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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Messner – das Geburtstagsinterview

Reinhold Messner

Reinhold Messner (2013)

Der Mann wirkt irgendwie zeitlos. Wie schafft Reinhold Messner das bloß? Die lebende Bergsteiger-Legende antwortet mit seinem Lebensmotto aus dem Tibetischen: „Kalipé – ruhigen Fußes!“ Ich habe den Südtiroler, der einst als erster Mensch alle 14 Achttausender bestieg, wegen seines bevorstehenden runden Geburtstags angerufen. Am nächsten Mittwoch feiert Messner seinen siebzigsten. Er scheint „unwandelbar dem Zahn der Zeit zu trotzen“, wie es einst Shakespeare formulierte. Aber lest selbst!

Reinhold Messner, der deutsche Schriftsteller Theodor Fontane hat einmal gesagt: „Mit siebzig ’ne Jubiläumsfeier, Artikel im Brockhaus und im Meyer“. Punkt zwei ist abgearbeitet, im Lexikon stehen Sie ja schon. Wie sieht es mit der Jubiläumsfeier aus?

Ich mache eine ganz private Geburtstagsfeier, die in keiner Weise öffentlich sein soll. Es gibt einen Termin und einen Ort. Ich kann erzählen, dass ich zu einem Biwak geladen habe. Ein letztes Mal traue ich mich mit 70 noch einmal, nach der Feier im Freien, unter den Sternen, im Schlafsack zu übernachten. Die meisten meiner Freunde machen das auch mit, die anderen fahren ins Hotel im Tal.

70 Jahre, ein runder Geburtstag. Sind Sie wunschlos glücklich?

Wir tragen das Glück nicht in uns, sondern es passiert in uns und mit uns. Ich habe es heute leichter, weil ich nichts mehr zu beweisen habe. Ich habe es auch nicht mehr eilig. Aber ich bin immer noch aktiv. Ich bin in der phantastischen Lage, dass meine Knie noch funktionieren und alle Gelenke in Ordnung sind. Obwohl ich natürlich einige Einbußen hatte – ein zerborstenes Fersenbein, ein paar Zehen verloren -, geht es mir dem Alter entsprechend noch relativ gut. Ich habe viele Ideen, um die nächsten Jahre auszufüllen, ein gelingendes Dasein zu führen und damit auch glücklich zu sein. 

Gibt es den Reinhold Messner, der in seinem Schloss Juval bei einem leckeren Glas Rotwein einfach in der Sonne sitzt und tagträumt?

Das gibt es schon, etwa am Abend mit meiner Frau und meinen Kindern, aber nicht als Gewohnheit. Ich bin jemand, der tätig ist, der Ideen entwickelt und darin auch aufgeht. Das ist vielleicht sogar eines meiner größten Erfolgsmodelle, dass ich eine Idee so verinnerliche, dass sie im Tag- und Nachttraum langsam wächst, bis sie gereift ist. Eine Idee im Kopf ist jedoch noch kein Abenteuer, sondern nur ein Luftschloss. Aber wenn sie dann umgesetzt wird und Realität wird, entsteht das, was ich den Flow-Zustand nenne. Dann bin ich ganz bei mir selbst, wie schwebend, alles fließt. Und das macht mich glücklich.

Messner: In meinen Ideen aufgehen

Welche Ziele würden Sie denn aus ihren vielen Ideen für das nächste Lebensjahrzehnt herausgreifen?

Ich werde in den nächsten Jahren auf jeden Fall weiter mein Bergmuseum beaufsichtigen und dafür sorgen, dass es nicht untergeht. Das soll eine nachhaltige Geschichte bleiben. Auch meine Bauernhöfe liegen mir am Herzen. Und ich würde mich gerne als Filmemacher probieren – in der Art eines Autorenfilmers, der eine Idee im Kopf hat, hinausgeht in eine wilde Welt und Bilder sammelt, um am Ende auf der Leinwand eine starke Geschichte zu erzählen.

Messner (l.) mit Peter Habeler (1975)

Messner (l.) mit Peter Habeler (1975)

Der Spanier Carlos Soria turnt derzeit wieder im Himalaya herum. Er will die Shishapangma besteigen, es wäre sein zwölfter von 14 Achttausendern. Der Mann ist 75. Sind Sie froh, dass Sie das schon mit Anfang 40 abgearbeitet hatten?

Ich bin vor allem froh, dass ich das erledigen konnte, als an diesen Bergen noch niemand anderer unterwegs war. Es gab damals nur ein Permit für je eine Expedition, und jedes Grüppchen, ob allein, zu zweit oder zu fünft, hat sich in Eigenregie hoch gearbeitet. Ich halte es für das Glück der frühen Geburt, dass wir noch archaische Berge erleben durften. Am Matterhorn versuchen sich 20.000 Leute im Jahr, am Mont Blanc ist es noch schlimmer. Die Berge sind präpariert für Massenaufstiege.

Messner: Das Glück der frühen Geburt

In diesem Frühjahr haben 500 Sherpas den Everest präpariert, mit einer Art Klettersteig, auf dass dann Tausende von Klienten, die viel Geld dafür bezahlen, auf diesen Berg gebracht werden können. Es passierte dann ein Unfall, 16 Sherpas sind in einer Lawine gestorben. Man muss das als ‚Straßenbau-Unfall‘ sehen. Dann hat es Streiks gegeben, die Touristen sind abgezogen. Aber im nächsten Jahr werden sie wiederkommen.

Ich wünsche allen Menschen die Möglichkeit, dass sie diese großen Berge besteigen können, aber mit Alpinismus hat das wenig zu tun. Das ist Tourismus, zwar immer noch ein bisschen gefährlich. Aber die Eigenverantwortung und Eigenleistung werden mehr und mehr den Einheimischen überlassen. Es geht hier um Renommee und nicht um die Erfahrung der Menschennatur draußen in der Wildnis.

Glauben Sie, dass das Lawinenunglück am Everest das Bergsteigen dort nachhaltig verändert?

Bisher waren es ja Reiseagenturen aus Neuseeland, aus den USA, der Schweiz oder auch Deutschland, die diese Gruppen in den Himalaya gebracht und die Sherpas bezahlt haben, auf dass sie die Piste vorbereiten. Das passiert nicht nur am Everest, sondern an allen 14 Achttausendern. Weil die Klienten glauben, dass diese 14 Berge ein besonderes Prestige hätten. Ich glaube das übrigens nicht.

Die jungen Sherpas haben eben die Drecksarbeit gemacht – die gefährliche Arbeit, bei der 16 Sherpas gestorben sind. Sie sagen sich: Wenn wir schon vorausgehen und in monatelanger Arbeit und großer Gefahr die Pisten bauen, wollen wir auch das Geschäft machen und lassen uns nicht den Gewinn von den westlichen Reiseagenturen wegnehmen.

Messner:Sherpas haben die Drecksarbeit gemacht

Erwarten Sie, dass nach dem Lawinenunglück nun viele Everest-Kandidaten zu Hause bleiben?

Umgekehrt, es werden noch mehr Kandidaten sein, weil man die Piste wieder vernünftiger anlegt. Es war seit drei, vier Jahren klar, dass früher oder später ein solches Unglück passiert. Da muss ich auch die Sherpas mit in die Verantwortung nehmen. Sie haben die Piste gebaut, an der schwächsten Stelle, wo die Schwierigkeiten am geringsten sind, aber die Gefahren am größten. Das ist nicht unbedingt schlau.

Messner vor einem seiner Bergmuseen (2009)

Messner vor einem seiner Bergmuseen (2009)

Wenn Sie einem jungen, abenteuerhungrigen Bergsteiger einen Rat geben sollten, welcher wäre das?

Die Jungen müssen ihren Weg selbst finden. Ich würde auch nicht antworten können, was ich täte, wenn ich jetzt 20 wäre. Aber ich sehe junge Bergsteiger, die traditionelle Bergsteiger sind und Großartiges leisten: einen Hansjörg Auer, der im Karakorum einen Siebeneinhalbtausender über eine irre schwierige Route meistert, einen David Lama, der den Cerro Torre frei klettert, also ohne die Bohrhaken des Cesare Maestri, einen Alex Honnold, der die ganze Fitz-Roy-Gruppe mit Dutzenden von Gipfeln überquert.

Es gibt Zehntausende von Gipfeln auf der Erde, die nicht bestiegen sind, wo es Hunderttausende möglicher Routen für die nächsten Jahre gibt. Die jungen Leute haben gelernt, dass sie nicht mehr an die berühmten Berge gehen müssen. Das ist die erste Grundvoraussetzung, um großes Abenteuer zu erleben: dorthin zu gehen, wo die vielen anderen nicht sind, um überhaupt in Eigenregie und Eigenverantwortung handeln zu können.

Wie hoch können Sie selbst denn noch steigen?

Das habe ich nicht mehr ausgetestet. Aber ich den letzten Jahren war ich immer wieder auf 6000 und mehr Metern. Ich fühle mich dort sogar besser als in normalen Höhen. Ich weiß nicht warum. Vielleicht setze ich mich sogar in den nächsten zehn Jahren rein aus gesundheitlichen Gründen regelmäßig für ein halbes Jahr nach Nepal oder in den Himalaya ab. Es gibt den Fall eines sehr kranken Mannes – ich nenne den Namen nicht – der mit seiner Frau großartige Achttausender-Besteigungen gemacht hat. Die Ärzte hatten ihn aufgegeben. Er ging in den Himalaya, um ein letztes Mal seine großen Berge zu sehen und vielleicht dort zu sterben. Er stieg auf einen Achttausender und kam gesund zurück. Dieses medizinische Wunder könnte die Forscher anregen, die Berge nicht nur als Spielfeld für Abenteurer anzusehen, sondern auch als Gesundbrunnen für kranke Menschen.

Messner:Ich will nicht in den Bergen umkommen

Ich werde sicherlich nicht mehr ohne Atemmaske auf den Everest steigen. Ich will nicht in meinen späten Jahren an den Bergen umkommen, nachdem ich 65 Jahre lang alles getan habe, um das Sterben am Berg zu vermeiden. Aber mit zwei Sauerstoffflaschen und zwei Sherpas, von denen einer vorne zieht und einer hinten schiebt, nochmals auf den Everest steigen? Das ist meine Sache nicht.

Datum

13. September 2014 | 22:31

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