzige Winterbesteigung des Everest ohne Atemmaske. Mit dem Koreaner Heo Young-ho, der Flaschensauerstoff atmete, erreichte der Sherpa den höchsten Punkt. Bei schlechtem Wetter waren die beiden Bergsteiger zu einem Biwak auf 8600 Metern gezwungen. „Wir verbrachten die Nacht knapp unterhalb des Gipfels“, erinnerte sich Ang Rita später, „und machten Aerobic-Übungen, um körperlich aktiv zu bleiben. Nur so kannst du dort oben überleben.“

P.S.: Ang Ritas Söhne bestiegen ebenfalls mehrmals den Everest – mit  Flaschensauerstoff: der 1971 geborene Karsang Namgyal Sherpa neunmal, Chewang Dorje Sherpa (1975 geboren) fünfmal. Karsang starb 2012 im Everest-Basislager, offenbar an den Folgen einer Alkoholvergiftung.

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Todesfall am Cho Oyu https://blogs.dw.com/abenteuersport/todesfall-am-cho-oyu/ Thu, 07 Jun 2018 14:22:50 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=41099

Gipfelregion des Cho Oyu

Die gute Nachricht zuerst: Die zu Ende gegangene Frühjahrssaison im Himalaya hat gezeigt, dass auch in Tibet koordinierte Rettungsaktionen für in Not geratene Bergsteiger möglich sind. So gestatteten die chinesischen Behörden im Falle des am Achttausender Shishapangma vermissten Bulgaren Boyan Petrov sogar, dass nepalesische Rettungshubschrauber eingesetzt wurden. Parallel dazu suchte ein Team, bestehend aus drei Sherpas und drei chinesischen Bergsteigern, direkt am Berg nach Boyan. Leider vergeblich. Doch die Zusammenarbeit zwischen nepalesischen und tibetischen Rettern könnte Maßstäbe für die Zukunft gesetzt haben. Auch am 8188 Meter hohen Cho Oyu war ein dreiköpfiges chinesisch-tibetisches Rettungsteam unmittelbar nach einem Notruf im Einsatz. Nun zur schlechten Nachricht: Wie schon bei Petrov gab es auch in diesem Fall kein Happy End. Und die Welt erfuhr nichts davon – bis heute.

„Sein Körper ist immer noch da“

Atanas Skatov am Cho Oyu

Der bulgarische Bergsteiger Atanas Skatov informierte mich darüber, dass am 15. Mai ein südkoreanisches Mitglied seines Teams in Lager 1 gestorben sei. Skatov hatte den Cho Oyu am 13. Mai ohne Flaschensauerstoff bestiegen – für den 40-Jährigen war es sein sechster der 14 Achttausender. Wie er habe auch der junge Koreaner zum Team des nepalesischen Veranstalters „Satori“ gehört, schreibt mir Atanas. „Ich war der letzte, der mit ihm am 14. Mai um 13 Uhr im Lager 2 auf 7150 Metern gesprochen hat.“ Zu diesem Zeitpunkt sei der Koreaner in guter Verfassung gewesen und habe gesagt, dass er Skatov später nach Lager 1 folgen wolle. Dort, so Atanas, sei er aber nicht eingetroffen. Daraufhin habe der Expeditionskoch des Teams den Chinesisch-Tibetischen Bergsteigerverband CTMA alarmiert. Noch am selben Abend seien drei Retter eingetroffen und am 15. Mai nach Lager 2 aufgestiegen. Skatov war zu diesem Zeitpunkt schon in die tibetische Stadt Tingri gefahren. „Am Abend erfuhr ich, dass die Retter den Koreaner in Lager 2 gefunden und ihm geholfen hätten, nach Lager 1 abzusteigen. Dort ist er gestorben. Und sein Körper ist immer noch da“, schreibt Skatov.

Expeditionsveranstalter bestätigt Berichte

R.I.P.

Auch ein französischer Bergsteiger bestätigte gegenüber Billi Bierling von der Chronik „Himalayan Database“ diese Angaben weitgehend: Dem Koreaner sei es „sehr schlecht gegangen“, und „offenbar“ sei er am 15. Mai in Lager 1 gestorben. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der deutsche Expeditionsleiter Felix Berg vom Veranstalter „Summit Climb“ nach seinem Gipfelerfolg (ebenfalls ohne Atemmaske) bereits auf der Rückreise. Doch auch seine Gruppe hatte den Koreaner noch am Berg getroffen. „Als wir vom Gipfel herunterkamen, hat er auf ca. 7850 Metern umgedreht“, schreibt mir Felix. Später habe es dann geheißen, der Koreaner sei noch immer in Lager 2. Es hätten zwei Versionen kursiert: Ihm sei die Kraft ausgegangen und er habe Probleme abzusteigen. Die andere, so Felix, habe gelautet: „Er möchte nochmal zum Gipfel – ohne Abstieg!“ Ich habe mehrfach den Expeditionsveranstalter Satori um eine Stellungnahme gebeten und erhielt heute endlich eine Antwort. Der 28 Jahre alte Koreaner Park Shin-yong sei am 16. Mai am Cho Oyu gestorben, schreibt Rishi Bhandari, Chef des Unternehmens: “Wir konnten ihn nicht retten, weil er so schwach und müde war.”

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Doch keine Everest-Besteigungen ohne Atemmaske https://blogs.dw.com/abenteuersport/doch-keine-everest-besteigungen-ohne-atemmaske/ Fri, 01 Jun 2018 12:22:19 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=41015

Mount Everest (l.) im ersten Tageslicht

Eigentlich ist es doch ganz einfach. Ein Everest-Gipfelerfolg ohne Flaschensauerstoff bedeutet, dass der Bergsteiger nicht zur Atemmaske gegriffen hat. Und genau deshalb waren die beiden einzigen in dieser Frühjahrssaison vom höchsten Berg der Erde vermeldeten Besteigungen ohne Flaschensauerstoff zwar Gipfelerfolge, mehr aber nicht! Die deutsche Bergsteigerin und Journalistin Billi Bierling, Chefin der Chronik „Himalayan Database“, informierte mich heute darüber, dass Tenjing Sherpa (oft auch „Tenji“ genannt) am 24. Mai am Südgipfel auf 8750 Metern, also 100 Meter unterhalb des Hauptgipfels, zur Flasche gegriffen habe. Es sei windig gewesen, der 26-Jährige habe keine Erfrierungen riskieren wollen, so Billi nach dem „Debriefing“ mit Tenji und dessen britischem Kletterpartner Jon Griffith. Lakpa Dendi Sherpa sei sogar schon vom knapp 8000 Meter hohen Südsattel aus mit Flaschen-Sauerstoff aufgestiegen, informierte mich die Chronistin.

Keine Richtigstellung

Am Gipfeltag hatte das noch ganz anders geklungen. Da hatte Iswari Poudel, Chef des nepalesischen Expeditionsveranstalters „Himalayan Guides“ noch gegenüber der Zeitung „Himalayan Times“ erklärt, sowohl Tenjing, als auch Lakpa Dendi Sherpa hätten bei ihren Aufstiegen auf Flaschensauerstoff verzichtet. War bei der Kommunikation über Funk etwas falsch verstanden worden? Hatte man gar nicht darüber gesprochen, ob die Bergsteiger Atemmasken verwendet hatten? Oder wurde hier bewusst eine Falschmeldung lanciert, um den Erfolg schlagzeilenträchtig zu vermarkten? Wie auch immer, die Information, dass Tenjing und Lakpa Dendi ohne Atemmaske den Everest bestiegen hätten, verbreitete sich weltweit. Und weder die beiden genannten Bergsteiger, noch der Expeditionsveranstalter stellten die Sache anschließend richtig. Das finde ich nicht nur unsportlich, sondern auch unredlich.

Falschmeldung auch vom Makalu

Makalu

Ungewöhnlich ist es leider nicht mehr. So wurde in dieser Woche auch vermeldet, dass der 69 Jahre alte polnische Bergsteiger Lech Flaczynski und sein Sohn Wojciech den Gipfel des Achttausenders Makalu erreicht hätten. Laut Billi Bierling war jedoch nur der Sohn, nicht aber der Vater ganz oben. Der hatte später per Rettungshubschrauber ausgeflogen werden müssen, weil er sich wegen starker Bauchschmerzen kaum noch bewegen konnte.

Die Fälle häufen sich, in denen es vor allem Expeditionsveranstalter mit der Wahrheit nicht so genau nehmen oder wichtige Details unterschlagen. Ich finde diese Entwicklung bedenklich. Und schade. Wie wär’s mit ehrlich?

Update 20 Uhr: Ich muss mich insofern korrigieren, dass Tenji Sherpa vor drei Tagen auf Instagram gepostet hat, dass er vom Südgipfel an Flaschensauerstoff nutzte. Vom Expeditions-Veranstalter war jedoch nichts dergleichen zu hören.

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Vor 40 Jahren: Messner und Habeler ohne Atemmaske auf dem Everest https://blogs.dw.com/abenteuersport/vor-40-jahren-messner-und-habeler-ohne-atemmaske-auf-dem-everest/ Sat, 05 May 2018 20:23:18 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=40551

Habeler (r.) und Messner (1975)

Es war eine Pioniertat, doch die Spuren sind überschaubar. Am Dienstag jährt sich zum 40. Mal der Tag, an dem der Südtiroler Reinhold Messner und der Nordtiroler Peter Habeler als erste Menschen den 8850 Meter hohen Gipfel des Mount Everest ohne Flaschensauerstoff erreichten und damit bewiesen, dass es möglich ist. Üblich ist es dadurch nicht geworden. Laut der Bergsteiger-Chronik Himalayan Database ist der höchste Berg der Erde inzwischen 8219-mal bestiegen worden, nur bei 202 Gipfelerfolgen verzichteten die Bergsteiger auf Atemmasken. Das entspricht einem Anteil von 2,5 Prozent. Auch in diesem Jahr dürfte er kaum höher liegen.

„Sind wir noch bei Trost?“

Everest-Südseite

Es habe im Vorfeld jede Menge Kritiker und Skeptiker gegeben, erzählte mir Reinhold Messner einmal in einem Interview. Das habe ihn zusätzlich angespornt. „Im Grunde wollte ich damals nur ein Exempel statuieren, einen Versuch machen. Ich wusste nicht, wie weit ich komme.“ Auch während des Aufstiegs am 8. Mai 1978 hätten Habeler und er durchaus noch Zweifel gehabt, ob sie aus dieser Nummer schadlos herauskommen würden, sagte Messner: „Bei jeder Pause haben wir uns angeschaut: Sind wir noch bei Trost? Ist es noch verantwortbar oder nicht?“ Bei minus 40 Grad Celsius und heftigem Sturm kämpften sie sich hinauf. „Wir haben in der Schlussphase wirklich mehr auf Knien und Händen als gehend den Gipfel erreicht, sonst wären wir vom Grat gefegt worden“, berichtete Messner.

Nichts wie runter!

Peter Habeler heute

Für Peter Habeler war es nach eigenen Worten „ein sehr emotionaler Moment“, als sie schließlich auf dem Dach der Welt standen. Richtig genießen konnte er ihn nicht. „Ich weiß noch, dass ich Angst hatte“, erzählte mit Habeler, als ich ihn vor einigen Monaten traf. „Ich bin sehr unruhig geworden, weil ich runterwollte. Ich habe mir gedacht: Hoppla, wie komme ich denn jetzt über den Hillary Step wieder runter, ohne Sicherung? Der Schnee war dort in einem schlechten Zustand, das hatten wir beim Aufstieg gemerkt. Ich dachte, jetzt bricht da ein Tritt raus, und dann fliegst du oabi. Aber irgendwie ist es gegangen.“ Nach der Heimkehr sei er von dem gewaltigen Medienecho überrascht worden, erzählte Habeler: „Das war ein regelrechter Hype.“

Gefesselter Berg

Reinhold Messner

Auch heute gibt es noch einen Everest-Medienhype, nur dass er selten mit Besteigungen ohne Flaschensauerstoff zu tun hat, sondern eher mit der Masse an Bergsteigern, die sich Jahr für Jahr am höchsten aller Berge versuchen. „Wenn ich tausend Leute im Basislager habe, von denen 540 bei einem Schönwetterfenster einsteigen wollen, ist mir das nicht geheuer“, sagte Habeler. „Das wäre nicht meine Art, Berge zu besteigen. Heute ist der Everest ein gefesselter Berg.“ Da sind sich die beiden Pioniere von einst einig. „Ich werde sicherlich nicht mehr ohne Atemmaske auf den Everest steigen“, sagte mir Reinhold Messner anlässlich seines 70. Geburtstags im September 2014. „Ich will nicht in meinen späten Jahren an den Bergen umkommen, nachdem ich 65 Jahre lang alles getan habe, um das Sterben am Berg zu vermeiden. Aber mit zwei Sauerstoffflaschen und zwei Sherpas, von denen einer vorne zieht und einer hinten schiebt, nochmals auf den Everest steigen? Das ist meine Sache nicht.“

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Elizabeth Hawley ist tot https://blogs.dw.com/abenteuersport/elisabeth-hawley-ist-tot/ Fri, 26 Jan 2018 08:42:51 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=39433

Miss Hawley in ihrem Haus in Kathmandu (2016)

Die legendäre Chronistin des Himalaya-Bergsteigens ist nicht mehr unter uns. „Ich bin traurig, mitteilen zu müssen, dass Elizabeth Hawley uns, nach kurzem Kampf im Krankenhaus, verlassen hat“, ließ die deutsche Journalistin und Bergsteigerin Billi Bierling wissen. „Persönlich kann ich es gar nicht in Worte fassen, was diese großartige Frau mir bedeutet hat, wie viel sie mich gelehrt hat und wie sehr ich sie in meinem Leben vermissen werde.“ Elizabeth Hawley wurde 94 Jahre alt. Vor zwei Jahren hatte sie die Leitung der Datenbank „Himalayan Datenbase“ in die Hände Billis gegeben.  

Nie selbst auf einem hohen Berg

Seit 1960 lebte Miss Hawley in Kathmandu. Anfangs arbeitete die US-Amerikanerin für die Nachrichtenagentur Reuters. „Damals wurde Bergsteigen ein wichtiger Bestandteil der Arbeit ausländischer Korrespondenten in Nepal“, erinnerte sich Hawley, als ich sie 2016 in ihrem Haus in der nepalesischen Hauptstadt besuchte. Von den Everest-Erstbesteigern Edmund Hillary und Tenzing Norgay, über Reinhold Messner bis zu den Kunden der kommerziellen Expeditionen dieser Tage – die Chronistin hat sie alle getroffen. Der höchste Berg, den sie selbst je bestiegen habe, sei nur rund 1000 Meter hoch gewesen, erzählte mir Miss Hawley. „In Vermont in New England. Aber ein Berg? Nein, eigentlich war es eher ein Hügel wie die hier rund um Kathmandu.“ Trotzdem gelang es der US-Amerikanerin immer wieder, Bergsteiger, die vorgaben, Achttausender oder andere hohe Gipfel in Nepal bestiegen zu haben, als Lügner zu ertappen.

„Einfach nur eine Chronistin“

R.I.P.

Das trug ihr Spitznamen wie „Miss Marple von Kathmandu“ und „Sherlock Holmes der Berge“ ein. „Ganz ehrlich, diese Bezeichnungen habe ich noch nie gehört. Die kannst du behalten,“ sagte mir Miss Hawley. „In einem Buch und einem Dokumentarfilm wurde ich auch schon als ‚Wächterin der Berge‘ bezeichnet. Ich bewache sie doch nicht. Ich bin einfach nur eine Chronistin.“

 

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Neue Everest-Regeln: Mit Kanonen auf Spatzen schießen https://blogs.dw.com/abenteuersport/neue-everest-regeln-mit-kanonen-auf-spatzen-schiessen/ Wed, 03 Jan 2018 13:28:57 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=39019

Mount Everest

Keine Permits mehr für Solobergsteiger, Blinde und beidseitig Beinamputierte – folgt man der Argumentation der nepalesischen Regierung, macht das die höchste Berge der Welt sicherer. Ein Blick auf die Fakten zeigt, dass hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Sehen wir uns beispielsweise das Geschehen am Mount Everest an. Die Himalayan Database (inzwischen für alle frei zugänglich, also auch für die Regierung Nepals) verzeichnet bisher 1967 Expeditionen zum höchsten Berg der Erde. Davon werden nur sechs – sprich 0,3 Prozent – als Soloexpeditionen eingestuft.

Nur Marshalls Soloversuch 1987 endete tödlich

Reinhold Messners Aufstieg im Sommer 1980 auf der tibetischen Nordseite war der erste und bisher einzig erfolgreiche. Im Sommer 1986 und Frühjahr 1987 versuchte es der Kanadier Roger Gough Marshall vergeblich alleine durch die Nordwand. Im ersten Anlauf schaffte er es bis auf 7710 Meter – im zweiten auf 7850 Meter; beim Abstieg stürzte er 300 Meter oberhalb des Zentralen Rongbuk-Gletschers tödlich ab. Im Winter 1992 brach der Spanier Fernando Garrido seinen Soloversuch auf der nepalesischen Südseite auf 7750 Metern ab.

Hinzu kommen die beiden gescheiterten Versuche des Japaners Nobukazu Kuriki im Herbst 2016 (bis auf 7400 Meter in der Nordwand) und im Frühjahr 2017 (bis auf 7300 Meter) auf der tibetischen Nordseite. Seine anderen „Solo“-Versuche auf der Südseite und über den Westgrat werden nicht als Alleingänge gewertet, weil er über den von den „Icefall doctors“ präparierten Khumbu-Eisfall aufgestiegen war und teilweise andere Expeditionsmitglieder mit ihm Lager 2 erreicht hatten.

0,3 Prozent Bergsteiger mit Handicap

Auch der fingerlose Everest-Besteiger Kim Hong Bin gehört zu den erfassten behinderten Bergsteigern

Auch die Zahl behinderter Bergsteiger am Everest ist statistisch gesehen zu vernachlässigen. Die Datenbank weist unter den 13.952 registrierten Everest-Expeditionsmitgliedern gerade einmal 44 Bergsteiger mit Handicap aus, das sind 0,3 Prozent – wobei hier alle Arten von Behinderungen zusammengefasst werden, z.B. auch die neun amputierten Finger Kurikis. 15 der notierten behinderten Bergsteiger erreichten den Gipfel auf 8850 Metern. Zwei starben: 2006 der sehbehinderte Deutsche Thomas Weber (auf 8700 Metern wahrscheinlich an einem Schlaganfall, nachdem er knapp unterhalb des Gipfels umgekehrt war) und 2014 Phur Temba Sherpa, dessen Behinderung in der Datenbank nicht näher spezifiziert ist (er starb beim Lawinenunglück am 18. April 2014 im Khumbu-Eisbruch).

Nimmt man den tödlichen Absturz des Solo-Bergsteigers Marshall hinzu, hätten wir also maximal drei Todesfälle aus der von der Regierung Nepals ausgemachten „Risikogruppe“ – bei insgesamt 290 Toten am Everest sind das rund ein Prozent der Fälle.

Beinamputierter hält an Everest-Plan fest

Hari Budha Magar will auf den Everest

Hari Budha Magar ist einer der Bergsteiger, die nach den neuen Vorschriften in diesem Frühjahr kein Permit erhalten sollen. Der 38 Jahre alte Nepalese hat als Soldat des britischen Gurkha-Regiments bei einer Bombenexplosion 2010 in Afghanistan beide Beine oberhalb der Knie verloren. Hari bezeichnete die Entscheidung der Regierung Nepals auf Facebook als „diskriminierend“ und als „Verletzung der Menschenrechte“. Er werde sich nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen. „Ich werde alle Optionen in Erwägung ziehen“, sagte Budha Magar. „Wenn ich von Tibet aus klettern muss, werde ich das tun, wenn ich vor Gericht gehen muss, werde ich auch das machen.“

Rückendeckung erhielt Hari von der US-Botschafterin in Nepal. „Fähigkeit, nicht eine vermeintliche Unfähigkeit muss die Regeln bestimmen, wer zum Mount Everest gehen darf“, twitterte Alaina B. Teplitz. „Bergsteiger wie Hari Budha Magar sollten nicht aufgrund falscher Annahmen über ihre Leistungsfähigkeit ausgeschlossen werden.“

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Himalayan Database: Schatzkiste für alle offen https://blogs.dw.com/abenteuersport/himalayan-database-schatzkiste-fuer-alle-offen/ Tue, 05 Dec 2017 10:58:30 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=38745 Der Nikolaus hat bereits ein Geschenk für die Bergfreunde in aller Welt aus seinem Sack geholt. Seit heute kann die neue Version der Himalayan Database, der elektronischen Bibel des Expeditionsbergsteigens“  in Nepal, frei heruntergeladen werden. Bisher hatte man eine CD-ROM kaufen müssen, um das Archiv nutzen zu können. Ursprünglich hatte die Freigabe dieser umfangreichen Datensammlung schon im November über die Bühne gehen sollen. Es gab jedoch eine kleine Verzögerung, weil der US-Amerikaner Richard Salisbury, der die Daten der Frühjahrssaison einpflegte, noch auf Informationen über Gipfelerfolge der Sherpas warten musste.

Mehr als 9600 Expeditionen

Miss Hawley in ihrem Haus in Kathmandu (2016)

Salisbury war es, der in den 1990er-Jahren Elizabeth Hawley, die legendäre Chronistin des Himalaya-Bergsteigens, davon überzeugte, dass es eine gute Idee wäre, ihr Archiv zu digitalisieren. 2004 war die Himalayan Database erstmals elektronisch verfügbar.  Heute beinhaltet sie Informationen über mehr als 9600 Expeditionen zu über 450 Bergen in Nepal, mehr als 70.000 Bergsteiger sind in dem Archiv verewigt. Für jeden, der tiefer in das Geschehen an den höchsten Bergen der Welt eintauchen will, ist die Datensammlung eine wahre Schatzkiste.

Expeditionen online registrieren!

Tobias Pantel, Billi Bierling, Jeevan Shrestha und Rodolphe Popier (v.l.)

„Es ist ein großer Reichtum an Informationen – egal ob man einfach nur wissen will, wie viele Menschen bis dato am Mount Everest oder an der Annapurna I waren oder ob man eine Route planen will“, hatte mir Billi Bierling im Oktober geschrieben. „Die Himalayan Database beantwortet alle diese Fragen.“ Die deutsche Bergsteigerin und Journalistin hatte 2016 die inzwischen 94 Jahre alte Miss Hawley als Chefin der Datenbank abgelöst.

Billi und die anderen Mitarbeiter der Himalayan Database -der Nepalese Jeevan Shrestha, der Franzose Rodolphe Popier und der Deutsche Tobias Pantel – weisen anlässlich der heutigen Freigabe des Archivs die Bergsteiger darauf hin, dass „das Sammeln der Daten ohne eure Hilfe unmöglich ist“. Wer eine Expedition in Nepal plane, solle sich bitte online bei der Database registrieren. Das ist als kleine Gegenleistung für eine offene Schatzkiste ja wohl nicht zu viel verlangt, oder?

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Himalayan Database bald gratis https://blogs.dw.com/abenteuersport/himalayan-database-bald-gratis/ Thu, 12 Oct 2017 09:04:59 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=38127

Tobias Pantel, Billi Bierling, Jeevan Shrestha und Rodolphe Popier (v.l.)

Die Himalayan Database ist so etwas wie die elektronische Bibel des Expeditionsbergsteigens in Nepal. Wer sich mit den höchsten Bergen der Welt beschäftigt, kommt an dieser umfangreichen Datensammlung schlicht nicht vorbei. Unzählige Male habe auch ich schon bei Billi Bierling nachgefragt, wenn ich wichtige Details von Besteigungen überprüfen wollte. Die 50 Jahre alte deutsche Journalistin und Bergsteigerin arbeitet seit 2004 für die Himalayan Database, 2016 löste sie die inzwischen 93 Jahre alte legendäre Chronistin Elizabeth Hawley als Chefin der Datenbank ab. Miss Hawley hatte in den 1960er Jahren damit begonnen, das Expeditionsbergsteigen in Nepal zu erfassen. Ihr Archiv war der Grundstock der Himalayan Database, die seit 2004 elektronisch verfügbar ist. Bisher musste dafür eine CD-ROM gekauft werden. Das wird sich in Kürze ändern. Dann wird die Datenbank für alle frei verfügbar sein.

Riesige Datensammlung

Anfang November könne die neue Version von der Internetseite himalayandatabase.com ohne Gebühr heruntergeladen werden, teilten Bierling und Co. auf Facebook mit. Mehr als 450 Berge sind in der Himalayan Database aufgelistet. Mehr als 9500 Expeditionen mit rund 70.000 Teilnehmern wurden bisher erfasst, inklusive Aufstiegsrouten, Lagerplätzen, besonderen Vorkommnissen und Details wie der Frage, ob die Bergsteiger Flaschensauerstoff verwendeten. Billi und ihr Team – der Nepalese Jeevan Shrestha, der Franzose Rodolphe Popier und der Deutsche Tobias Pantel – befragen in Kathmandu regelmäßig die eintreffenden und abreisenden Expeditionsteams. Der US-Amerikaner Richard Salisbury – er war es, der in den 1990er-Jahren Miss Hawley davon überzeugte, dass es eine gute Idee wäre, ihr Archiv zu digitalisieren – pflegt die neuen Daten anschließend ein.

Kaum noch zu schaffen

Miss Hawley (l.) und Billi

Deren Menge ist in den 13 Jahren seit der ersten digitalen Version rasant in die Höhe geschnellt. So viele Expeditionen sind inzwischen in Nepal unterwegs, dass es kaum noch möglich ist, alle zu erfassen. In der Spitzenzeit macht Billi Bierling nach eigenen Angaben zehn bis 15 Interviews am Tag, die mal nur zehn Minuten, aber auch bis zu zwei Stunden lang dauern können. Billi und ihre Mitstreiter wollen die Arbeit von Miss Hawley in der bisherigen Form weiterführen – so lange wie möglich. “Wir müssen schauen, ob wir noch eine Datenbank bleiben oder irgendwann wirklich nur noch besondere Besteigungen erfassen”, sagte mir Billi vor ein paar Monaten. Seit dem Frühjahr können Bergsteiger ihre Fragebögen auch online ausfüllen, z. B. via Facebook. Mit der kostenlosen Version geht die Himalayan Database einen weiteren Schritt in die Zukunft. Ich habe bei Billi Bierling nachgefragt.

Billi, was versprecht ihr euch davon, dass die Database künftig gratis verfügbar ist?

Die Tatsache, dass die Himalayan Database nun online als Download verfügbar ist, macht sie natürlich zugänglicher für viele Menschen. Ich denke, dass es nun einfacher wird, den Trekking Agents, Bergsteigern und auch den Expeditionsleitern zu vermitteln, was wir eigentlich machen. Es ist ein großer Reichtum an Informationen – egal ob man einfach nur wissen will, wie viele Menschen bis dato am Mount Everest oder an der Annapurna I waren oder ob man eine Route planen will. Die Himalayan Database beantwortet alle diese Fragen. Ich denke auch, dass bis jetzt einige der Trekkingagenturen in Nepal eigentlich nicht so richtig wissen, was wir eigentlich machen. Die Tatsache, dass die Datenbank nun online verfügbar ist, ist eine große Chance für uns, ihnen zu zeigen, wie auch sie diese Daten nutzen können.

Wie stellt ihr auch künftig die Finanzierung der Himalayan Database sicher?

Wir werden weiterhin weitgehend ehrenamtlich arbeiten. (Der Erlös aus dem bisherigen Verkauf der CD-ROMs floss vor allem in die Produktion der Datenträger und der beiliegenden Broschüre.) Und wie die Zukunft der Himalayan Database aussieht, steht noch in den Sternen. Unser Team besteht jedoch aus Leuten, die die Arbeit von Miss Elizabeth Hawley mit Herzblut weiterführen wollen – und hoffentlich auch werden. Und wenn wir ein wenig Geld auf der Seite haben, bekommen sie natürlich auch eine kleine Entschädigung. Aber soweit machen wir die Arbeit immer noch aus Überzeugung.

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Himalaya-Chronik 2.0 https://blogs.dw.com/abenteuersport/himalaya-chronik-2-0/ Thu, 02 Mar 2017 08:08:01 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=35199

Everest, Lhotse, Makalu (v.l.n.r.)

Es ist die alte Straße, aber wegen des gestiegenen Verkehrs wird jetzt auch der (digitale) Seitenstreifen mit genutzt. Expeditionsteams, die sich auf den Weg nach Nepal machen, können sich ab sofort bei der Himalayan Database, der von der legendären Elizabeth Hawley gegründeten Bergsteiger-Chronik, vor dem Start des Unternehmens nun auch online registrieren, z.B. via Facebook. „Wir werden weiterhin so viele Teams in Kathmandu treffen, wie wir können. Jedoch ist es in den letzten Jahren fast unmöglich geworden, alle persönlich zu interviewen“, begründet Billi Bierling das neue Verfahren.

Letzte Instanz: Miss Hawley

Miss Hawley in ihrem Haus in Kathmandu (2016)

Die deutsche Bergsteigerin und Journalistin ist mit dem Nepalesen Jeevan Shrestha, dem US-Amerikaner Richard Salisbury und dem Franzosen Rodolphe Popier für die Interviews der Himalayan Database zuständig. Die inzwischen 93 Jahre alte Miss Hawley hat sich zurückgezogen. Anfang der 1960er Jahre hatte sich die Journalistin aus den USA in Kathmandu niedergelassen und damit begonnen, das Bergsteigen an den höchsten Bergen der Welt zu dokumentieren. Jahrzehntelang fuhr sie mit ihrem blauen VW-Käfer, Baujahr 1963, vor den Hotels vor und befragte die Expeditionsteams. Ihre Chronik wurde zur Messlatte der Szene: Erst wenn Miss Hawley einen Gipfelerfolg bestätigte, galt die Expedition auch wirklich als geglückt. Manchen Gipfel-Schwindler konnte die unerbittlich nachfragende Journalistin enttarnen.

Effizienter arbeiten

Billi Bierling

Seit Beginn des kommerziellen Bergsteigens in den 1990er Jahren ist die Zahl der Expeditionsbergsteiger in Nepal jedoch geradezu explodiert. Die Zeiten, in denen Miss Hawley noch so gut wie jeden Himalaya-Bergsteiger persönlich kannte bzw. kennen konnte, sind vorbei. Die Online-Registrierung solle dabei helfen, „ein wenig effizienter zu arbeiten“, sagt Billi Bierling. „Wir haben nicht vor, die Himalayan Database unpersönlich zu machen.“ Für viele, so die 49-Jährige, gehörten die Interviews inzwischen ja zu einer Expedition in Nepal dazu. „Auch wenn ich natürlich nicht Miss Hawley bin und manche Leute manchmal enttäuscht sind, wenn sie die Dame nicht persönlich kennenlernen können – was ich vollkommen verstehen kann.“

Keine Schiedsrichter oder Detektive

Original (1,2) und Fälschung (3,4) (© The Himalayan Times)

Nach den Expeditionen versucht das Quartett der Interviewer weiterhin, so viele Bergsteiger wie nur möglich zu befragen. Wer ihnen durch die Lappen geht, hat die Möglichkeit, nachträglich einen Online-Fragebogen auszufüllen. Sinkt damit nicht die Chance, Lügner zu überführen? „Die Zahl der Schwindler ist im Vergleich zu den Leuten, die ehrlich sind, noch sehr gering“, antwortet Billi Bierling. „Und es heißt ja nicht, dass wir alle Schwindler entlarven, auch wenn wir sie persönlich treffen.“ So sei der Everest-Schwindel des indischen Ehepaars im Frühjahr 2016 trotz Interviews zunächst nicht aufgefallen. „Hätte der eigentliche Besitzer der getürkten Gipfel-Bilder nicht darauf aufmerksam gemacht, wäre diese Lüge wohl auch in der Datenbank gelandet“, räumt Billi ein. „Wir arbeiten nach wir vor auf Vertrauen, denn wir sind keine Schiedsrichter oder Detektive – das würde ich mir auch niemals anmaßen. Wir werden natürlich alles dafür tun, Miss Hawleys Himalayan Database so gut und präzise weiterzuführen, wie es geht. Aber wenn uns jemand wirklich anlügen will, dann tut er das. Wenn wir Glück haben, weisen uns andere Bergsteiger, die zur gleichen Zeit am Berg waren, darauf hin.“

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Billi Bierling am Cho Oyu: 3 Fragen, 3 Antworten https://blogs.dw.com/abenteuersport/billi-bierling-am-cho-oyu-3-fragen-drei-antworten/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/billi-bierling-am-cho-oyu-3-fragen-drei-antworten/#comments Wed, 21 Sep 2016 09:14:56 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=33631 Billi in Tibet

Billi in Tibet

Jeder, der mehr als einmal auf Expedition in Nepal war, dürfte ihr wohl schon in Kathmandu begegnet sein. Billi Bierling arbeitet seit vielen Jahren als Assistentin der legendären Himalaya-Chronistin Elizabeth Hawley. Die inzwischen 92 Jahre alte US-Amerikanerin sieht in Billi ihre Nachfolgerin als Leiterin der Himalayan Database. Was viele nicht wissen: Bierling befragt nicht nur ankommende und abreisende Expeditionsmitglieder in den Hotels von Kathmandu für die Chronik, sondern ist selbst eine ambitionierte Höhenbergsteigerin. Die 49 Jahre alte Deutsche hat bereits vier Achttausender bestiegen: 2009 den Mount Everest, 2011 den Lhotse und den Manaslu (diesen Gipfel erreichte sie ohne Flaschensauerstoff) sowie 2014 den Makalu. In diesem Herbst versucht sich Billi am 8188 Meter hohen Cho Oyu in Tibet.

„Ich habe mich in diesem Jahr für den Cho Oyu entschieden, da ich vor elf Jahren hier war und nur bis Lager 2 (auf 7200 Metern) gekommen bin“, schreibt mir Billi aus dem vorgeschobenen Basislager. „Es war mein erster Achttausender, und damals war ich überzeugt dass ich für solche hohen Berge nicht stark genug bin. Jetzt bin ich noch einmal hier. Und ich hoffe ganz arg, dass mich der sechsthöchste Berg dieses Mal akzeptiert. Und genauso wie am Manaslu möchte ich gerne ohne zusätzlichen Sauerstoff auf dem Gipfel stehen.“

Billi, der Cho Oyu könnte dein fünfter Achttausender werden? Du hast als Training Hunderte von Berglauf-Kilometern in den Beinen. Wie hoch schätzt du deine Chancen ein?

nepalesische Seite des Cho Oyu

nepalesische Seite des Cho Oyu

Ich glaube, dass ich besonders vom „Zugspitz-Ultratrail“ profitiere (das Rennen um die Zugspitze, den höchsten Berg Deutschland geht eine Distanz von mehr als 100 Kilometern und über 5000 Höhenmeter; Billi erreichte im vergangenen Sommer das Ziel nach 23:36.57 Stunden). Ich bin dafür im Training Hunderte von Berg-Kilometern gelaufen, und das kommt mir jetzt zugute. Ich fühle mich gut akklimatisiert, und auch nach vier Tagen am Berg fühle ich mich noch kräftig.

Wie sind die Verhältnisse am Cho Oyu?

Es ist relativ viel Schnee am Berg, der sich aber sehr gut konsolidiert hat. Bis jetzt war ich erst auf ca. 6800 Metern, oberhalb der Eiswand, und bis dorthin waren die Bedingungen gut. Ein österreichischer Kollege und ich wollen in den nächsten Tagen nach Lager 2 aufsteigen und dort zweimal übernachten. Damit wäre unsere Akklimatisierung abgeschlossen.

Billi Bierling

Billi Bierling

Neben dem Manaslu ist der Cho Oyu der meist nachgefragte Achttausender in diesem Herbst. Hat das Basislager Everest-Dimensionen?

Es ist interessant, denn in den letzten zehn Jahren sind Manaslu und Cho Oyu sehr kommerzialisiert worden. Beide Berge werden von den kommerziellen Anbietern als Vorbereitung für den Everest angeboten. Bis vor zehn Jahren sind die meisten Bergsteiger ohne Atemmaske aufgestiegen, nun benutzt die Mehrheit zusätzlichen Sauerstoff. Ich denke, es sind 250 bis 300 Bergsteiger hier, alleine eine große tibetisch-chinesische Expedition mit etwa 150 Leuten. Aus diesem Grund ist es gut, dass ich hier bin, denn normalerweise gehen uns diese Expeditionen für die Himalayan Database natürlich durch die Lappen.

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Billi Bierling zum Everest-Schwindel: “Es ist traurig” https://blogs.dw.com/abenteuersport/billi-bierling-zum-everest-schwindel-es-ist-traurig/ Wed, 06 Jul 2016 07:25:18 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=33133 Mount Everest

Mount Everest

Lügen haben kurze Beine. Nach Informationen der in Kathmandu erscheinenden Zeitung „The Himalayan Times“ hat das nepalesische Tourismusministerium Sanktionen gegen das indische Ehepaar auf den Weg gebracht, das – wie berichtet – offenkundig gefälschte Gipfelfotos vorgelegt hatte, um seine Everest-Urkunden zu erhalten. Aller Voraussicht nach werden die Zertifikate annulliert, die beiden Schummel-Bergsteiger dürfen zudem möglicherweise zehn Jahre lang keine Berge in Nepal mehr besteigen. „Die Tourismus-Behörde wird außerdem die nötigen Schritte gegen den Verbindungsoffizier, die Climbing Sherpas und den Expeditionsveranstalter ergreifen“, sagte Sudarshan Prasad Dhakal, Direktor der Behörde, der “Himalayan Times”. Die beiden Sherpas, die Dinesh und Tarakeshwari Rathod am Everest unterstützt hätten, seien weiterhin nicht erreichbar, teilte der Veranstalter Makalu Adventure mit und beschuldigte die Sherpas, für den Schlamassel verantwortlich zu sein.

Die Mitarbeiter der Himalayan Database, der Bergsteiger-Chronik der legendären Elizabeth Hawley, prüfen ebenfalls den Fall. Ich habe Kontakt zu Billi Bierling aufgenommen. Die 49-jährige deutsche Journalistin und Bergsteigerin ist die designierte Nachfolgerin von Miss Hawley, die inzwischen 92 Jahre alt ist.

Billi, auch ihr seid bei eurem Interview mit den beiden indischen Bergsteigern allem Anschein nach getäuscht worden. Wie steht es um die gern beschworene Bergsteiger-Ehre?

Billi Bierling

Billi Bierling

Ich muss leider sagen: Ich glaube, es hat sich etwas in der Welt des Himalaya-Bergsteigens geändert. Früher waren Besteigungen etwas Besonderes und eine große Leistung. Doch mit der Kommerzialisierung, der Jagd nach Sponsoren und dem Drang, etwas Besonderes vorweisen zu wollen (einfach den Everest zu besteigen, scheint nicht mehr zu reichen), ist nach meiner Einschätzung die Zahl der Leute gestiegen, die nicht mehr hundertprozentig ehrlich sind.

Miss Hawley, Jeevan Shrestha (der das indische Ehepaar befragt hat) und ich selbst arbeiten auf Vertrauensbasis, und auch wenn ich immer noch glaube, dass die große Mehrheit der Bergsteiger ehrlich ist, hat es einige zweifelhafte Fälle gegeben. In solchen Fällen fragen wir weiter nach. Und wenn der Bergsteiger oder die Bergsteigerin weiterhin darauf besteht, den Gipfel erreicht zu haben, rechnen wir ihm die Besteigung an, allerdings mit dem Hinweis, dass sie nicht bestätigt oder sogar strittig ist.

In „normalen“ Everest-Saisons besteigen mehrere hundert Menschen den höchsten Berg der Erde. Ist es überhaupt noch möglich, jeden vermeldeten Gipfelerfolg intensiv zu überprüfen? Was könnte helfen?

Da Miss Hawley nicht länger arbeitet und im vergangenen Frühjahr nur Jeevan und ich die Teams getroffen haben, ist es beinahe unmöglich geworden, ausreichend Zeit mit jeder einzelnen Expedition zu verbringen, um alles zu kontrollieren, was sie angeben. Wie ich schon zuvor sagte, vertraue ich immer noch darauf, dass die meisten Menschen ehrlich sind. Aber für die anderen müssen wir uns ein neues System ausdenken. In der heutigen Zeit scheint doch jeder einen GPS-Tracker zu haben, den wir nachverfolgen können. Oder wir können uns die Gipfelfotos von allen ansehen, aber wie sich jetzt gezeigt hat, funktioniert das nicht mehr unbedingt.

Vielleicht sollten wir, wie bei Wettläufen, jeden Bergsteiger mit einem Chip ausrüsten, der piept, wenn er am Gipfel angekommen ist. Aber wo würde das hinführen? Ich bevorzuge es immer noch, den Leuten zu vertrauen.

Original (1,2) und Fälschung (3,4) (© The Himalayan Times)

Original (1,2) und Fälschung (3,4) (© The Himalayan Times)

Es wird in diesen Tagen viel über eine mögliche Dunkelziffer erschlichener Everest-Urkunden diskutiert. Muss man damit leben, dass es überall im Sport solche Übeltäter gibt, also auch im Höhenbergsteigen?

Ja, es ist traurig. Miss Hawley hat immer darauf hingewiesen, dass wir weder Richter noch Detektive sind – wir sind einfach Reporter, die Daten für die Himalayan Database sammeln. Wenn wir nun jede Besteigung anzweifeln und untersuchen müssen, ob die Bergsteiger wirklich die Wahrheit sagen, finde ich wirklich, dass der Geist, mit dem Miss Hawley ihre Chronik begonnen hat, überholt ist. Auch wenn sie immer hart nachgefragt hat, hat sie in der Regel nicht geurteilt. Erst wenn es ganz klare Beweise gegen die Aussagen der Bergsteiger (wie im Fall der Inder) gab, hat sie es abgelehnt, die Besteigung anzuerkennen.

Wir werden es also in Zukunft schwer haben, und im Augenblick weiß ich wirklich nicht, wie diese Zukunft aussehen wird. Aber bevor nicht der endgültige Beweis vorliegt, wie könnten wir darüber entscheiden, ob jemand oben war oder nicht, ohne ihn oder sie selbst am Berg begleitet zu haben? Und ich denke, es wird noch zwei weitere Generationen dauern, bis die Himalayan Database auf allen Gipfeln von Expeditionsbergen Leute stationiert hat, die die Besteiger abhaken. Ich hoffe also, dass ich mit meinem Bauchgefühl richtig liege und dass trotz dieser unfassbaren Geschichte des indischen Ehepaares die meisten Bergsteiger ehrlich bleiben und die Wahrheit sagen!

 

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Miss Hawley: „Ich bin einfach nur eine Chronistin“ https://blogs.dw.com/abenteuersport/miss-hawley-ich-bin-einfach-nur-eine-chronistin/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/miss-hawley-ich-bin-einfach-nur-eine-chronistin/#comments Tue, 05 Apr 2016 08:56:04 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=32301 Miss Hawley in ihrem Haus in Kathmandu

Miss Hawley in ihrem Haus in Kathmandu

Als ich den Käfer sah, wusste ich, dass ich richtig war. Ich kannte die Straße, hatte aber keine Hausnummer, nur eine grobe Beschreibung, wo Miss Hawley in Kathmandu wohnt. Doch da stand er im Hof: der hellblaue VW-Käfer, Baujahr 1963. „Klar fährt er noch. Diese Käfer sind wirklich unglaublich langlebig“, sagt die legendäre Chronistin des Himalaya-Bergsteigens. Seit Jahrzehnten fährt die US-Amerikanerin mit dem hellblauen Auto vor den Hotels Kathmandus vor, um Bergsteiger zu ihren Himalaya-Expeditionen zu befragen. Die 92-Jährige sitzt allerdings nicht mehr selbst am Steuer, sondern lässt sich in ihrem Käfer chauffieren. „Ich kann doch mit Gehhilfe kein Auto fahren“, sagt Elizabeth Hawley und lacht verschmitzt. Seitdem sie sich die Hüfte gebrochen habe, sei sie nicht mehr ganz so mobil wie früher.

Mehr Angeber

Seit 1960 lebt Miss Hawley in Kathmandu. Seitdem hat sie in ihrer Chronik „Himalayan Database“ mehr als 4000 Expeditionen erfasst. Anfang arbeitete sie für die Nachrichtenagentur Reuters. „Damals wurde Bergsteigen ein wichtiger Bestandteil der Arbeit ausländischer Korrespondenten in Nepal“, erinnert sich Hawley. Von den Everest-Erstbesteigern Edmund Hillary und Tenzing Norgay, über Reinhold Messner bis zu den Kunden der kommerziellen Expeditionen dieser Tage – die Chronistin hat alle Typen von Bergsteigern getroffen. Ich möchte von ihr wissen, ob heute mehr geflunkert wird als früher. „Ist der Prozentsatz der Lügner pro Expedition wirklich angestiegen? Ich glaube nicht“, sagt Miss Hawley. „Die kommerziellen Bergsteiger prahlen vielleicht eher mit ihren Erfolgen.“

Viele nicht ertappt

Der höchste Berg, den sie selbst je bestiegen habe, sei nur rund 1000 Meter hoch gewesen, erzählt die alte Dame. „In Vermont in New England. Aber ein Berg? Nein, eigentlich war es eher ein Hügel wie die hier rund um Kathmandu.“ Trotzdem gelang es der US-Amerikanerin immer wieder, Bergsteiger, die vorgaben, Achttausender oder andere hohe Gipfel in Nepal bestiegen zu haben, als Lügner zu ertappen. Einige seien von anderen Bergsteigern beobachtet worden, andere hätten sich in Widersprüche verstrickt: „Manch einer klang wirklich verdächtig. Aber ich bin mir sicher, dass mir auch viele durch die Lappen gegangen sind.“

Auf dem Rücken des Sherpas

Nordseite des Mount Everest

Nordseite des Mount Everest

Sie schildert den Fall des Japaners Tomiyasu Ishikawa, der 2002 den Everest von Norden aus bestieg. Der 65-Jährige war „damals der Älteste, der den Gipfel erreicht hatte, aber hatte er ihn auch bestiegen? Wie viele bemerken diesen kleinen Unterschied?“, fragt Miss Hawley. Der Japaner sei im Gipfelbereich müde geworden. „Er erreichte den Gipfel auf dem Rücken eines Sherpas.“ Altersgrenzen für Everest-Bergsteiger nach oben – wie von der nepalesischen Regierung 2015 angekündigt – hält Miss Hawley für überflüssig, für junge Menschen befürwortet sie dagegen strengere Regeln: „Kleine Kinder sollten nicht auf Berge steigen, schon gar nicht auf den Everest. Sie sind nicht stark und entwickelt genug, sowohl körperlich als geistig.“

An den Tisch geklammert

Die anstehende Frühjahrssaison erwartet Miss Hawley mit Spannung: „Ich bin wirklich neugierig, was in diesem Jahr passiert. Wahrscheinlich wird die Zahl der Bergsteiger geringer ausfallen, weil die Leute Angst vor weiteren Erdbeben haben. Wir haben ja immer noch gelegentlich Nachbeben.“ Das verheerende Beben am 25. April 2015 habe sie in ihrem Haus erlebt. „Ich saß am Tisch und habe mich einfach festgehalten. Du wartest, bis es vorbei ist und dann machst du einfach weiter.“ Wie viele andere in Nepal spricht auch Miss Hawley von einem noch stärkeren Beben, das bevorstehen könnte. „Ich hoffe, ich bin dann wieder in der Nähe meines stabilen Tisches“, sagt die 92-Jährige und lacht.

Die Nachfolgerin

Billi Bierling

Billi Bierling

Die Arbeit an ihrer Himalaya-Chronik will Miss Hawley an ihre deutsche Assistentin Billi Bierling übertragen. „Vielleicht weiß sie es, vielleicht auch nicht. Wir arbeiten sehr gut zusammen. Sie ist gut, sie ist verrückt, sie ist schnell.“ So ganz kann sich Elizabeth Hawley allerdings selbst noch nicht vorstellen, sich völlig auszuklinken: „Es hängt davon ab, wie es klappt. Vermutlich werde ich sie auch mal kritisieren. Aber ich hoffe, ich mache es nicht.“

 

Ohne Allüren

Kürzlich hat die nepalesische Regierung einen Sechstausender „Peak Hawley“ getauft. „Kein Berg sollte nach einer Person benannt werden und ganz bestimmt nicht nach mir“, wiegelt Miss Hawley ab. „Ich dachte, es sei ein Scherz.“ Sie solle es als Auszeichnung nehmen, entgegne ich. „Von mir aus, aber eine lustige Auszeichnung“, sagt Hawley kichernd. Mit Spitznamen kann sie auch nichts anfangen. Ich erwähne „Mama Himalaya“, „Miss Marple von Kathmandu“ und „Sherlock Holmes der Berge.“ Miss Hawley grinst: „Ganz ehrlich, diese Bezeichnungen habe ich noch nie gehört. Die kannst du behalten. In einem Buch und einem Dokumentarfilm wurde ich auch schon als ‚Wächterin der Berge‘ bezeichnet. Ich bewache sie doch nicht. Ich bin einfach nur eine Chronistin.“

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Cleo am Nanga Parbat https://blogs.dw.com/abenteuersport/cleo-am-nanga-parbat/ Thu, 28 Jan 2016 10:57:33 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=31743 Gipfel des Nanga Parbat

Gipfel des Nanga Parbat

Sie kam wie aus dem Nichts. Plötzlich stand dieser Tage Cleonice Pacheco, genannt „Cleo“ Weidlich mit ihrem Sherpa-Team im Basislager auf der Rupal-Seite des Nanga Parbat – zur Überraschung der meisten Beobachter. Dabei hatte die in Brasilien geborene US-Amerikanerin gar keinen Hehl daraus gemacht, dass sie sich in diesem Jahr an der ersten Winterbesteigung des neunthöchsten Berg der Erde versuchen wollte. Doch kaum jemand, mich eingeschlossen, hatte davon Notiz genommen. Und die wenigen, denen es aufgefallen war, werden sich wohl gedacht haben, die 52-Jährige hätte ihren Plan aufgegeben. Schließlich tauchte sie erst im Basislager auf, als sich das polnische „Nanga Dream“-Team bereits anschickte, nach seinem gescheiterten Versuch wieder abzureisen.

Drei Sherpas sollen spuren

Offenkundig hat sich Cleo Weidlich in Nepal vorakklimatisiert. Begleitet wird sie von drei Sherpas. Der Expeditionsveranstalter Adventure Tours Pakistan informierte mich auf Anfrage, um wen es sich bei den anderen Teammitgliedern handelt. Der 45 Jahre alte Pema Tshiring Sherpa, der 33-jährige Temba Bhote und der 30 Jahre alte Dawa Sangay Sherpa, alle aus dem Distrikt Sankhuwasaba im Osten Nepals, werden Weidlich unterstützen. Einerseits könnten sie von der Vorarbeit des „Nanga Dream“-Teams profitieren, das auf der Schell-Route bereits bis auf eine Höhe von etwa 7300 Metern vorgedrungen war (Expeditionsleiter Marek Klonowski widersprach Berichten, Pawel Dunaj und er hätten eine Höhe von 7500 Meter erreicht). Allerdings könnten die Schneefälle in dieser Woche auch dafür gesorgt haben, dass die Sherpas mit der Spurarbeit wieder bei Null anfangen müssen.

Teilweise umstritten

Cleo 2011 auf dem Gipfel des Kangchendzönga

Cleo 2011 auf dem Gipfel des Kangchendzönga

Cleo Weidlichs Ruf in der Szene ist nicht gerade der allerbeste. Die 52-Jährige nahm es in der Vergangenheit mit der Wahrheit nicht immer genau. Zeitweise behauptete Cleo, schon zehn der 14 Achttausender bestiegen haben, dann ruderte sie auf acht zurück. Bestätigt sind davon nur sechs Gipfelerfolge: am Cho Oyu (2009), Gasherbrum I (2010), Mount Everest (2010), Manaslu (2010), Kangchendzönga (2011) und Dhaulagiri (2012). Die von Weidlich behauptete Besteigung der Annapurna im Frühjahr 2012 wird in der „Himalayan Database“ von Elizabeth Hawley, der legendären Chronistin des Höhenbergsteigens in Nepal, weiterhin als umstritten („disputed“) geführt. Im Herbst 2012 behauptete Weidlich zudem, den Makalu bestiegen zu haben. In diesem Fall blieb sie ebenfalls Beweise schuldig. Ihre Aussagen gegenüber Miss Hawley waren so widersprüchlich, dass die angebliche Besteigung nicht einmal in die Kategorie „umstritten“ aufgenommen wurde.

Mit dem Hubschrauber ins Hochlager

Weltweit für Schlagzeilen sorgte Cleo zuletzt im Frühjahr 2014, als sie sich – wie die Chinesin Wang Jing – vom Everest-Basislager aus mit dem Hubschrauber hinauf nach Lager 2 auf 6400 Metern fliegen ließ, um von dort aus den Lhotse zu besteigen. Zu diesem Zeitpunkt hatten fast alle kommerziellen Expeditionen den Everest vorzeitig verlassen. Grund war das Lawinenunglück im Khumbu-Eisbruch am 18. April 2014, bei dem 16 nepalesische Bergsteiger ums Leben gekommen waren. Es hatte zu heftigen Diskussionen über die Sicherheit der einheimischen Hochträger geführt. Nach der Abreise fast aller Teams hatte die Regierung eine Ausnahmegenehmigung erteilt, die Hochlager anzufliegen, um von dort Material abzutransportieren. Normalerweise sind Hubschrauberflüge am Everest nur für Rettungseinsätze zugelassen.
Wang Jing erreichte, nachdem sie von einem Helikopter in Lager 2 abgesetzt worden war, schließlich mit ihrem Sherpa-Team den Gipfel des Mount Everest. Cleo Weidlich gab später an, sie habe gar nicht erst ernsthaft versucht, den Lhotse zu besteigen.

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Der andere Tote von der Annapurna https://blogs.dw.com/abenteuersport/der-andere-tote-von-der-annapurna/ https://blogs.dw.com/abenteuersport/der-andere-tote-von-der-annapurna/#comments Wed, 22 Apr 2015 14:38:27 +0000 http://blogs.dw.com/abenteuersport/?p=28839 Annapurna I

Annapurna I

Tot und weg. Warum eigentlich wird über einzelne Sherpas, die im Himalaya tödlich verunglücken, häufig so schnell hinweggegangen? Fast so, als wäre es nur ein Betriebsunfall. Nach dem Motto: Es ist zwar traurig, aber kommt eben vor. Jüngstes Beispiel war das Unglück an der Annapurna vor vier Wochen. In den Tagen danach waren viele Nachrufe auf den verstorbenen 36 Jahre alten Finnen Samuli Mansikka zu lesen. Das hatte er zweifellos verdient. Samuli war nicht nur ein ausgezeichneter Bergsteiger – die Annapurna war sein zehnter Achttausender, acht davon bestieg er ohne Flaschensauerstoff – , sondern, nach allem, was seine Mitstreiter berichten, auch ein cooler Typ, ein echter Kumpel, immer für einen Spaß oder auch eine zünftige Party zu haben. Über den anderen abgestürzten Bergsteiger erfuhren wir jedoch so gut wie nichts. 35 Jahre alt sei Pemba Sherpa gewesen, hieß es in einigen Berichten. Er habe aus der Gegend um den Achttausender Makalu gestammt und wegen seiner technischen Kletterfähigkeiten den Spitznamen „Technical Pemba“ getragen. Über das, was Pemba zuvor als Bergsteiger geleistet hatte, gingen die Informationen weit auseinander. Damit wollte ich mich nicht zufrieden geben.

Häufiger Name

Die Recherche erwies sich als aufwändig. In Expeditionsberichten werden Sherpas häufig totgeschwiegen. Nicht selten wird ganz auf ihre Namen verzichtet, fast so, als wären sie nur Nummern, keine Menschen aus Fleisch und Blut. Liegt es vielleicht daran, dass es den Verfassern peinlich ist, auf die Hilfe der Sherpas zurückgegriffen zu haben? Oder auch daran, dass deren Namen häufig zum Verwechseln ähnlich oder sogar identisch sind. In Nepal gibt es jede Menge Sherpas, die den tibetischen Namen „Pemba“ tragen. Er bedeutet eigentlich nur, dass derjenige an einem Samstag das Licht der Welt erblickte.

Billi Bierling

Billi Bierling

Ich wandte mich an den Expeditionsveranstalter Dreamers Destination, für den der verstorbene Pemba Sherpa gearbeitet hatte, wie sich später herausstellte allerdings zum ersten Mal. Meine Anfrage blieb ebenso unbeantwortet wie diejenige an den nepalesischen Bergsteigerverband NMA. Wie gut, dass es Billi Bierling gibt, eine in Kathmandu lebende deutsche Bergsteigerin und Journalistin. Sie arbeitet an der Himalayan Database mit, der Chronik der legendären US-Amerikanerin Elizabeth Hawley, und hat immer einen Finger am Puls des Himalaya-Bergsteigens. Auch Billi tappte zunächst im Dunkeln. Beinahe jeder, den sie nach dem an der Annapurna verstorbenen Sherpa fragte, schien einen anderen Pemba zu meinen. Die Angaben über sein Alter, seine Herkunft und seine Bergsteiger-Vita gingen wie Kraut und Rüben durcheinander. Zudem schienen sie auf keinen Pemba Sherpa in der Himalayan Database zu passen.

Viermal auf dem Everest

Billi ließ nicht locker. Nach rund zwei Wochen gelang es ihr, den Nebel zu lichten. Nach ihren Nachforschungen wird der an der Annapurna verunglückte Pemba Sherpa im Archiv von Miss Hawley als Pema Tshering geführt. Er wurde am 16. Juni 1970 im oberen Walung-Distrikt im Makalu-Barun-Nationalpark geboren. Zwölf Achttausenderbesteigungen standen bis 2014 auf seinem Konto: Viermal bestieg Pemba (Pema) den Mount Everest (2003, 2004, 2007 und 2013), dreimal den Dhaulagiri (2005, 2009, 2012), zweimal den Kangchendzönga (2009, 2011), zweimal die Annapurna (2010, 2012) und einmal den Lhotse (2008).

Mit Oh Eun-Sun und Cleo Weidlich

Es fällt auf, dass er häufig Bergsteigerinnen auf Achttausender-Gipfel begleitete: je dreimal die Südkoreanerin Oh Eun-Sun und die US-Brasilianerin Cleo Weidlich. „Miss Oh“ komplettierte 2010 als erste Frau ihre Achttausendersammlung, wobei bis heute ihr Gipfelerfolg am Kangchendzönga in der Himalayan Database als „umstritten“ geführt wird. Pemba hatte im Gegensatz zu einem anderen Mitglied des fünfköpfigen Sherpa-Teams zu Protokoll gegeben, Oh Eun-Sun habe 2009 mit ihm wirklich auf dem Gipfel des dritthöchsten Bergs der Erde gestanden. Ein Jahr später bestieg Pemba mit der Koreanerin auch deren letzten Achttausender, die Annapurna. 2014 begleitete er Cleo Weidlich, mit der er zuvor schon die Gipfel von Annapurna, Dhaulagiri und Kangchendzönga erreicht hatte, bei deren Versuch am Lhotse. Die Expedition sorgte für Schlagzeilen gesorgt, weil sich Cleo (wie die Chinesin Wang Jing) mit dem Hubschrauber ins Hochlager oberhalb des Khumbu-Eisbruchs fliegen ließ.

Amateurhaft? Wohl kaum

Pembas 13. Achttausender-Besteigung, seine dritte der Annapurna, endete für ihn tödlich. Was genau ihm und Samuli Mansikka beim Abstieg widerfuhr und zum tödlichen Verhängnis wurde, werden wir wahrscheinlich nie erfahren. Ihre Leichen wurden in einer Gletscherspalte auf 7200 Metern entdeckt. Dem Sherpa und dem Finnen „amateurhaftes Verhalten“ und „Fahrlässigkeit“ vorzuwerfen, wie es ein Expeditionsmitglied nach dem Unglück getan hatte,  erscheint mir sehr voreilig. Wie Samuli war auch Pemba ein sehr erfahrener Achttausender-Bergsteiger, alles andere als ein Amateur. Pem(b)a Tshering Sherpa wurde 44 Jahre alt. Er hinterlässt eine Frau und eine vierjährige Tochter.

Update: Offenbar lagen wir falsch. Mingma Sherpa, Chef von Dreamers Destination, hat mich darüber informiert, dass es sich bei dem tödlich verunglückten Sherpa von der Annapurna um Pemba Sherpa aus Sankhuwasava handelte: „Er hat die Annapurna 2009, 2010, 2012 und 2015 bestiegen, den Kangchendzönga von Indien aus, den Dhaulagiri 2012, den Makalu 2011. Er war 2009 und 2014 am K 2. Dort traf ich ihn im vergangenen Jahr. Ich war überrascht von seiner Leistungsfähigkeit, er hat alleine die Route von Camp 2 nach Camp 4 gespurt. Er ein wirklich erfahrener, technisch versierter Bergsteiger, deshalb wurde er auch ‚Technical Pemba‘ genannt.  He was a really experienced and technical climber so named technical Pemba.“

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